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ca. zweieinhalb Wochen darauf

„Leute, letzthin hab ich das nur so vor mich hin gedacht, aber jetzt muss ich es dann mal laut sagen: Stuttgart ist einfach super schön, oder?”

Weil wir nämlich im Neckarbiergarten in Bad Cannstatt hocken. Wenn das jetzt Schleichwerbung sein sollte, kann ich es auch nicht ändern, der Laden hat es jedenfalls zu 100 Prozent verdient! Das Ding muss unbedingt in meinen Stuttgartführer, wer auch immer ihn mir schreiben wird. Im Neckarbiergarten sitzt man, der Name sagt es schon, praktisch direkt am Neckar. Dabei fällt der Blick, unter anderem, auf einen dicken Pott, der erstens Frauenlob und zweitens Theaterschiff heißt (keine Ahnung, was die da alles spielen, aber angesichts des ersten Namens können es eigentlich nur Ulkstücke sein), große, grüne Bäume gibt es auch (falls der Planet zu sehr sticht), und auf der Uferpromenade flaniert durchaus der eine oder andere Augenschmaus!

Na schön, Uferpromenade klingt vielleicht ein bisschen zu sehr nach Riviera – aber ein Ufer ist es allemal, und so, wie die Mädels da entlangschlendern, ist promenieren auf jeden Fall der passende Ausdruck. Also doch eine Uferpromenade.

Heute wärmt es nur milde, wir könnten demnach überall im Neckarbiergarten sitzen, trotzdem haben wir uns einen Sitzplatz unterm Baum rausgesucht. Das vermittelt ein naturburschig rustikales Ambiente, und das ist nach fronartigem Büroarrest eine ganz wunderbare Sache!

Die oben angesprochenen Leute, in dem Fall wären das Matze und Herr D., belieben mir nun allerdings auf ihre jeweils ganz eigene Art beizupflichten. Herr D. tut das, indem er sich zu einem „Hmja“ hinreißen lässt und einen größeren Schluck Bier zu sich nimmt. Falls es übrigens schon aufgefallen sein sollte: Es stimmt, Bier trinken wir allesamt äußerst gern.

Matze kommentiert meine Äußerung auf die für ihn übliche Art – mit Gemotze und Gestichel. Was hier zu dieser Einlassung führt:

„Da gibt’s aber einige, die würden Cannstatt absolut gar nicht zu Stuttgart zählen!“

Natürlich könnte ich jetzt „Wieso das denn?“ fragen.

Da ich aber erstens: blitzgescheit vermute, dass Cannstatt demnach wohl nicht schon immer ein Stadtteil von Stuttgart war,

und da mich zweitens: solche stadtgeschichtlichen Details eher mäßig bis wenig interessieren,

und da ich drittens: so was bei Bedarf immer noch googeln oder, ganz altmodisch, irgendwo nachlesen könnte (wobei ich nicht wüsste, wann ich daran Bedarf haben sollte),

formuliere ich meinen Satz eben um:

„Na gut, wie wäre es damit: Hier ist es einfach superschön, oder?”

Herr D. schmunzelt, Matze schüttelt genervt den Kopf, weil er seinen bestimmt schon fertig ausformulierten stadthistorischen Vortrag nun nicht mehr loswird, und ich schicke ganz schnell dieses hinterher:

„Aber noch schöner wäre es, wenn Muckl bald mal auftauchen würde!“

Woraufhin mir Matze ausnahmsweise direkt beipflichtet:

„Aber echt! Wie oft haben wir uns jetzt ohne ihn getroffen, seit die ihn geschanghait hat?“

Wenn man mit Mister Matthias „Matze“ Bernhardt befreundet ist, muss man sich darauf einstellen, hin und wieder mit Formulierungen konfrontiert zu werden, die man noch nie gehört hat. Man gewöhnt sich aber daran, und obendrein kann man ihm eine große Freude machen, wenn man ihn dann nach der Bedeutung des Wortes fragt. Eigentlich ist das doch eine schöne Sache: Er kann ein bisschen angeben und hat seinen Spaß, und man selber lernt was dazu, wenn auch nicht immer und unbedingt was fürs Leben. Also gut, dann frage ich eben:

„Die hat ihn bitte was?“

Nun aber macht Herr D. Matze einen Strich durch die Rechnung; wahrscheinlich will er auch mal angeben:

„Geschanghait hat sie ihn. In Schanghai haben sie früher Matrosen abgefüllt mit Rum oder sonst was, und dann haben sie die armen Kerle an Bord geschleift, und wenn die dann wieder zu sich gekommen sind, schaukelten die schon auf hoher See und mussten knechten. Ganz üble Tour, das!“

Andere Länder, andere Sitten, denke ich mir da nur. Andererseits:

„Das passt ja eigentlich wirklich! Der Muckl war schon ganz gut bedient, als die mit ihm abgezogen ist, oder?“

Matze und Herr D. nicken mit vorgeschobenem Unterkiefer, zusammengepressten Lippen und hochgezogenen Nasenflügeln, und das tun sie derart synchron, dass ich einfach mitmachen muss.

So sitzen wir alle drei da, nicken wie Wackeldackel auf der häkelüberzugsklorollenbewehrten Hutablage eines alten Daimlers, und dann erzählen wir uns gegenseitig, was an jenem Abend passiert war. Wir sind zwar alle dabei gewesen, das ändert aber überhaupt nichts daran, dass Mann eine solche Geschichte zu gern wieder und wieder, zuweilen auch mit geringfügigen Variationen, vorträgt.

Obwohl so viel gar nicht passiert ist. Zumindest, soweit wir drei was davon mitbekommen haben. In der Kurzfassung hört sich das folgendermaßen an:

Die unglaublich fantastischen Vier (wir also) sitzen vor etwa zehn Tagen eben hier in diesem Biergarten und tun, was sie (wir also) wohl am besten können – sie (wir also) trinken Bier.

Drei durchaus attraktive Mädels, geschätzte Anfang bis Mitte 30, inlineskaten auf der Promenade vorbei, halten an, beratschlagen kurz, und beenden dann ihren Inlineausflug direkt auf der Bierbank neben uns. Die Erste genehmigt sich eine Apfelsaftschorle, die Zweite eine Schorle weiß-sauer, und die Dritte ein Radler.

Selbstverständlich können wir es nicht vermeiden, die Damen über die unbedingte Notwendigkeit aufzuklären, nach solch sportlicher Aktivität nur höchstwertige flüssige Nahrung zu sich zu nehmen – Bier selbstverständlich, und das dann aber bitte auch unbedingt ungestreckt und unverdünnt, also nicht mit Limo gefoltert.

Denn immerhin gibt es allein im Regierungsbezirk Stuttgart 45 (!) – in Worten: fünfundvierzig Brauereien. Sagt zumindest Wikipedia, und die müssen es wissen. Und jene 45 hart schuftenden Betriebe, die sollte man doch auch unterstützen!

Und weil Statistiken cool sind, kommt hier gleich noch eine: In der ersten Hälfte des letzten Jahres ist der Bierkonsum in Baden-Württemberg, verglichen mit der ersten Jahreshälfte davor, um 3,6 Prozent zurückgegangen – im gleichen Zeitraum aber hat der Anteil von gemartertem Bier (Radler und ähnliche Verbrechen) um 5,1 Prozent zugenommen! Muss man sich mal vorstellen!

Daher legen wir es den Hübschen wärmstens beziehungsweise gut gekühlt ans Herz, besser Bier zu bestellen.

Die Erfahrung zeigt nun, dass man auf solche gut gemeinten Ratschläge für gewöhnlich eine Reaktion aus folgendem Sortiment erwarten darf:

erstens: blasiert mit den Augen rollen, gelangweilt-arrogant wegstarren – total unsexy.

zweitens: unbeholfen giggeln, nicht wissen wie jetzt – niedlich, keineswegs unsexy.

drittens: frech grinsen, die Aufforderung zum Duell annehmen – absolut obersexy!

Unsere Ladys entscheiden sich für Variante drei, und wir sind hocherfreut!

Ernsthafte oder gar unanständige Absichten hat selbstverständlich niemand von uns: Herr D. ist verheiratet, Matze hat derzeit tatsächlich zwei gefährliche Liebschaften (die natürlich nichts voneinander wissen!), und Muckl ist überzeugter Dauersingle. Ich allerdings bin ein immer noch relativ frischgebackener Partnerloser, der dringend des Trostes bedarf und sich in so einer Situation freilich schon Hoffnung macht!

Wie aber gestaltet sich jetzt das Ganze jenseits meiner Hoffnung, in der Realität also? Die A-Saft-Schorle und die Schorle weiß-sauer wiederholen ihre Auswahl, das Radler aber anerkennt unser geballtes Expertenwissen und schwenkt zum Deutschen Reinheitsgebot, folglich zum Bier über …

… daraufhin unterhalten und amüsieren wir uns alle bestens, sitzen sogar nach kurzer Zeit zu siebt zusammen am Tisch, die Mädels sind hinreißend, das würden wir selbst nüchtern denken, die Jungs geben sich wohlerzogen und gentlemanlike, obwohl sie nicht mehr so ganz nüchtern sind, die Stimmung steigt und steigt …

… und irgendwann schnappt sich die gleichermaßen heitere wie mittlerweile angeheiterte Bekehrte, die eigentlich Annika heißt und rein zufällig neben Muckl sitzt, dessen Arm und legt ihn sich über die Schulter! Hat man derlei schon gesehen?

Herr D., Matze und meine ignoriert werdende Wenigkeit jedenfalls haben derlei noch nicht gesehen, folglich staunen wir gewaltig! Nun kennen wir aber unseren Muckl und wissen, dass er nicht unbedingt der Steuermann sein muss. „Machen lassen“ ist seine Devise, und so hält er es jetzt auch hier. Zwar schaut er etwas verdutzt, aber da Julia und Caro, Annikas Freundinnen, von dem leicht skandalösen Vorgang völlig unbeeindruckt bleiben und uns munter weiter vollquatschen, verzichten auch wir auf ein indigniertes

„Ahem!“

oder ein mahnendes

„Na na na!”

und fügen uns in den Umstand, dass momentan, wenigstens was Annika betrifft, Damenwahl zu sein scheint. Greifen nun aber auch Julia und Caro zu? Immerhin bietet sich ihnen mit uns übrigen dreien ja eine fast schon luxuriös zu nennende Auswahl?

Nein, das tun sie nicht! Sie reden und quasseln und spaßen herum, auch Annika, von Muckl derweil traut und dauerhaft umarmt, macht weiter mit, und wir drei, brav, wie wir sind, tun das natürlich ebenfalls. Man kann also nach wie vor von bester allgemeiner Stimmung sprechen.

So langsam aber wird es spät am Abend, die dazu passende abendliche Kühle stellt sich ein, sogar das eine oder andere Gähnen ward schon gesichtet. Darum sollte ich, der ich mir ja durchaus was hatte erwarten dürfen, schleunigst über eine Strategieänderung nachdenken. Doch ich bin mal wieder zu langsam. Denn jäh und plötzlich ist die Party nicht nur am Abflauen, sondern auch zu Ende und vorbei. Einfach so!

„Julia“, fragt Caro, „sollen wir uns auf den Weg machen?“

Und bevor ich mich noch mit einer verbalen Becker-Rolle dazwischenwerfen kann, wird diese triste Frage bereits mit einem Küsschen (oha!) bejaht. Matze und Herr D., die daheim ausreichend versorgt sind, setzen dem ebenfalls nichts entgegen, und Muckl – nun, von dem war ohnehin nicht mehr viel zu erwarten.

Entsprechend gestaltet sich dann auch sein Schicksal für jenen Abend: Er wird, in Matzes Worten, geschanghait. Fräulein Oberdreist kichert ein

„Gehen wir dann auch?“

hervor, Muckl grinst und zuckt mit den Schultern, sie verabschieden sich und schwanken davon. Auch die anderen beiden Hübschen wünschen uns freundlich, aber umgehend eine gute Nacht und entschwinden, und übrig bleiben wir drei.

Und so hocken wir noch heute – oder eben heute wieder – auf unseren Bierbänken im Neckarbiergarten und warten.

Derweil steht aber nach wie vor Matzes Frage im Raum, wie oft wir uns seither ohne Muckl getroffen haben, und

„Das ist jetzt das dritte Mal!“

lautet die schockierende Antwort.

„Die letzten beiden Male hat er doch immer bloß kurz davor eine SMS geschickt, ihm wäre irgendwas dazwischengekommen. So ein Quatsch. Glaube ich dem nicht!“, beschwert sich Herr D.

„Glaube ich ihm auch nicht“, pflichtet Matze bei, „ich wette, dem ist die ganze Sache peinlich, weil er sich mal wieder hat davonschleifen lassen, und jetzt traut er sich nicht her!“

Kann ich mir zwar nicht vorstellen, denn so sonderlich viel Wert auf anderer Leute Meinung legt Muckl eigentlich nicht, aber Fakt ist: Er fehlt.

„Was hat die gesagt, wo sie wohnt? Im Hallschlag? Da muss man sich fast Sorgen um ihn machen, ob er auch wieder heile rausgekommen ist“, werfe ich ein.

Herr D., seines Zeichens drogenberatender Sozialfritze und deshalb gut informiert, bestätigt das:

„Stimmt, vom Hallschlag, da kommen ein paar üble Jungs von mir her. Ist echt eine finstere Gegend.“

„Vor allem nachts!“ – für Matze ein echter Knüller von Witz.

Bevor wir uns nun aber in (letztendlich natürlich jeder Grundlage entbehrenden!) Späßen über den armen, verrufenen Hallschlag ergehen können, kommt auf einmal ums Eck geschlappt: der fröhlich grinsende Muckl!

Es versteht sich von selber, dass das Hallo entsprechend riesig ist. Um ein Haar hätten wir angefangen, uns zu überlegen, ob es sein könnte, dass er die Geschichte nicht an einem Stück überstanden hätte.

Folglich trägt der Chor, kaum dass Muckl sich hingehockt hat, nun die eine, alles andere beiseitedrängende Frage vor:

„Und? Wie war’s?“

Unser Schock allerdings könnte größer nicht sein, denn was er darauf antwortet, widerspricht nun wirklich völlig und geradezu inakzeptabel dem „Muckl wird circa einmal pro Halbjahr für einen One-Night-Stand abgeschleppt“-Reglement:

„Von wegen ‚Wie es war‘. ‚Wie es ist‘, müsst ihr fragen!“, sagt er und schaut geradezu triumphierend in die Runde. Was auch zu ihm passt, schließlich heißt er mit richtigem Namen Nepomuk Kaiser. Und dann steht Nepomuk Muckl Kaiser wieder auf und holt sich ein Bier.

Schweigen senkt sich über uns drei Sitzenbleiber herab. So ein Mist. Wieso ist denn heute auch erst Dienstag? Denn dieser Abend, der wird doch garantiert nicht früher als in tiefster bierseliger Nacht enden.

Halbhöhlenlage

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