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Siebzehn Jahre Deutschunterricht im staatlichen Dienst haben Hugo Rhäs nicht gut getan.

Am Freitag dem 9. Juli gegen halb sechs biegt er mit seinem alten Buckelvolvo von der Erich-Ollenhauer-Straße in den kleinen namenlosen Pfad neben der Papierfabrik Achenkerber ab. Schon seit Tagen ist es unerträglich heiß. Wie soll das erst im August werden? Er versucht, den Schlaglöchern auszuweichen. Auf der Rückbank werden Lehrbücher, Ordner und Manuskripte durcheinandergeworfen. Aus einer abgegriffenen Ledertasche rutschen Disketten. John Malkovich, der aus dem übersteuert aufgedrehten Kassettenrekorder auf dem Beifahrersitz Auszüge aus Naked Lunch liest, klingt stellenweise wie unter Helium. Für Hugo Rhäs ist Burroughs Höhe- und Endpunkt der Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts. Wenn nicht sogar der Literatur überhaupt.

In knapp drei Jahren wird Hugo Rhäs fünfzig. Da hatte Burroughs schon seine Frau unter die Erde gebracht und war wieder aus Tanger zurück. Nicht, daß es hier auf dem stillgelegten Fabrikgelände gänzlich harmlos zuging. Anders eben. Einsamer. Manchmal huschten nachts finstere Schatten über das Grundstück, aber wenn er das Schlafzimmerfenster geräuschvoll öffnete und sich in die Nachtluft hinaus räusperte, schienen die auch schnell wieder verschwunden. Ab und zu wurden in einer der leeren Werkshallen ein paar Scheiben eingeworfen. Hugo Rhäs hatte mit der Wachgesellschaft telefoniert und erfahren, daß deren Vertrag noch zwei Jahre lief. So lange wie seine Schonfrist in dem ehemaligen Hausmeisterhäuschen. Nach dem Anruf sah er nachts hin und wieder einen Mann in schwarzem Leder über das Gelände schlendern und ihm, während er hinter den Gardinen am Fenster stand, mit der Taschenlampe in einer Art Geheimzeichen zublinken.

Burroughs hätte bestimmt näheren Kontakt zu dem Wachmann gesucht, ihn hereingebeten auf einen Kaffee, besser einen Whiskey, später dann zu noch härteren Drogen und noch später hätten sie mit großkalibrigen Gewehren herumgefeuert, selbst ein paar Scheiben zertrümmert oder sogar einen kleinen Brand gelegt. Warum auch nicht? Manchmal muß man dem dumpf ablaufenden Schicksal eben zuvorkommen.

Für andere mochte der Schuldienst Erfüllung genug sein. Die würden erst was merken, wenn sie mit Frau und Kindern auf dem Sonntagsausflug an den noch frisch dampfenden Trümmern der alten Papierfabrik vorbeikommen und das rotglühende Signet seiner verzweifelten Wut erkennen würden. Nachdem nun schon sein theoretisches Werk durch fremde Hand in Flammen aufgegangen war, warum nicht das Ganze zu Ende denken und mit Hilfe einiger Benzinkanister auch selbst bewerkstelligen?

„Sag mal, hat da nicht dieser komische Kollege von dir gewohnt?“

„Ja, ich überleg auch grade. Hoffentlich ist da nichts weiter passiert. Ich hab nämlich nicht die geringste Lust, am Montag seine Stunden zu übernehmen.“

Stunden! Viel weiter reichte deren Horizont wirklich nicht. Höchstens noch bis zu den Pausen zwischen den Stunden. Aber daß es eine geistige Verfassung gibt, einen Zustand, der völlig Besitz von einem ergreift und noch nicht mal mehr die kleine Pause um neun, geschweige denn die große um viertel vor zehn, zuläßt, davon hatten diese Beamtenseelen natürlich nicht die geringste Ahnung.

Es sind diese sich regelmäßig Freitagabend einstellenden Gewaltphantasien, die Hugo Rhäs so erschöpfen, daß er am nächsten Tag erst am frühen Nachmittag mit ausgetrocknetem Mund aus einem schweren Schlaf erwacht. Das fröhliche Samstageinkaufslicht fällt beunruhigend durch die Ritzen der Läden. Allein der Gedanke, daß es unten im Wohnzimmer schon lange hell ist und seine Kollegen sich gerade nach einem kleinen Bummel durch das Menschengewühl der Innenstadt auf Eiscaféterrassen breit machen, läßt die kurz vergessene Wut wieder in einem stechenden Schmerz auflodern.

Mit sieben durfte er einmal das ganze Wochenende nicht raus, weil seine Mutter auf den blöden Reporter wartete. Er war auf dem Linoleumboden in der Küche immer im Kreis gerannt und hatte das Heulen einer Sirene nachgemacht. Jetzt rasen die Krankenwagen mit amerikanisiertem Signalhornklang an seinem Häuschen vorbei zu mediokren Auffahrunfällen. Neben ihm auf dem Nachttisch, hinter den Burroughsbänden in Schlangenlederimitat, tickt der beige Wecker wie eine dilettantisch selbst zusammengebastelte Zeitbombe. Burroughs lebte die letzten zwanzig Jahre in einem umgebauten Keller. Genies sind wie zarte Aquarelle: sie scheuen das Licht.

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