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Kapitel V – östlich des Mt Eden – Wildes Land

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Soeben hatten Ivan und Mark auf einer behelfsmäßigen Brücke den Living River hinter dem Farmland bei Settlers Port überquert. Damit hatten sie sich gleichzeitig über die Grenze in die Wildnis gewagt. Diese zeigte sich hier von einer anderen Seite im Vergleich zu dem, was sie auf dem "langen Marsch" gesehen hatten. Die Gegend zwischen dem Ort und dem Nordteil der Insel war fast eben, eher spärlich bewaldet und mit großen Lichtungen gespickt gewesen.

Zwischen dem Rich River Delta und Mt Eden wurde der Wald jedoch dichter und dunkler. Verschiedene Laubbäume, Palmen und Farne standen dicht beieinander, sodass nur wenig Licht durch das Blätterdach drang. Nie war jemand hergekommen – zumindest nicht in den vergangenen Jahren. Porter hatte nicht gewusst, wozu er hinausgehen sollte – wozu er Settlers Pt. verlassen und unbekannte Teile der Insel sehen sollte. Wofür denn? Mit dieser Einstellung hatte er auch Tanja angesteckt. Denn für eine Dame gehörte es sich schon gar nicht, das Abenteuer im Unbekannten zu suchen.

Juan dagegen mochte die Landschaft und die Wildnis. Doch er konnte sich nie so richtig überwinden, zu einer größeren Erkundungstour aufzubrechen. Jedes Mal wenn er es versuchte, endete seine Unternehmung (die für gewöhnlich am späten Vormittag begann) in der Mittagshitze am Living River. Bei einer Zigarette und dem einen oder anderen Cerveza machte er lieber Siesta, bis er abends wieder nach Hause ging.

Sammy für seinen Teil hatte großen Respekt vor der Natur und seine eigenen Vorstellungen. Er war überzeugt, dass der Rauch, der oft vom Gipfel des Mt Eden aufstieg, vom Riesenjoint des darin lebenden Gottes Daginwa stammte. Wer es wagen würde seinen Flash zu stören, den würde Daginwa zusammen mit ein paar Chocobrownies verputzen. In das Land nördlich des Vulkans wagte er sich dagegen schon. In den sanften Ebenen lebten er und sein Volk vor der Ankunft der ersten Siedler – doch das ist ein anderes Kapitel. Furcht hatte Sammy vor dem Fjordland und dessen Bergen. Sagen berichteten, dass böse Geister in Tälern und Schluchten ihr Unwesen treiben. Düster und gefährlich war es dort, das hatte er auch den großen Befreiern beibringen wollen, aber sie wollten nicht hören.

Und nun waren zwei von ihnen ausgezogen, um diese furchtbare Gegend zu erkunden. Anschließend gingen sie jedoch in den Dschungel der Ebene zwischen Richmann's Bay und dem Süden. Ivan und Mark machten dort zwei Entdeckungen, die sie nach ihrer Rückkehr massiv für ihre Propaganda nutzen würden. Die erste betraf das (bisher) dunkelste Kapitel der Insel – die Landkriege und die damit verbundenen Gasangriffe. Stellenweise durchzogen lange Schneisen den Urwald, in denen alle Pflanzen und Tiere tot waren und in denen von den Bäumen nur noch die Stümpfe standen. Der Duft von Verwesung lag in der Luft.

Beinahe Erbrechen mussten die beiden Despoten und Forscher, als Ivan versehentlich auf den Kadaver einer Ziege trat. Als sein Stiefel in ihrem halb verwesten Bauch versank, entwichen Gase der Zersetzung mit einem Pfeiffen und ein verstörender Gestank verbreitete sich. Die beide würgten und spuckten, fingen sich nach ein paar Sekunden jedoch wieder. Das Bedürfnis, sich zu übergeben, ließ nach.

Einige Schritte hinter der toten Ziege fanden sie die Überreste eines kleinen Dorfs im Urwald. Es musste sich um die überwucherte Zivilisation der alten Siedler handeln. Teilweise waren die Häuser eingefallen, teilweise hatten sich Bambus und andere Pflanzen durch Dächer gebohrt und sie so zum Einstürzen gebracht. Vor den Gasangriffen muss die Siedlung im Wald fast unsichtbar gewesen sein. Jetzt waren die alten Mauern und Bretterverschläge besser zu erkennen und oft nur noch von verwelkten und toten Pflanzen bedeckt. Die Wirkung der Chemikalien war unübersehbar: Die Metallteile waren schwer oxidiert und in Mitleidenschaft gezogen, während das Holz in wesentlich besseren Zustand war. So kam es auch, dass die kleine Holzkirche des Dorfs als einziges Gebäude noch vier Wände und ein Dach hatte.

Die beiden Männer traten ein. Im Zwielicht des Gebäudes fanden sie Ritzungen in den Wänden. Was darauf zu sehen war, überraschte sie: Sie selbst und Birga wurden darauf als böse Wesen verspottet. An ihrer Seite war Porter in demütiger Pose zu sehen. Er schien den Fremden den Weg in den Dschungel zu weisen. Es handelte sich um Bilder, die die Guerillas hinterlassen hatten. Sie mussten diese alte Kirche im Dschungel als Unterschlupf genutzt haben.

Ivan und Mark sahen in den Bildern jedoch keine Gefahr. Sie sahen vielmehr eine weitere Gelegenheit, um ihre Macht und den Glauben an ihre guten Absichten zu untermauern. Behutsam veränderten sie die Darstellungen: Ihre Gesichter und das Birgas wurden unkenntlich. Porter sah nun nicht mehr demütig, sondern ängstlich aus, da die drei Gestalten ihn mit einem Brett mit einem Nagel darin bedrohten. Anschließend dokumentierten sie die ganze Szenerie.

Diese Bilder und die der Zerstörung, die das Gas im Wald angerichtet hatte, würden die gesamte Bevölkerung nach ihrer Rückkehr aufrütteln. Sie würden als Beweis für die Grausamkeit der Anderen herhalten und an das Geschenk des Friedens erinnern. Sie würden Porter als Opfer darstellen, das dem Treiben ohnmächtig zusehen musste. Doch erst die Befreier vermochten es, das scheinbar endlose Gleichgewicht des Schreckens zwischen den Kriegsparteien zu kippen und Frieden zu bringen. In der neuen Geschichtsschreibung würden sie eine Armee gründen und diese im Angesicht höchster persönlicher Gefahr in einen Feldzug für den Frieden und die Freiheit, für Recht und Ordnung führen.

Die zweite Entdeckung reizte vor allem Ivan: Ein Höhlensystem untertunnelte einen weiten Teil des Gebiets und reichte fast bis an die Tore von Settlers Port. Ivan schoss sofort der Gedanke durch den Kopf, diese Gänge technologisch zu nutzen um die Gesellschaft der Insel in ein neues Zeitalter zu führen. Ein Zeitalter, in dem Maschinen ihnen das Leben erleichtern würden und in dem die totale Technisierung sowohl schädliche Neigungen als auch menschliches Leid auslöschen würden. Für einige Minuten driftete er in diese Welt ab, auf dem Gesicht einen Ausdruck, der irgendwo zwischen Freude und Wahnsinn lag. Vor seinem geistigen Auge arbeiteten primatenartige Roboter, während die Menschen sich den Freuden des Lebens hingaben und ab und zu – aus purer Lust, nicht aus Notwendigkeit – neue Maschinen erfanden.

Fürs Erste kartierten Ivan und Mark die unterirdischen Gänge jedoch nur grob und zogen weiter in Richtung Süden. Sie überquerten einen weiteren, noch namenlosen Fluss. Weiter südlich floss er in einem großen Delta in den Pazifik und jenseits lag das kaum erreichbare Fjordland. Grob an der Stelle, an der der Fluss sich in zwei Ströme teilte, begann die steile Südseite des Mt Tacle anzusteigen, den sie mit 400 Metern Höhe in die Karte einzeichneten. Höher war lediglich der 520 Meter hohe Alp Peak, an dem sowohl die Quelle des Living River, als auch die des bisher noch namenlosen Flusses lag.

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