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„Schurli, i hab dir immer g’sagt: Geh zur Post!“

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Norbert Ehrlich

Es war die Frühzeit seiner Karriere. „Jö schau“ war gerade der große Hit geworden und im österreichischen Liedermacherzirkus gab es kein spannenderes Duo als Ambros und Danzer.

Die frische Musik, der Dialekt, das Erblühen der Popularmusik im Schnitzelland musste gemanagt werden. Professionell, denn da hatte sich ein Markt geöffnet, und brotlos sollte die Kunst ja auch nicht sein. Die wichtigste Agentur im Österreich der 70er-Jahre war die AMA mit Johann Hausner und Pipsi Fischer. Norbert Ehrlich kam 1975 als Dritter dazu. Hausner war Klagemauer und Manager von beiden: für den Wolfgang, für den Georg. Beide Musiker sind in der Zeit, in der sie von der AMA vertreten wurden, von Nachwuchskünstlern zu erfolgreichen, gestandenen Liedermachern/Austropoppern aufgestiegen. Dort kreuzten sich die Wege der Herren Ambros, Danzer und Ehrlich.

Norbert Ehrlich. 1941. Magister. Jurist und leidenschaftlicher Musiker. Ausgebildeter und praktizierender Pianist, der sich in den 60er- Jahren das Studium am Puls des Volkes finanzierte. Er spielte bei den „Seven Ramblers“ – einer der ersten österreichischen Showbands – im Zirkus Rebernigg, in US-Soldatenklubs in Andalusien und in den 70ern nächtelang mit einem Trio im Bauch des „Wallensteinkellers“. Das Lokal im 20. Wiener Gemeindebezirk war damals nicht der Platz, wohin man fein ausging. Hier regierte das Proletariat in trauter Gemeinsamkeit mit dem Strizzitum der Stadt. Gerauft, geschlägert wurde am Wochenende oft und gerne. Dann hat die Band halt lauter gespielt. Der „Wallensteinkeller“ war eines der wenigen Lokale im damaligen Wien, wo Sperrstunden nur am Papier existierten. Dort brachten Ehrlich und seine Kollegen die Menschen zum Tanzen. Hart verdientes Brot. Eine Schule fürs Leben.

Im Sommer 1975 heuerte Ehrlich bei der AMA an, und in der Agentur wurde gerade die erste Tour von Wolfgang Ambros und Georg Danzer geplant. Die beiden hatten noch keine fixe Band und so sah sich der verantwortliche Tourneeleiter auch gleich als Keyboarder verpflichtet. Tourneeleiter anno 75 – das hieß, für alles verantwortlich zu sein. Alles. Auch dafür, den Bus mit der Verstärkeranlage selbst zu fahren. Privat war das Jahr eher ein unerquickliches für Ehrlich. Scheidung. Und die damit verbundenen Schwierigkeiten finanzieller und emotionaler Natur.

Der 5. Dezember ist in Österreich der Tag, an dem der Krampus die Leutchen heimsucht. Der Höllenknecht mit der grausigen Maske teilt mit der Rute ordentlich aus. Kinderschreck und Brauchtum in einem. Die Teufelsfratze bereitet das Feld vor für den Nikolo, der am Tag darauf, dem 6. Dezember, für die Kinder die Dinge wieder ins Lot rückt. Der 5. Dezember 1975 war erster Tourneetag der ersten Ambros/Danzer-Tour. Ehrlich lenkte den Ford Transit mit der kleinen Anlage im Laderaum auf der Autobahn von Wien Richtung Kärnten. Auf dem Beifahrersitz der Bassist Norbert Niedermayer. Bei Mödling wurde er von einem Pkw geschnitten, machte eine Vollbremsung. Er verlor die Herrschaft über das Auto und überschlug sich. Ehrlich, Niedermayer, der Bus, die Anlage – alles landete im Acker. Mit der Rettung wurde er ins Krankhaus Mödling gebracht. Notaufnahme. Intensivstation. Lungenriss. Serienrippenbrüche. Dem Krampus direkt ins Höllenauge geblickt. Ambros und Danzer sind zwei Stunden später am Unfallort vorbeigekommen und haben ihren zertrümmerten Bandbus im Acker liegen gesehen. Die Feuerwehr war gerade dabei, das Wrack zu bergen. Panik machte sich bei den beiden breit. Bei der Polizei erfuhren sie, dass Ehrlich nach Mödling gebracht worden war. Als Hausner und Ambros schließlich im Krankenhaus auftauchten, liefen sie dreimal an seinem Bett vorbei. Der Mann war schlichtweg nicht zu erkennen. Bandagen überall. Eingewickelt wie eine Mumie. Der Bassist wurde am nächsten Tag mit einer kleinen Blessur am Kopf nach Hause geschickt.

„Christian Kolonovits ist statt mir als Keyboarder kurzfristig eingesprungen, die Tour hat stattgefunden, und einen Tag vor Weihnachten bin ich dann entlassen worden“, erzählt mir Norbert. Wir sitzen in seinem Wohnzimmer im 13. Wiener Bezirk. Hietzing. Ein schönes Wohnviertel unweit des Schloss Schönbrunn. Gepflegter Altbau, hohe Räume, viele Bücher, viel Musik und Kultur und ein großer Flügel. Es ist Dienstag, der 26. August. Vormittag. Norbert Ehrlich kenne ich aus den Vorstandssitzungen des Österreichischen Musikrats. Sein Spezialgebiet ist heute die „Weltmusik“. Er ist Initiator des Festivals Salam. Orient, und die Zeitschrift Die Presse nannte ihn dereinst treffend den „Brückenbauer zum Orient“. Er steht dem Verein „Vienna Acts“ als Obmann vor. Seine Vita ist lebendig und erzählt von der Gründung und jahrelangen Leitung der „Szene Wien“ ebenso wie von den Frühzeiten des Austropop.

1976. Die Wunden verheilten, die Knochen waren geradegebogen und im neuen Jahr saß Ehrlich wieder im Büro. Wolfgang Ambros hat Ehrlich im Januar 1976 bei einem seiner Besuche im Büro hocken gesehen. „‚Wos, du kannst scho wieder kräulen? Na, dann kannst a spün …‘, hat der Wolfgang zu mir gesagt“, erinnert sich Norbert und fügt ergänzend hinzu: „Das hat mich sehr berührt und auch zu einer starken Loyalität geführt. Das habe ich den beiden nie vergessen.“ Norbert war zurück auf der Bühne. Anfang Februar, das letzte und größte Konzert der beiden Freunde im Wiener Konzerthaus. Ehrlich wieder dabei. Das dem Künstler Rückhalt geben war extrem wichtig für das Selbstvertrauen, es schloss auch die seelischen Wunden und war ein Fingerzeig in eine bessere persönliche Zukunft. Der Abend im Wiener Konzerthaus war ein großer Triumph und schloss die Tour ab. „Der Große Saal war ausverkauft. Danzers Vater war da und der Georg war furchtbar nervös. Der Vater sieht, wie sein Sohn herumnerverlt und dann in seiner Nervosität schreit „Warum tu ich mir das alles an?“ Da geht der Vater hin und sagt staubtrocken zu seinem Buam: „Georg, i hab dir immer gesagt: Geh zur Post!“ Ehrlich lacht auch 40 Jahre nach dieser Szene noch laut auf, wenn er sich daran erinnert. „Dieses Zitat war für mich später in vielen Backstage-Situationen so treffend. Wenn Künstler aufgeregt waren, kaum gerade gehen konnten, ganz egal in welchem Genre … „Ja, wärst halt zur Post gegangen!“

Mit diesem Abend im Konzerthaus war die gemeinsame Bühnenzeit von Ambros und Danzer vorerst einmal vorbei. Es sollte viele Jahre dauern, bis sie wieder gemeinsam auf Tour fuhren.

„Jeder der beiden hat seinen eigenen Weg eingeschlagen. Mit Wolfgang ist es dann steil bergauf gegangen. Georg, der ja ein sehr textbezogener, hochlyrischer Mensch war, hat zwar wunderbare Lieder geschrieben, aber nie diesen Erfolg in der Breite erzielt, was später auch zu einem Zerwürfnis mit der AMA geführt hat.“

„Er hat uns halt vorgeworfen, dass wir nicht genug für ihn tun würden, und ich glaube, da war auch ein wenig Eifersucht auf den Erfolg des Wolfgang mit im Spiel.“ Es kam, wie es in solchen Fällen immer kommt. Jemand taucht auf, erklärt, alles besser machen zu können, und Künstler sind in solchen Fällen nur ganz selten immun. Gerd Kämpfe taucht auf. Manager aus Deutschland. Es kommt zum Krisenmeeting im Parkhotel Schönbrunn. „Hausner und ich, wir waren gut auf dieses Gespräch vorbereitet. Konnten Punkt für Punkt jeden Vorwurf Kämpfes bezüglich Plakatierung, Airplay usw. entkräften, aber eines konnten wir nicht: die Leute ins Konzert prügeln.“ Kämpfe verabschiedete sich dann mit dem Satz: „Na, dann habt ihr halt keine „Fortune“! Das war Ende der 70er-Jahre. Was folgte, war das Management von Berlin aus, eine hervorragende Band mit deutschen Musikern, Georg erlebte große Erfolge in Deutschland. Mit Kämpfe gab es später auch wenig „Fortune“. Fortune! Das Glück ist halt ein Vogerl. Das Vogerl war flatterhaft.

Der Lyriker Danzer, der intellektuelle Kopf, der mit „Jö schau“ so erfolgreich war, hatte seinen großen Erfolg, der ihm aber auch den Stempel aufdrückte. Für Österreich war klar: Der Danzer – des is der Sänger mit dem „Nackerten im Hawelka“. Der Hit war Segen und Fluch zugleich. Bei seinen Auftritten war manchmal Publikum mit im Saal, das provozieren wollte. Besoffene, die immer wieder „Emmerich“ brüllten, während er seine Geschichten zwischen den Liedern erzählte. Emmerich Danzer – der in Österreich prominente Eiskunstläufer. Eine Namensgleichheit. Die Besoffenen fanden es witzig. Georg nicht. Er versuchte es zuerst im Guten: „I bin der Schurli, der Emmerich ist ein anderer.“ Mit „Emmerich“-Rufen ging es weiter. Es folgte ein bereits in Richtung roten Bereich gehendes „Was is, wollt’s mi häkeln?“ von der Bühne und als das auch nichts nutzte, kam nach einer Viertelstunde ein „Leckt’s mi am Orsch“ und Georg ging von der Bühne.

„Die Leute waren angefressen, der Veranstalter zahlte nur die halbe Gage und wir sind nach Hause gefahren. Sowas hat er schon gebracht, der Georg“, erinnert sich Ehrlich. „Einmal, in den Sophiensälen, da hat der Georg auf der Bühne gespielt und sieht aus den Augenwinkeln, wie ich irgendetwas mit dem dort diensthabenden Polizisten auf der Seite bespreche. Weil es so laut war, sind der Polizist und ich gerade hinausgegangen, das kriegt der Georg mit und schreit plötzlich ins Mikro: ‚Jetzt wird sogar der Veranstalter von der Polizei abgeführt!‘ Und die Leute haben getobt, Buhrufe und ‚Geh scheißen‘ zum Feindbild Polizist gebrüllt … Das war schon eine turbulente Zeit, damals.“ Georg Danzer trug das Herz durchaus auf der Zunge, vor allem dann, wenn er auf Ungerechtigkeiten stieß. So introvertiert er war, so plötzlich kam das „Häferl“ zum Vorschein. In Wien werden impulsive Menschen „Häferl“ genannt, weil sie plötzlich aufsteigen wie der Schaum der überkochenden Milch im Häfen. Bei Georg Danzer kühlte der Hitzkopf meist schnell wieder ab. Es knallte, dann war es wieder gut. Die Ruhe nach dem Sturm.

Wandern auf den Spuren von Danzer bedeutet immer wieder auch, Orte aufzusuchen, wo er gewesen ist. In Wien reicht es ja oft schon, dass jemand Berühmter irgendwo sein Schnitzel gegessen hat, und eine Erinnerungstafel ziert das Wirtshaus. Offiziell erinnert an den Georg ein U-Bahn-Steg über die Donau. Vielleicht kommt da ja noch etwas. Zumindest eine Gasse in seinem Geburtsgrätzel Gaudenzdorf sollte drin sein.

Ich bin auf den Spuren von Danzer im Wohnzimmer des Norbert Ehrlich gelandet, und dort hatte der Künstler eine Niederlage der heftigeren Art zu verdauen. André Heller und Bernhard Paul. Die beiden stemmten zuvor den Circus Roncalli, aber nach heftigen Auseinandersetzungen ging jeder seines Weges. Georg Danzer wurde, es wird 1977 gewesen sein, der Job des kreativen, bunten Vogels in dem außergewöhnlichen Zirkusprojekt angeboten. Danzers Agentur AMA schickte Norbert Ehrlich nach München, um sich eine Vorstellung anzusehen: „Ich hatte so etwas noch nie gesehen, war verzaubert und begeistert, habe da zwei Nächte im Zirkuswagen übernachtet und mich mit Bernhard Paul getroffen, weil der sehr an Georg interessiert war.“

Zurück in Wien kam es zu zahlreichen Gesprächen mit Danzer. Man wusste, dass die ganze Situation des Zirkus damals finanziell instabil war. Da war der Reiz der kreativen Herausforderung, das Betreten von künstlerischem Neuland für Danzer, und er wusste, dass er Heller nicht eins zu eins ersetzen konnte. „Wir haben hinund herüberlegt und schließlich sagt der Georg: ‚Ich mach’s!‘ Der Zirkus kommt nach Wien, bekommt einen Platz hinter dem ehemaligen 20er Haus, dem Museum des 20. Jahrhunderts im Schweizergarten. Georg stürzte sich in die Arbeit. Schrieb Moderationen, Songs, Konzepte, steckte Fantasie und Engagement in das Programm. Bei der Generalprobe stellte sich dann heraus, dass einige der Artisten nicht auftreten wollten. Erst musste die Akontozahlung auf die Hand. Gagen waren seit einiger Zeit ausständig. Es kam zum Eklat. Die ganze Arbeit umsonst und Georg schmiss hin. ‚Kummt’s, wir gehen!‘, hat er zu uns gesagt, und wir sind gegangen. Zu mir in die Wohnung. Hier im Wohnzimmer ist er dann gesessen, war fix und fertig und hätte am liebsten geheult.“ Eine nur kurze Episode in seinem Leben, aber eine heftige. All die Erwartungen, die Ideen, die langen Nächte – alles vergeblich.

Das Leben des Circus Roncalli ging weiter. Dessen wechselhafte Geschichte hat sich längst zum Positiven stabilisiert, zur Erfolgsstory gewandelt. Auf der Internetseite von Fans des Circus Roncalli ist heute zu lesen: Mit Hilfe von Danzer schrieb der Zirkus endlich wieder schwarze Zahlen. Doch das reichte nicht aus, um das Unternehmen zu retten. Bernhard Paul konnte die Rechnungen der Wiener Gebietskrankenkasse nicht mehr zahlen und der komplette Zirkus wurde gepfändet. In einer „Nacht- und Nebelaktion“ rettete Paul mit seinen Freunden in letzter Sekunde den Circus Roncalli und versteckte alle Wagen und Requisiten im Schlachthof von St. Marx in Wien.

Die Zusammenarbeit von Danzer, AMA und somit auch Ehrlich endete mit dem Wechsel des Künstlers zu Kämpfe. „Die Trennung war eher eine der unfreundlichen Art“, sagt Ehrlich. Danzer und Ehrlich hatten kurze, aber intensive gemeinsame Jahre. Bis zu seinem Wechsel zu Kämpfe war Norbert Ehrlich Georg Danzers Booker und Ansprechperson bei der AMA. Die AMA ist heute längst Geschichte. Finanziell immer wieder auch durch schweres Wasser gesegelt, verstarb Johann Hausner im Juli 1991 bei einem Autounfall. Er fuhr übermüdet und ungebremst in einen Lkw. Pipsi Fischer erlag 2006 einem Krebsleiden. Da war Ehrlich schon lange in der „Szene Wien“ aktiv:

„Für mich war diese Zeit bei der AMA auch persönlich prägend. Ich kam aus einem kleinbürgerlichen Milieu, mit klassischem Klavierunterricht, Cerny-Etüden etc., und habe zum Teil sehr angepasst agiert. Durch den Austropop und durch mein Naheverhältnis zu Musikern wie Donovan und Manitas de Plata, Klaus Doldingers Passport, mit denen wir ja auch arbeiteten, aber vor allem durch Wolfgang und Georg habe ich erfahren, dass man sich dem Mainstream in der Musik und im Leben sehr wohl entgegenstellen kann.

Man muss nicht immer genau das tun, was die Leute von einem erwarten. Durch ihn habe ich einen anderen Zugang auch zu Medien kennengelernt: Der noch unbekannte Ambros hat einen Journalisten des Jugendmagazins ‚Bravo‘ kurzerhand aus der Garderobe geschmissen, nachdem der ihm mit der dritten blöden Frage gekommen war.“

Und, wie ist das so, dieses Zurückblicken? Kommt da Wehmut auf? „Nein, ich lebe in der Gegenwart. Ich war beim Konzert ‚40 Jahre Ambros‘ in der Arena und habe mich sehr gefreut, dass der Gig gutgegangen ist, aber es sind keine starken sehnsüchtigen Gefühle nach der Vergangenheit dabei aufgetaucht – vielleicht ein Hauch von Nostalgie. Alles hat eben seine Zeit, und ich war froh, dass ich nach zehn Jahren in der AMA anderes und andere hören, sehen und erleben konnte – Independent Music, die Musiken Afrikas, des Ostens, modernen Tanz …“

Aber was bleibt für Norbert Ehrlich von Georg Danzer? „Erinnerungen an einen hochsensiblen, differenziert denkenden und formulierenden Menschen. Georg hatte die Fähigkeit, auf der Bühne Suggestivkraft zu entwickeln, sich auch aufzuregen, zu berühren und mit einer prägnanten Formulierung die Dinge auf den Punkt zu bringen. Ich bin sehr froh, ihm begegnet zu sein. Bin aber auch froh, dass mein Leben noch ein paar weitere Haken geschlagen und viel Neues auf mich gewartet hat.“

Georg Danzer - Sonne und Mond

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