Читать книгу Georg Danzer - Sonne und Mond - Franz Christian Schwarz - Страница 10
Das Curry
ОглавлениеMilica und Hans Theessink
Dietmar Hoscher hat 2011 ein Buch geschrieben: „Hans Theessink – Big Bill’s Guitar“. Hoscher und Theessink sind Freunde, und vor allem ist Hoscher jemand, der weiß, worüber er schreibt. In seinem Buch gibt es Sätze wie „Wer in Helena (Austragungsort des Arkansas Blues & Heritage Festival, Anm.) reüssieren will, muss den Blues nicht nur spielen, sondern ihn vor allem fühlen.“ Nach 176 Seiten ist klar: Zum Wissen Hoschers kommt auch das Spüren, und das findet sich in seinen Zeilen wieder. Ein Vorwort zu „Big Bill’s Guitar“ stammt von Michael Köhlmeier. Das zweite von Georg Danzer. Jahre nach dessen Tod liest man Sätze von Danzer über Theessink. „Wir waren über die Jahre einander beidseitig verbunden, ohne zu sagen, wir wären die allerbesten Freunde gewesen … Vielmehr über die Art zu leben, Musik zu machen“, sagt Hans Theessink.
Im August 2007 stand Hans Theessink vor 20 000 Menschen auf der Open-Air-Bühne der „Seer“ und brachte den Blues auf die „Zloam“, wie die Skiwiese in Grundlsee im lokalen Dialekt genannt wird. Untergebracht waren Hans und seine Frau Milica sowie alle anderen Künstler in der Hagan Lodge, einer Anlage von rustikalen Ferienhäusern oberhalb von Alt-Aussee. Meine Familie und ich, wir wohnten im Haus nebenan. Milica und Hans kenne ich seit Jahren. Es müssen schon über 20 sein, die mir die beiden persönlich nahe sind.
Er, der schweigsame Musiker, einer meiner Gitarren-Helden, und sie, die sich ewig in Bewegung befindende Backoffice-Managerin, Promoterin und Dauerläuferin in Sachen Hans Theessink. In den späten 60er-Jahren hat die Frau mit den roten Haaren in London gelebt, dort für die Straßenmusiker auf der Portobello Road von den Touristen Geld eingesammelt. In einer meiner Geschichten habe ich sie „Die rote Rose von der Portobello Road“ getauft. Später stand sie an der Wiege des Vienna Folk Festivals und irgendwann kam ein Holländer, und das war’s. Seither sind die Theessinks miteinander verbunden wie in einem Kajakdoppel.
Am Tag nach dem Open Air erzählte mir Milica die Geschichte von der Gitarre, die Georg Danzer vor seinem Tod zu Theessinks brachte. Ich schrieb darüber im deutschen Magazin „Der Musikmarkt“ und ein Jahr später wurde ich bei einem Branchenevent in München von einigen Leuten genau darauf angesprochen. Es hat die Menschen berührt, was sie da gelesen haben. Über die Gitarre des Danzer.
Als ich an die Recherchen für dieses Buch gegangen bin, habe ich Milica angerufen, ihr erzählt, woran ich arbeite, und sie hat uns eingeladen: „Kommt’s zum Essen zu uns.“ Der 23. August 2014 war ein Samstag. Theessinks wohnen in Ottakring, im 16. Wiener Gemeindebezirk. Dort, wo der Bezirk in der Tat unglaublich schönes Wohnen bietet. Im Liebhartstal, dem Grüngürtel Wiens. Hinter dem Haus steht ein Gartenhaus mit überdachter Veranda und inmitten dieser von den Theessinks erschaffenen Grünoase ist ein Teich, in dem sich einige Goldorfen tummeln. Idylle pur.
Wir hocken unter dem Verandadach und am Horizont zeigt der Sommer wieder einmal, dass er jede Menge Wasser im Gepäck hat. Es ist dunkel und wohl nur noch eine Frage von Minuten, bis es zu schütten beginnt. „Wir gehen dann rauf in die Wohnung. Habt’s eh Hunger?“ Keine Frage. Milica und ihr Chicken Curry haben Legendenstatus in der Wiener Szene.
„Aber, wie war das damals, die Geschichte mit der Gitarre?“, und das Kajakdoppel erzählt so, wie ich die beiden immer erlebt habe. Milica spricht und Hans ergänzt. Ihre hohe Stimme gibt den Takt vor und sein Bass rundet alles ab. Das passt. Es muss im April oder Anfang Mai 2007 gewesen sein, als sich Georg Danzer bei Theessinks gemeldet hat. Es galt, die Dinge zu regeln. Es war ihm klar, dass sich das Leben dem Ende zuneigte, und er wollte offenbar nicht einfach nur gehen. Er war da wohl seinem Vater sehr ähnlich, wie uns das später sein Freund Purzl Klingohr erzählen wird.
„Der Georg hat unten an der Sprechanlage geläutet und ich bin ihm entgegengegangen. Er war bereits sehr schwach und ich habe ihn gefragt, ob er alleine mit dem Auto gefahren sei, und er hat nur gemeint: ‚Das geht schon noch.‘ In der Hand den Gitarrenkoffer, den ich ihm dann abgenommen habe“, erinnert sich Milica. Die Weitergabe der Gitarre kam für Hans nicht unerwartet. Georg Danzer hatte im Vorfeld bereits davon gesprochen, einige Mails geschickt, und Hans wollte das Instrument unter keinen Umständen geschenkt. „Ich hab’ im Internet recherchiert, was denn so die Preise für die zwölfsaitige Martin sind, und wie er mir dann bei uns im Wohnzimmer die Gitarre übergegeben hat, habe ich ein wenig darauf gespielt“, so Hans und er ergänzt: „Der Georg hat dann noch gesagt: ‚Genau so soll sie klingen und ich bin froh, dass du sie jetzt hast.‘“ Milica hätte gerne ein Foto gemacht, aber wie das so ist mit solchen Situationen, es lässt sich schwer damit umgehen. Hemmungen, einfach danach zu fragen, lassen diesen Moment nur im Kopf auf ewig gespeichert.
Die Martin und das Case mit dem Namen Georg Danzer drauf, sind nun Teil des Theessink’schen Instrumentariums und immer, wenn Hans in Wien auftritt, dann nimmt er für einen Titel diese Gitarre. „Ich spiele dann meist vom Georg ‚Die Freiheit‘.“ Hans macht eine kurze Pause und dann erzählt er, wie sehr das offenbar das Pu-blikum berührt. „Wenn das Lied aus ist, spüre ich richtig, wie die Leute betroffen sind, dass er nicht mehr da ist. Die kommen nachher zu mir und bedanken sich für dieses Lied.“ Unlängst hat Hans Theessink „Die Freiheit“ bei einer Benefizveranstaltung im Zoo Schönbrunn gesungen. Vor dem Eisbären-Gelände. Das Lied, der Zoo, die Freiheit – es wäre genau das gewesen, was Georg Danzer auch gemacht hätte.
Es beginnt zu schütten. Oben im Wohnzimmer ist das Curry zu riechen. „Du setzt dich da her“, sagt Milica, und als ich sitze, sagt sie: „Da, auf dem Sessel ist damals auch der Georg gesessen, wie er die Gitarre gebracht hat.“ Mmhh … Ich schaue meine Frau an und die streicht nur über die Serviette und tut, als ob sie nichts gehört hätte. Sie weiß, ich werde ihr nachher erzählen, dass das für mich ein eigenartiges Gefühl war. Ich schreibe an dem Buch über Georg und plötzlich bekommt ein Sessel eine Bedeutung. Ich bin ein sehr geerdeter Mensch, aber gegen ein Gefühl, das einen unerwartet beschleicht, ist man machtlos. Da nutzt die ganze Erdung nichts.
„Der Georg wollte immer auf ein Curry kommen und wenn wir uns zufällig getroffen haben, hat er mich auf das Curry angesprochen. Er hat dann immer gesagt, es erinnert ihn an seine Zeit in Schottland, wo er so gerne Chicken Curry gegessen hat. Ich wusste gar nicht, dass er jemals länger in Schottland war. Kein Mensch weiß darüber etwas“, so Milica, und in der Tat, eine Querverbindung von Georg Danzer zu Schottland? Griechenland, Spanien, Deutschland sowieso, aber Schottland?
Im Wohnzimmer der Theessinks hat Georg Danzer keinen großartig-emotionalen Abschied von seiner Gitarre genommen. „Für ihn war das vorbei, obwohl ihm seine Gitarren immer sehr wichtig waren“, sagt Hans. Vielmehr hat er sich darüber geärgert, nicht schon früher zu rauchen aufgehört zu haben. Seiner kleinen Kinder wegen. Über Gigs und Auftritte haben die beiden Musiker gesprochen. Georg hat ein paarmal davon angefangen, dass Hans sich glücklich schätzen kann, weil er sein Publikum auf der ganzen Welt findet und er halt nur hier. Man erinnerte sich daran, wie man in den unterschiedlichen Locations in Deutschland Grüße an den anderen hinterlassen hat, weil man am Spielplan sah, dass der Kollege auch bald hier auf der Bühne stehen würde.
Nachdem Georg Danzer dann gegangen war, war es merkwürdig ruhig geworden in der Wohnung. Hans trug die Gitarre in das Musikzimmer und Milica versuchte, die Gedanken zu ordnen. Man geht nach so einer Begegnung nicht einfach zur Tagesordnung über. Da muss sich erst einmal etwas setzen. Am 26. Mai erreichte die beiden eine Mail von Georg. Darin die Frage: „Hat Hans die 12er schon öffentlich gespielt ???? Wenn ja, wie ging’s?“ Bald schrieb Milica, und wieder war das Curry ein Thema. Milica schlug vor: „Ich bringe es dir“. Am 14. Juni schrieb Georg zurück:
Liebe Milica, ich darf alles essen, die sind schon froh, wenn ich überhaupt was esse. Das wäre echt ein Hit, wenn ihr mit so einem Chicken vorbeikämet. Die Getränke gehen natürlich auf uns. Und wir machen uns hier einen netten Abend. Das fänden wir wirklich super.
Da können wir auch über alles reden. Wir müssen nur einen Termin zusammenbringen. Bei uns geht es gut in der nächsten Zeit.
Also, alles Liebe
Bussi Gruß an Hans
Euer Georg
Aus der „nächsten Zeit“ wurde keine Zeit mehr. Dann ging es schnell. „Warum immer nur die Guten?“, fragte Milica, als sie an unserem Abend den Tisch abräumte. „Only the good die young“, sang schon Billy Joel. „Ich kann nicht von ‚gegangen‘ sprechen“, sagt Hans, „dazu ist er bei mir immer noch zu präsent.“