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a) Problemfelder

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Als Problemfelder bezüglich der organisatorischen Stellung und der Tätigkeit der JGH lassen sich insbesondere benennen:

(1) Rollenkonflikt (sog. Intra-Rollenkonflikt): Der Jugendgerichtshelfer leistet Hilfe für das Gericht einschl. Überwachungsaufgaben hinsichtlich der Sanktionen (Auflagen und Weisungen), auf der anderen Seite aber auch Hilfe für den Jugendlichen. Diese Doppelfunktion führt leicht zu Misstrauen des Jugendlichen, welches die helfenden Einwirkungsmöglichkeiten des Jugendgerichtshelfers beeinträchtigen muss[67]. Lässt sich aber der Jugendliche auf ein vertrauensvolles Verhältnis zum Jugendgerichtshelfer ein, entsteht das Problem des „Erschleichens“ von Vertrauen; das, was dem Jugendgerichtshelfer in dieser Funktion anvertraut wird, kann dann durch das Gericht zu Lasten des Jugendlichen verwertet werden. Denn der Jugendgerichtshelfer besitzt, wie erwähnt, kein Zeugnisverweigerungsrecht (vgl § 53 StPO). Dass die Überwachungsfunktion nicht allzu sehr mit der Hilfsfunktion kollidiert, soll durch die Regelung des § 38 V S. 2 JGG gewährleistet werden; danach sind nur „erhebliche Zuwiderhandlungen“ dem Richter mitzuteilen, nicht aber Bagatellen[68].

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(2) Stigmatisierung durch Berichte über die Probleme des Jugendlichen und mit dem Jugendlichen: Die positiven Merkmale kommen in derart für ein Strafverfahren erstellten Berichten fast automatisch zu kurz. Problematisch ist, dass negative Stellungnahmen iSv Wertungen der Beteiligten durch sorglose Niederlegung in Berichten einen quasi-objektiven Charakter gewinnen, der dann in die Entscheidungen durchschlagen kann. Gefährlich ist auch ein Aufmerksam-Machen von durch die JGH befragten Personen aus dem Umfeld (zB Schule, Lehrherr) auf die strafrechtliche Auffälligkeit des Jugendlichen. Dies kann zu misstrauischer Haltung und Vorbehalten gegenüber dem Jugendlichen führen und zB in den Verlust der Arbeitsstelle münden.

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(3) Gerichtsgeher-Problem: Damit ist gemeint, dass irgendein Jugendgerichtshelfer aus dem Hause die JGH in der Hauptverhandlung vertritt; mehr als sich im schriftlichen Bericht des mit dem Fall befassten Mitarbeiters findet, weiß der Sitzungsvertreter der JGH dann oft auch nicht. Diesem etablierten Missstand[69] entgegenzuwirken, ist Ziel von § 38 IV S. 2 JGG: „Entsandt werden soll die Person, die die Nachforschungen angestellt hat“. Es handelt sich aber eben nicht um eine zwingende Vorschrift. Dennoch scheint der Gerichtsgänger-Missstand quantitativ abgenommen zu haben[70]. § 52 III SGB VIII enthält eine Sollvorschrift ähnlicher Zielrichtung, die darauf abzielt, dass der die Aufgabe der personenbezogenen Ermittlungen erfüllende Jugendgerichtshelfer den Jugendlichen während des ganzen Verfahrens betreuen soll[71].

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(4) Umstritten ist die Frage der besten Organisationsform der Jugendgerichtshilfe: Vonseiten der Justiz bevorzugt man eine spezialisierte Jugendgerichtshilfe, also die Kooperation mit fachlich gut ausgebildeten, im Feld des Jugendstrafrechts erfahrenen Sozialarbeitern[72]. Als Gegenstück wird – wohl auch aus Kostengründen – zunehmend Jugendgerichtshilfe neben anderen Aufgaben im Rahmen des Allgemeinen Sozialdienstes geleistet; hierbei kann als Vorteil gelten, dass die Akteure einen guten Überblick über ein bestimmtes soziales Umfeld einbringen können und eine einheitliche Betreuung von Problemjugendlichen gewährleistet ist – dies freilich um den Preis mangelnder Professionalisierung, von Problemen beim Datenschutz und eines Wiedererstarkens des Gerichtsgeher-Problems[73].

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(5) Gar nicht unbedeutend sind die beobachtbaren Kooperationsprobleme zwischen Juristen und Sozialwissenschaftlern: Die unterschiedlichen Denkschemata der normativ denkenden Juristen und der sozialwissenschaftlich und hilfsorientiert denkenden Sozialarbeiter und Sozialpädagogen führen leicht zu Friktionen. Verständigungsprobleme ergeben sich dementsprechend auch vom beruflichen Selbstverständnis her. Daneben finden sich aufseiten der Juristen immer wieder Zweifel hinsichtlich einer angemessenen Professionalität der Jugendgerichtshelfer und gelegentliche Zweifel hinsichtlich einer hinreichenden Loyalität gegenüber der Justiz[74]. – Hier Brücken zu bauen, ist Anliegen der Deutschen Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen (DVJJ), in der Juristen, Sozialarbeiter, (Sozial-)Pädagogen, (forensische) Psychologen und Psychiater sowie Polizeibeamte zusammenarbeiten.

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Eine neue Art von Kooperationsproblemen hat sich im Zusammenhang mit Finanzproblemen der Kommunen ergeben. Denn in der Folge von Personaleinsparungen im Bereich der Jugendhilfe wird auch Jugendgerichtshilfe zurückhaltender ausgeübt. Dies betrifft etwa die Häufigkeit und den Umfang von personenbezogenen Ermittlungen, von Initiativen zur Ermöglichung von Diversion, von Präsenz in Haftsachen und von Anwesenheit in der Hauptverhandlung[75]. Verschärft wurde diese Problemlage durch § 36a SGB VIII zur „Steuerungsverantwortung“ des Trägers öffentlicher Jugendhilfe, wonach eine Kostentragung des Jugendhilfeträgers auch für den Fall jugendrichterlicher Anordnung einer Inanspruchnahme von Hilfe nur dann vorgesehen ist, wenn der Jugendhilfeträger diese für sachlich richtig hält[76]. Damit werden jugendrichterliche Entscheidungen insoweit unter faktischen Genehmigungsvorbehalt gestellt; wie sich das mit Art. 92 GG („Die rechtsprechende Gewalt ist den Richtern anvertraut“) und mit Art. 97 I GG („Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen“) vereinbaren lässt, bedarf noch der Klärung[77]. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Kammerentscheidung eine Lösung auf einfachgesetzlicher Grundlage im Rahmen des geltenden Rechts nahegelegt, indem es die im fraglichen Fall zur Debatte stehende Betreuungsweisung[78] nicht als Jugendhilfemaßnahme sondern als jugendrichterliche Erziehungsmaßregel einzustufen vorschlug und konsequenterweise die Kostentragungspflicht der Justiz in den Raum stellte[79]. Ob sich diese Perspektive durchsetzt oder der Gesetzgeber für Klärung sorgen muss, ist einstweilen noch unklar. Jedenfalls muss verhindert werden, dass im Falle fehlender verbindlicher Erklärung der Jugendhilfe das Gericht sich außer Stande sieht, eine entsprechende Sanktion mit Jugendhilfecharakter[80] anzuordnen. Der Strafrechtsausschuss der Justizministerkonferenz hat daher empfohlen, § 38 JGG so zu ergänzen, dass bei fehlender Erklärung der Jugendhilfe in der Verhandlung dann das Gericht über das Vorliegen der Voraussetzungen von Jugendhilfeleistungen iSv §§ 27 ff SGB VIII verbindlich selbst entscheiden und den Jugendhilfeträger derart zur Durchführung verpflichten kann[81].

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(6) Zunächst einmal ausgestanden erscheint – zumindest der hM zufolge – die Datenschutzproblematik: Ursprünglich hatte das SGB VIII die Jugendgerichtshelfer ermutigt, die für die Jugendhilfe geltenden Datenschutzbestimmungen der §§ 61 ff SGB VIII auch im Bereich der Jugendgerichtshilfe anzuwenden. Man gewann in der Folge den Eindruck, dass diese von Einzelnen nachgerade als Hebel genutzt wurden, um sich nach Kräften der Zusammenarbeit mit der repressiven Institution Justiz zu entziehen. Inzwischen ist gesetzgeberisch durch §§ 62 III Nr 2c, 52 SGB VIII freilich geklärt, dass Daten auch ohne Mitwirkung des Betroffenen von Jugendhilfeinstitutionen erhoben werden dürfen, soweit es um die Erfüllung der Verpflichtungen des Jugendamtes nach dem JGG geht. Grundsätzlich aber sind die Datenschutzvorschriften der §§ 61 ff SGB VIII zu beachten[82]. Etwa dürfen personenbezogene Daten, die einem Mitarbeiter des Jugendhilfeträgers zu Jugendhilfezwecken anvertraut worden sind, gem. § 65 SGB VIII nur unter sehr engen Voraussetzungen für das Fällen strafrechtlicher Entscheidungen weitergegeben werden[83].

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