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Kapitel VI – Settlers Port/Richmann's Bay – Rückkehr
ОглавлениеEs war ein Bild mystischer, romantischer Landschaften und kahler, noch unbetretener Berggipfel, das die zurückgekehrten Forscher der Bevölkerung vermittelten. Das Bild einer Landschaft, die nur vom kühnsten Volke erobert und besiedelt werden konnte. Doch die Bewohner waren noch nicht so weit. Die Leute waren zu beschäftigt, um einen Sinn in der Eroberung des Unnützen zu sehen: Settlers Port befand sich noch immer im steilen Aufschwung. Felder mussten bestellt, Gebäude und andere Infrastruktur errichtet und Handel betrieben werden. Eigenmächtig hatte Birga zwischenzeitlich einen Namen für die Vorgänge der Modernisierung und intensiver Landwirtschaft erfunden und so das Zeitalter der "Birgatisierung" eingeläutet.
Das Volk gelangte zu relativem Wohlstand, stieß jedoch sehr bald an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit. Zudem war die Armee unzufrieden. Kein Soldat will für den zivilen Aufbau missbraucht werden. Lieber wollten die Streitkräfte in der Kaserne trainieren, was so viel bedeutete, wie nichts zu tun. Das wiederum wäre verschwendete Arbeitskraft gewesen, das sah jeder der drei Herrscher so. Bei ihrem ersten internen Treffen nach der Wiederkehr der Expeditionsmannschaft besprachen sie das weitere Vorgehen.
Mark: "Die Entwicklungen zwingen uns zu einem aggressiveren Vorgehen! Die Armee droht zu meutern und die Bevölkerung weiß nicht, wofür sie arbeitet. Der Wohlstand trägt für sie keine Früchte. Was her muss, sind Erfolge – die Massen schreien nach Macht, nach Blut und Spielen."
Ivan: "Ich sehe die Problematik auch. Doch was meinst du mit Blut und Spielen?"
Mark: "Expansion."
Ivan und Birga: "Expansion?"
Birga: "Jetzt schon? Wir sind nur ein kleiner Staat und haben noch nicht einmal Waffen!"
Mark: "Dann müssen wir welche kaufen."
Birga: "Unsere Wirtschaft ist nicht weit genug entwickelt für solche Späße. Unsere Architektur ist noch nicht prächtig genug, um sie einem anderen Volk aufzuzwingen und ihnen so unsere Überlegenheit zu zeigen. Und ..., und wir brauchen noch kein zusätzliches Land."
Ivan: "Das stimmt. Lasst uns uns lieber auf unsere eigene Entwicklung konzentrieren. Wir befinden uns technisch quasi noch in der Feudalzeit. Und da gibt es diese Höhlen südlich von hier ..."
Mark: "Ich weiß, ich weiß. Ich bin kein Idiot. Natürlich habt ihr recht. Wir brauchen keine echte Expansion, solange wir nur einen Bruchteil unserer Insel ausbeuten. Wir brauchen kein zusätzliches Land, wenn wir nicht einmal genug Menschen haben, um es zu besiedeln. Aber wir haben das Volk damit geködert, mächtige und wohlhabende Untertanen zu sein. Es sollten schnelle Ergebnisse her."
Ivan: "Und die Armee ist unterfordert und frustriert. Sie sollte Heldentaten vollbringen, damit wir unseren Militärkult aufrecht erhalten können."
Birga: "Ihr wisst, dass ich euren Armeekult für gefährlich halte. Aber ich stimme damit überein, dass ein militärischer Erfolg die Bevölkerung berauschen würde."
Mark: "Na seht ihr?! Und danach wäre auch wieder die Energie und Begeisterung vorhanden, um uns technisch weiterzuentwickeln und zivilisatorische Maßstäbe zu setzen. Doch fürs erste schlage ich vor, dass wir zur Kolonialmacht aufsteigen: Nordöstlich von uns befindet sich eine kleine Insel, flächenmäßig gerade mal so groß, wie die Kamikowo Peninsula und natürlich unbewohnt. Sie wartet nur darauf, unterworfen zu werden."
Ivan: "Das Ganze sollte trotzdem wie ein echter Coup aussehen. So bekommt die Armee Aktion und die Bevölkerung Heldengeschichten. Wir sollten also aufrüsten."
Mark: "Das wäre auch mein Vorschlag gewesen."
Birga: "Ok, ok, kauft euch Waffen und spielt Krieg. Solange ich die übrigen drei Viertel unseres Menschenmaterials frisch und motiviert für die wichtigen Dinge einsetzen kann!"
Mark: "Wie für die Birgatisierung?"
Birga: "Na gut, das war vielleicht etwas forsch. Aber nun könnt ihr ja euren Feldzug führen und selbst ins machtpolitische Rampenlicht aufschließen."
Mark: "Keine Sorge, das werden wir. Und wir werden alle davon profitieren. Ivan, möchtest du die Waffenbeschaffung und die Operationen an Land übernehmen, während ich mich um die navalen Aspekte des Feldzugs kümmere?"
Ivan: "In Ordnung."
Mark: "Doch wir brauchen uns nichts vorzumachen – Helden werden in einer solchen Aktion am Boden gemacht. Da es sich aber um mein geistiges Kind handelt, hätte ich gerne den Oberbefehl, sodass ich das Gehirn dahinter bin, du aber als Kommandeur am Boden die soldatischen Lorbeeren einheimst."
Ivan: "Das klingt fair."
In den folgenden Wochen nahmen die Vorbereitungen für den Feldzug ihren Lauf. Der zivile Aufbau wurde gedrosselt und die Armee trainierte in der Kaserne. Auf Ebay bestellte Ivan ein altes sowjetisches 7,62-cm Feldgeschütz ZIS-3. Diese 1942 entwickelte Waffe wurde in großer Zahl in alle Welt exportiert, weswegen sie noch heute in der dritten Welt anzutreffen ist. Um die gut 1,1 Tonnen zu bewegen, kam ein Esel als erster Neuankömmling seit langem auf der Insel an. Weiterhin bekam Juan eine Kalaschnikow zur Verfügung gestellt. Weitere drei Sturmgewehre behielten die Herrscher vorsichtshalber für sich. Schließlich hatten sie ihrer Armee ein Mittel in die Hand gegeben, das ihr Brett mit dem Nagel darin alt aussehen ließ. Als Transportmittel schafften sie ein amphibisches Transportfahrzeug LARC-5 an. Es erfüllte Birgas Bedingung, dass es nach der Militäraktion vor allem zivilen Ansprüchen genügen würde, etwa um in schwer erreichbare Teile der Insel vorzudringen.
Der Bevölkerung musste die bevorstehende Operation nicht sonderlich gewieft verkauft werden. Durch jahrzehntelange Isolation war ihr jegliches politisches Rechtsempfinden abhanden gekommen. Ihnen erschien es vollkommen legitim, eine Kolonie mit Waffengewalt für sich zu gewinnen. Es lag jedoch Spannung in der Luft, weil die Herrscher ihnen die bevorstehende Aktion als hochriskanten Feldzug verkauften.
Und dann kam der D-Day. Wieder war es Birga, der zurückblieb, während Ivan, Mark und Juan in das Amphibienfahrzeug bei Settlers Port stiegen. Das Geschütz war schon am Abend zuvor aufgeladen worden. Und jetzt, noch vor dem Morgengrauen, machte sich die Invasionsflotte auf den 40 Kilometer weiten Weg zur kleinen Nachbarinsel. Knapp drei Stunden lang dümpelten sie durch die ruhige See.
Die Landung selbst ging schließlich reibungslos über die Bühne: Das Fahrzeug rollte an einen breiten Strand, Juan sprang von Bord und ballerte ein wenig in der Gegend herum, bevor er sich daran machte, den Esel dazu zu treiben, das Geschütz an Land zu ziehen. Zwischen Felsen und Büschen am Rande des Strands bauten die drei Soldaten unter einem Tarnnetz einen Kommandostand und die Geschützstellung auf. Aus Kostengründen schossen sie jedoch nur dreimal auf das 350 Meter entfernte gegenüberliegende Ende der Insel und mussten feststellen, dass schon ein Schuss davon als Blindgänger liegen blieb. Alles in allem bewertete das Oberkommando die Invasion jedoch als vollen Erfolg. Die Operation dauerte noch drei weitere Tage, die die Soldaten vor allem damit verbrachten, zu baden und Bier zu trinken. Danach kehrten die siegreichen Streitkräfte wieder heim – in voller Stärke, denn die weiteren Pläne auf der Hauptinsel erforderten jeden Mann.
"I'm too sexy for my ... too sexy for my ... too sexy, too sexy", dröhnte es durch Settlers Port, während die Truppen über die Straße paradierten. Die Kommandeure des Feldzugs hatten sich in geradezu selbstloser Bescheidenheit auf die Tribüne zurückgezogen und überließen dem Kämpfer das Feld. Konfetti und Luftschlangen säumten die Straße und die versammelte Bevölkerung jubelte Juan zu, als er über die bunten Papierfetzen stapfte. Er marschierte mit stolz geschwellter aber unübersehbar unrasierter Brust an ihnen vorbei. Hinter sich her zog er den auf "Mario" getauften Esel, der wiederum das Geschütz zog. Nach dem Aufmarsch erzählte Oberst Mark von den Heldentaten der Armee. Von harter Gegenwehr und höchster persönlicher Gefahr und von einem bestialischen Gegner – einer Abordnung der Anderen – der nur dank der Tapferkeit der Inselarmee besiegt werden konnte. Er erzählte all das, was das Volk gerne glauben und Juan noch lieber immer wieder erzählen würde. Volk und Armee waren zufrieden.
Die Ereignisse der vergangenen Tage sollten in den folgenden Monaten nochmals in dramatischer Weise aufgearbeitet werden. Im Internet, das ein weiteres Geschenk der Herrscher an das Volk war, erschien die Schilderung harter Kämpfe. Ähnlich, wie Mark sie verbreitet hatte, nur mit wesentlich mehr militärischen Details. Dahinter steckte Chronist Jonas Robinson, den weder Beweggründe noch Folgen des Feldzugs interessierten. Mit seiner unkritisch-militärischen Sicht, tat er der Inselregierung einen weiteren Gefallen.