Читать книгу Georg Danzer - Sonne und Mond - Franz Christian Schwarz - Страница 12
Der Doktor Gany-Med oder der Poldi Jappl im Papiersack
ОглавлениеRené Reitz
Seit ich in diesem Geschäft tätig bin – das sind nun mittlerweile 41 Jahre –, kenne ich René Reitz. In den ersten drei, vier Jahren war er für mich vorerst nur ein Name, obwohl jeder in Wien, der auch nur irgendetwas mit Musikproduktion zu tun hatte, mit dem Namen Reitz etwas anzufangen wusste. Persönlich lernte ich ihn kennen, als er Anfang der 80er-Jahre in mein Büro kam und mir eine goldene Schatulle in die Hand drückte. Es war eine Handkassa, mit Felgenspray oder Goldlack angesprüht, nur war sie blöderweise verschlossen. Doch das wiederum war der Gag an der Sache. Wir Plattenmenschen in den verschiedenen Firmen haben alle so ein Ding gekriegt. Alle ohne Schlüssel und niemand kriegte es auf. Die Schatulle war schwer und ein Brief lag ihr bei: „Dear Sir, You’ve got gold in Your hand.“ Eine Woche später kam dann der Schlüssel, von einem Privatdetektiv mit einer 38er unter dem offenen Jackett überbracht, und – Überraschung – drin lag eine goldene Musikkassette. Keine Aufschrift, nix. Ein Zettel war dabei. C.O.P. Das stand, soweit ich mich erinnern kann, für Clondike Overseas Production. Musikalische Goldwäscherei im Sand am Donaustrand. Und auf der goldenen Musikkassette war eine Stimme zu hören, die tatsächlich Gold in der Hand versprochen hat.
René Reitz. Produzent. Verleger. Arrangeur. Musiker und Katalysator zwischen Konsument und Künstler. Dem Mann eilte unter Musikern ein Ruf voraus, der sich im Tonstudio dann mehr als be- stätigte: Reitz trieb sie zu Höchstleistungen, sah sich stets auch in der Rolle des Konsumenten, wiewohl rein wirtschaftliche Überlegungen nie im Vordergrund standen. Im Gegenteil. Die waren ihm meist völlig egal. Hatte sich eine Idee einmal festgesetzt, dann wurde einfach gemacht. „Zeitungen bin ich am Sonntag in der Früh mit einem alten VW-Bus ausgefahren, damit ich Geld für die Studiozeiten im Austrophon Studio zusammengebracht habe“, erinnert sich Reitz, und immer wieder ist dann bei seiner Goldwäscherei ein kleines Nugget in der Schale geblieben. Mit der Band Ganymed dann sogar ein richtig fettes. Über eineinhalb Millionen Tonträger hat er von der intergalaktischen Truppe verkauft. „Music drives me crazy“ und „Music takes me higher“ wanderten über den Globus und brachten in der Discozeit die Menschen zum Tanzen. Freund und Producer Peter Müller hatte seinerzeit via Postkarte aus dem Urlaub dem „Dr. Gany-Med“ zum riesigen Erfolg gratuliert.
René Reitz, auch Verleger des „Hofa“, des ersten Superhits von Wolfgang Ambros. Text: Joesi Prokopetz, Produzent: Peter Müller. Er war einer der Ersten, der mit Georg Danzer zusammenarbeitete, und definitiv der erste Produzent von Hansi Hölzel alias Falco.
Auf der goldenen Kassette in der oben erwähnten goldenen Schatulle war eine männliche Stimme zu hören. Tolle Stimme. Klavier, ein großer Popsong mit einem Mascherl versehen, das ein wenig was von Barry Manilow hatte. Astrein produziert. Klar, jeder wollte wissen, wer da singt, und dann hieß es: „Das ist Gary Light.“ Nie gehört.
„Who the hell is Gary Light?“ Reitz hatte das lateinische Wort Lux für Licht der Internationalität wegen ins Englische übersetzt. Der Gary ist gleichgeblieben. Gary Lux ist später wieder zu seinem ursprünglichen Namen zurückgekehrt und hat mit dreimaliger Songcontest-Teilnahme und vielen großen Erfolgen als Komponist, Arrangeur und Kapellmeister, die in ihn gesetzten Vorschusslorbeeren „You’ve got gold in Your hand“ gerechtfertigt. Dem Producer und Verleger Reitz aber ist es gelungen, den damals unbekannten Künstler „Gary Light“ und seine Qualitäten mit einem Schlag innerhalb der Branche bekannt zu machen. Und genau das waren seit jeher die Stärken des René: einfach machen! War die Idee auch noch so schräg, der Mann hat einfach drauflos gemacht, sich nie selbst Fesseln angelegt. Selbst wenn die Künstler mit den obskursten Ideen ankamen. „Ich wollte sie Realität werden lassen, abseits von wirt- schaftlichen Überlegungen. Es heißt zwar, pekunia non olet, aber das Geld per se war nie meine Triebfeder. Ich habe viel Geld verdient, dann wieder viel Geld verloren und alles ist halt irgendwie geworden, weil ich auch oft viel Glück hatte, obwohl ich mich immer im Sinne meiner Künstler engagiert habe. Das war für mich meine Bestimmung und die Verpflichtung meines Musikverlegerdaseins … Und genauso ist es auch bis heute!“ So lief auch die Geschichte mit Reitz und Danzer, die sich damals, 1972, zu einem mordsmäßigen Theater innerhalb der Branche aufschaukelte und später die Öffentlichkeit erreichte. Jene rund um Leopold „Tschik“ Jappl, 1971. „Da Hofa“ hatte gerade die österreichische Popmusikwelt auf den Kopf gestellt und René Reitz war als Produzent auch nicht untätig und spielte an der vordersten Front der Dialektwelle kräftig mit. Madcaps hieß eine der Bands und „I man i dram“ war einer ihrer großen Hits. Danzer ist durch die Zusammenarbeit mit René Reitz zu den Madcaps gestoßen. Reitz erkannte frühzeitig das gewaltige Songwritertalent von Georg Danzer und gab ihm die Möglichkeit, für zahlreiche Interpreten, die Reitz unter Vertrag hatte, Lieder zu schreiben. Danzer wiederum war befreundet mit dem Pressefotografen Wolfgang Soos. Und mit Wolfgang Soos sollte die Geschichte um den „Tschik“ ihren Anfang nehmen. Soos kam Danzer im Reitz-Studio besuchen. In der Tasche hatte er ein Foto. „Schaut’s, was ich da vor Kurzem fotografiert habe.“ Das Bild zeigte einen Sandler, wie man in Wien Obdachlose nennt. Ein vom Leben gezeichnetes Gesicht. Vollbart, Hut, in der Hand ein Messer, einen Blechnapf und eine Scheibe Brot. Das Foto hat etwas Magisches. Es will angesehen werden, man kann die Augen nicht davon lassen. Georg schließlich: „I könnt a Lied schreiben, das zu dem Typ da passt.“ Reitz: „Und? Wer soll das wollen?“ Nachdenkpause. Dann sagte Reitz: „Wenn du dir das einbildest, dann habe ich als Katalysator die Pflicht, dir dabei behilflich zu sein. Wir machen das einfach.“ Georg Danzer verkleidete sich in der Folge bei den Studioaufnahmen als Sandler, er schlüpfte in einen abgetragenen Mantel, in Hut und Hose … Zum äußersten Erstaunen der anwesenden Musiker und des Produzenten Reitz: Was soll der Schwachsinn? „Was machst du da?“ „Ich muss mich authentisch fühlen“, kam die Antwort und ließ keine Widerrede zu. Und so wurde das Lied des „Tschik“ im Sandler-Outfit gesungen. Die Zigaretten waren sowieso obligatorisch. Damals haben alle geraucht. Überall. Heute undenkbar, aber in den Tonstudios standen die Rauchschwaden oft wie Nebelbänke in den Räumen. Die umgedrehten Metallkerne der Tonbänder, Bobbys genannt, dienten als Aschenbecher. Danzer sang, die Stimme teergeschwängert und whiskygegerbt:
„Zah ausse die Dreier, und gib ma a Feuer, i brauch Spä!
Mi kann kaner retten, i rauch statt’n Beten vor’m Schlafen geh!
A so a Tschik hat a größeres Glück wia unser ana, weil uns braucht kana.“
Die 3er, das waren in Österreich die billigsten Zigaretten, die man kriegen konnte. Filterlos. Zigaretten nannte man im Dialekt „Tschik“ oder „Spä“ – das stammt vom Wort Span ab. Es war unglaublich, wie Danzer das Lied sang. Es ging unter die Haut, aber wie sollte diese Sandlerstimme den Plattenkäufern schmackhaft gemacht werden? Georg Danzer damit als ihn selbst zu vermarkten, das war praktisch unmöglich. Der junge Georg arbeitete zu dieser Zeit bei Ö3. Der Radiosender war gerade einmal drei Jahre jung, Freund Franzi (André) Heller machte dort als DJ „Andreas“ Programm und Eva Maria Kaiser, eine stete Unterstützerin Danzers, kümmerte sich mit viel Engagement um Austropop. „Showchance“, „Talente 70“, „Gut Aufgelegt“ – das waren Sendungen, in denen Kaiser ihre Schützlinge einer breiten Öffentlichkeit vorstellte. Und Danzer war einer, dessen Talent als Songschreiber sie erkannte und den sie von Beginn an förderte. Jetzt mit dieser Platte, als Georg Danzer zu Ö3 zu gehen und auf Airplay zu hoffen, das hätte nie funktioniert. „Ich kann dich so nicht als Künstler präsentieren“, entschied Reitz, und die Single, welche von EMI im braunen Papiersackerl veröffentlicht wurde, trug als Coverfoto jenes Bild, das Wolfgang Soos von dem Obdachlosen geschossen hatte. Die Platte kam auf den Markt und in den Rundfunk und sofort begannen die wildesten Vermutungen und Gerüchte über den wahren Interpreten. Wer ist der Tschik? Der Danzer hat’s geschrieben, also ist es der Danzer. Oder ist es der Gerhard Bronner? Bei Bronner im Studio in der Rotgasse wurde die Platte aufgenommen. Also könnte es auch der Bronner sein. “Völlig ausgeschlossen schien, dass der Sandler, der das Cover zierte, tatsächlich der Sänger sein sollte. Völlig unmöglich. Aber genau das war es, was wir dem Publikum verkaufen wollten …“ Und um das wasserdicht zu machen, hatten sich alle an der Aufnahme Beteiligten, also die gesamte Studiocrew, Schweigepflicht auferlegt. Die Debatte um den Tschik ging sogar so weit, dass Ö3 eine Stimmanalyse in Auftrag gab, um zu beweisen, dass hinter dem Ganzen der Danzer steckte. In der Zwischenzeit begann sich auch das Fernsehen für die Geschichte zu interessieren. „Wünsch dir was“ klopfte an. Eine Dreiländershow im Samstag-Hauptabendprogramm. Familien traten gegeneinander an und mussten Aufgaben erfüllen. Dietmar Schönherr und Vivi Bach moderierten. Die Show war ein Straßenfeger. Spektakulär und immer für einen Skandal gut. Regelmäßig saßen Millionen Deutsche, Österreicher und Schweizer vor dem Fernseher und am Montag darauf waren die Spiele der Show Tagesgespräch in der Arbeit, in der Schule. Und genau dieses „Wünsch dir was“ wollte den Tschik, der mittlerweile zum Stadtgespräch geworden war, in der Sendung haben. So ein Angebot schlägt man nicht aus. Kann man einfach nicht ausschlagen!
„Also sagten wir zu. Nur, wir hatten keinen Sänger! Ja klar, Georg Danzer hatte auf der Aufnahme gesungen, aber den Sandler, den wir auf dem Coverfoto hatten und den wir dem Publikum als Sänger verkaufen wollten, den kannten wir nicht einmal. Der war ein Phantom auf dem Foto von Wolfgang Soos. Also gab es für uns nur eine einzige Chance. Wir mussten den Mann auf dem Foto finden.“ Reitz und Danzer machten sich auf die Suche. Wochenlang. Im eisigen Winter in Wien. Mit dem Foto in der Tasche klapperten sie den zehnten Bezirk ab. Da hatte Soos das Bild gemacht, hier musste der Mann zu finden sein. In den einschlägigen Lokalen, Branntweinstuben, Weinhäusern erfuhren sie endlich auch den Namen: Leopold „Poldi“ Jappl. Nächtigte gerne in Abbruchhäusern oder in Rohbauten. Im Magistrat war kein zwischenzeitliches Ableben des Herrn Jappl aktenkundig.
„Wir wollten schon aufgeben, sind zwei Wochen durch die Kälte gestapft, haben verlassene Baustellen durchsucht, immer wieder andere Sandler nach dem Jappl gefragt.“ Er blieb unauffindbar. Allerletzter Versuch. Zwei Tage vor der „Wünsch dir was“-Livesendung noch einmal nächtens durch den zehnten Bezirk streifen. Mittlerweile war Schnee gefallen. Im Park am Laubeplatz lag braunes welkes Laub auf den Parkbänken und darüber hatte sich eine dicke Schneedecke gelegt. Auf einer dieser Bänke lag eine schneebedeckte Gestalt. Eine Hand ragte in die Höhe. Mit verkrampften wie zu Eis erstarrten Fingern. „Einem vieläugigen Sehrohr gleich … Ich hab zum Georg gesagt: ‚Da liegt ein Toter. Wir müssen zur Polizei.‘ Die Hand anzugreifen hat keiner von uns beiden gewagt. Wir traten, nicht nur vor Kälte schaudernd, näher. ‚Wos woit’s? Schleicht’s eich, geht’s scheissen‘, herrschte uns eine vom billigen Fusel und Zigarettenrauch gezeichnete Stimme an.“ Die Hand bewegte sich und aus der Schneedecke tauchte das Gesicht des Poldi Jappl auf. Der Mann hatte sich in drei Mäntel eingepackt und war deshalb, trotz Tiefsttemperatur, kein Fall für die Bestattung. „Herr Jappl?“ „Jo, wos woit’s?“ „Haben Sie Zeit? Wir müssen mit Ihnen reden.“ Jappl hatte Zeit. Mit dem Poldi gingen sie dann zum Wienerwald, um zu erklären, weshalb sie hinter ihm her waren. Um im Fernsehen zu singen wie der Tschik, der ja schon am Plattencover zu sehen war. Er war erstaunt: „Bist du deppert? Des bin jo i! Na und? Krieg i wos?“ Ja,
3 000 Schilling Gage, die zwischen den dreien, die auf der Bühne stehen, also Jappl, Danzer und dem Akkordeonspieler Josef Baresch, aufgeteilt wurden. Jappl sagte zu, musste im Schnellsiedeverfahren sein Lied lernen und stellte sich dabei unerwartet recht geschickt an. Als er dann in der Wiener Stadthalle vor 8 000 Menschen und jeder Menge TV-Kameras auftreten sollte, hat ihn fast der Schlag getroffen. Er hat sich am Absatz umgedreht und ist geflohen. Das hatte er nicht erwartet. Viel zu viele Leute!
Reitz erinnert sich: „Ich erwischte ihn gerade noch am Ärmel und Georg und ich überredeten ihn mit Engelszungen und einer deutlichen Gagenerweiterung. ‚Jappl, du musst! Wir schaffen das gemeinsam. Komm!‘ Der hat sich tatsächlich angewischerlt. Aber Dietmar Schönherr hat den Poldi dann auf die Seite geholt und ihm die Scheu genommen. Und plötzlich blühte er auf. Der Leopold Jappl sang live in der Sendung, Georg unterstützte ihn im Hintergrund dabei, und siehe da, das Ganze hörte sich echt überzeugend an. Und damit war auch der schlagende Beweis erbracht! Der Tschik – es gibt ihn wirklich. Nach dem Lied kam vom uns wohlgesonnenen Moderator Dietmar Schönherr noch ein kurzes Interview, bei dem er unter anderem fragte: ‚Für unsere deutschen Freunde: Herr Jappl, was ist ein Brantineser?‘ Der antwortete im geschliffensten Hochdeutsch:
‚Eine Tee- und Likörstube und ein Tschik ist eine Zigarette.‘“ Der Poldi Jappl hat dem „Tschik“ ein Gesicht und der Debatte ein Ende gegeben. Bald darauf ist das Album erschienen und am Backcover ist handschriftlich zu lesen: „Besonders stolz ist René Reitz, dass er Produzent und Verleger dieses außergewöhnlichen Werkes sein durfte. © 1972.“ An der Wand im Büro von Reitz hängt ein kleiner Rahmen. Darin steckt ein Zettel mit dem Logo der ehemaligen Wiener Zentralsparkasse. Darauf ist, in dynamischer Handschrift und groß geschrieben, zu lesen:
WIEN, 9.III.72
ICH BESTÄTIGE DASZ ICH HERRN RENE REITZ FÜR DEN BESTEN PRODUCER EUROPAS HALTE.
GEORG DANZER.
(EINRAHMEN WENN ICH BERÜHMT BIN)
So fing alles an, noch gut ein Jahr vor dem „Nackerten im Hawelka“. Und dass der Zettel heute im Rahmen hängt, braucht keine weitere Erklärung. Reitz und Danzer. Sie haben viel miteinander gearbeitet. Zwei Alben – die ersten beiden des Liederaten – und „jede Menge Singles – bei denen er als Autor und Komponist für diverse Bands und Sänger verantwortlich zeichnete“, so Reitz auf seiner Homepage. „Georg und ich, wir waren nie dicke Freunde, keine engen Haberer, denn er hat sich nie von mir umarmen lassen. Wenn der Charly Ratzer im Studio ein geiles Solo gespielt hat, bin ich hingerannt und hab ihn begeistert umarmt: ‚Wow! Charly Super!!‘ Das war mit Georg nicht möglich. Aber ich habe ihn sehr geschätzt als Künstler, wegen seiner Qualität, und als Mensch, weil er so geradlinig war. Ich erinnere mich an ein kurzes Gespräch zwischen zwei Aufnahmen im Studio, als es um meine Kritik an seinem Gesang gegangen ist, da habe ich zu ihm gesagt: ‚Schau mal Georg, ich bin hier der Vertreter des Publikums und nicht der allwissende Produzent. Ich vertrete hier in erster Instanz das Publikum, das uns später tierisch in den Arsch tritt, wenn es unsere Platten dann nicht mag. Und natürlich auch nicht kauft … Und wenn ich dich jetzt kritisiere, dann nur deshalb, weil ich glaube, dass du das noch besser kannst. Dass du da noch Luft nach oben hast. Da bin ich ganz sicher. Und wir brauchen uns dann hinterher keine Vorwürfe zu machen, dass wir nicht unser Bestes gegeben hätten.‘“
„Und, wie hat er reagiert?“ – „Sehr kultiviert und er war offensichtlich froh, dass ich das so direkt gesagt habe“, sagt Reitz. Nachsatz: „In der Forderung lernst du als Musiker und als Produzent! Und es war meine Aufgabe als Produzent, uns alle zu fordern. Kreative Kritik ist ein Teil davon. Und wenn da, so wie es bei Georg war, kein verhabertes Naheverhältnis zu einem Menschen besteht, kommst du leicht in die Situation, dass der Künstler annimmt, dass du die Kritik persönlich und nicht rein sachlich meinst.“
Ich sitze bei René im Aufenthaltsraum seines Büros im neunten Wiener Bezirk. Es ist Anfang September und die Luft ist sehr lau. Ein schöner, spätsommerlicher Abend und von der Summerstage am Donaukanal weht der Wind immer wieder Musikfetzen herüber. Der Fernseher läuft. Rudi Dolezal und seine Austropop-Legenden. Diesmal die EAV und klar, da war auch der Reitz mit drin, in dieser Sendung, denn auch mit der EAV verbindet ihn einiges. Menschen wie er sind ein nicht versiegen wollender Quell an Erinnerungen und wenn er über Platten, Lieder, Künstlerinnen und Künstler spricht, dann fliegen die Jahrzehnte nur so vorbei. Aufeinandergestellt, als Kalender ergäben sie einen beachtlichen Stapel. In Worten und Erzählungen schrumpfen sie auf Minuten. Bilder von damals sind auf einmal wieder da. Ich sehe die Gesichter wieder. Vor mir. Gary Lux mit üppigem Haarschopf und bübischem Grinsen. Ulli Bäer, feist und Haare wie Räuber Hotzenplotz. Viel weniger verändert hat sich hingegen René. Gut, klar, älter ist er geworden, aber sonst steckt da immer noch derselbe Geist drin, der ihn immer angetrieben hat. Dieses einfach tun, auf nix warten. Ist die Idee gut, dann Handbremse los und ab geht’s. Die goldene Kassette damals, ich hätte sie mir gerne behalten. Als Erinnerung an eine gute Idee, aber nachdem es mir nicht gelungen war, die Geschäftsführung der CBS zu überreden, einen Haufen Geld für Gary Light auf den Tisch zu legen, kam René wieder in mein Büro und holte das Teil ab. 33 Jahre sind seither vergangen und an die Szene kann ich mich noch gut erinnern. Er hat uns Plattenleute damals alle für ein bisschen bescheuert gehalten, weil wir das Talent nicht erkannt hatten. Irgendwie hatte er sogar recht. Aber das zuzugeben wird halt auch erst leichter, wenn die Jahre vergangen sind.