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Оглавлениеzwei Wochen später
Und wieder mal ist Sonntagmorgen, und wieder mal darf – genauer: muss ich meinen Frühstückskaffee allein trinken. Zwar ist es mir ganz recht, nicht an jedem verdammten Sonntagmorgen besagten Kaffee in Hanglage und in Begleitung meiner innigst geliebten Kumpels zu konsumieren (obendrein, wenn ich dafür so irre früh aufstehen müsste!), aber es gäbe auch noch ein paar Alternativen.
Vor allem eine Alternative. Und diese Alternative wäre nicht, statt eines Weinbergs etwa das Café Stella aufzusuchen. Beziehungsweise wenn, dann nicht mit meinen Kumpels. Nichts gegen meine Kumpels, ganz sicher nicht, so ein Kumpel ist eine tolle Sache, und gleich drei davon sind eine noch viel tollere Sache – aber Kumpels decken halt nicht jedes Bedürfnis ab, das einem durch den Sinn gehen kann sonntagmorgens. Oder auch samstagabends.
Was, wenn ich nun die Wahrheit, die sich gerade feige hinterm Vorhang versteckt, hervorzerren würde? Wenn ich mannhaft in ihr unsympathisches und obendrein noch ungeschminktes Gesicht blicken würde? Dann müsste ich wohl zugeben: Der Wahrheit Visage nach zu schließen habe ich den Lonesome-Cowboy-Blues. Ganz schlicht, und auch nicht sonderlich ergreifend, und sicherlich auch nur für den Moment.
Aber soll ich es überhaupt tun? Soll ich der Wahrheit ins Gesicht blicken? Heute, am Sonntag, dem Tag des Herrn? Und nicht der Dame?
Ach, na meinetwegen. Ich habe gerade eh nichts Besonderes vor. Tu ich’s halt.
Gesagt, gewagt, getan. Schon sitzen wir zu zweit auf meiner Couch, nämlich ich und mein Blues, schauen etwas trüb aus dem irgendwie grauen Vorvortags-T-Shirt nebst ausgebeulter Jogginghose (Da! Prompt heißt es 1:0 fürs Singledasein: kein Rumgenerve à la „Das muss doch schon längst in die Wäsche, wie sieht das denn aus“!), und auf dem Tischchen vor uns steht dampfend und duftend der Kaffeepott mit der Aufschrift „Kesselheld“.
So weit, so gut, so unspektakulär. Und jetzt? 11.55, sagt die Uhr. Wie lustig. 5 vor 12. Muss ich das als Zeichen sehen? Will ich das als Zeichen sehen?
Da sehe ich mir viel lieber was ganz anderes an: nämlich meinen geliebten 65er Ford Mustang. Den Shelby! Ich stehe auf und hole ihn mir vom Regal, wo er sich immer noch von dieser absoluten Horrorszene mit Katrin erholen muss.
Zärtlich streichen meine Finger über seine Flanken. Diese Formen, diese Linienführung. Dieser Schwung! Irgendwann will ich ihn in echt haben. Genau den. Weiß, mit zwei blauen Streifen in der Mitte, über Motorhaube, Dach und Heck. Ein Gedicht von einem Auto! Ein Traum!
Der Matze lechzt nach einem 69er Porsche 911 S2.2 – na gut, nette Kiste so weit, das gebe ich schon zu. Aber dem halte ich doch dieses entgegen: 289 Cubic Inches! Four-Barrel Carburetor! 271 HP! Und wenn ich mir den Shelby leisten könnte, dann wären das sogar 306 HP!
Und jetzt das Ganze für Laien und Frauen: 4,7 Liter Hubraum! Vierstromvergaser! Shelby ist für Mustang das, was AMG für Mercedes ist! Und HP heißt in dem Fall nicht High Performance, sondern Horse Power. PS also. Und überhaupt: ein V8! Es gibt keinen schöneren Motor! Niemals! Nirgends!
Ich sehe es auch nicht ein, zwanghaft Porsche oder Benz anzubeten. Porsche ist gut für Matze, und Benz? Ich nenne bereits zwei C 111 mein Eigen; mehr wäre reine Angeberei. Bei aller Liebe also zu meiner Schwabenmetropole, aber für jung gebliebene Männer mit nicht gerade platzendem Portemonnaie (mit anderen Worten: für solche wie mich) muss es traditionell einfach das Pony Car schlechthin sein – nämlich der Mustang! Und zur Frage, was jetzt schon wieder mit Pony Car gemeint ist, ein Lied zwo drei vier: Hey hey Wiki, hey pedia.
Klar ist demnach: Ein Mustang muss es sein! Und könnte es auch, wie Katrin mir immer wieder gern aufs Brot schmierte.
Menschenskind, an Katrin habe ich bestimmt seit dem Weinberg nicht mehr gedacht. Außer vielleicht beim Gummibaumgießen. Aber nun hat sie sich wieder in Erinnerung gebracht. Oder habe ich das selber gemacht? Oder war es der arme, traumatisierte Shelby? Auf jeden Fall passt das alles ganz wunderbar zusammen: Sonntag, Blues, Vergangenheitsbewältigung, Ich-Beschau. Wie aus dem Lebenskrisenratgeber für Frauen.
Lebenskrisenratgeber für Frauen? Na, immerhin steht das „M“ in Michael M. Späth für „Maria“ – übrigens vielen Dank dafür, Mutter! Nebenher bemerkt: In Stuttgart, sagt die Statistik, gibt es etwa 5500 Michaels und 4800 Marias. Aber nur ich bin beide!
Sollte ich in meiner Eigenschaft als Maria das also durchziehen? Maria, du checkst’s nicht? Wäre jetzt der richtige Moment? Mal sehen: Die Sonne scheint durchs Fenster …
… schön sauber übrigens, das Fenster. Ich leiste mir zwar keinen Luxus, aber eine Putzfrau ist auch kein Luxus, sondern, wie sage ich das: notwendig, genau! Ob man nun eine feste Partnerin hat oder eher mehrere nicht so feste: Kommen die in deine Wohnung, dann ist es vorteilhaft, wenn die Wollmäuse nicht in Kolonnenstärke über die Dielen wandern, der Abwasch nicht von selber aus der Spüle hüpfen kann, die fallen gelassenen Klamotten sich nicht zu Wäschegebirgszügen türmen, die Spinnen ihre Spinnweben nicht zu NATO-Tarnnetzen ausgebaut haben, die leeren Pizzaschachteln noch keine Befestigungsanlagen gebildet haben, und die Fenster sich eben nicht durchgehend in Milchglasoptik präsentieren.
Ach, ich mag meine Putzfrau, wirklich! Als ausgewiesener Fan von Tommy Jaud würde ich sie gerne Lala nennen, aber leider heißt sie Dorle. Tatsächlich. Schwäbin, Rentnerin, und freilich ist es mir irgendwie peinlich, wenn eine Person meine Socken aufsammelt, die locker meine Mutter sein könnte. Aber gerade die war es, die mir Dorle aufs Auge gedrückt hat!
„Michael, du nimmst dir jetzt eine Putzfrau, sonst komm ich selbst vorbei und mach das!“
„Ach Mama, so wild sieht’s nun aber echt nicht aus bei mir.“
„Michael, es ist eine Katastrophe, wie es bei dir aussieht. Das war schon immer so. Ich schicke dir das Dorle vorbei, fertig aus.“
„Du schickst mir das was vorbei?“
Und seitdem sieht es bei mir meistens aus wie im Katalog, was Ordnung und Sauberkeit betrifft. Obendrein hat mich Dorle, auch wenn sie das Wort kaum kennen dürfte, im Mainstream untergebracht. Wie das? Indem sie mich recht deutlich aufforderte, einen neuen Staubsauger zu erstehen. Nun besitzen aber 89,7 Prozent aller Deutschen einen Staubsauger, der nicht älter als zehn Jahre ist – folglich sind der Mainstream und ich jetzt super Kumpels.
Doch um Dorle ging es nicht, sondern um die Frage, ob die Situation eine kleine Ego-Jahresdurchsicht hergibt. Frei nach dem Motto „Rauf auf die Hebebühne und her mit der Stablampe“.
Darum noch mal ganz von vorne: Die Sonne scheint durchs Fenster, der Kaffee hat die ideale Trinktemperatur erreicht, mein Sofa ist bequem, meine Klamotten sind es auch; weil Sommer ist, bleibt es lange hell, ein bisschen rausgehen kann ich demnach auch noch später. Und Videospielen? Wäre allerdings eine Option. Und gar keine schlechte!
Videospielen? Soll ich?
Der Mustang steht auf dem Couchtisch, grimmig starrt sein Kühler zu mir hoch.
„Keine Ausflüchte mehr! Willst du es nicht auch? Zündschlüssel drehen, den V8 aufbrüllen lassen, und dann raus auf die Landstraße, dem Sonnenuntergang entgegen?“
Ganz erstaunlich, was einem ein 1:18-Modell alles vorgaukeln kann. Aber es stimmt, ich will es auch.
Und ja, Katrin, du hast recht: Würde ich mal anfangen, eine Art Business-Plan für mein Leben zu erstellen, und würde ich mich, nachdem ich ihn erstellt habe, auch daran halten, dann würde ein Mustang durchaus im Bereich des Möglichen sein.
Doch Achtung, hier befindet sich das achsbruchgefährliche Logikschlagloch auf dem Argumentationshighway. Würde ich tatsächlich so einen Plan erstellen, würde eine Katrin das zwar ganz super finden, aber: dass dann ein 65er Ford Mustang ganz weit vorne, fast an erster Stelle stünde, das wiederum fände sie total dämlich, denn was hat ein 65er Ford Mustang mit Zukunftsfähigkeit zu tun?
„Nichts“, würde sie sagen – „Na, aber so ziemlich alles!“, würde ich antworten.
„Ach? In welcher Hinsicht das denn?“, würde sie fragen – „Weil ich eben bin, wie ich bin, würde ich antworten, und eine Zukunft ohne mich kann ich mir einfach nicht vorstellen!“
„Dann ändere doch, was du bist“, würde sie vorschlagen – und damit hätte es sich dann auch erledigt.
Wir können gerne über alles reden, ich weiß, ich weiß, die Frauen wollen das, und meinetwegen, wenn es reinpasst, kann schon mal geredet werden. Die Kumpels und ich, wir reden zuweilen auch ganz gern. Wobei mir unsere Themen irgendwie lohnender vorkommen.
Worüber aber absolut nicht (!) geredet werden muss, ist dieses „Ändere dich“!
Fassen wir zusammen, was bisher geschah: Da ist der Micha, und da sind die Mädels.
Der Micha ist ein feierfester, unterhaltsamer Typ, der gar nicht schlecht aussieht, Frauen durchaus zu respektieren und anständig zu behandeln versteht sowie des Lesens, Schreibens und regelmäßigen Duschens mächtig ist. Außerdem ist er insofern ein akzeptables Mitglied der Gesellschaft, als er einen halbwegs vernünftigen Job hat, mit dem Gesetz wenn, dann nur vereinzelt hinter dem Steuer eines Autos in Konflikt kommt und seine Steuern unwillig, aber dennoch brav zahlt (wo es sich nicht vermeiden lässt).
Die Mädels finden das alles gut und schön und freuen sich, mit dem Micha unterwegs zu sein und manchmal auch nach Haus zu gehen. Nur, wenn sie dann ein bisschen öfter mit ihm nach Hause gegangen sind, dann wollen sie auf einmal zwar immer noch den Micha – aber zusätzlich noch so einen Typen, der mit Micha herzlich wenig gemeinsam hat. Nämlich den Zuverlässigen. Der sie nicht nur auf einen Kaffee oder zum Essen einlädt, sondern zu einer ganzen gemeinsamen Zukunft. Aber nach ihren Vorstellungen.
Abends zu Hause bleiben. Rasieren auch am Wochenende, und zwar gleich morgens. Kneipen, Kumpels? Aber du warst doch vor vier Wochen schon mal weg! Du, sag mal, das Spielzeugauto da im Regal, da könnte man doch auch eine schöne Vase hinstellen, meinst du nicht? Und irgendwann kommt dann die K-Frage. Nein, nicht die Katrin-Frage, obwohl das auch bei ihr ein Thema war – nein, es ist die Kinder-Frage.
Kinder? Ja aber – also ich mag Kinder, klar, die sind schon süß, vor allem, wenn sie nicht gerade plärren. Aber sooo alt bin ich eigentlich noch nicht, dass ich jetzt schon darüber nachdenken müsste. Wie bitte, du aber schon? Na gut, ähm, aber …
Und spätestens dann trennen sie sich wieder, die Wege von Micha und den Mädels.
So, bitte: Mache ich da was falsch? Ich stelle mich ja nicht hin und sage „Lass mich der Vater deiner Kinder, der Erbauer unseres trauten Heims sowie der Mann sein, der die Blumen auf unserem gemeinsamen Grab gießt!“.
Und wenn ich das dann auch tatsächlich nicht bin, ist bei mir doch alles klar so weit, oder? Eben.
Der Mustang allerdings rückt auf die Art nach wie vor nicht in greifbare Nähe.
Ob das mit einem Teilzeit-Business-Lebensplan klappen könnte? Mal zwei, drei Jahre ein bisschen beim Bier sparen, Urlaub am Bodensee machen, statt auf den Bahamas, wenn es ein neues Hemd gibt, gibt’s eben eins von Charme & Anmut (im Volksmund C&A genannt), die Mädels dürfen ihre Cocktails künftig selber zahlen, wenigstens ab dem dritten, und zack!:
Schon hab ich die paar Tausend Lappen beisammen und hol mir einen. Geht ja bereits ab ca. 8000 Euronen los.
8000. 8000. Das ist eine mächtig fette Summe, wenn man sich das überlegt. Komme ich da hin mit Onkel Dagoberts Masterplan für Powersparer? Ich habe meine Zweifel.
Okay. Bisher bringt mich dieser Sonntag überhaupt nicht weiter. Das geht mir auf den Sack, ganz ehrlich. Da hocke ich mit meinem Lonesome-Cowboy-Blues nun in der Bude auf der Couch, stelle fest, dass ich zwar alles richtig mache, aber trotzdem keine Freundin habe, und wohl so bald auch keinen Mustang, und morgen darf ich wieder ins Büro, und das war es dann für heute? So nicht, Herr Späth!
Ich bin ein Mann der Tat! Und daher ergeht nun folgender Erlass für die zweite Hälfte dieses noch rettbaren Tages: Ich werde mich erheben, mir was Gescheites anziehen, vis-à-vis klingeln, meiner Nachbarin ihren Hund abluchsen, mit selbigem die Wildparkseen umrunden – wenn ich alle drei mitnehme, also Pfaffensee, Neuen See und Bärensee, dann ist das eine Strecke von immerhin 5,371 Kilometern, könnte ich glatt unter Sport am Sonntag verbuchen – und hernach flaniere ich die Königstraße rauf und runter. Spitzenplan? Spitzenplan.
Auf geht’s!