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Kapitel III – Settlers Point/Richmann's Bay – Das Gesicht der Invasoren
ОглавлениеSammy betrachtete die drei Fremden mit Argwohn. Sein grundsätzlich freundliches Gemüt hatte ihn dazu veranlasst, ihnen zuerst ohne Misstrauen gegenüber zu treten. Und durch ihre wunderbaren Bling-bling-Gaben hatte er sie damals schnell als Homeboys betrachtet.
Doch alles hatte sich mit dem Ausbruch des Zweiten Landkriegs verändert – von Juan hatte er das Wort "Invasoren" für diese Teufel übernommen, die vermeintlich auf Porters Seite kämpften. Während der langen Tage im Urwald hatten sie für ihn nie ein Gesicht gehabt.
Erst als es in die zähen Friedensverhandlungen ging, änderte sich das. Denn der Feind Porter musste ebenso Zugeständnisse machen, wie er selbst und Juan. Und das, obwohl sie nach den Gasangriffen mit dem Rücken zur Wand standen. Es war ein Verdienst der Vermittler.
Sammy war also froh über das Patt im Bürgerkrieg und er war froh, dass die Neuankömmlinge – niemand wagte es mehr von Invasoren zu sprechen – dabei halfen, die Gräben zwischen den Bevölkerungsteilen wieder zu schließen. "Sie wachen über den Frieden auf der Insel", wiederholte er mantraartig ihre Losung. Er sagte sich das immer laut vor, wenn ihm etwas missfiel. Etwa, dass er zwanzig Prozent – den Zwant – seiner Erzeugnisse aus dem Garten abgeben musste.
"Damit können wir dafür sorgen, dass dich nie wieder jemand unterdrücken kann", hatte ihm Birga, der höchstgewachsene der Neuen, einmal erklärt. Sammy mochte ihn am meisten. Er hatte eine freundliche, warme Art und war nicht so streng wie die beiden anderen. Er trug fast immer schwarze oder zumindest dunkle Kleidung. Meistens ein Hemd und eine Cordhose. Seine ganze Erscheinung ließ ihn zuerst bedrohlich wirken. Doch in Wirklichkeit war er nett, freundlich und vor allem ehrlich. "Solange wir den Zwant bekommen, können wir dafür sorgen, dass 'die Anderen' euch nicht ausnutzen und aus Settlers Point vertreiben", sagte er weiter. "Stell dir vor, wir wären nicht noch gerade rechtzeitig gekommen, um die Gasangriffe zu beenden! Es war schwierig für uns, doch wir taten es für den Frieden auf der Insel. Weißt du noch, im Landkrieg hast du im Wald leben müssen, hattest kein Haus und keinen Garten – ist es jetzt nicht viel besser?"
Tatsächlich war es das. Insgeheim war Sammy sich sogar sicher, als Profiteur aus dem Konflikt hervorgegangen zu sein: Er hatte wundervollen Bling-bling-Stuff für sein Haus und seinen Grund bekommen, wo er trotzdem noch leben durfte. Die Fremden hatten Frieden gebracht, das hatte Birga ihm erklärt. Und Birga musste er einfach glauben. Schließlich hatte er die gleichen Rastalocken wie er selbst und hatte ihn schon mehrfach vor den beiden anderen Fremden in Schutz genommen. Er allein hatte dafür gesorgt, dass sie ihn weiterhin in seinem Haus wohnen ließen – ein Vorrecht, das "die Anderen" ihm nehmen wollten. Für den Frieden auf der Insel, hatte Birga ihm gesagt, sollte er nicht von Porter, sondern von den Anderen sprechen. "Ein friedliebender Mensch, dieser Birga", dachte Sammy mit der Zeit immer häufiger.
"Für den Frieden auf der Insel", hatte Mark Porter gebeten, solle er seine Rolle als Gewinner des Landkrieges nicht an die große Glocke hängen. Jeder wisse, dass er sich gegen die Übermacht der Latinos durchgesetzt habe. "Doch, bitte sag es nicht so deutlich – sprich lieber von 'den Anderen'", sagte Mark. Schließlich habe Porter mit dem Gasangriff seine eigenen Leichen im Keller liegen und Ivan und Birga seien der ganzen Sache gegenüber misstrauischer als Mark selbst. Porter traute Mark, denn er hatte dafür gesorgt, dass er weiterhin in seinem Haus wohnen konnte – obwohl er es im Zuge des Kriegs abgetreten hatte. Zudem hatte Mark, der schneidige Militäroberst in beiger Uniform und mit zahlreichen Orden dekoriert, ihm zur Seite gestanden. Ja, Porter glaubte, dass wenn Mark sagen würde wo es lang ginge, es ihm gelingen könnte, diese verdammten Latinos in die Schranken zu weisen. Er würde das sogar schaffen, ohne sie auch nur einmal so zu nennen. "Die Anderen." Genaugenommen gefiel Porter dieser Ausdruck sogar. Außerdem diente es ja dem Frieden auf der Insel. Ebenso wie der Zwant. Aber Recht und Ordnung, das hatte Mark ihm erklärt, gibt es eben nicht umsonst.
"Für den Frieden auf der Insel" ließ Juan sich schließlich zur Armee rekrutieren. Ivan, der schlacksige Brillenträger, der alles stets mit einer technischen Nüchternheit betrachtete, hatte ihm dazu geraten. Dort gebe es gutes Geld für wenig Arbeit. Außerdem könne er so ein Held werden, versicherte Ivan dem perspektivlosen jungen Mann.
Tatsächlich fiel es Juan nach dem Krieg schwer, sich wieder in die Gesellschaft einzugliedern. Sein Garten gab nun einfach weniger her als die anderen Beete und Felder. "Schuld daran ist das Soldatenleben, zu dem die Anderen dich gezwungen haben – einmal Soldat, immer Soldat", sagte Ivan. "Nur diesmal kannst du einer der Helden sein, der unsere junge Nation beschützt." Juan vertraute Ivan – schließlich war er Oberst und wusste wovon er sprach. Auch hatte er es als hoher Offizier zu verhindern gewusst, dass es zu Zeiten des Landkrieges noch mehr Gasangriffe von Seiten der Anderen gegeben hatte.
Im Friedensvertrag musste Juan auf sein Haus verzichten. Doch Ivan hatte die Idee durchgesetzt, es zur Kaserne umzufunktionieren. Somit hatte er ihm die Möglichkeit eröffnet, weiterhin darin zu leben. "Für den Frieden auf der Insel" pinselte Juan, der heißblütige Kerl, der ursprünglich niemals daran gedacht hätte sich an den Friedensvertrag zu halten, in dicken weißen Lettern an die Hauswand.