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Fleißige Heberlinge

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Weitere zwei Male erschien der Brötchenmeister und lieferte leckeren Nachschub, bis Lilu und Alexander sich mit vollen Bäuchen ins Gras legten und ihm zu verstehen gaben, dass es zwar sehr lecker, aber fürs Erste genug sei. Der Brötchenmeister war zwar stets um Höflichkeit bemüht aber kein besonders guter Gesellschafter und so bedauerte niemand, dass er sich verabschiedete. Seine Gegenwart war nicht weniger als gewöhnungsbedürftig.

Sie lagen eine Weile im Gras, genossen die Ruhe und ihre Mägen machten sich daran, die Nahrung zu verarbeiten.

»Mir ist nicht ganz klar, was gerade mit mir passiert«, begann Alexander und starrte in den blauen Himmel. »Ich kann mich an gar nichts erinnern. Ich weiß nur, dass ich hier nicht hergehöre. Außerdem habe ich das dringende Bedürfnis mich zu waschen.«

»Und wo gehörst du hin?«

»Hörst du mir nicht zu? Das weiß ich ja gerade nicht. Ich habe keinen blassen Schimmer, wie ich auf die Lichtung gekommen bin.«

»Was ist das Letzte, an das du dich erinnern kannst?«

Der Junge atmete tief aus, was zweifellos zu bedeuten hatte, dass er tatsächlich unwissend war.

»An deinen Namen kannst du dich erinnern«, resümierte das Mädchen. »Alexander - das ist doch dein Name, oder?«

»Ja, ich glaube schon.«

»Du glaubst?«

»Der ist mir einfach so eingefallen, also wird es wohl mein Name sein.«

»Also, wenn man es genau nimmt, könntest du tatsächlich Kasper heißen.«

Alexander lächelte. »Auf keinen Fall Kasper. Auch nicht Wolfgang. Wer heißt schon Wolfgang?! Nur alte Männer heißen Wolfgang.« Er dachte kurz daran, dass selbst alte Männer einmal kleine Jungs gewesen sein müssen, fand diesen Gedanken aber doch zu absurd und schüttelte den Kopf: »Nein, ich hätte mir auf jeden Fall einen anderen Namen überlegt. So viel ist mal sicher.«

Sie schwiegen eine Weile und starrten in die Wolken, bis Alexander fragte: »Und nun?«

»Nichts nun. Ich vermute, früher oder später wird dir alles wieder einfallen. Spätestens wenn der Dreck von dir abgefallen ist.«

»Und du bist sicher, dass das alles nicht nur ein Traum ist?«

»Dann müssten wir ja beide träumen. Aber wenn du darauf bestehst, kann ich dich ja kneifen.«

»Nee, lass mal. Das habe ich schon probiert. Hat nichts geholfen.«

»Vielleicht hat dich jemand in dem Wald … ausgesetzt.«

»Wer sollte mich denn im Wald aussetzen? Außerdem müsste ich mich daran doch erinnern können.«

»Meistens sind es die Eltern, die sowas machen. Vielleicht haben sie dir auf den Kopf geschlagen und dann hast du dein Gedächtnis verloren. Das soll es schon gegeben haben.«

»Meine Eltern?«

»Du hast doch Eltern, oder?«

»Was für eine Frage?! Jeder hat ja wohl Eltern.« Alexander tastete über seinen Kopf. »Keine Beule … nicht einmal eine Schramme. Nur Erde. Und wieso sollten sie mir auf den Kopf hauen?«

»Das weiß ich doch nicht – ich war ja nicht dabei. Doch so könnte es gewesen sein.«

»Wohl kaum.«

Das Rätselraten lieferte dem Jungen keine Antworten und so hoffte er inständig, dass er bald aufwachen würde. Allerdings war ihm dieses Mädchen immer noch suspekt und nun bot sie ihm zweifelhafte Erklärungen. Er vermutete aber, dass sie mehr wusste als sie zugab.

Die Wolken huschten eilig über den Himmel und die Bienen summten um die Kelche der Blüten, immer auf der Suche nach dem köstlichen Nektar, als aus der Ferne ein leiser Gesang zu vernehmen war. Zuerst dachte Alexander vom Rauschen der Blätter im Wind getäuscht worden zu sein, doch der Gesang kam eindeutig näher.

Der Junge erhob sich und schaute in die Richtung, aus der er die Stimmen vermutete, neugierig, was er wohl diesmal für Gestalten zu Gesicht bekommen würde. Der Brötchenmeister war bereits absonderlich und auch dieses Mädchen schien ihm nicht ganz normal zu sein. Alexander spürte im tiefsten Inneren jedoch, dass er zu dieser Zeit oder an diesem Ort der Fremde war. Es war nur ein Gefühl, das ihn ergriffen hatte aber dieses Gefühl nahm ganz und gar Besitz von ihm. Der Gesang wurde deutlicher und mit ihm erschienen sieben kleine, pelzige Tierchen; nicht viel größer als Frettchen oder Wiesel. Sechs marschierten im Gänsemarsch auf ihren Hinterpfoten und eines schritt vorweg. Auch sie trugen - ähnlich wie der Brötchenmeister - Weidenkörbe, jedoch nicht auf ihren Köpfen, sondern an Riemen auf ihren Rücken. Nur das Erste hatte statt eines Korbes auf dem Rücken einen Stab in seinem Pfötchen.

Diese Wesen schienen weder von Alexander noch von Lilu Notiz zu nehmen und machten sich emsig an ihr Tagewerk.

»Lilu! Schau mal! Was sind denn das schon wieder für putzige Tierchen? Hast du die schon mal gesehen?«, flüsterte Alexander sie aus den Augen zu lassen.

»Ach, das sind doch nur Heberlinge. Sie sind sehr nützlich und ebenso fleißig aber leider nicht sehr unterhaltsam. Ihre Sprache ist schwer verständlich und ich bin mir nicht sicher, ob sie alle die gleiche Sprache sprechen, was eine Unterhaltung umso schwieriger gestaltet«, erklärte Lilu ohne ihren Blick zu erheben.

»Und was machen die da?«

»Sie sammeln nur Beeren. Erdbeeren, Himbeeren, Heidelbeeren und Johannisbeeren für unsere köstliche Konfitüre. Sie machen nichts anderes. Sie sammeln immerzu und haben niemals Zeit zum Spielen. Die Beeren tauschen sie dann mit dem Brötchenmeister gegen irgendetwas ein. Ich weiß nicht genau was aber sie sind ganz versessen darauf.«

»Die sehen mit ihren Körbchen irgendwie aus wie Osterhasen auf einer Grußkarte«, stellte Alexander fest. »Nur die Ohren sind kleiner.«

»Das sind weder Hasen noch Kaninchen«, gab sie zurück.

Noch ein Weilchen beobachtete Alexander diese putzigen, flinken Tierchen und war erstaunt über ihr Geschick. Es dauerte nicht lange und alle Weidenkörbchen waren bis oben gefüllt mit Beeren; hauptsächlich Himbeeren und Brombeeren. Dann schulterten sie wieder ihre Körbchen, stellten sich in eine Reihe und marschierten singend in die Richtung, aus der sie gekommen waren.

Alexander legte sich wieder ins Gras, genoss das warme Sonnenlicht auf seinem Gesicht und seine Augen wurden immer schwerer.

¤

Etwas kitzelte ihn und winzige Füße schienen seine Nase zu erkunden. Ohne die Augen zu öffnen versuchte er das lästige Insekt loszuwerden. Mit fahrigen und wenig gezielten Handbewegungen fuchtelte er in der Luft herum, doch es ließ sich nicht vertreiben. Er öffnete seine Augen und direkt vor ihm stand das Mädchen. Es hielt seine Arme auf dem Rücken verschränkt, ließ einen Weizenhalm durch ihre Finger gleiten und lächelte ihn an. »Guten Morgen, mein Lieber. Hast du gut geschlafen?«

Alexander reckte und streckte sich. »Und wie.«

»Es wurde höchste Zeit, dass du aufwachst. Ich habe mir schon Sorgen gemacht.«

»Wieso? Ist es denn schon so spät?«, fragte er schläfrig und schob eine viel zu kleine Decke beiseite.

»Nein, es ist früher Morgen, doch bereits der zweite. Piep, piep.« Lilus anfänglich schwer verständliche Aussprache schien sich entweder verbessert zu haben oder er konnte plötzlich schwedisch verstehen. Sie sprach nun mit heller, deutlicher und freundlicher Stimme und er freute sich, sie zu sehen.

»Wie?«

»Du hast einen ganzen Tag lang geschlafen. Ich wusste gar nicht, dass das geht.«

»Einen ganzen Tag?!«

»Jupps«, lächelte sie. »Aber nun musst du deine müden Knochen in Bewegung setzen. Wir haben noch einiges zu erledigen.«

Alexander setzte sich auf, blickte sich um und musste zu seinem Bedauern feststellen, dass er dem Traum selbst nach so langem Schlaf nicht entkommen war. »Also träume ich immer noch.«, murmelte er und schaute sie resigniert an. »Und was haben wir zu erledigen?«

Lilu trat einen Schritt näher, bückte sich zu ihm herab und erklärte: »Hör zu. Während du so selig geschlafen hast, haben sich Dinge ereignet, die nicht gut sind für unseren Wald. Ganz und gar nicht gut, und wenn ich mich nicht täusche - und ich täusche mich nie - wirst du mir helfen können. Ich benötige einen treuen Freund, mehr denn je. Bist du bereit für ein Abenteuer?«

Alexander verstand überhaupt nichts von dem, was sie ihm zu erklären versuchte. »Abenteuer? Was für ein Abenteuer? Jetzt mal der Reihe nach. Wovon redest du?«

Lilu neigte ihren Kopf auf die Seite, grinste und sagte: »Bei ein oder zwei Rosinenschnecken und dazu einem Kräutertee im Schatten der Linde wird die Sache sicher den geeigneten Rahmen finden. Komm mit.«

Sie drehte sich um, streckte ihm gleichzeitig ihre kleine Hand entgegen und lächelte vertraut. Ohne zu zögern ergriff er diese. Für einen Moment hatte er das Gefühl, dass entweder Lilu etwas gewachsen, oder er etwas geschrumpft war. Sie erreichten das Tischchen mit den vier Strohgraskissen und dieses Mal stand, statt des Weidenkörbchens mit Brötchen, ein Körbchen gefüllt mit Rosinenschnecken darauf.

Sie zeigte auf das gedeckte Tischchen und sagte: »Die hat der Rosinenschneckenmeister für uns gemacht, toll was?«

»Der schrumpelige Kerl? Ich dachte, der heißt nur und ausschließlich Brötchenmeister«, entgegnete Alexander etwas verwirrt. »Oder ist das ein anderer?«

»Nein, es ist derselbe. Aber das war, als er für uns Brötchen gebacken hatte. Nun hat er Rosinenschnecken für uns gebacken und besteht darauf Rosinenschneckenmeister genannt zu werden. Er ist, was er ist und heißt, wie er will. Piep, piep«, antwortete Lilu und setzte sich auf eins der Strohgraskissen.

»Und wo bekommt er das ganze Mehl her? Ich meine, wir sind doch hier im Wald, oder nicht? Dann muss es doch hier irgendwo ein Dorf ganz in der Nähe geben.«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein, hier gibt es weit und breit kein Dorf. Ich habe ihn nie gefragt doch ich glaube, das stibitzt er irgendwo.«

»Der klaut?«

»Jupps, davon kannst du mal ausgehen«, grinste sie. »Immerhin ist er ein Gnom.«



Raniten in der Furt

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