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„Geben S’ doch dem Herrn, was er will!“
ОглавлениеWolfgang Ambros
Ich bin das, was man einen Ambros-Versteher nennt. Ich mag seine Art, das Knorrige und dass er auf seine Art ein grader Michl ist. Von der Art her. Sein Rückgrat war weniger grad. Es war eher „wie die Streif“, wie ihm sein Orthopäde erklärt hatte.
Über Wolfgang Ambros wird viel gelabert. Auch weil er durch körperliche Beeinträchtigungen bis Mitte 2014 nicht so oft auf der Bühne zu sehen war wie in den Jahren zuvor, aber wer da was gesagt hat, es war mir und ist mir immer schon egal. Heute geht es ihm wieder besser. Wolfgang „steht wieder grod“ – die „Streif“ wurde begradigt, mehrere Wirbel wurden entfernt und er ist dem Sensenschwinger ohnehin schon mehr als einmal von der Schaufel gehüpft, deshalb habe ich mir nie richtig Sorgen um ihn gemacht. Ich weiß noch, wie sich Wolfgang Ambros bei Steffi Wergers Stadthallenkonzert, dem legendären Abend mit ihren Freunden im November 2013, schwer tat, auf dem Barhocker zu sitzen. Der Mann hatte offensichtlich heftige Schmerzen. Im Rücken war etwas kaputtgegangen, mehrere Wirbel waren verschoben und die Operation stand erst bevor. Christian Kolonovits zählte das Orchester ein, die Glockenschläge vom „Zentralfriedhof“ läuteten das Lied ein und der Wolfgang war präsent. Da war kein Funke von Schwäche in der Stimme. „Es lebe der Zentralfriedhof und alle seine Toten …“
Ich habe unzählige Ambros-Konzerte gesehen und werde nicht müde darauf hinzuweisen, dass er den Soundtrack zu meiner Pubertät geliefert hat. Das wird man nicht los. Nie. Daher bin ich Ambros-Versteher und als ich einige der offiziellen Pressetexte für ihn schreiben durfte, hat mich das auf besondere Weise berührt. Einmal hat er mir eine lange persönliche Widmung auf einen meiner Texte geschrieben und diesen Zettel habe ich mir eingerahmt. Er hängt heute über meinem Schreibtisch.
Am 13. September 2014 hat es wieder geschüttet. Ein Samstag mit Regen ohne Unterlass. Der Blick in den grauen Himmel trübte das Gemüt, während Wasser auf das Autodach trommelte. Wieso heißt es eigentlich „Verkehrsstrom“, wenn in Wien bei Regen der Verkehr nicht strömt, sondern steht? Peter Fröstl rief an. Er ist der langjährige Manager von Wolfgang Ambros und Peter war in diesem Moment der Stimmungsaufheller. Wolfgang sei in der Stadt und wenn ich wolle, dann ginge sich ein langer Kaffee aus. Klar wollte ich! 14 Uhr, Café Tirolerhof. Passt!
Ich war früher da. Bin eigentlich immer früher da und setzte mich so, dass ich den Eingang im Blick hatte. Durch die großen Fenster sah ich Wolfgang Ambros im Regen langsam näherkommen. Ich stand auf und riss von innen die Kaffeehaustüre auf, weil irgendetwas zu klemmen schien. Es klemmte nichts, sondern der Wolfgang hatte schon von außen seine Hände am Griff. Ich riss einen entgeistert dreinblickenden, den Spazierstock fest umklammert haltenden Herrn Ambros in den Tirolerhof. „Hoitaus … ah … Servas!“
Im Raucherbereich erzählt er, dass es ihm den Umständen entsprechend gut gehe. Irgendein Nerv sei von der Operation noch beleidigt, aber alles sei viel besser als vorher. Der Kaffee wird serviert und nach dem Kaffee kommt noch ein Kaffee. Und bei Kaffee bleibt’s auch. Am Abend steht ein Konzert in Hennersdorf an. Open Air am Sportplatz! Nach der Zeit der Rekonvaleszenz steht Wolfgang Ambros wieder auf der Bühne und dann schüttet es wie blöd und noch dazu ist es saukalt. „Was soll man machen, es ist, wie’s ist, also schau ma mal.“
„Kannst du dich noch daran erinnern, wie du den Georg kennengelernt hast?“ – „Ja, ganz genau.“ 1973 erschien das zweite Album von Wolfgang Ambros. Programmatischer Titel: „Eigenheiten“. Wesentlichen Anteil an dem Album hatte Ambros’“ damaliger Manager Johann Hausner, und bei dem Lied „I drah zua“ hatte auch Georg Danzer mitgewirkt. Ambros und Danzer kannten sich damals persönlich nicht. Man wusste voneinander.
„Als Songschreiber war er mir ein Begriff, aber getroffen hatte ich ihn vorher nie. Der Hausner hat damals eine Plattenpräsentation organisiert. In irgendeinem Keller im dritten Wiener Bezirk. Kein Lokal, eher etwas, das man heute Eventlocation nennen würde. Da war ein Buffet aufgebaut, eines, wie es damals üblich war. Schmalzbrote, Liptauer, Doppler mit Wein. Ich sehe den Georg und denke mir nur: Ah, da schau, der Typ ist auch da. Ich kannte ihn ja nur aus der Zeitung als den Liedermacher für andere Leut.“
Plattenpräsentationen sind Medienevents. Interviews, Fotos, kurze Live-Kostproben und nach 30 Minuten ist Small Talk und die Platte läuft im Hintergrund. „Ich seh, wie sich der Georg beim Buffet anstellt, und krieg mit, dass der Typ, der dort den Wein einschenkt, ihm nichts geben will, weil er offenbar keine Einladung mithatte. Da bin ich hin und habe zu dem Kellner gesagt: „Heans, das ist meine Veranstaltung und ich sag Ihnen, der Mann kriegt, was er möchte.“ Na und so sind wir ins Reden gekommen“. Schmalzbrot und ein Viertel Wein. Der Anfang einer jahrelangen, intensiven Freundschaft.
„Wir haben ganz in der Nähe gewohnt. Er hinter der Heller-Zuckerlfabrik im zehnten Bezirk, rechts von der Laxenburger Straße, und ich links, in der Leibnitzgasse. Keine zehn Minuten waren wir voneinander entfernt. Wir mussten nur über die Laxenburger Straße drüber und dann durch die Gasse, und so haben wir uns damals fast jeden Tag gesehen. Unsere Frauen sind in die Arbeit gegangen und wir haben Lieder geschrieben wie die Karnickel. Einer hat den anderen angerufen: Du, ich hab gestern da was geschrieben, und so ist das hin- und hergegangen. Er war der Erste, der ‚Zwickts mi‘ gehört hat und ich der Erste beim ‚Nackerten im Hawelka‘“.
„Jö schau“, der Hit, der große Durchbruch. Am Anfang standen Bedenken. „Der Georg hat mir das vorgespielt und ich hab ihm gesagt: ‚I glaub, des gibt an Wickel!‘“ Ein Wickel – ein Problem. Das Kaffeesiederehepaar Leopold und Josefine Hawelka, in der Dorotheergasse 6 hatte keine Ahnung, was mit diesem Lied auf sie zukommen würde. „Wir waren da ja fast jeden Tag und ich hab dem Georg gesagt, dass das Lied ein echter Wahnsinn sei, aber was würden die Hawelkas sagen?“ Den Hawelkas wurde dieses Lied vorher nicht vorgespielt. Erst als die Platte herauskam, wurde ihnen klar, dass sie nun Teil einer wienerischen Liedermachergeschichte waren. „Am Anfang waren die Hawelkas amüsiert, weil es ein lustiges Lied war, aber dann sind autobusweise die Leute schauen gekommen, weil sie wissen wollten, wie das da so ist, und das hat ihnen dann weniger gefallen“, erzählt Wolfgang und auch das berühmte „Gulasch und a Seidl Bier“ hat es gegeben. Nahezu täglich. „Entweder auf seiner Seite von der Laxenburger Straße oder auf meiner, in irgendeinem der vielen Wirtshäuser.“ „Der Georg“, sagt Wolfgang, „war ein großer Dichter und Denker … Vor allem hat er sehr schnell ein Gefühl dafür entwickelt, was bei den Leuten ankommt. Fast den gesamten ‚Zentralfriedhof‘ haben wir miteinander gemacht. ‚Heute drah i mi ham‘ ist vom Georg und wenn ich mit dem Christian Kolonovits im Studio am Album gearbeitet habe, war der Georg oft dabei“. Ambros und Danzer waren zu dieser Zeit wie kommunizierende Gefäße. Gingen gemeinsam auf Tour. Zu zweit mit Band. „Was lange später A3 war, haben wir damals zu zweit gemacht.“ Sie drückten die Hits raus wie die Hennen die Eier. „Irgendwann haben wir beide das Gefühl bekommen, dass wir verflachen. ‚Hupf in Gatsch‘ und solche blödsinnigen Sachen, die haben zwar funktioniert und die Gehälter bezahlt, aber wir wussten, das muss aufhören mit den Blödeleien. Beim ‚Zentralfriedhof‘ habe ich erkannt, dass Lieder wie die ‚Kinettn‘ oder ‚Heute drah i mi ham‘ durchaus auch Hit-Potenzial hatten. Die wurden zwar nie so oft im Radio gespielt, aber den Leuten haben sie gefallen und so bin ich wieder zu meinen Wurzeln zurückgekehrt und der Georg auch.“
Gemeinsam machte man mehrere Urlaube in Spanien. Wolfgang war Georgs Trauzeuge bei seiner ersten Hochzeit. „Wir waren wie junge Hunde und haben es ordentlich krachen lassen“, erinnert sich Wolfgang Ambros, und als er in die USA ging, weil ja vielleicht dort auch noch eine Welt wartete, die erobert werden konnte, ging Danzer zuerst nach Spanien, Jahre später nach Deutschland. „Er hat mir von seinen Plänen nichts erzählt. Ich war ja in Amerika und habe nach einem halben Jahr bemerkt, dass das wohl nichts mehr wird mit der Weltkarriere.“ In Mexiko ausgeraubt, in New York in kleinen Clubs gespielt, in Arizona das Land lieben gelernt, so ist die Zeit vergangen. „Von heute auf morgen bin ich wieder nach Hause.“ Da war alles anders. Die Frau war weg, das Haus in Inzersdorf leer, die Birne voll Koks. Die besten Voraussetzungen für ein Album, das den Titel „Hoffnungslos“ tragen sollte. Nur die Band hat sich gefreut. Die konnte wieder auf die Bühne. 1977. „Hoffnungslos“ war der Beginn der Herren-WG – Wolfgang Ambros und seine Musiker wohnten gemeinsam im Haus in Inzersdorf.
„Ja, dann habe ich gehört, der Georg ist wieder in der Stadt, und ich habe versucht, ihn zu erreichen.“ Georg Danzer pendelte zu dieser Zeit wieder zwischen Wien und Deutschland. Man traf sich, telefonierte wieder öfter miteinander. Wolfgang Ambros hatte in der Zwischenzeit auch Rainhard Fendrich kennengelernt und der Titel des Albums aus dem Jahr 1983, „Der letzte Tanz“, war wohl nur mehr Titelsong und nichts anderes mehr, aus dem sich etwas deuten ließe.
„1987 und 1988 haben wir uns wieder öfter gesehen, haben uns wieder neue Lieder vorgespielt. Die depressive Zeit war vorbei. Wir waren erwachsener geworden. Ich habe dann das Studio in der Achau gebaut und 1990 war er dann bald wieder ganz in Wien.“ Ambros hilft Danzer bei der Haussuche in Österreich und die Mutter von Wolfgang Ambros wird später oft auf die Danzer-Söhne aus zweiter Ehe aufpassen, denn irgendwann rief Rainhard Fendrich an. „Der Rainhard kannte den Georg nicht und wollte ihn kennenlernen, und so haben wir uns bei mir daheim im Haus im Wienerwald alle drei getroffen. Ich habe ein Feuer angezündet und wir sind zu dritt rund um den Kamin gesessen, als der Rainhard mit einer Idee dahergekommen ist.“ Ein Konzert sollte es werden. Ein Fendrich-Konzert und dann die beiden Kollegen als Gäste auf die Bühne kommen. Das Ganze sollte einem guten Zweck dienen und als einmalige Geschichte gut in Erinnerung bleiben. „Georg und ich haben dann nur gesagt: „So geht des net … Wenn, dann aus uns drei eine eigene Band machen und nicht nur eine einmalige Charity-Geschichte, sondern auch öfter gemeinsam auftreten.“ So war’s.“ Was für eine Idee! Chemisch hochbrisant, hocken drei Alphatiere gemeinsam auf der Bühne, spielen Lieder der anderen und diese magischen Momente, die dabei entstehen, reiften über Jahre sogar zu einem Stück österreichischer Popgeschichte.
Waren bis zu dem Zeitpunkt, als die drei Herren 1997 zum ersten Mal unter „Austria 3“ auftraten, den Österreichern unter diesem Namen nur billige Zigaretten ein Begriff, ist es heute dieses Trio, das den Namen prägte und die Tschik ausdämpfte. Die Idee, das Trio Austria 3 zu nennen, hatte Blacky Schwarz. Es ging um die Unterstützung von Obdachlosen und Georgs erster musikalischer Erfolg, die Geschichte des Poldi „Tschik“ Jappl, behandelte das Thema. Schwarz hat diesen Namen vorgeschlagen, was bei allen Beteiligten gut ankam. Austria 3: 1997 bis 2006. Unmittelbar nach dem letzten A3-Konzert wird bei Georg Danzer der Lungenkrebs festgestellt.
Wolfgang Ambros war zu dieser Zeit in Griechenland: „Ich bin am Boot gehockt und habe irgendwas am Motor herumgetan, als mich meine Mutter anrief. Meine Mutter hatte eine gute und enge Beziehung zu Georg und zu seiner Frau, hat oft auf die Kinder aufgepasst, wenn wir unterwegs waren. Die hat den Georg furchtbar gern gehabt. Meine Mutter sagte: ‚Du, ich bin da beim Georg und der will dir etwas sagen …‘ Ich denk mir, warum lasst der meine Mutter anrufen und ruft nicht selbst an? Was ist denn los? ‚Er sagt dir das besser selber‘, und dann gibt sie dem Georg den Hörer: ‚Bevor du es in der Zeitung liest …‘ ‚Ich bin in Griechenland, ich lese hier keine Zeitung.‘ ‚Na gut, bevor du es von wem anderen hörst, sollst du es von mir hören: Ich habe Krebs! Lungenkrebs.‘ Mir hat es die Sprache verschlagen. Lungenkrebs – der Killer-Cancer! Das Gespräch war kurz und bündig. Ich habe aufgelegt, mache den Motor wieder zu und gehe rauf zum Haus. Ich war da ganz alleine in dem Haus in Griechenland, sitze dort wie erschlagen und denke nur immer wieder und immer wieder das Gleiche: ‚Was für eine Scheisse!‘“
„Während der Zeit, in der Georg krank und kränker wurde, kam ich drauf, dass ich auch Krebs hatte. Wir haben telefoniert, uns immer wieder getroffen, uns von den Therapien erzählt und darüber geredet, was wir noch alles miteinander unternehmen könnten.“ Ambros und Danzer, die beiden so unterschiedlichen Typen, die auf ihre Weise zusammenfanden, auch dann, wenn es gekracht hat, weil beide ja nicht grundsätzlich und unbedingt von Emotionsausbrüchen befreit waren, für die beiden Männer war die Krankheit etwas, was plötzlich zum Thema wurde und mit dem man umzugehen hatte. „Dann hat der Georg angerufen und mir gesagt, dass er gerade wieder von einer Untersuchung zurück ist und dass es nun endgültig keine Chance mehr gebe. Der Krebs sei in den Knochen, er werde nicht mehr gesund. Obwohl ich das gespürt hatte, hat mich dieses Gespräch total umgeweht. Ja, und eines Tages im Juni …“ Wolfgang Ambros richtet seinen Blick hinaus durch das hohe Fenster ins nasskalte Wien. Es ist dem Mann anzusehen, dass die Erinnerung immer noch schmerzt. „Ich kann nicht sagen, dass ich das schon restlos verdaut habe. Wenn ich da so sitze und mit dir rede … da sind so viele Dinge und Situationen, die mir einfallen. Weißt du, für mich ist das noch nicht vorbei.“
Der Kaffee ist kalt und in Niederösterreich wartet eine Open-Air-Bühne auf den Mann, den die Fans in Österreich über Jahrzehnte mit „Wooolferl, Wooolferl“-Rufen in der Wiener Stadthalle frenetisch empfingen, dessen Lieder eine ganze Generation Österreicher geprägt und viele davon auch auf und neben der Skipiste begleitet haben.
Peter Fröstl holt Wolfgang ab und ich sage zum Abschied zu ihm: „Bleib senkrecht, Wolfgang!“ Der lächelt nur, sagt leise mit seiner brüchigen Stimme „baba“, nimmt den Stock und verlässt langsam durch die Rauchschwaden das Lokal. Am Abend, wenn die Band anreißt, der Günter Dzikowski in die Tasten haut, Harry Stampfer an den Drums werkt und Peter Koller das Stromruder bedient, dann wird er wieder recht gerade am Mikro stehen und über unser Leben singen. „Steh grod“ heißt eines seiner jüngeren Alben. So soll es sein, denn mit 62 ist lang noch nicht Schluss.