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Kapitel III – Am Fuß der Berge – Eine zweite Stadt
ОглавлениеDe Geet fehlte die Ehrfurcht. Birga sah es genauso wie Mark, doch jetzt gab es Wichtigeres zu tun. Höchstpersönlich waren zwei der drei wichtigsten Männer an die Fundstelle der Rohstoffe gereist. Trotz des erfreulichen Anlasses machte sich dabei eine gewisse Unzufriedenheit breit: Um auf ihrer Insel von A nach B zu kommen, mussten sie immer noch wie die Wilden durch den Busch laufen. Am Fuß der Berge angekommen, brach Sammy vor Freude in Tränen aus. Er bildete das arbeitende Rückgrat des Forschungstrupps. Seine überschwängliche Reaktion auf die Ehre, die ihm zuteil wurde, da die Herrscher ihn persönlich besuchten, unterstrich De Geets Mangel an Wertschätzung. Er verfolgte die Szene eher mit Befremden. Aber wen sollte das wundern? Schließlich war er noch keine Woche auf der Insel, als er schon mit der wichtigen Suche betraut wurde.
Ivan sah das in diesem Moment jedoch nicht. Sofort versank er mit De Geet in ein Gespräch voller technischer Details: Er zählte auf, welche Mittel zum Rohstoffabbau zur Verfügung standen und wollte wissen, was am dringendsten benötigt wurde.
Wie mit Mark abgesprochen, schlugen Ivan und Birga De Geet vor, das Projekt vor Ort zu leiten und Verantwortung dafür zu übernehmen. Der Mittvierziger mit dunklen Haaren, die bereits von grauen Strähnen durchsetzt waren, stimmte zu. Seine Aufgabe in der kommenden Zeit würde es sein, den Rohstoffabbau mit dem begrenzten menschlichen Potenzial auf der Insel voranzutreiben – dabei würde es gerade anfangs unausweichlich sein, mitanzupacken.
Während Ivan und De Geet sich noch weiter in Details vertieften, sah Birga sich die Ebene direkt nördlich der Berge an. Hier würde in den nächsten Wochen ein Bergarbeiterdorf entstehen. Zurück bei Ivan und De Geet sah er, dass sein Regierungskollege bäuchlings in einem kleinen Schacht verschwand, den Sammy und der Geologe gegraben und mit Holzbalken abgestützt hatten. Als Ivan wieder herauskam, versuchte er seine Begeisterung in Grenzen zu halten um sein staatsmännisches Auftreten gegenüber De Geet nicht vollständig zu verlieren. Langsam, Wort für Wort, klärte er ihn über den eigentlichen Clou an der Sache auf: das Höhlensystem, das er und Mark vor über einem Jahr entdeckt hatten. "Von dort aus ist ein problemloser Zugang zu den Ressourcen möglich. Wir können schweres Gerät und die Rohstoffe selbst unterirdisch durch vorhandene Tunnel transportieren und müssen nur noch kurze Schächte zu den eigentlichen Vorkommen graben. Der Arbeitsaufwand hält sich in Grenzen. Wir müssen die Höhlen natürlich etwas an unsere Bedürfnisse anpassen."
"Vielleicht wäre es auch eine gute Idee, einen zusätzlichen Zugang vom Arbeiterdorf zu graben", warf Birga ein.
Ivan und De Geet nickten. "Eine gute Idee".
Birga war erleichtert. Schließlich hatte er jetzt einen wichtigen Teil zu der ganzen Angelegenheit beigetragen, anstatt nur in der Gegend herumzustehen.
Nach dem Austausch erster Ideen verabschiedeten sich die Politiker mit dem Versprechen, das Bergbauprojekt prioritär zu behandeln und dem Geologen die nötigen Mittel zukommen zu lassen. Zudem kündigten sie an, sich um die infrastrukturellen Schritte zu kümmern, die für einen reibungslosen Arbeitsablauf umso wichtiger waren.
Zurück in Settlers Port ordneten sie an, nur dort zu holzen, wo die Bergbausiedlung entstehen sollte. Ein Teil des Holzes blieb für spätere Bauarbeiten direkt vor Ort. Um das Gebiet besser zu erschließen, legten die Holzarbeiter zuerst eine 600 Meter lange Schotterpiste an. Dazu verlängerten sie die Straße, die den inländischen Teil von Settlers Port jenseits des Living River durchquerte. Zudem bauten sie eine simple Holzbrücke über den Rich River, der von den Hängen des Alp Peak herab floss und in einem Delta südlich von Settlers Port in das Meer mündete. Wenige Tage später war am Fuß der Berge eine Lichtung entstanden, die groß genug war, um erste Hütten zu bauen, in denen die Waldarbeiter, aber auch De Geet schlafen konnten.
Sammy half in dieser Zeit den Holzfällern aus. Birga hatte ihn darum gebeten. Außer ihm arbeiteten noch zwei Zugezogene in den Wäldern südlich von Settlers Port. Für die Wegearbeiten wurde auch die Armee herangezogen, was Juan vorübergehend davon abhielt in der Sonne zu liegen und Bier zu trinken – zu seinem Missfallen. Allerdings klärten Mark und Ivan als seine Befehlshaber ihn auf, dass diese Inlandstraße auch militärischen Nutzen habe, weil sie den flachen Norden der Insel mit dem gebirgigen Süden verbinden werde.
Porter und Tanja arbeiteten in dieser Zeit weiterhin in der Behörde, Tanja mit je einer halben Stelle im Finanz- und im Einwohnermeldeamt. Nebenbei kümmerten sie sich selbstverständlich noch um ihre Gärten.
Manuel Arnan arbeitete als einziger ausschließlich in seinem Garten. Er war zwar fleißig, hatte sich jedoch nicht vom Aufruf der Führung begeistern lassen, bei den Holz- und Wegarbeiten zu helfen.
Auch auf politischer Ebene blieb die Inselregierung aktiv. Mit ihrem neugewonnenen Gewicht als international anerkannter und souveräner Staat nahm sie nach und nach diplomatische Beziehungen zu Kiribati, Tuvalu, den Marshall Inseln, Nauru, den Salomonen, Palau, Belize, St. Kitts und Nevis, St. Lucia, St. Vincent und den Grenadinen, Burkina Faso, Gambia, São Tomé und Príncipe sowie Swasiland auf. Vor allem die Karibikstaaten waren dabei wichtig, da die Insel nun auch auf dem amerikanischen Kontinent anerkannt wurde. Verantwortung für die Verbindungen zu den "Freunden in Amerika" übernahm Birga.
Die erfreulichen außenpolitischen Entwicklungen stellten die Inselregierung jedoch vor eine neue Herausforderung: Internationale Kontakte konnten nicht nur per Kommuniqué gepflegt werden und Diplomatenreisen per Boot waren nach Tuvalu oder auf die Cookinseln vielleicht noch machbar. Nach Europa oder in die Karibik zu reisen, war dagegen ein unvertretbarer Aufwand. Kurzum: Ein Flughafen war notwendig geworden. Diesen Punkt hatten die Herrscher, von ihrem eigenen Erfolg überrascht, schlichtweg noch nicht bedacht. Schließlich waren die vereinten Kräfte der Insel bereits auf den Bergbau konzentriert und selbst dieser könnte sich ihrem Willen nach schneller entwickeln.
Bei einem Krisentreffen im geheimen Besprechungsraum stellte Birga Pläne für ein Rollfeld vor: Es sollte im Westteil der Insel vom Fuß des Mt Eden bis auf den kleinen Landvorsprung führen, der die Right-Said-Bay im Westen begrenzte. Dort war Platz vorhanden und es musste nur ein kleiner Hügel abgeflacht werden. Doch alle drei waren sich in der Besprechung einig, dass der Bergbau Vorrang habe. Sobald die erste Schiffsladung Rohstoffe in Taiwan ankäme, würde sich die finanzielle Lage der Insel ein weiteres Mal verbessern. Es war also Eile geboten. Die Bevölkerung würde diese Ansicht teilen.
Nur Arnan hatte sich bisher nicht in den Bergbau treiben lassen. Den Herrschern war sogar zu Ohren gekommen, dass er versuchte, andere davon zu überzeugen, lieber mehr in ihren Gärten zu arbeiten, statt ihre Zeit unter Tage zu verschwenden.
"Er soll irgendwas von 'das ist sinnvoller, wozu brauchen wir Gewinn durch Rohstoffe, wenn wir im Paradies leben' gesagt haben", unterrichtete Mark seine Kollegen. "Wir sollten ein Auge auf diesen Quertreiber haben. Er könnte die Disziplin unserer Leute untergraben."
Diesmal nahmen Ivan und Birga die Warnung ernst, hatten sie solche Gerüchte schließlich auch schon gehört.
Am nächsten Tag verbreitete sich ein weiteres Gerücht auf der Insel. Sammy, Juan und die beiden Neuen, Barry McCollum und Ryan Assengee, arbeiteten gerade daran, eine Verbindung zwischen den Höhlen und dem kleinen Schacht von Sammy und De Geet herzustellen. Auf die Schnelle hatte die Regierung ihnen Presslufthammer zukommen lassen, mit denen Sammy und einer der beiden neuen arbeiteten, während die beiden anderen die Steine wegschafften. Es war eine harte Arbeit, die die Männer in der jüngst vergangenen Zeit zusammengeschweißt hatte. "Habt ihr gehört, dass unsere Führung einen Bagger für uns angefordert hat?", rief Juan den anderen von hinten durch den Lärm zu. Er konnte sie durch den dichten Staub in der dunklen Höhle kaum sehen. Das einzige Licht kam von ihren batteriebetriebenen Helmlampen und von einigen eckigen Scheinwerfern, die hier und da auf dem Boden aufgestellt waren und die Wände anleuchteten. Dort, wo die Männer arbeiteten, verschluckte der aufgewirbelte Dreck jedoch jeden Lichtstrahl bereits nach wenigen Zentimetern. Niemand reagierte auf Juan. "Habt ihr das gehört?", schrie er nochmal um einiges lauter.
"Was gehört?", wollte Sammy wissen, der zu bohren aufgehört hatte.
"Dass wir bald einen Bagger bekommen sollen", schrie Juan jetzt nur noch gegen einen Bohrer an.
"Nein", antwortete Sammy und wandte sich zu McCollum. "Lasst uns eine kurze Pause machen, es ist schon zehn."
Ihnen war je eine Viertelstunde Pause vor- und nachmittags gestattet, zudem eine halbe Stunde Mittagspause. Um keine Zeit zu verlieren, verbrachten sie die kurzen Pausen unter Tage, ein paar Meter weiter vorne, wo es weniger staubig war.
"Wir kriegen wirklich bald einen Bagger, der hier reinpasst?", bohrte Sammy nach.
"Ja", sagte Juan. "Oberst Mark hat das erzählt."
"Oberst Mark?!", wollte Sammy wissen und leuchtete Juan mit seiner Helmlampe ins staubbedeckte Gesicht.
Der blinzelte in dem grellen Licht und hielt sich die Hand vor die Augen. "Er hat sich heute Morgen über die neue Telefonleitung gemeldet. Er hat befohlen, dass das Militär im Bergbau hilft. Denn..." Juan stockte.
"Was?", wollten die drei anderen Männer wissen.
"Es ist eigentlich militär-internes Wissen", fuhr Juan fort. "Die Anderen wollen die Mine hier wohl sabotieren. Deswegen soll ich hier arbeiten und gleichzeitig aufpassen." Juan deutete mit dem Daumen über die Schulter hinweg auf die AK47, die er auf dem Rücken trug. "Aber behaltet es für euch!"
"Wer sind diese Anderen", wollte McCollum wissen. "Ich hab' euch immer wieder von ihnen sprechen hören."
"Die Anderen sind furchtbar", sagte Sammy. "Sie haben vor Jahren Krieg gegen uns geführt. Sie haben Gas eingesetzt. Du kannst das in den Wäldern über uns immer noch sehen."
"Sie sind gegen unsere Einigkeit und wollen verhindern, dass wir wohlhabend werden", fügte Juan hinzu. "Es war lange still...", sagte der Veteran mit abschweifendem Blick. "Die Befreier haben uns vor ihnen gerettet. Sie haben eine Armee gegründet und angeführt, und konnten diese Schweine endlich in die Flucht schlagen."
Porter hatte an diesem Tag ein noch düstereres Gesicht als sonst. Es hellte sich nur ein wenig auf, als er auf dem Rückweg von der Mittagspause Tanja bei der Brücke über den Living River traf. "Hallo Porter", sagte sie mit einem scheuen Lächeln und blickte verlegen an ihm vorbei.
"Guten Tag", erwiderte er gedrückt. "Haben Sie's schon gehört?"
"Was gehört?"
"Die Anderen sollen es wieder auf uns abgesehen haben. Sie versuchen die Minen zu sabotieren."
Tanja wurde bleich. "Das kann nicht Ihr ernst sein!"
"Doch, leider. Herr Birga hat in meinem Büro angerufen."
"Ich weiß. Ich habe ihn ja zu Ihnen durchgestellt", sagte Tanja immer noch blass im Gesicht. Bei ihr kamen alle Anrufe an. Egal, ob sie vormittags im Finanzzentrum oder nachmittags im Einwohnermeldeamt arbeitete, Anrufer landeten zuerst bei ihr. Entweder sie kümmerte sich dann selbst um die Angelegenheit, verband zu Porter oder in einigen wenigen Angelegenheiten sogar direkt in den Regierungspalast. Diese Tätigkeiten lasteten sie neben der Bearbeitung von Finanz-, Steuer- und Wohnangelegenheiten sehr aus.
"Er hat jedenfalls gesagt, dass es für den westlichen Teil der Insel keine neuen Landkonzessionen geben wird", fuhr Porter fort. "Dort ist wohl etwas Größeres geplant." Porter machte eine kurze Pause. "Und dann bat er mich, die Augen offen zu halten, weil die Anderen wohl etwas bei den Minen vorhaben."
"Schrecklich!", sagte Tanja und die beiden mutmaßten noch ein wenig, was denn in der Luft liegen könnte, bevor sie sich wieder an die Arbeit machten.
Es war ungewöhnlich, dass De Geet vormittags zu den Arbeitern in die Mine kam. Normalerweise erledigte er vormittags seine Vermessungen und Berechnungen und arbeitete am Nachmittag mit in den Stollen, bevor er die Fortschritte abends aufzeichnete und die Regierung oft erst nachts davon in Kenntnis setzte. Doch an diesem Vormittag, vier Tage nachdem die Gerüchte über die Anderen sich breit gemacht hatten und langsam wieder an Wirkung verloren, stand er auf einmal im Stollen.
"Hey!!!", schrie er aus vollem Leib gegen den Arbeits- und Motorenlärm des mittlerweile eingetroffenen Baggers an. Acht Augen, die sich deutlich von den staubschwarzen Gesichtern abhoben, blickten ihn an. "Wir arbeiten wo anders weiter", sagte er. "Weisung von ganz oben. Der Bagger soll außerdem auf die Nordseite dieser Tunnel", sagte De Geet. Ihm selbst war der Sinn dieser Aktion nicht ganz klar. Sie waren kurz vor dem Durchbruch zu seinem kleinen Schacht und damit nicht mehr weit vom Indium und Zink entfernt. Vielleicht noch drei bis vier Tage.
Aber Ivan hatte ihn angerufen und darauf bestanden, dass der ursprüngliche Schacht sofort erweitert werde. De Geet wollte Ivan davon überzeugen, am Plan festzuhalten, aber sein Gegenüber bestand auf seine Forderung. "Tun Sie's einfach De Geet", hatte er gesagt. "Vertrauen Sie mir. Sie wissen doch, wem Sie ihren Posten verdanken", hatte er gesagt.
De Geet gefiel das nicht. Er war nicht auf die Insel gekommen, um sich rumschubsen zu lassen. Aber er hatte wirklich eine wichtige Aufgabe und Ivan war sicherlich sein Gönner. Also hatte er sich dazu durchgerungen, ihm entgegenzukommen. Auch wenn er es als sinnlos empfand, den Bagger jetzt in Richtung Settlers Port zu schaffen, um dort offensichtlich einen neuen Tunneleingang zu schaufeln.
Die Arbeiter sahen das ähnlich. Nicht sonderlich überzeugt taten sie das, was ein ebenso wenig überzeugter Vorgesetzter nach außen hin aber sehr überzeugend von ihnen verlangte.
Eine halbe Stunde später arbeiteten sie bereits alle an dem kleinen Tunnel und der Bagger war gute 200 Meter weiter im Norden, wo er wegen einer Verengung des Gangs vorerst nicht weiter konnte. Juan zündete sich mit schmutzverschmierten Händen eine Zigarette an und wollte gerade eine Schubkarre voll Erde wegschaffen, als es einen dumpfen Knall gab und die Erde bebte.
McCollum steckte in diesem Moment im vorderen Ende des Schachts, den sie vergrößerten, und Sammy arbeitete im bereits geweiteten Teil, wo er Stützbalken einbaute. Auf beide rieselte zuerst nur etwas Erde, bevor ein ganzer Schwall davon McCollum beinahe vollständig verschüttete.
Sammy und Juan eilten ihm zu Hilfe. Sie quetschten sich in den Gang und kratzten mit ihren Händen hastig Erde beiseite, um ihn nicht mit ihren Schaufeln zu verletzen. Auch Assengee, der gerade neues Holz geholt hatte, eilte herbei, stand aber etwas unbeholfen neben der Szenerie. Im Schacht war kein Platz mehr für ihn. Doch nach einer halben Minute kamen Sammy und Juan auf allen Vieren herausgekrochen. Jeder von ihnen zog an einem Fuß des Verschütteten.
Zurück an der frischen Luft schüttelten sie McCollum durch und schrien ihn an, er solle die Augen aufmachen. Doch zuerst öffnete sich sein Mund. Erde fiel von seinen Lippen in seine Kehle und sein gesamter Körper schüttelte sich in einem heftigen Hustenanfall. Als er die Erde und sein Frühstück ausgewürgt hatte, blinzelte er langsam ins Sonnenlicht.
"Was war das für eine Scheiße?", fragte er seine Retter, die erleichtert waren, dass er noch in der Lage war, sich solche Fragen zu stellen. Er war in Ordnug, hatte nur ein wenig Erde geschluckt und würde morgen schon wieder arbeiten können. Für diesen Tag war jedoch für alle Schicht.
Und auch der darauffolgende Tag ging nicht seinen gewohnten Gang. Alle Bürger wurden morgens in den Parlamentssaal geladen – eine Premiere. Der mit Glas und Beton verkleidete Saal hatte noch nie so viele Menschen gesehen. Birga stand am Pult: "Gestern Morgen gab es einen Anschlag auf unseren Bergbau. Die gute Nachricht ist: Es gab keine Toten oder ernsthaft Verletzten. Die schlechte Nachricht ist, dass unsere Entwicklung nach wie vor Neider hervorruft." Neben Birga und dem Pult saßen Ivan und Mark, beide in ziviler Kleidung. "Wir wussten von diesen bösartigen Plänen", fuhr Birga fort. "Deshalb haben wir die Arbeiten gestern verlegen lassen."
Applaus brandete auf. McCollum sprang nach einigen Sekunden von seinem Sitz auf und klatschte so heftig in die Hände, wie er konnte. Das waren echte Helden. Sie hatten sein Leben gerettet!
"Wir haben noch keine hundertprozentigen Indizien, wer hinter diesem feigen Attentat steckt", sagte Birga.
"Die Anderen!", schrie Porter aus der zweiten Reihe dazwischen. Die erste Zuhörerreihe war leer geblieben. In diesem Moment räusperte sich Mark und versteckte sein Grinsen so hinter vorgehaltener Hand.
"Uns allen ist klar, dass wir uns von dieser beispiellosen Aggression nicht einschüchtern lassen dürfen", sprach Birga mit ruhiger, klarer Stimme weiter. "Wir werden unsere Bemühungen in der Mine noch weiter verstärken, auch wenn es persönliche Opfer erfordert."
"Wozu brauchen wir diesen Untertagebau eigentlich?", fragte Manuel Arnan plötzlich dazwischen.
Birga stockte kurz und sprach dann weiter: "Deshalb werden wir..."
"Wozu brauchen wir das?", rief Arnan wieder. "Wofür mehr Geld?"
Birga sah seine Kollegen rechts und links von ihm verdutzt an. Dann wandte er sich an Arnan: "Zuschauer haben während Regierungssitzungen oder Bekanntmachungen eigentlich kein Rederecht."
"Ist das etwa kein Parlament? Kommt 'parla' nicht von 'sprechen'?", wollte Arnan wissen.
"Doch. Dazu gibt es schließlich den Punkt 'Fragen und Anmerkungen'", log Birga.
Die meisten anderen Zuhörer waren derweil konsterniert. De Geet war interessiert.
Porter war wütend. "Unterbrich ihn nicht", schrie er Arnan nach einem kurzen Augenblick der Verdutztheit an.
Birga stockte nochmal kurz, sammelte sich dann aber und sprach wieder ruhig und oberflächlich nur leicht verärgert weiter: "Deshalb werden wir einige Schritte einleiten, um den Bergbau zu stärken. Betroffene erhalten in Kürze entsprechende Informationen. Auf uns alle wartet Arbeit, die wichtiger ist denn je. Also halten wir die Fragen und Anmerkungen heute doch bitte kurz!"
"Nur eine Frage", sagte Arnan, "Gibt es hier eigentlich Wahlen?"
"Ja. Der Termin für die nächste Abstimmung wird in Kürze bekanntgegeben", kam Birgas Antwort ohne zu zögern. Dann schloss er die Sitzung.
Zwei Tage später, zurück in der Mine, stellten De Geet und die Arbeiter fest, dass die Terroristen ihnen unabsichtlich einen Gefallen getan hatten. Die Explosion hatte ihren Schachtbau deutlich vorangetrieben, sodass ihnen der Durchbruch zum anderen Schacht schon am nächsten Tag gelingen könnte. Es musste zwar jede Menge Dreck weggeschaufelt werden, doch das ging dank dem wieder herbeigeschafften Bagger recht schnell.
Zur Mittagspause war De Geet wieder bei den Männern. Er hatte eine schlechte Nachricht im Gepäck: Die Arbeitszeiten in den Stollen müssten verlängert werden. "Tut mir leid, Anordnung von oben", sagte er zu den murrenden Männern. In Zukunft sollten sie mindestens zehn Stunden am Tag arbeiten. Bisher waren es nur neun Stunden gewesen. Als die Arbeiter sich auch nach mehreren Minuten nicht beruhigen wollten, wurde De Geet allmählich etwas ärgerlich. "Jetzt jammert nicht rum! Wenn ihr wüsstet, wie viel ich meistens arbeite. Mit der ganzen Planung, den Messungen und den Berichten nach oben. Das ist nun mal so. Arbeit ist eben Arbeit, Leute! Oberst Ivan lässt euch ausrichten, dass ihr einen super Job macht, dass wir aber unseren Vorsprung den Anderen gegenüber ausbauen müssen."
Das sahen die Männer ein. Mittlerweile waren nicht nur Sammy und Juan, sondern auch McCollum und Assengee von der Bedrohung durch die Anderen überzeugt. Nachmittags besserte sich die Stimmung auch schnell wieder: Den Arbeitern gelang der Durchbruch zum kleinen Probestollen, wo die Rohstoffe gefunden worden waren.
In den vergangenen Tagen waren bereits Güterloren herbeigeschafft worden, die im großen Stollen bereitstanden. Schon bald würden die Wagen sich mit ersten Bodenschätzen füllen und könnten unterirdisch nach Settlers Port transportiert werden. Für das kleine Schienensystem hatte die Regierung kräftig investiert. Es war zeitgleich zum Tunnelbau verlegt worden. Einen Ausgang nach Settlers Port hatten die Arbeiter bereits am Vortag gegraben. Das war allen recht gewesen, schließlich mussten sie so nicht sofort wieder an den Ort des Attentats zurück.
Jetzt genossen die Männer ihren Erfolg bei einer Zigarette. De Geet hatte sogar ein paar Bier in den Stollen gebracht. Sichtbar stolz über das Vollbrachte, versprach er den Männern, den Erfolg sofort nach der kleinen Feier weiterzumelden. Das alles gab den Arbeitern in der Mine einen regelrechten Schub: Trotz feiger Sabotage und Mordversuchen hatten sie ihr erstes Ziel erreicht. Das lag zum einen an ihrem Fleiß und ihrer Hingabe. Zum anderen hatte ihre Regierung aber wieder einmal ihre Kompetenz bewiesen und sie vor dem Attentat bewahrt.
Und letztendlich hatten auch die Anderen wieder einmal gezeigt, dass sie eher böse als fähig waren. Sie hatten sich mit der Bombe im Stollen ein Eigentor geschossen. Hochmotiviert machten sich Sammy, Juan, McCollum und Assengee nun daran, den Stollen mit Balken abzustützen und die schon bereitliegenden Schienen bis kurz vor die Rohstoffvorkommen zu verlegen. Sie konnten es gar nicht erwarten, vielleicht schon morgen die erste gefüllte Lore in Richtung Settlers Port zu schieben. Sie arbeiteten so motiviert, dass sie trotz aller Strapazen und Anstrengung den Feierabend vergaßen.
Da sich nun alles am Übergang zwischen Stollen und Höhlensystem abspielte, hatten sie einige der eckigen Scheinwerfer herbeigeschafft, die die Höhle ausleuchteten. Die ohnehin schon lückenhafte Beleuchtung wurde dort somit noch dürftiger.
Die Männer waren sosehr damit beschäftigt zu hacken, Stützpfeiler zu platzieren, den Boden zu ebnen und Schienen zu verlegen, dass sie gar nicht bemerkten, dass sich ihnen ein Licht nährte. Ivans Helmlampe leuchtete auf die Schienen, während er an diesen entlang schritt. Er war in Settlers Port in den Tunnel eingestiegen, gleich nachdem er die Nachricht vom Durchbruch erhalten hatte. Nun sah er sich das wunderbare Werk an, blieb immer wieder stehen und leuchtete an die Wände. Das tat er überall dort, wo die Arbeiter etwas nachgebessert hatten. Als er schließlich bei den Männern ankam, blieb er eine ganze Weile unbemerkt hinter ihnen stehen. "Meine Herren!", sagte er schließlich mit fester Stimme. Plötzlich verstummte der Arbeitslärm. Vier Köpfe drehten sich zu ihm um und vier Lampen leuchteten ihm durch den aufgewirbelten Staub ins Gesicht. Der Helm warf einen Schatten über seine Augen, doch der Rest war hell erleuchtet und die Arbeiter sahen, wie sich sein Mund bewegte. Vom Lärm noch halb taub, hörten sie ihn nur gedämpft sprechen: "Wir sind stolz auf das, was Sie geleistet haben. Heute ist der Durchbruch im wahrsten Sinne des Wortes gelungen! Der Durchbruch zu einer neuen Stufe des Wohlstands und der Entwicklung auf der Insel." Ivan lächelte.
Langsam begriffen die Männer was passierte. Sie legten ihr Werkzeug nieder und gingen auf Ivan zu. Er war direkt zu ihnen gekommen. Keine Glückwünsche über den Umweg De Geet oder in einer öffentlichen Note. Nein, einer der mächtigsten Männer der Insel stand im Schacht! Er trug Arbeitskleidung wie sie und hatte ebenso Staub und Dreck auf dem Gesicht. Die Arbeiter bildeten einen Halbkreis um Ivan.
"Machen Sie für heute Schluss. Gönnen Sie sich ein Bier. Feiern Sie ihre Leistung. Oben warten ein paar Bekannte, um mit Ihnen anzustoßen." Keiner dachte in diesem Moment daran, die kritische Frage mit der Mehrarbeit zu stellen. Doch Ivan sprach es von allein an: "Wenn wir schon mal in diesem Kreis zusammenstehen ... De Geet hat Ihnen sicher schon gesagt, dass Sie in Zukunft mehr arbeiten müssen. Wir wollten das eigentlich vermeiden, aber De Geet sagte uns, es sei unvermeidbar. Wir haben seine Angaben geprüft und stimmen leider damit überein. Doch vergessen Sie nicht, wofür Sie das tun! Dieser Rohstoffabbau ist die Grundlage des zukünftigen Wohlstands aller Bürger der Insel. Auch, wenn manche es nicht einsehen, dafür so hart zu arbeiten wie Sie." Diese letzte Aussage wirkte noch nach.
Doch nun ging es nach oben. Zum ersten Mal stiegen die Arbeiter direkt durch den Schacht in das Arbeiterdorf auf, wo Tanja und Porter sie schon mit kühlen Getränken erwarteten. Etwas später traf auch De Geet ein, der an diesem Abend keinen Report mehr anzufertigen brauchte. Ivan hatte sich wieder auf den Weg nach Settlers Port und von dort aus zum Regierungspalast gemacht.
Doch die Gespräche während der Feier drehten sich um das von ihm angestoßene Thema. Schließlich ehrten alle die Minenarbeiter für ihre harte Arbeit, ließen es sich aber auch nicht nehmen, über ihre eigene Situation zu berichten. Porter erzählte, wie viel er als Amtsleiter jeden Tag zu tun habe, und dass sich schließlich auch der Garten nicht von allein pflege. Aber so sei das eben in einer führenden Position.
Auch De Geet sprach von jeder Menge Arbeit. Tatsächlich hatte er immer wieder neben seinen normalen Aufgaben in der Mine mitgeholfen. "Ein Projekt mit so viel Verantwortung erfordert nun mal Engagement", sagte er. Dass er eigentlich auf die Insel gekommen war, um weniger Verantwortung und damit auch weniger Arbeit zu haben, gestand er sich selbst kaum noch ein.
Nur Tanja hielt sich bei dieser Diskussion zurück. Doch ihr war anzusehen, dass ihre multiplen Stellen ihr zu schaffen machten. Müde und bleich saß sie in der Ecke. Juan, der sie nur bei der Regierungskundgebung kurz gesehen hatte, glaubte auch zu erkennen, dass sie recht stark abgenommen hatte.
Doch keiner beschwerte sich darüber, dass die Regierung ihnen zu viel Arbeit aufbürdete. Schließlich müssten sie alle nicht so viel schuften, wenn es nicht solche elendigen Faulpelze gäbe, die nur aus ihrem Garten kommen, um klugzuscheißern und den Sinn des Tuns der Fleißigen in Zweifel zu ziehen.