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4. Der Zuordnungsvorgang der Eingruppierung a) Die Anwendung der Tätigkeitsmerkmale
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Nachdem auf diese Weise die dem rein gedanklichen Vorgang der Eingruppierung vorausgesetzten Faktoren (a) abstrakte Anforderungen der einzelnen tariflichen Tätigkeitsmerkmale und (b) Ermittlung/Bestimmung der tariflich zu bewertenden Arbeitseinheit des betr. Arbeitnehmers in der notwendigen Eindeutigkeit feststehen, geht es bei der eigentlichen Eingruppierung darum, diese beiden Faktoren zueinander in Beziehung zu setzen. Dabei ist in einem ersten Schritt zu ermitteln, ob die maßgebende Tätigkeit des Arbeitnehmers eines der zu einem Tätigkeitsmerkmal vereinbarten Richtbeispiele erfüllt. Ist dies der Fall, steht die Eingruppierung regelmäßig fest.47 Findet sich kein Richtbeispiel, das eine solche eindeutige Zuordnung ermöglicht, ist ein Vergleich zwischen den Merkmalen der Tätigkeit einerseits und den abstrakten Anforderungen der im Entgeltschema genannten Vergütungsgruppen andererseits vorzunehmen. Dies ist bei vielen privatwirtschaftlichen Tarifverträgen deutlich einfacher als im öffentlichen Dienst. Denn nicht nur die Richtbeispiele, sondern auch die allgemeinen Beschreibungen der Tätigkeitsmerkmale sind oft auf die Branche zugeschnitten und orientieren sich an häufig auftretenden und vielfach nicht umstrittenen Tätigkeitsbezeichnungen. Werden einzelne Begriffe der Tätigkeitsmerkmale dabei nicht im Tarifvertrag selbst definiert, ist davon auszugehen, dass sie den Begriff in dem Sinne gebraucht haben, wie er dem allgemeinen Sprachgebrauch und dem der beteiligten Kreise entspricht, z.B. nach dem Tarifvertrag für den Einzelhandel der Begriff der „Sammelkasse“48 oder des „Verbrauchermarktes“.49 Soweit die Anforderungen durch die dafür erforderliche Ausbildung definiert werden, ist auf die entsprechenden Lehrpläne und Ausbildungsordnungen zurückzugreifen, die daraufhin überprüft werden, ob die dort zu vermittelnden Kenntnisse und Fähigkeiten für das gesamte Spektrum der zu bewertenden Arbeitseinheit unverzichtbar sind; eine bloße Nützlichkeit für die ordnungsgemäße Leistung der übertragenen Tätigkeit reicht dabei nicht aus. Letztlich empfiehlt sich auch ein Blick in die zu der konkreten (oder einer ihr ähnlichen) Entgeltordnung ergangene Rechtsprechung des BAG, die sich mit unzähligen Tätigkeitsmerkmalen intensiv befasst hat.
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In der Metall- und Elektroindustrie hat die Einführung des ERA zwei unterschiedliche Arbeitsbewertungssysteme hervorgebracht. In den meisten Bezirken wurde eine summarische Arbeitsbewertung zugrunde gelegt. Dabei werden die Anforderungen der Arbeit, des Arbeitsplatzes oder des Arbeitsbereichs in einer globalen Betrachtung erfasst und je nach ihrer Wertigkeit verschiedenen Entgeltgruppen zugeordnet. In diesem Bereich findet sich insoweit eine bedeutsame Abweichung von einem sonstigen allgemeinen Eingruppierungsgrundsatz. Normalerweise verlangt die Eingruppierung in eine bestimmte Entgeltgruppe das Vorliegen aller dort genannten Anforderungen; fehlt es an der Erfüllung auch nur einer Anforderung, ist eine Einstufung in diese Gruppe nicht möglich. Anders in den Bezirken der Metall- und Elektroindustrie mit summarischer Arbeitsbewertung: Hier ergibt sich aus den Tarifverträgen mit notwendiger Klarheit der Wille der Tarifvertragsparteien, eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen, in der eine mögliche Nicht- oder Untererfüllung hinsichtlich eines der drei Kriterien (erforderliche Ausbildung, Grad der Komplexität der Aufgabe, Maß der Vorgaben vs. selbständiger Erledigung) kompensiert werden kann durch die Übererfüllung eines anderen Merkmals. Ferner sollen die zeitlichen Anteile verschiedenwertiger Einzeltätigkeiten ausdrücklich keine Rolle spielen.50 Dies entspricht jedenfalls im Ergebnis dem in den Tarifgebieten NRW und Baden-Württemberg vereinbarten analytischen Verfahren, in NRW in der Form eines Punktbewertungssystems, in BW in Form eines Stufenwertzahlverfahrens. Dabei werden die Anforderungen weitgehend untergliedert und ihnen jeweils einzelne Punktzahlen oder Stufenwertzahlen zugeordnet, aus deren Summe sich jeweils die Entgeltgruppe ergibt. Auch hier sind derartige Kompensationsmöglichkeiten eröffnet.
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Erfüllt die Tätigkeit eines Arbeitnehmers keines der in der Entgeltordnung geregelten Tätigkeitsmerkmale (und zwar weder eines Richtbeispiels noch einer abstrakten Anforderung), obwohl das Arbeitsverhältnis im Geltungsbereich des die Entgeltordnung enthaltenden Tarifvertrags liegt, handelt es sich um eine Tariflücke. Bei einer von den Tarifvertragsparteien erkennbar bewusst nicht geregelten Tätigkeit, was selten vorliegt, kann eine Eingruppierung nicht vorgenommen werden. Ist davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien die Tätigkeiten der Branche an sich vollständig und abschließend regeln wollten und die fragliche Tätigkeit lediglich versehentlich nicht geregelt haben (unbewusste Tariflücke), kann diese nur dann – z.B. durch die Heranziehung artverwandter, vergleichbarer Tätigkeitsmerkmale – geschlossen werden, wenn es sichere Hinweise darauf gibt, wie die Tarifvertragsparteien selbst vorgegangen wären, wenn sie die Lückenhaftigkeit erkannt hätten.51 Gibt es dafür aber verschiedene Möglichkeiten, ist eine Eingruppierung nicht möglich, und erforderlichenfalls muss die Entgeltbestimmung unter Rückgriff auf § 612 BGB vorgenommen werden.