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Kapitel IV – Settlers Point/Richmann's Bay – Einigkeit

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Alltag kehrte ein und die erste Militärparade sollte abgehalten werden. Für diesen Tag war noch etwas Besonderes geplant: Das erste gemeinsame Singen der Nationalhymne. Schon Wochen zuvor hatte die Bevölkerung sie auswendig gelernt. Nun, am Nationalfeiertag der jungen Nation, würde sie aus den Kehlen aller Einwohner schallen, während das Militär paradiert.

Vor allem Porter konnte es kaum erwarten. Aus seiner Zeitung wusste er, wie wichtig eine Armee ist. Nun war es endlich soweit. An der Straßenecke von Settlers Pt. war eine Tribüne aufgebaut. Unten saßen die normalen Menschen, eine Etage darüber die hohen Vertreter von Politik und Militär: links Oberst Mark in beiger Uniform, die Brust mit unzähligen Orden verziert und die Augen hinter einer Fliegersonnenbrille versteckt. Birga hatte in Anzug und Krawatte in der Mitte Platz genommen. Zu seiner Rechten saß Oberst Ivan in seiner Tarnfleckuniform.

Auf ein Signal hin erhob sich die versammelte Menge von ihren Plätzen, einige hielten sich die rechte Hand aufs Herz, als die Musik aus den Lautsprechern dröhnte und es war wie eine Befreiung für Porter, als er endlich den Text herausdonnern konnte: "I'm too sexy for my ... too sexy for my ... too sexy, too sexy". Gleichzeitig stolzierte Juan über die Straße. Auf den Schultern seiner dunkelgrünen Uniform prangten die Nationalfarben, seine Feldbluse hatte er bis auf die obersten drei Knöpfe zugeknöpft und unter seinem schwarzem Berett lugten schwarze Locken hervor. Doch selbst ein heißblütiger Latino wie Juan war aufgeregt, wenn er derart im Mittelpunkt stand. Schweißperlen standen auf seinen zwei Tage alten Bartstoppeln und er musste sich zusammenreißen, nicht zu steif zu marschieren, sondern locker zum Takt zu laufen.

Am Ende der größten Militärparade, die er je gesehen hatte, musste Porter sich eine Träne aus dem Auge wischen. Er war so stolz auf die versammelte Truppe, die nun unter einem Banner mit der Aufschrift "Für den Frieden auf der Insel" stand. Das waren mit Sicherheit die besten Männer, die das Eiland zu bieten hatte.

Als sich die Aufregung unter den Zuschauern gelegt hatte, trat Oberst Mark an ein Rednerpult auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Es war mit Mikrophonen bespickt. Er tippte mit dem rechten Zeigefinger auf zwei von ihnen, um zu sehen, ob sie auch eingeschaltet sind. Schließlich wollte er nicht gegen den Lärm der vielen tropischen Vögel anbrüllen müssen, deren Bestände sich nach dem Gaskrieg erstaunlich schnell erholt hatten. Das laute Pochen war in ganz Settlers Pt. zu hören. Dann rückte der Oberst mit demselben Finger seine Sonnenbrille zurecht, stemmte sich mit beiden Händen auf das Pult und rief: "Einigkeit, meine lieben Freunde, ist ein kostbares Gut. Ein Geschenk. Ein Geschenk, das wir euch gebracht haben. Ein Geschenk, das es zu bewahren, ja notfalls zu verteidigen gilt. Wir, die Befreier, haben es euch gebracht. Doch wir brauchen euch, um es zu schützen. Denn es gibt Feinde eurer Einigkeit." Mark machte eine lange Pause und blickte in die Reihen der Zuhörer. In diesem Moment konnte Porter sich nicht mehr halten. "Die Anderen", schrie er aus vollem Leib. Er war von seinem Sitz aufgesprungen und ballte die Fäuste.

Für den Bruchteil einer Sekunde huschte Oberst Mark ein Lächeln über das Gesicht. Doch er reagierte nicht weiter darauf. Unbeirrt sprach er weiter: "Wir haben sie für euch beendet, die Zeit des Schreckens, die Zeit der Gasangriffe, doch nun brauchen wir euch. Wir brachen euer uneingeschränktes Vertrauen in eure Führung – so können wir unsere Werte verteidigen und eine Nation des Wohlstands werden. Doch dazu sind Opfer notwendig. Die Agrarflächen, die früher von unseren tapferen Armeeangehörigen bewirtschaftet wurden, brauchen Pflege. Diese Aufgabe müsst ihr übernehmen. Zudem muss der Handel intensiviert werden. Diese Aufgabe werden wir übernehmen. Der Zwant wird dabei weiterhin für infrastrukturelle Maßnahmen zurückgehalten, ein anderer Teil der Erzeugnisse wird für den internationalen Handel bestimmt sein, den wir für euch abwickeln werden."

Oberst Mark machte wieder eine Pause. Wieder rückte er mit dem Zeigefinger die dunkle, verspiegelte Brille zurecht. Dann hob er denselben Finger und verkündete mit fester Stimme: "Einigkeit, meine lieben Mitbewohner, ist ein kostbares Gut. Sie kann nur durch den Frieden auf der Insel existieren. Doch Wohlstand ..." die Augen der Zuhörer wurden größer "... ja Reichtum, wird es nur durch noch härtere Arbeit und durch Vertrauen in eure Führung geben!" Der Oberst straffte seine Uniform und breitete seine Arme aus. "Wollt ihr eine wohlhabende Nation sein?", fragte er. Ein einhelliges "Ja!" schallte ihm entgegen, bevor er die Frage überhaupt in Gänze gestellt hatte. "Wollt ihr die wohlhabensten Untertanen weit und breit sein?", fragte er gleich hinterher und wieder schnellte das "Ja" aus den Kehlen der Männer und Frauen, die sich jetzt endgültig damit arrangiert hatten, Untertanen zu sein.

Dieser erste Nationalfeiertag markierte den Beginn eines rasanten Aufstiegs. Die neue Führung intensivierte den Handel per Postschiff und schon bald kamen die ersten Schiffe, um Güter von der Insel zu holen oder Waren dorthin zu liefern. Das führte dazu, dass Settlers Point zu Settlers Port wurde: Der Ausbau sah vor, den Holzsteg zu erweitern und durch einen gegenüberliegenden Steg zu ergänzen. Auch an Land tat sich etwas. Gärten verwandelten sich in größere Felder und es kamen noch weitere Anbauflächen zwischen Strand und Living River dazu.

Der Wald wurde an den davon betroffenen Flächen gerodet. Das gewonnene Holz war nicht nur vorzügliches Baumaterial, sondern auch Exportgut. Mit den neuen Feldern, landwirtschaftlichen Schuppen und Holzlagern bekam die Umgebung von Settlers Port ein neues Gesicht.

Am Port selbst kamen auch immer mehr Maschinen an, irgendwann auch der erste Zementmischer, sodass die Siedler einen betonierten Platz und eine Lagerhalle errichteten. Dieser Ausbau geschah unter Birgas Aufsicht und mit Hilfe seiner "gütigen Ratschläge", wie er seine unantastbaren Anweisungen zu nennen pflegte. Doch Widerstand wäre angesichts der geschlossenen Verträge (Landbesitz), der Armee im Rücken und schließlich wegen des guten alten Bretts mit dem Nagel darin ebenso sinnlos, wie er auch undenkbar war. Denn der Aufschwung verschaffte dem Volk nicht nur Zufriedenheit, sondern es gab auch jede Menge Arbeit, die von jedem aufrührerischen Gedanken abhielt. Und schließlich war Birga ohnehin der am wenigsten militante der drei Befreier. Er setzte sogar die Armee im zivilen Aufbau ein, was dort allerdings nicht unbedingt Stürme der Begeisterung auslöste. Dafür gingen die Maßnahmen zügig voran.

Birga hatte das Projekt allein übernommen, weil Ivan und Mark auf eine Erkundungsexkursion aufgebrochen waren. Die wichtigsten Vorhaben und groben Schritte hatten die drei Herrscher jedoch zuvor abgesprochen: Ausbau des Hafens, der Landwirtschaft und der Verkehrswege. Doch Birgas Faible für Architektur schlug durch, sobald der Zementmischer zur Verfügung stand. Statt einfacher landwirtschaftlicher Schuppen ließ er pittoreske Betonklötze erstellen. Abwechslung brachten nur ebenso bizarre Holzgebilde, die aus Unmengen aufgestapelter Bretter bestanden.

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