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Kapitel II – Nordteil der Insel – Landkriege

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Das Boot landete am hellichten Tag – ein ungewöhnlicher Beginn für eine Invasion. Ein Angriff, dessen genauer Hergang in der postinvasionären Geschichtsschreibung ohnehin mehrfach gedeutet worden ist. Die einen Quellen berichten dabei von stundenlangem vorhergehenden Artilleriebeschuss von See her, während laut anderen Hilfe durch höhere Mächte im Spiel war.

Zum Beispiel hält ein Auszug aus einer Chronik der Vorgänge im Pazifik zwischen 1945 und 2011 fest: "Um 1145 Zulu waren die ersten Einschläge der 125mm-Geschütze zu hören. Die Schiffsartillerie nahm aus einer Entfernung von circa 18000m den Strand südlich der Kamikowo Peninsula unter Beschuss. Nach zweistündigem Trommelfeuer landeten die Invasionstruppen und stießen auf keine Gegenwehr mehr. Sie marschierten anschließend nach Süden auf Settlers Pt." Zwischenzeitlich wird diese Schilderung allerdings angezweifelt. Ein Grund dafür könnte sein, dass sie von Jonas Robinson verfasst wurde. Robinson war der einzige US-amerikanische Kamikazepilot des Zweiten Weltkriegs. Der damals 20-Jährige verfehlte seinerzeit sein selbst ausgewähltes Ziel, ein japanisches Wäschereischiff, und stürzte in den Ozean. Den Rest seiner durch und durch militarisierten Tage verbrachte er auf Iwo Jima damit, Nachrichten aus dem Pazifikraum in martialischer Art und Weise zu chronologisieren.

Andere Erklärungen finden sich in religiösen Schriften unbekannten Ursprungs: "Und da kamen sie, die Gebrüder des Nordens, Söhne des Rasmus, Sohn des Hakin, Sohn des Tristan, Sohn des Jörn, Sohn des Dimobor, Sohn des Christian, Sohn des Troms, Sohn des Storuman, Sohn des Sortland, Sohn des Vibor und mit ihnen war der König des Ostens, Sohn des Peter, Sohn des Vassili, Sohn des Mikail, Sohn des Vladimir, Sohn des Medwed, Sohn des Ilitsch, Sohn des Leo, Sohn des Nikolai, Sohn des Jewgen, Sohn des Dimitri. Wolkenhimmel ward aufgezogen und Donnerschlag hallte und Blitze fuhren hernieder und versengten ihre Feinde, derer viele waren und die Gewässer schwollen an, sodass die Kinder ihrer Feinde ertranken. Und die Gebrüder des Nordens und der König des Ostens machten sich daran, ihre Botschaft des Friedens zu verbreiten und Glückseligkeit in die Herzen der Menschen zu bringen."

Die Wahrheit liegt irgendwo zwischen diesen Varianten der Geschichtsschreibung: Tatsächlich brauchten die drei Fremden nicht viel, um die überraschte, vierköpfige Bevölkerung zu unterwerfen – eine Portion Machtstreben, bestimmtes Auftreten sowie ein mitgebrachtes Brett mit einem Nagel darin reichten aus. Der erste Schritt ging jedoch ohne alldies vonstatten. Auf dem Weg von der Bucht (die später in Anlehnung an die Nationalhymne "Right-Said-Bay" getauft werden sollte) trafen die drei damals noch Unbekannten auf Sammy, den sie mit glitzernden Ketten, Uhren und Basecaps auf ihre Seite brachten. Böse Zungen würden später behaupten, er habe sich in Goldketten legen lassen. Für drei weitere glitzernde Ringe aus einem Kaugummiautomaten und einer silber laminierten Hose ließen sie sich außerdem die Herrschaft über sein Land zusichern. Mit ihrer Ankunft in der kleinen Dschungelsiedlung Settlers Pt., der Weg dorthin wurde als "der lange Marsch in die Richmann's Bay" bekannt, begann schließlich eine neue Epoche der Geschichtsschreibung der Insel: die der Landkriege. Im ersten bewaffneten Konflikt wurde Juan im Schlaf überrumpelt und Tanja ein Messer aus der Hand geschlagen, das sie gerade benutzt hatte, um Zwiebeln zu schneiden.

Die zweite Auseinandersetzung folgte, als Porter von seinen Wegearbeiten zurückkehrte. In der Siedlung angekommen, erkannte er die gegnerische Übermacht und machte mit den Invasoren gemeinsame Sache.

Das war auch die Gelegenheit für ihn, um alte Rechnungen zu begleichen. Ohne Gegenwehr überließ er sein Land, unter der Voraussetzung, dass Latinos künftig kein Mitbestimmungsrecht mehr haben dürften und, dass sie alle in einem Haus zu wohnen hätten, das sie eigens dazu am Rand von Settlers Pt. zu errichten hatten.

Von dieser Abmachung aufgerüttelt, brach der Widerstand der Betroffenen los. Angesichts der feindlichen Übermacht formierten sie ihren Partisanenkampf im Urwald zwischen der Richmann's Bay und den Bergen des Fjordlands. Ihre asymetrische Kriegsführung äußerte sich in Angriffen auf Porter und sein Eigentum. Auch die Invasoren, in den Augen der Guerillas Porters Schutzmacht, waren mit ihrer überlegenen Schlagkraft nicht im Stande, den Widerstand im Dschungel zu brechen. Dieser Zweite Landkrieg erreichte eine solche Heftigkeit, dass auch die einzige Frau der Insel zum Arbeitseinsatz herangezogen wurde. In geheimen Fertigungshallen, Juans nun leerstehendem Haus, bauten sie auf diese Weise eine Anlage, um Pestizide aus Porters Gartenschuppen in den Urwald zu blasen. Diese Gasangriffe hatten die größte Umweltkatastrophe in der Geschichte der Insel zur Folge: Unmengen von Bäumen gingen in dem Gebiet ein, Tiere starben und es entstanden große karge Flächen. Die übriggebliebenen Guerillas sahen sich somit in die Enge getrieben und ihrer Deckung beraubt, sodass sie bereit waren, an den Verhandlungstisch zu kommen.

Unter Vermittlung der Invasoren, die es gut verstanden sich als neutrale Schlichter zu profilieren, kam ein Konsens zustande, bei dem die ausgebluteten Bürgerkriegsparteien Zugeständnisse machen mussten: Porter verzichtete auf seine Forderung, Latinos per Gesetz als Bürger zweiter Klasse abzustempeln. Dafür hatte jedoch auch Juan seinen Grund als Schutzzone unter die Herrschaft der Vermittler zu bringen. Porter hatte seinen Besitz ja bereits zu Beginn des Konflikts zur Verfügung gestellt, um von dort aus Operationen in den Süden führen zu können. Somit war Tanja nach dem Zweiten Landkrieg die einzige einheimische Grundbesitzerin. Sie war als Trümmerfrau jedoch so ausgelastet mit dem Wiederaufbau, dass sie in den folgenden politischen Vorgängen praktisch keine Rolle mehr spielte. So viel zur Geschichte.

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