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3. Die Jugendverfehlung (§ 105 I Nr 2 JGG)

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§ 105 I Nr 2 JGG schreibt die Anwendung von Jugendstrafrecht für solche Fälle vor, in denen „es sich nach der Art, den Umständen oder den Beweggründen der Tat um eine Jugendverfehlung handelt“. Damit wird eine wesentliche Beweiserleichterung im Vergleich zu § 105 I Nr 1 JGG geschaffen. Denn der Richter muss hier keine Gesamtwürdigung der Persönlichkeit vornehmen, wenngleich „eine umfassende Würdigung der äußeren Tatumstände sowie der Beweggründe des Täters“ zu verlangen ist[49]. Es empfiehlt sich zunächst die Prüfung, ob § 105 I Nr 2 vorliegt; erst wenn keine Jugendverfehlung bejaht wird, ist die eben behandelte schwierige Gesamtwürdigung iSv § 105 I Nr 1 angebracht. Damit soll freilich kein juristischer Vorrang von § 105 I Nr 2 postuliert werden; vielmehr stehen die Voraussetzungen der beiden Alternativen des § 105 I unabhängig nebeneinander[50].

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Der Begriff der Jugendverfehlung ist einigermaßen unscharf. Der Gesetzgeber hatte bei diesem Begriff zunächst nur an leichtere Straftaten gedacht[51]. Rechtsprechung und Lehre ignorieren jedoch den Willen des Gesetzgebers unter Hinweis auf den mehrdeutigen Wortlaut und den objektiven Sinn der Regelung. Auch schwere Taten können also Jugendverfehlungen darstellen[52]. Jugendverfehlungen sind alle „aus den Antriebskräften der Entwicklung entspringenden Entgleisungen“[53]. In einer Leitentscheidung führt der BGH dazu aus: „Maßgebend für die Würdigung als Jugendverfehlung sind die äußeren Tatumstände und die Beweggründe des Täters. Ergibt sich aus ihnen, dass es sich um oberflächliche Entgleisungen handelt, die ua auf mangelndem Widerstandsvermögen gegen böses Beispiel, den Lockungen einer plötzlichen Versuchung, dem Herdentrieb, einer falsch verstandenen Kameradschaft oder auf unüberlegter Abenteuerlust beruhen, so kann die Anwendung des § 105 Abs. 1 Nr 2 JGG geboten sein“[54].

Der neueren Rechtsprechung zufolge liegt eine Jugendverfehlung vor, „wenn, unabhängig vom generellen Reifegrad des Angeklagten, die konkrete Tat auf jugendlichen Leichtsinn, Unüberlegtheit oder soziale Unreife zurückgeht“[55], sich in der Tat ein „Mangel an Ausgeglichenheit, Besonnenheit und Hemmungsvermögen“ offenbart[56], etwa „Abenteuerlust“[57] oder „unreifes Imponiergehabe“[58] eine wesentliche Rolle spielen. Konkrete Beispiele hierfür sind etwa:

Begehen eines Raubes, damit sich der Täter genauso gut kleiden kann, wie seine Bekannten[59];
„Joyriding“, dh Kfz-Entwendung ohne materielle Motivation (§ 248b StGB);
Ladendiebstahl als Mutprobe;
Graffiti-Sprayen[60].

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Letztlich ist es allerdings fraglich, ob es echte Jugendverfehlungen überhaupt gibt. Denn auch die Kriminalität Erwachsener ist bis ins hohe Alter hinein weitgehend durch Impulsivität, Abenteuerlust, Verführung durch andere, Unreife etc gekennzeichnet. Dem trägt die Rechtsprechung des BGH Rechnung, wonach die Feststellung, es würden auch Erwachsene Straftaten der fraglichen Art begehen, die Annahme einer Jugendverfehlung nicht ausschließt[61]. Trotz der notwendigen Relativierung der Erwartung, die Jugendverfehlung iSv § 105 I Nr 2 JGG eindeutig von Erwachsenendelinquenz abgrenzen zu können, fällt als jugendspezifisch immerhin die häufig gemeinsame Tatbegehung und stärkere peer group-Relevanz auf[62] sowie die oft wenig vorausschauende Tatbegehung. Im Bereich der gewinnorientierten Delikte dominieren bei Jugendlichen die geradlinig angelegten Diebstahls- und Raubtaten, bei welchen (dauerhafter) Gewinn oft nicht im Vordergrund steht. Als wesentliches Unterscheidungsmerkmal von der anderen Seite her bleibt die bei Erwachsenen komplexere Umsetzung deliktischer Gewinnorientierung, nämlich in Form von Betrug, Untreue, Unterschlagung und insbesondere Wirtschaftsdelikten, hervorzuheben[63].

Teil II Der Geltungsbereich des JGG§ 5 Die Heranwachsenden im Jugendstrafrecht › III. Überlegungen zur ungleichen Anwendung von § 105 JGG

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