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„Georg, i brauch a Liad“
ОглавлениеMarianne Mendt
Sommer 2014. Ein Sommer, der nie so richtig in Fahrt kam. Heiß. Kalt. Wechselbäder im Tagesrhythmus. Der 19. August war ein Dienstag. In Wien bei Hitze ins Auto gestiegen, zählte sich das Außenthermometer nahezu mit jedem Kilometer Richtung Norden nach unten. Ich im Hemd, und auf der Windschutzscheibe schoben die Scheibenwischer literweise das Wasser zur Seite. Ich war unterwegs nach Gars am Kamp. Niederösterreich, das romantische Waldviertel. In einer Stunde ist man von Wien aus am Hauptplatz der Marktgemeinde. Im 19. Jahrhundert war es ein beliebter Ort, um Sommerfrische zu tanken, und es zog damals viele Wiener ins Kamptal. Villen wurden gebaut, und diese prägen bis heute das Ortsbild. Gars hat etwas Romantisch-Vergängliches und das ergibt eine schöne, unhektische Stimmung. Der Fitnessprofessor Willi Dungl hatte in den 1980er-Jahren mit der Eröffnung seines „Bio Trainingshotels“ wieder eine illustre, durchaus auch prominente Gästeschar nach Gars geholt, allein, dem Projekt war nach dem Tod Dungls 2002 keine viel längere Zukunft mehr gegönnt. Heute heißt das Haus „la pura, – women’s health resort kamptal“, und Männer haben da nichts zu suchen. Was ich nicht wusste, mich aber nicht davon abhielt, zu Marianne Mendt zu sagen: „Ich komme hin, wo auch immer du willst.“ Marianne schlug das Restaurant „la pura“ vor, und wie immer rief ich meine Frau an, um ihr zu sagen: „Ich fahre jetzt weg.“ Das ist so ein Ritual. Bei Abfahrt und Ankunft. Bin da, alles ist gut. „Wo triffst du dich mit ihr?“ „In einem Hotel, heißt ‚la pura‘.“ „Da darfst du nicht rein. Ist nur für Frauen.“ Nicht wahr! Wieso darf ich da nicht rein? Egal. Ausgemacht ist ausgemacht, und ich fahre nicht nach Gars, um wo nicht reinzudürfen. Im Restaurant war alles kein Problem. Es gibt da eine Ecke, wo sogar Männer etwas zu essen kriegen, und ich hatte nicht eine Sekunde das Gefühl, dass man mich hier nicht haben wollte. Vielleicht auch, weil außer mir niemand da war. Ich war eine gute Stunde zu früh. Wieder einmal. Mit dem Eintragen von Terminen habe ich so meine Probleme. Vertue ich mich in der Zeile, macht das gleich eine Stunde Unterschied. Aber egal, man muss das als geschenktes Zeitfenster sehen, als eine Stunde unerwarteten, genussvollen Müßiggangs.
Draußen schüttete es, ich saß im Trockenen, an einem weiß gedeckten Tisch und dachte so vor mich hin. Marianne Mendt war meine erste Gesprächspartnerin für das Danzer-Buch. Blacky Schwarz und ich hatten eine Liste erstellt, bei wem wir gerne Erinnerungen an Georg hervorkitzeln würden. Es sollten Menschen sein, die mit Georg Danzer in unterschiedlichen Epochen seines Schaffens zu tun hatten, und da stand Marianne Mendt ganz oben am Zettel. Nach Gars war ich gekommen, weil Marianne hier seit 1983 ein Haus besitzt und nicht weil sie im „la pura“ eines der Wohlfühl-Packages in Anspruch nahm. Nach Gars kam sie über René Reitz, Musikverleger, Musikproduzent der ersten österreichischen Popularmusikstunden und eine auf seine Art bunte Branchenlegende in diesem Land. René werden wir einige Seiten später besuchen, aber Marianne, das Haus, Georg … das zeigt sehr schön: So gut wie alles steht in diesem kleinen Österreich immer irgendwie miteinander in Verbindung. Das Land ist zu klein, als dass man sich in einer Szene nicht kennen und immer wieder über den Weg laufen würde. Wer sich mag, trifft sich, schließt Freundschaften, und diese Freundschaften gehen auch in den beruflichen Bereich hinein. Man arbeitet halt einfach lieber mit Menschen, die man kennt, da gibt’s keine wirklichen Hemmschwellen, und Kreativität gedeiht dann am besten, wenn sie einfach laufengelassen wird. Das geht im Freundes- und Bekanntenkreis besser. Keine Hemmungen, keine Schranken, raus mit dem, was in einem drinsteckt. Karin Reitz, die Frau von René Reitz, hatte dereinst ein Haus in Gars am Kamp geerbt und so wie Renés Wohnung am Judenplatz in Wien war auch dieses Haus oft Treffpunkt des Reitz’schen Freundeskreises, der sich in erster Linie aus Künstlern, Kreativen und Freigeistern zusammensetzte.
Ende der 60er-, Anfang der 70er-Jahre war Marianne Mendt aus der Clique rund um Gerhard Bronner und der Fledermaus-Bar jene Künstlerin, die man heute mit dem Beginn der Dialektwelle in der Musik verbindet. „Wie a Glock’n“ erschien 1970, und seither ist Marianne die „Mutter des Austropop“. Ambros, Danzer und die vielen anderen, sie folgten erst ab 1971, beginnend mit dem „Hofa“. Obwohl Marianne Mendt ihr Herz immer schon dem Jazz verschrieben hatte, die „Glock’n“ im Big-Band-Sound daherkam und – abgesehen vom Dialektgesang – nichts mit dem zu tun hatte, was die besagten Herren taten, trägt sie diesen Titel und freut sich darüber.
„Es ist ja eine Ehre“, sagt sie, „und die Bezeichnung Austropop ist auch ganz in Ordnung“.
Ich habe zu Marianne sowohl eine Fern- als auch eine Nahebeziehung. Die Fernbeziehung stammt aus der Zeit, als ich das Land verließ und nach Mainhatten, die Bankenstadt am Main, zog. Zu dieser Zeit lief im ORF gerade der „Kaisermühlen Blues“. Über 60 Folgen lang war die Serie, meine Nabelschnur zur Heimat. Ich ließ mir die einzelnen Folgen auf VHS-Kassette aufnehmen und bei meinen Wien-Besuchen holte ich mir dann die Bänder und schleppte sie nach Deutschland. Es tat mir gut. Da wurde über Semmeln gesprochen und nicht über Brötchen und, obwohl ich nicht an Heimweh litt, war es einfach schön, den vertrauten Zungenschlag zu hören. Marianne spielte in der Serie die Trafikantin Gitti Schimek und obwohl ich weiß, dass sie ihr Leben lang nichts anderes als singen, jazzen und schauspielen möchte, könnte ihr im nächsten Leben ein Platz hinter der Budel einer echten Wiener Tabaktrafik vom lieben Gott reserviert werden. Sie war in dieser Rolle einfach umwerfend authentisch. Solche Erinnerungen kommen halt auch dann auf, wenn man eine Stunde zu früh am Treffpunkt ist und Zeit zum Nachdenken hat.
Marianne und Günzi tauchen im Restaurant auf. Günther Huber kenne ich vom Fernsehen. Also nicht vom Schirm, sondern als ehemaligen Mitarbeiter des ORF. Jahrzehnte hat er dort in verschiedenen Positionen verbracht, und – ich sage es gerne und immer wieder – ich habe viel von ihm gelernt. Auch darüber, wie eine große TV-Anstalt tickt. Wir haben zahlreiche Fernsehshows gemeinsam gestemmt und sind Freunde geworden. Günzi wiederum ist Freund und helfende Hand von Marianne. Mit seiner Huber Communication und Künstleragentur kümmert er sich unter anderem auch um das „MM Jazzfestival“, Mariannes Herzensangelegenheit, das Fördern des heimischen Jazz-Nachwuchses. 2014 war Jubiläumsjahr. 50 Jahre Bühnenjubiläum und zehn Jahre Nachwuchsförderung. Zum Jazz ist sie damals gekommen, als ihr Papa eine Ella-Fitzgerald-Platte mit nach Hause gebracht hatte. Marianne war zwölf, und was da aus dem Hornyphongerät erklang, war die Initialzündung einer Flamme, die heute noch brennt wie am ersten Tag. Später tingelte sie mit einer Coverband durch Europa, spielte in Tanzlokalen, zum Dinner oder auf der Terrasse direkt am Wörthersee. „Wenn wir schon müde waren, beim Werzer in Pörtschach zum Beispiel, dann haben wir so gegen eins in der Nacht zu jazzen begonnen, denn dann dauerte es nicht mehr lange, bis die Leute ‚Zahlen!‘ gerufen haben“, erzählt sie und lächelt dabei. „Mit dem Jazz hast du in Österreich in den 60er-Jahren das tanzende Schlagervolk nur sehr bedingt erreicht, aber für die Liebe muss man ja bekanntlich sein ganzes Leben lang kämpfen, und heute, wo sich die Situation schon anders darstellt als damals, ist es halt der Nachwuchs, für den es sich einzusetzen lohnt. War man doch selbst einmal Nachwuchs und weiß, wie schwer man es da hat.“
Marianne, die Künstlerin, und Gitti, die Trafikantin, schön, die beiden wiederzutreffen. Lunchtime in Gars. „Den Georg“, sagt sie, „den habe ich damals, das war 1970, kennengelernt. Über Gerhard Bronner, die Fledermaus Bar und den Franzi Heller.“ Franzi Heller – André Heller ist es, der gemeint ist, und dass ihn bis auf einen einzigen meiner Gesprächspartner im Zuge dieser Buchrecherchen niemand André genannt hat, ist so herrlich wienerisch. Wenn einer als Francis Charles Georges Jean André Heller-Hueart geboren ist, dann nennt man ihn hier „Franzi“. Und aus die Maus!
„Georg ist damals viel mit dem Franzi unterwegs gewesen, und ich hatte schon das Gefühl, dass es der Franzi war, der das Zepter in der Hand hatte, denn der war immer schon ein begnadeter Redner. Georg schaute ein bissl zu ihm auf und war eher der Schweigsamere, Introvertierte, und es kam auch immer wieder vor, dass der Franzi ihm ‚die Wadln zurecht gerichtet hat‘, wie man in Wien sagt. Der Einfluss von Heller auf den Georg war auch gut, denn der hat Georg und sein Talent sehr geschätzt.“
Es war die Bronner-Clique. Gerhard Bronner schrieb für Marianne Mendt die „Glock’n“ und Heller produzierte ihre zweite LP. Reitz, Heller, Mendt – eine Musikerpartie, zu der auch Georg Danzer gestoßen war. Man musizierte, diskutierte, philosophierte und blödelte gemeinsam, zog durch die Stadt und landete danach oft in der Wohnung des René Reitz, wo die Nacht dem Tag das Zepter übergab. „Georg war auch oft bei René in Gars, und auch da fand ich, dass er eher verschlossen war. Wir haben nächtelang gepokert, unseren Spaß gehabt“, erinnert sie sich. Die Freundschaft begann durch Georgs Gabe, Lieder spontan zu schreiben, die zu dieser Zeit wohl einzigartig in diesem Land waren. Georg Danzer war Texter und Komponist. Er dachte damals nicht daran, selbst auf die Bühne zu steigen. Er schrieb Lieder für Künstler, die gute Lieder brauchten. Für sich selbst – davon war nicht die Rede. „Da war er schlichtweg genial“, sagt Marianne. „Wenn es geheißen hat: ‚Georg, i brauch a Liad‘, dann hat er dir am nächsten Tag fünf gebracht. Und die waren alle gut! Fünf neue Lieder. Keines davon aus der Schublade. ‚Komm alter Pianospieler‘ – das hat er unter anderem für mich geschrieben und was ihn auszeichnete: Er hatte die Gabe, auch weibliche Texte zu schreiben. 2000 schrieb er für uns beide das Duett ‚Wird scho werden‘, das dann auf meiner CD ‚Freunde und Propheten‘ erschienen ist. Oft war Georg Danzer bei den Plattenaufnahmen im Studio mit dabei. In der Wiener Rotgasse, wo Gerhard Bronner sein Studio hatte, oder im Bauch des Wiener Konzerthauses, wo das legendäre Austrophon Studio zu Hause war. Wie immer im Hintergrund, beobachtend, da und dort ein Wort korrigierend, wenn es sich gesungen weniger gut dargestellt hat als geschrieben.“
Als es dann mit „Jö schau“ losgegangen ist, ist die Clique auseinandergefallen. Danzer ging als Interpret auf Tour und es hatte ohnehin jeder viel zu tun. Der Kontakt blieb locker erhalten. Man traf sich in diesem Geschäft immer wieder. Bei TV-Auftritten, gemeinsamen Konzerten und Veranstaltungen, aber die Pokerrunden in Gars und lange Nächte in der Judengasse waren ab da Vergangenheit. „Ende der 80er-Jahre war der Georg wieder bei mir in Gars. Da ist er mit seinem Aufnahmegerät vorbeigekommen und wir haben bei mir daheim am Dachboden das Duett ‚Heasd Karli du bist a Wahnsinn‘ aufgenommen. Meinen Part, diesen Refrain, habe ich da aufs Band gesungen, und ich weiß noch, dass ich meinen Vater ein paar Mal gebeten habe, darauf aufzupassen, dass der Hund nicht bellt … Später sind wir uns immer wieder einmal über den Weg gelaufen. Im Kanzleramt (Restaurant in der Wiener Innenstadt, Anm.) hat er mir einmal erzählt, dass er jetzt aufgehört hat zu rauchen. – Wie das? Hätt’ ich nie gedacht, denn vorher hat er ja die Zigaretten nahezu gefressen. So wie wir alle hat er ja mit 13 zu Rauchen begonnen und so wie wir alle haben wir in der Zeit, wo wir unterwegs waren, geraucht wie die Wilden … Wir alle … bis auf den Franzi Heller, der hat nie geraucht.“
Der Kaffee wird serviert und Marianne rührt gedankenverloren im Milchschaum. „Wie er gestorben ist, daran kann ich mich noch gut erinnern, und heute drückt’s mich noch, wenn ich daran denke. Günther und ich, wir wollten uns die Barbra Streisand anschauen. Das Konzert beim Schloss Schönbrunn war für den 20. Juni 2007 geplant. Das war ein Mittwoch, aber da ist ein mordsmäßiger Sturm gegangen. Alles abgesagt. In dieser Nacht ist der Georg gestorben, und am 21. Juni wurde das Streisand-Konzert nachgeholt. Dieser Abend war für mich emotional sehr schwer zu verdauen. Ich weiß noch, es war grauslich kalt, der Wind ist gegangen und wie die Streisand begonnen hat ‚Somewhere‘ zu singen, war’s vorbei und ich habe nur mehr geheult … Da waren die Bilder wieder im Kopf, vom letzten Konzert in der Stadthalle, wo er mich auch eingeladen hat und ich mich riesig drüber gefreut habe. Angekündigt hat er mich mit ‚Frau Marianne Mendt!‘. Und was für eine positive Stimmung da unter den Künstlern geherrscht hat … Wir waren uns alle sicher, der packt das, der kriegt den Krebs in den Griff …“
Marianne nimmt einen Schluck Kaffee und lehnt sich zurück. „Was vom Georg bleibt? Viel. Sehr viel. Natürlich seine Lieder, alles, was er geschrieben hat, das bleibt. Für mich, für andere, für sich … Für mich sind da auch die Erinnerungen an sein Engagement wie für S.O.S. Mitmensch, wo ich von ihm ja das Zepter, den Ehrenvorsitz, übernehmen durfte. Aber was für mich immer im Zusammenhang mit dem Georg die wichtigste Erfahrung sein wird: Seine G’scheitheit …, die bleibt auch vom Georg!“
Der Regen hatte aufgehört, aber von Sonne keine Spur. Fette Wolken hingen über Gars, und als wir uns verabschiedeten, klang in mir dieses „seine G’scheitheit, die bleibt“ nach.
Als ich zum Auto ging, sah ich, dass es sich eine Katze vor meinem linken Vorderreifen bequem gemacht hatte. Es heißt doch immer, dass sich Katzen die Menschen aussuchen, mit denen sie dann leben werden. Nein, bitte nicht, nicht du! Die Katze war alt, richtig hässlich, ein räudiges Vieh, sah aus wie eine Klobürste und hatte einen grantigen Blick drauf, der mir zeigte, dass ich bei ihr nur der Dosenöffner wäre. Meine Katze hatte ich ein Jahr zuvor erst verabschiedet. Nach 15 Jahren inniger Beziehung mit der tollsten Katze der Welt war ich noch nicht reif für eine neue Liebe. Klobürste dürfte das gespürt haben und trottete davon. Ich fuhr vom Hof. Raus aus Gars. Nach einer Stunde war ich wieder in Wien.