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Die Vertreibung aus dem Paradies

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„I read the news today, oh boy, about a lucky man who made the grade …“ (Zitat aus „A Day in the Life“ von den Beatles, zu hören auf „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“)

Als ich 1963 zwischen siebzehn und achtzehn war, hatte ich eine grandiose Idee. Warum sollte ich nicht versuchen, die Gedichte, die ich zu jener Zeit schrieb, zu Liedern umzuwandeln, indem ich mir auf der Gitarre ein paar Harmonien zusammensuchte und dazu eine textgerechte Melodie erfand? Ich war ein eifriger Hörer der Beatles und dachte mir, dass es doch nicht so schwer sein konnte, etwas Ähnliches wie diese vier jungen Männer aus Liverpool zu machen. Das war mein Einstieg in die Musik, oder besser gesagt, ins Liederschreiben. Dabei ist es bis heute geblieben. Ich bin Liederschreiber.

Nun ist es so, dass man mit sehr unterschiedlichen Ansprüchen ans Liederschreiben herangehen kann.

Die erste Frage, die sich mir damals immer stellte, war die nach dem Inhalt. Es war mir natürlich klar, dass man über nichts schreiben konnte, wovon man nichts verstand. Dem entsprechend war meine Themenauswahl stark eingeschränkt, denn ich verstand von vielem nichts. Ich musste mir eine eigene Welt schaffen, eine unendliche Landschaft der Phantasie, einen inneren Erdteil, einen selber erträumten Kosmos. Es interessierte mich von Anfang an wenig, wer das, was ich mir ausdachte, nachempfinden konnte. Ich komponierte für mich, ich schrieb für mich, ich dachte selten darüber nach, welche Konsequenzen das, was ich da tat, haben würde. Das war ein paradiesischer Zustand, ein zeitloser Moment der Unschuld.

Ich ahnte aber auch, dass irgendwann die Vertreibung aus dem Paradies stattfinden musste. Noch aber hatte mich die Schlange nicht in Versuchung geführt und der Baum, an dem der Apfel der Erkenntnis hing, lag vorerst unsichtbar im Nebel verborgen.

Ich schrieb über verlorene Lieben, die ich nie gehabt hatte, über gefundene Tagträume – am Wegesrand meines Daseins aufgelesen –, die jemand anderer achtlos weggeworfen hatte. Ich bastelte mir erdachte Junggesellenmaschinen aus dem Müll jener Zeit, durch die ich segelte wie einst Odysseus auf der Suche nach der ersehnten Heimat. Ich war das hässliche Entlein auf dem Wege zum Schwan, und gleichzeitig der, der nie Mitglied in einem Klub sein wollte, der Leute wie ihn aufnahm.

Über, unter und neben mir schmatzte und gluckste die Unsicherheit wie ein Sumpf, aber trotz aller Selbstzweifel fragte ich mich doch stets das Eine: Was habe ich zu sagen? Und: Ist es wahr, stimmt es wirklich, oder mache ich mir und anderen etwas vor?

Oft trieb mich ein Gefühl an, eine Ahnung, deren Ursprung ich nicht kannte. Diese Ahnung verwandelte sich zu einer Melodie, die Melodie mündete in Wörter, die zuerst sinnlos dahin zu plätschern schienen, bis sie plötzlich einen Sinn ergaben. Dann floss schließlich alles ineinander und aus der Mitte entsprang ein Fluss.

Manchmal las ich etwas, hörte ich etwas, und wollte darüber ein Lied schreiben. Insgesamt trieb ich in der Strömung dahin und es war gut so. Ab und zu fand ich mich wieder in einer kleinen Bucht am Ufer, wo das Wasser fast zum Stillstand gekommen war. Dort tümpelte ich eine Zeit lang vor mich hin, bis ich spürte, dass es mich wieder hinauszog in den großen Strom, weil ich fühlte, dass ich weiter musste und noch nicht dazu bereit war, mich den Sicherheiten einer gefundenen Nische auszuliefern.

Die Vertreibung aus dem Paradies war längst geschehen, ohne dass ich es bemerkt hatte. Ich konnte nicht einmal mehr feststellen, wann und wo. Der Zeitpunkt hatte sich gut verkrochen hinter dem Erfolg. Er lag verborgen in der bereits von der Dämmerung verschleierten Vergangenheit.

Es passierte zu vieles gleichzeitig, und manches, von dem ich mir stets innig gewünscht hatte, dass es passieren möge, passierte überhaupt nicht.

So veränderte sich alles: ich, mein Leben, die Sehnsucht nach der Sehnsucht, die Liebe und die Lieben, die Freunde und die Freundschaften, die Gegenden, die Landschaft in mir und um mich, das Wissen, unumkehrbar wie der Verlust der Unschuld …. nur die Lieder sind mir das geblieben, was sie waren.

Und immer noch stelle ich mir die Frage: Was habe ich zu sagen?

Und: Ist es wahr, stimmt es wirklich, oder mache ich mir und anderen etwas vor?

Aber da ist doch noch etwas hinzugekommen:

Was sage ich und wem hilft es?

Georg Danzer, April 2005

Georg Danzer - Sonne und Mond

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