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III. Jugendstaatsanwalt und Jugendpolizei

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Gemäß § 36 JGG sind bei den Staatsanwaltschaften Jugendstaatsanwälte zu bestellen. Damit haben diese grundsätzlich alle Verfahren, die zur Zuständigkeit der Jugendgerichte gehören, zu bearbeiten; hinzu kommen alle Jugendschutzsachen[91]. Nach herkömmlicher Meinung ist § 36 JGG bloße Ordnungsvorschrift, weshalb beim Auftreten eines nicht zum Jugendstaatsanwalt bestellten Staatsanwalts vor dem Jugendgericht die Entscheidung dennoch als nicht revisibel angesehen wird[92]. Dagegen erheben sich zunehmend Bedenken und man geht in diesem Sinne vom möglichen Vorliegen eines relativen Revisionsgrundes iSv § 337 StPO aus[93]; für diese Ansicht spricht, dass gem. § 37 JGG Jugendstaatsanwälte – nicht anders als die Jugendrichter – erzieherisch befähigt und in der Jugenderziehung erfahren sein sollen. Auch diese Vorschrift berücksichtigt die besonderen Anforderungen, die ein am Erziehungsgedanken orientiertes Täterstrafrecht an die Beteiligten stellt. Freilich wird in der Praxis § 37 bezüglich der Staatsanwälte gewiss nicht weniger vernachlässigt als bezüglich der Jugendrichter[94]. Immerhin gibt das „Gesetz zur Stärkung der Rechte von Opfern sexuellen Missbrauchs (StORMG)“[95] durch § 36 I S. 2 JGG vor, dass Richter auf Probe und Beamte auf Probe im ersten Jahr nach ihrer Ernennung nicht zum Jugendstaatsanwalt bestellt werden sollen. Überdies verlangt § 36 II S. 1 JGG, dass Amtsanwälten jugendstaatsanwaltliche Aufgaben nur dann übertragen werden dürfen, wenn sie für diese hinlänglich qualifiziert sind, was einen Verweis auf die in § 37 JGG angesprochenen Anforderungen bedeutet.

Gemäß RL zu § 36 soll der zuständige Staatsanwalt möglichst auch die Anklage im betreffenden Verfahren vertreten. Diese Richtlinie behandelt eine Fragestellung, die letztlich eine Parallele zum „Gerichtsgeher“-Problem bei der JGH darstellt; freilich enthält das Gesetz für die JGH immerhin eine Sollvorschrift, die den für den Jugendlichen Zuständigen auch zur Wahrnehmung des Gerichtstermins verpflichtet (§ 38 IV S. 2 JGG). Für die Staatsanwaltschaft gibt es keine gesetzliche Regelung dieser Art; im Übrigen ist aus der Praxis bekannt, dass sogar Referendare als Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft in Jugendstrafsachen eingesetzt wurden[96]. Insoweit enthält die neue Rechtslage nun einschränkende Regelungen: § 36 II S. 3-4 JGG fordert nicht nur die Aufsicht eines Jugendstaatsanwalts über das Handeln des Referendars ein, sondern zudem das Anwesendsein des Staatsanwalts in der fraglichen Sitzung des Jugendgerichts.

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Die Stellung des Staatsanwalts im Jugendstrafverfahren ist einerseits zurückgenommen, andererseits aber auch einflussreich. Eine Zurücknahme der Position des Jugendstaatsanwalts wird darin deutlich, dass er gem. § 78 II S. 1 JGG im Vereinfachten Jugendverfahren nicht verpflichtet ist, an der Verhandlung teilzunehmen und dass dann gem. § 78 II S. 2 JGG seine Zustimmung zu einer Einstellung des Verfahrens nicht erforderlich ist. Zudem ist er – anders als im Allgemeinen Strafrecht gem. § 451 StPO – nicht für die Vollstreckung zuständig; gem. § 82 JGG hat der Jugendrichter die Aufgabe des Vollstreckungsleiters inne.

Eine durchaus starke Stellung hat der Jugendstaatsanwalt im Vorverfahren. Rein faktisch kann der Staatsanwalt durch zügiges Vorgehen bewirken, dass das Verfahren bald zu einem Abschluss kommt. Das Ernstnehmen des Beschleunigungsgrundsatzes erscheint unter erzieherischen Aspekten wichtig. Denn bei vorliegenden Erziehungsbedürfnissen schwächt jedes Zögern die Effizienzpotenziale einer Intervention; angesichts von sich entwickelnden Rationalisierungs- und Verdrängungsstrategien behindert lange Verfahrensdauer auch den Effekt von ahndender Sanktionierung (vgl Rn 22). Besonders große Handlungsspielräume im Sinne erzieherischen Vorgehens gibt § 45 JGG dem Jugendstaatsanwalt. Er hat im Rahmen des „formlosen Erziehungsverfahrens“ (Diversion; vgl unten Rn 172 ff) weitergehende Möglichkeiten zur Einstellung des Verfahrens als der Staatsanwalt nach Allgemeinem Strafrecht. Wichtig ist im Vorverfahren auch die Aufgabe des Jugendstaatsanwalts, Kontakte herzustellen, nämlich zu den Eltern, der JGH, der Suchtberatung etc. Ein frühzeitiges Gespräch iSv § 44 JGG (Vernehmung des Beschuldigten bei zu erwartender Jugendstrafe) kann eine Basis für sachangemessene Entscheidungen ergeben; etwa lässt sich so uU die Reifefrage iSv § 3 JGG oder iSv § 105 JGG vorklären und eine Entscheidung über die Notwendigkeit einer sachverständigen Begutachtung nach § 43 II JGG oder § 73 JGG treffen (RL 1 zu § 44).

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Für die Polizeibeamten als „Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft“ (vgl §§ 161, 163 StPO) gilt, dass eine spezielle Jugendpolizei im JGG nicht vorgesehen ist. Jedoch gibt es bei manchen Polizeibehörden spezialisierte Abteilungen (Jugenddezernate) bzw Jugendsachbearbeiter[97]. Wichtig ist eine solche Spezialisierung etwa deshalb, weil die Vernehmung Jugendlicher ein besonderes „Fingerspitzengefühl“ verlangt (vgl dazu § 70c I JGG); so ist zB die besondere Suggestibilität junger Menschen zu berücksichtigen[98]. In der Praxis wird die größere Beeindruckbarkeit Jugendlicher nicht selten sogar ausgenutzt, um durch Druck Geständnisse zu erzielen[99]. Ein Bedarf an Weckung von Problembewusstsein und an spezieller Ausbildung für die Jugendsachbearbeiter der Polizei kann nach alledem gar nicht zweifelhaft sein[100]. Heute weist man die Aufgabe der Vernehmung von Kindern und Jugendlichen vor allem weiblichen Polizeibeamten zu.

Der besonderen Schutzbedürftigkeit jugendlicher Beschuldigter kommt es entgegen, dass nun § 136 IV StPO bei der ersten Vernehmung in Verfahren wegen eines vorsätzlich begangenen Tötungsdelikts oder bei Beschuldigten mit psychischen Handicaps die Aufzeichnung der Vernehmung in Bild und Ton für den Regelfall vorsieht; und in anderen Verfahren ist gem. § 70c II S. 1 JGG diese Aufzeichnung immerhin zulässig. Eine Aufzeichnung der Vernehmung in Bild und Ton verlangt § 70c II S. 2 JGG für den Fall, dass die Mitwirkung eines Verteidigers im Verfahren notwendig, ein solcher aber bei der nichtrichterlichen Vernehmung nicht anwesend ist[101].

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Eine besondere Rolle im Umgang mit straffälligen Jugendlichen sehen einige neuere Diversionsrichtlinien für die Polizei vor[102]. Die Polizeibeamten sollen bei ihren Ermittlungen nicht nur Diversionsaspekte im Auge behalten, sondern sogar erzieherisch initiativ werden, nämlich erzieherische Maßnahmen anregen oder Ermahnungen aussprechen. Diese können dann von der Staatsanwaltschaft zur Begründung einer Einstellung des Verfahrens gem. § 45 II JGG genutzt werden[103]. Freilich bestehen gegen die Ausweitung der polizeilichen Aufgaben hin zur Anregung oder Durchführung von erzieherischen Maßnahmen Bedenken, da mit „Polizeidiversion“ der von Gesetzes wegen zuständigen Staatsanwaltschaft vorgegriffen und uU die Rechtsposition der Jugendlichen durch einen von der Polizei (indirekt) ausgeübten Druck gefährdet wird[104].

Für den Umgang der Polizei mit tatverdächtigen Jugendlichen bestehen in den Polizeilichen Dienstvorschriften (PDV) Spezialregelungen[105]. Auf diese wird bei der folgenden Behandlung der Rechtsstellung von Erziehungsberechtigten und gesetzlichem Vertreter noch eingegangen werden.

Teil III Jugendgerichtsverfassung, Beteiligte und Verfahren§ 6 Jugendgerichtsverfassung und Verfahrensbeteiligte › IV. Erziehungsberechtigte und gesetzlicher Vertreter

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