Читать книгу Drei Romane um Liebe und Geheimnis im August 2021: Mystic Thriller Großband 3 Romane 8/2021 - Frank Rehfeld - Страница 18
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Оглавление»Du bringst Schande über unsere Familie, Jeni! Die Leute zischen hinter meinem Rücken und sehen mir nicht mehr in die Augen, wenn sie mir in den Gassen begegnen!«
Jenis Vater beugte sich ächzend in seinem Lehnsessel vor und starrte seine Tochter mit trübem Blick an. »Die Leute nennen dich eine Hexe, Jeni. Wir verlieren das letzte bisschen Respekt, das man uns in diesem schäbigen Dorf noch entgegengebracht hat!«
»Die Leute von Rila reden doch nur noch schlecht über unsere Familie, seit Großmutter gestorben ist«, entgegnete Jeni bitter.
Traurig presste sie die Lippen aufeinander. Ihr Vater war einst ein stolzer, aufrechter Mann gewesen. Doch dieser abgehärmte, schlecht rasierte Kerl, der da in dem abgewetzten Lehnsessel kauerte und einen fadenscheinigen Morgenmantel trug, erinnerte kaum noch an den selbstbewussten, herrischen Mann, der ihr Vater einst gewesen war.
Der Geruch von Alkohol und kaltem Zigarettenrauch schlug Jeni entgegen, als ihr Vater nun zu reden fortfuhr.
»Man hat uns aber wenigstens in Ruhe gelassen, Jeni! Wir wurden geduldet. Aber jetzt – die Menschen wenden sich von mir ab. Sie grüßen mich nicht einmal mehr! Demnächst werden sie mir Steine hinterher werfen!«
»Vater!«, rief Jeni flehend. »Warum kehren wir diesem ärmlichen Dorf nicht endlich den Rücken? Wir könnten zurück ins Schloss. Dort ist unser wahres Zuhause!«
»Du bist eine hoffnungslose Träumerin, Jeni!«, grollte ihr Vater zornig. »Schloss Slatni ist ein feuchtes, unwirtliches Gemäuer. Das Gebäude wurde im Krieg stark beschädigt, die Einrichtung ist von den Soldaten verwüstet worden. Man kann dort nicht mehr leben, Jeni.«
»Aber wir könnten die wenigen Räume, die noch bewohnbar sind, wieder herrichten, Vater! Ein Leben in der Ruine unserer Vorväter ist immer noch lebenswerter, als in diesem ärmlichen Dorf zu hausen!«
Sie vollführte eine abfällige Geste, die das schummerige kleine Zimmer ebenso mit einschloss, wie den Rest des kleinen Hauses, in dem früher die Bediensteten eines reichen Bauern gewohnt hatten.
Jarka Nezakanow starrte seine Tochter durchdringend an. Für einen flüchtigen Moment schien der Alkohol seine Sinne freigegeben zu haben.
»Du hast Angst, Jeni«, sagte er seiner Tochter ins Gesicht. »Was genau ist vorige Woche in dem Wald geschehen? Hast du Vladislaw Koslik wirklich umgebracht, wie die Leute behaupten? Willst du nur deshalb auf Schloss Slatni leben, um in diesem Dorf nicht ständig mit deiner Schuld konfrontiert zu werden?«
Jeni presste die Lippen aufeinander und kämpfte mit den Tränen. »Ich weiß nicht, was mit Vladislaw geschehen ist, Vater. Aber glaube mir, was immer ihm widerfahren ist, er hat es verdient!«
Jarka ließ sich mit dem Rücken in den Sessel sinken. Sein Gesicht wirkte plötzlich erschreckend alt und müde.
»Ich will gar nicht wissen, was dieser Bauernbursche dir antun wollte«, sagte er rau. »Warum hast du ihn überhaupt mit in den Wald genommen? Du weißt doch, wie die jungen Kerle dir hinterher starren.«
»Ich wollte ihm doch nur die Geisterstimmen vorführen«, rief Jeni verzagt. »Alle fürchten sich davor, im Dunkeln in den Wald zu gehen. Die Leute spüren, dass dort etwas nicht mit rechten Dingen zugeht. Trotzdem wollten sie mir nicht glauben, dass ich die Stimmen von Geistern gehört habe.«
Jeni ballte die Fäuste, in ihren Augen schwammen Tränen. »Vladislaw hat vorgegeben, mir zu glauben. Er wollte, dass ich ihn zu den Stimmen hinführe.«
»Aber in Wahrheit hat er etwas ganz anderes von dir gewollt«, sagte Jarka müde und winkte ab. »Du solltest die Männer besser kennen, Jeni. Würde deine Mutter noch leben, hätte sie dich längst über die Unzulänglichkeiten der Männer aufgeklärt.«
Jarka lachte rau und freudlos. »Sie kannte sich mit schlechten Männern gut aus, deine Mutter. Schließlich hat sie einen Mann geheiratet, der ein Versager ist!«
»Das stimmt nicht!«, rief Jeni aufgebracht. »Du bist ein guter Mann, Vater!«
Mit einer unwirschen Geste brachte Jarka seine Tochter zum Schweigen.
»Ich habe nicht verhindern können, dass deine Mutter starb, Jeni. Ich bin ein schwacher, nichtswürdiger Kerl. Jeder Mann ist für seine Frau verantwortlich. Er muss sie beschützen und aufpassen, dass ihr kein Leid geschieht. Dazu war ich nicht in der Lage! Ich bin es nicht wert, am Leben zu bleiben!«
»Du konntest doch nichts dafür, dass Mama Krebs bekam«, schluchzte Jeni.
Unwillkürlich griff sie nach ihrem Kruzifix. Seit dem mysteriösen Vorfall im Wald war sie fest davon überzeugt, dass ihre Großmutter die Wahrheit gesprochen hatte, als sie im Sterbebett behauptet hatte, dieses Amulett würde sie vor Bösem beschützen.
In diesem Moment beugte Jarka sich vor und langte mit dem Arm ungeschickt nach einer Schnapsflasche, die neben dem Sessel auf dem Boden stand.
Erschreckt wich Jeni einen Schritt zurück und presste die Hand vor den Mund, um nicht laut aufzuschreien.
Irgend etwas schien mit ihrem Vater nicht zu stimmen!
Jeni kniff die Augen zusammen und betrachtete ihren Vater genauer. Schließlich war sie sich sicher: Seine Bewegungen wurden von einem nachtschwarzen Schatten begleitet! Als wäre der Schatten zu träge, den unsicheren Bewegungen ihres trunkenen Vaters zu folgen, wischte der Schatten hinter Jarka hinterher und verschmolz erst wieder mit ihm, wenn er innehielt.
»Was starrst du so?«, fuhr Jarka sie an. »Willst du dich etwa über meinen Schmerz lustig machen?«
Einen Moment lang war sein Gesicht von dem Schatten verdeckt gewesen und hatte es zu einer dunklen Fratze werden lassen.
Abrupt stand Jarka auf – der Schatten tat es ihm gleich, mit einem Bruchteil Verzögerung. Dann verschmolz der Schatten wieder mit Jarkas krummer, wankender Gestalt.
»Du … du bist ja besessen«, erkannte Jeni erschrocken und umklammerte ihr Kruzifix noch fester.
»Besessen?«, donnerte ihr Vater empört.
Abgehackt schüttelte er den Kopf, und der Schatten tat es ihm im Zeitlupentempo gleich. »Ich bin nicht besessen! Ich habe meine Familie nur zugrunde gerichtet. Sieh dich doch nur um, was aus uns geworden ist, was aus dir geworden ist, Jeni! Die Nezakanows werden untergehen! Und ich bin Schuld daran!«
»Das ist nicht wahr!«, rief Jeni gequält. »Das Schicksal war nur einfach grausamer, als du es ertragen konntest, Vater. Dich trifft keine Schuld!«
Entgeistert starrte ihr Vater sie an, musterte sie verwundert von oben bis unten.
»Was … was ist mit dir?«, fragte er verdattert. »Du leuchtest ja, Jeni! Bin ich jetzt etwa völlig verrückt geworden?«
Nun bemerkte Jeni es auch: Sie war wieder in diese fluoreszierende Aura getaucht, wie vor einigen Nächten im Wald.
Plötzlich schrumpfte das magische Leuchten zu einem grellen Punkt vor Jenis Brust zusammen und schoss auf Jarka zu.
Jenis Vater schrie auf und wollte dem Kugelblitz ausweichen. Doch dieser traf ihn mit voller Wucht vor die Brust und hüllte ihn augenblicklich in grelles Licht.
Getroffen taumelte Jarka zurück.
Doch diesmal folgte ihm der Schatten nicht. Stattdessen blieb der schwarze Schemen in dem magischen Feld gefangen, das sich um Jarka aufgebaut hatte und aus dem dieser nun hinaus getaumelt war.
»Jesus Christus!«, rief Jarka entgeistert und plumpste rücklings in seinen Sessel – den Blick ungläubig auf den nachtschwarzen Schatten vor ihm gerichtet.
Ein lauter Knall erschütterte das Zimmer und ließ die Scheiben in den Fensterrahmen klirren.
Dann war der Spuk vorbei. Das magische Leuchten war mitsamt dem Schatten verschwunden!