Читать книгу Das Tal der Feuergeister - Franziska Hartmann - Страница 6
DREI
ОглавлениеNachdem wir eine halbe Stunde mit einem Arzt der Station darüber diskutiert hatten, ob es besser für Cuinn wäre, die Nacht im Krankenhaus zu bleiben oder nicht und hinterher noch zwanzig Minuten auf den Bus gewartet hatten, der zur Nacht hin immer seltener fuhr, befanden wir uns endlich auf dem Weg zum Bahnhof.
Es war der Hauptbahnhof, um genau zu sein. Viele Menschen, viele Gleise, viele Bahnen. Ich entschied mich dazu, Cuinn an die Hand zu nehmen, um ihn nicht zu verlieren. Nicht, dass das bei dieser Menschenmenge eh schon leicht hätte passieren können. Cuinn neigte auch noch dazu, bei jeder Kleinigkeit stehen zu bleiben und diese entweder argwöhnisch zu inspizieren oder zu bestaunen, sei es der Snackautomat, der Fahrkartenschalter, das große Uhrwerk am Bahnhofseingang oder der Reinemachemann auf seiner Reinigungsmaschine. Von den unzähligen Zügen ganz zu schweigen. Ich ignorierte Fragen wie: Was ist das?, Kann man das überhaupt essen?, Wie funktioniert das? und Bist du dir sicher, dass wir hier zum Meer kommen?
Da ich einen Mordshunger und Durst hatte, machten wir an einem Backshop Halt und kauften zwei Brezeln mit Käse sowie zwei Wasserflaschen. Dann schleifte ich Cuinn zum nächsten Fahrkartenschalter und suchte nach dem nächstbesten Ort am Meer, der mir einfiel. Ich spürte die ganze Zeit die verwunderten Blicke der anderen Passanten an mir und Cuinn haften. Ich versuchte, mir einzureden, dass Cuinn nur in diesem mittelalterlichen Aufzug herumlief, weil wir zu einer LARP-Veranstaltung fuhren. Genau das würde ich sagen, wenn uns jemand danach fragen würde.
„Das sind dreißig Tacken pro Person“, stöhnte ich. „Hast du so viel dabei?“
Cuinn fing an, in einer Geldkatze an seinem Gürtel zu kramen. Er zog seine zur Faust geballte Hand wieder heraus und streckte sie mir mit dem Handrücken zum Boden gedreht entgegen. Als er sie öffnete und mir den Inhalt offenbarte, stöhnte ich erneut. Natürlich! Was hatte ich erwartet! Andere Kleidung, anderer Sprachstil – und eine andere Währung.
„Ist das dein Ernst?“, fragte ich und stemmte die Hände in die Hüften. Ich fischte eine Ein-Euro-Münze aus meiner Hosentasche und hielt sie ihm direkt vor die Nase. „Das hier, das ist Geld! Damit kann ich etwas anfangen. Nicht mit deinen verbeulten Silbertalern. Glaubst du, ich kann mal eben sechzig Euro hinblechen, nur um dich zu diesem verdammten Meer zu bringen?“
Sein Adamsapfel hüpfte auf und ab, als er schwer schluckte. Als er geknickt von dem Ein-Euro-Stück zu mir, auf seine Silbergroschen und wieder zurück blickte, bereute ich meine harschen Worte. Schließlich hatte er es nur gut gemeint. Er hatte mir Geld geben wollen. Nur nicht das richtige. Und wenn er tatsächlich nicht von hier stammte – was ziemlich abgefahren gewesen wäre –, konnte er es auch nicht besser wissen. Also zwang ich mich selbst zur Ruhe, indem ich einmal tief ein- und wieder ausatmete.
„Okay“, seufzte ich und wandte mich wieder dem Fahrkartenautomaten zu. Nachdem ich gecheckt hatte, ob eine Gruppenkarte für uns günstiger wäre und ob es sich für mich lohnen würde, eine Tageskarte zu kaufen, da ich ja auch wieder zurückfahren musste, entschied ich mich für eine Gruppenkarte, die meinen Geldbeutel bedeutsam schonen würde. Trotzdem seufzte ich noch einmal, als ich meine EC-Karte aus dem Portemonnaie zückte, da ich nicht genug Bargeld dabei hatte.
„Du bist mir echt was schuldig“, grummelte ich, während ich die Karte in den dafür vorgesehenen Schlitz im Automaten steckte und meine PIN eingab.
„Du wirst mich danach nie wieder erdulden müssen. Ich bin dir zu tiefstem Dank verpflichtet“, sagte er und deutete eine Verbeugung an.
„Ja, ja, sei einfach still!“, warf ich schnell ein, entnahm die Fahrkarte und nahm Cuinn wieder bei der Hand, um ihn zu unserer Bahn zu ziehen.
Ich betätigte den Knopf, der die Zugtür öffnete und zerrte Cuinn zu einer freien Sitzgruppe, möglichst weit weg von sämtlichen anderen Fahrgästen. Sollte Cuinn auf die Idee kommen, mir noch mehr seltsame Fragen zu stellen – wovon ich stark ausging –, sollte es niemand mitbekommen können. Allein sein Aussehen war schon peinlich genug.
Nachdem ich Cuinn in einen Sitz gedrückt hatte, setzte ich mich ihm gegenüber ans Fenster. Ich öffnete die Brötchentüte und reichte ihm seine Brezel und seine Wasserflasche. Endlich hatte ich Zeit, etwas zu essen und zu trinken! Im schien es ähnlich zu gehen, denn er begann sofort, seine Brezel hinunterzuschlingen. Nachdem die Hälfte davon in seinem Magen verschwunden war, beäugte er die Wasserflasche genauer. Er versuchte, den Deckel abzuziehen, drehte und wendete die Flasche, bis er mir schließlich einen hilfesuchenden Blick zuwarf.
Mal wieder entfuhr mir ein Seufzer. Ich nahm seine Wasserflasche, drehte den Schraubverschluss auf und gab sie ihm zurück.
„Danke“, sagte er und trank gierig sein Wasser.
„Gibt es so etwas in Glenbláth etwa nicht?“, fragte ich ihn.
So dumm er sich auch bisher angestellt hatte, mein leicht abfälliger Unterton entging ihm nicht. „Du glaubst mir immer noch nicht, oder?“ Er blickte hinaus auf den Bahnsteig, wo die letzten Passagiere, teilweise bepackt mit großen Koffern, darauf warteten, einsteigen zu können, während er einen weiteren Bissen von seiner Brezel nahm.
„Tut mir leid“, sagte ich. „So etwas wie Glenbláth gibt es einfach nicht. Ich glaube immer noch, du hast dir einfach gewaltig den Kopf gestoßen.“
Die Bahntüren schlossen sich und Cuinn sah etwas erschrocken aus, als sich der Zug in Bewegung setzte. Plötzlich schien er sehr nachdenklich und vielleicht sogar etwas traurig.
Eine Weile saßen wir uns schweigend, Brot kauend gegenüber, während der Zug aus der Stadt rollte. In der Dunkelheit des späten Abends ließen die Lichter der Straßenlaternen und Häuser die sonst so chaotische Stadt beinahe friedlich wirken. Ich beschloss, Cuinn eine Chance zu geben.
„Wie ist es denn dort so? In Glenbláth?“, fragte ich und versuchte dabei möglichst interessiert zu klingen.
Sein Blick wanderte vom Fenster zu mir und er musterte mich einige Sekunden, bevor er antwortete: „Du kannst mich nicht mit deiner falschen Neugier täuschen. Was auch immer ich dir erzähle, du wirst mir doch keinen Glauben schenken.“ Dann starrte er wieder hinaus.
Plötzlich war er so ernst. So weit weg. Was war wirklich mit ihm geschehen? Wie war er hierhergekommen? Ich fand dafür immer noch keine plausible Erklärung.
„Glenbláth ist die Hauptstadt von Draaksfera“, sagte er plötzlich in die Stille hinein. „Aber es ist kein besonderer Ort. Ich hege keine Sympathie für die Menschen dort.“
„Und trotzdem willst du unbedingt zurück?“
„Ich muss“, war seine knappe Antwort.
„Darf ich fragen warum?“
„Es gibt dort… Leute, die ich beschützen muss.“
„Beschützen? Vor wem? Bist du irgendwie in einer Gang, die in Schwierigkeiten steckt? Ist das so ein Cliquenkrieg oder so?“
„Ein was? Nein. Ein Art Krieg vielleicht schon, ein Konflikt, aber kein… Wasauchimmer.“
Das musste ich erst mal sacken lassen. „Was für ein Konflikt ist das?“
Seine Lippen verschmälerten sich zu einem dünnen Strich. Sein Griff um die Wasserflasche verstärkte sich, sodass sie knisterte und er nahm einen großen Schluck. „Ich sollte dir nicht davon erzählen, denn ich bin hier nur ein Fremder und meine Welt ist fern von der deinen. Freue dich an der heilen Welt, in der du lebst.“
Ich wusste nicht, was ich darauf sagen sollte. Bisher hatte ich ihn einfach nur für einen Freak gehalten. Aber niedergeschlagen, wie er plötzlich war, weckte er allmählich mein Vertrauen. Ich wollte ihm glauben, so abgefahren das alles auch zu sein schien.
„Wie genau bist du hierhergekommen?“, wollte ich wissen.
„Ich werde dir nicht mehr erzählen. Bald bin ich fort und dann vergisst du besser, dass ich je da gewesen bin.“
„Bitte! Wir haben noch mehr als zwei Stunden Zugfahrt vor uns. Da können wir uns doch nicht nur schweigend gegenüber sitzen. Und ich denke, du hast wesentlich spannendere Geschichten zu erzählen als ich.“
„Sicher? Mir scheint deine Welt wesentlich spannender. Wie funktioniert das hier?“, fragte er und machte eine ausladende Handbewegung, mit der er quasi den ganzen Zug einfasste. „Es ist keine Magie. Wie macht ihr eure Maschinen? Und warum gibt es bei euch so viel Nahrung? Alle zwei Meter kann man etwas zu Essen erwerben. Könnt ihr das alles überhaupt essen? Haben die Menschen hier größere Mägen? Oder einfach einen anderen Energiebedarf?“
Ich lachte. Ich konnte gar nicht mehr aufhören zu lachen. „Schön wär’s“, prustete ich. „Dann könnte ich alle Leckereien auf einmal essen, ohne dick zu werden. Aber ich befürchte, wir sind hier einfach nur verwöhnt. Und von Maschinenbau habe ich leider keine Ahnung.“ Ich atmete ein paarmal tief durch, um mich von meinem Lachanfall zu erholen. Dann sprach ich etwas an, was mich hellhörig gemacht hatte. „Was meinst du mit: Es ist keine Magie? Gibt es so etwas bei dir? Magie?“
Unwillkürlich zuckte er zusammen und biss sich auf die Unterlippe, als würde er sich innerlich selbst für seine Worte schelten. „Hier etwa nicht?“, fragte er mit einem wachsamen, grummelnden Unterton.
Aufgeregt hüpfte ich auf meinem Sitz auf und ab. „Nur in Märchen und Fantasybüchern. Also gibt es bei euch wirklich Magie? Das ist ja total abgefahren!“
Er kniff die Augen zusammen und schüttelte verständnislos den Kopf. „Abgefahren… Ich schätze, das ist gut? Macht dir Magie keine Angst?“
„Ja, das ist gut und nein, warum sollte sie mir Angst machen? Wenn Magie das ist, was ich aus Büchern und Filmen kenne, ist das doch total spannend und wundervoll! Kannst du zaubern?“
„Nein“, antwortete er. „Aber durch Magie bin ich hierhergekommen.“ Das Thema schien ihm nicht zu behagen und ich fragte mich warum. Meine Begeisterung dafür, dass es so etwas wie Magie wirklich gab, ebbte ein wenig ab.
„Habt ihr hier allgemein keine Angst vor Magie oder bist du eine Ausnahme?“
Ich überlegte. „Nun, viele stempeln Magie als Hokuspokus ab, den es eh nicht gibt. Also warum sollten sie Angst davor haben? Dann gibt es noch welche, die an übernatürliche Kräfte glauben und schon Angst davor haben. Für die ist es gefährliche Hexerei oder so. Und dann gibt es noch die Leute, so wie mich, die Geschichten über Magie lieben und faszinierend finden und hoffen, dass es sie wirklich gibt. Ich denke, das ist grade bei den jüngeren Generationen der Fall. Also wenn du zaubern könntest, würde dir wahrscheinlich jedes Mädchen zu Füßen liegen.“
Endlich brachte ich ihn zum Schmunzeln. Ein kleines Lächeln im Gesicht stand ihm viel besser als die ernste, verbitterte Miene.
„Haben die Menschen bei dir etwa Angst vor Magie?“
Er nickte. „Ausnahmslos.“
Den Rest der Fahrt verbrachten wir wortlos. Ich war mir unsicher, ob ich ihn weiter über sein Leben ausfragen sollte, ob er darüber reden wollte und ob ich wirklich mehr von dem Leid in seiner Heimat wissen wollte. Zudem war ich mittlerweile müde und fühlte mich immer weniger aufnahmefähig.
Nach über zwei Stunden Fahrt erreichten wir unsere Haltestelle. Auch Cuinn war mittlerweile vor Müdigkeit eingenickt. Ich rüttelte leicht an seiner Schulter, damit er aufwachte. Er gähnte, drückte sich aus dem Sitz und folgte mir träge durch den Gang nach draußen auf den Bahnsteig. Von der See wehte ein frischer Wind zu uns herüber. Ich zog meine Jacke etwas fester um meinen Körper.
„Nun dann. Ein kleiner Fußweg ist es noch.“ Ich hielt mich an die Straßenschilder, die den Weg zum Strand auswiesen. „Ist es völlig egal, wo wir am Meer sind?“, hakte ich vorsichtshalber noch einmal nach. Schließlich hatte ich immer noch keinen blassen Schimmer, wie er gedachte, nach Hause zu kommen.
„Ja“, bestätigte er. „Es sollte nur…“ In diesem Moment bekamen wir endlich Blick auf das Meer. Zumindest auf das, was der Nebel nicht verhüllte. „Perfekt!“
Mit einem Mal beschleunigte sich sein müder Schritt. Er überholte mich und begann zu laufen.
„He, warte!“ Ich zwang meinen Körper, ebenfalls zu laufen, obwohl ich eigentlich nur noch schlafen wollte.
Cuinn schlitterte den Abhang hinunter, der den Strand von der Kleinstadt trennte und ich stolperte ihm hinterher, bemüht, auf dem unebenen Grund nicht hinzufallen und mir an einem spitzen Stein ein Loch in den Kopf zu schlagen.
Vor dem in kleinen Wellen an den Strand schwappenden Wasser blieb er stehen. Keuchend kam ich bei ihm an. Ich ließ meine Handtasche zu Boden sinken. Jede noch so kleine Last auf meinen Schultern erschien mir zu viel. Ich war einfach nur noch kaputt.
„Chloe? Kannst du mich hören? Ich brauche deine Hilfe“, rief Cuinn in den Nebel hinein.
Ich blickte mich nach rechts und links um. Keine Menschenseele weit und breit, die beobachten konnte, wie Cuinn wie ein Geistesgestörter mit dem Nebel redete.
„Chloe, du kannst dich zeigen. Es ist sicher“, fügte Cuinn hinzu.
„Wer ist Chloe?“, raunte ich Cuinn zu, doch er hob zur Antwort nur eine Hand, die mir bedeutete zu schweigen und abzuwarten.
Ein erleichtertes Lächeln schlich sich auf seine Lippen, als sich der Nebel vor uns verdichtete, als würde im Zentrum ein Magnet schweben, der alle Nebelschwaden rundherum anzog. Ich schluckte und blinzelte ein paarmal. Doch der Nebel hörte nicht auf, sich zu bewegen. Allmählich nahm er die Form eines Menschen an. Ich rieb mir die Augen. Das konnte nicht sein. Das konnte verdammt noch mal nicht wahr sein. Ich musste träumen oder halluzinieren. Aber es brachte nichts, mir das einzureden. Die Konturen der Gestalt wurden immer filigraner. Schon bald erkannte ich die Figur einer zierlichen Frau, der trotz ihrer Schmächtigkeit nicht an Kurven fehlte, als wäre sie einem der mit Photoshop modifizierten Modelbilder aus einem Magazin entsprungen. Ihre langen glatten Haare wehten in der kühlen Meeresbrise und sie schien ein langes, eng anliegendes Kleid zu tragen, das blasser wurde, je näher es dem Meer kam und dort mit dem umliegenden Nebel verschmolz. Ich konnte ihren Mund, ihre Nase, ihre Augen, sogar jede einzelne Wimper ausmachen, obwohl sie von oben bis unten komplett weiß war. Schneeweiß.
„Nebelweiß wohl eher“, ertönte ihre glockenklare helle Stimme.
„Bitte was?“
„Ich bin nicht aus Schnee. Nebelweiß trifft es besser“, korrigierte sie mich.
Hatte ich etwa laut gesprochen?
„Nein, ich lese deine Gedanken.“ Damit wandte sie sich von mir ab und schenkte Cuinn ihre Aufmerksamkeit. „Der große Magier braucht also meine Hilfe? Dass ich das noch mal erleben darf.“
Mein Gehirn war noch dabei, die Tatsache zu verarbeiten, dass diese Nebelfrau meine Gedanken lesen konnte, als mich schon der nächste Schlag traf. „Magier? Moment mal, du kannst wirklich zaubern?“, fuhr ich Cuinn an, als hätte er damit ein schweres Verbrechen begangen.
Cuinn schien mit der Situation überfordert. Zunächst sah es so aus, als wolle er Chloe etwas sagen, dann wandte er sich stattdessen an mich und begann zu erklären: „Hör zu, das klingt vermutlich alles unglaublich für dich, aber ja, ich kann zaubern. Aber bitte, bitte stell nun keine weiteren Fragen! Je weniger du darüber weißt, desto besser und es dauert nicht mehr lange, dann bin ich fort.“
Ich starrte ihn mit offenem Mund an. Ich wollte Fragen stellen. Und obwohl er mich gebeten hatte, keine zu stellen, hätte ich es gemacht, wenn ich in diesem Moment nicht zu perplex gewesen wäre, um auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Ein Magier. Ein richtiger Magier!
„Chloe“, sagte Cuinn zur Nebelfrau, „bring mich bitte nach Hause. Du bist die Einzige, die das kann.“
„Was bekomme ich dafür?“, fragte Chloe und legte sich nachdenklich einen Finger auf die Lippen.
„Chloe, bitte. Ich habe keine Zeit für sowas. Ich muss zu Lou, unbedingt.“
Enttäuscht verzog Chloe das Gesicht. „Lou. Immer nur Lou. Lou hier, Lou da. Dabei bin ich immer diejenige, die dir aus der Patsche hilft.“
„Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich dich jetzt gerade zum ersten Mal darum bitte“, unterbrach Cuinn sie.
„Aber ich würde dir jederzeit aus der Patsche helfen, wenn du mich nur mal darum bitten würdest. Aber nein, alles dreht sich immer nur um Lou.“
Oha, da war aber jemand eifersüchtig. Ich bereute diesen Gedanken sofort, als Chloe mich wütend anfunkelte. Blöde Gedankenleserei.
„Ich bitte dich jetzt“, warf Cuinn ein. „Es ist wirklich wichtig. Bitte hilf mir, auch wenn es für Lou ist. Sie wurde schwer verletzt, bevor Feargal mich hierhergebracht hat. Ich muss wissen, wie es ihr geht.“
Lou war anscheinend eine Freundin von Cuinn, wenn nicht sogar seine feste Freundin. Aber wer war Feargal?
„Feargal ist der Magier des Königshauses“, antwortete Chloe. „Wie zum Henker hat er es geschafft, dich in eine andere Welt zu zaubern?“
Cuinn schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht. Wir haben gekämpft, es gab eine Explosion und dann war ich hier.“
„Verstehe. Zwei starke Magier, eine gewaltige Menge an Magie, die aufeinander trifft und – ruuums – wird einer von ihnen in eine andere Welt katapultiert. Interessant. Ihr wisst schon, dass sonst nur Drachen so starke Magie besitzen, oder? Würdet ihr euch zusammen tun…“
„Wir werden uns nie zusammen tun.“ Cuinns Stimme klang dunkel und kühl. „Bring mich nach Hause, Chloe! Jetzt.“
Chloe seufzte. „Ich mag es nicht, wenn du sauer wirst.“ Dann nickte sie zu mir herüber. „Was ist mit ihr?“
„Eine Freundin“, antwortete Cuinn. „Sie hat mich hergebracht.“ Daraufhin richtete er seine Worte an mich. „Vielen Dank.“
Ich brauchte eine Weile, bis ich meine Stimme wiederfand. „D… da nicht für“, stammelte ich.
„Na gut, wenn ich dich nach Hause bringe, bekomme ich einen romantischen Abend mit dir allein, abgemacht?“, trällerte Chloe.
„Chloe!“, knirschte Cuinn.
Chloe lachte.
Dann breitete sie die Arme aus und wie auf Knopfdruck wurde der Nebel dichter. Ich wich ein paar Schritte zurück, wollte mich vorsichtig zurück zum Bahnhof begeben, doch ehe ich es auch nur bis zum Hang geschafft hatte, hatte sich der Nebel um mich herum zu einer undurchsichtigen weißen Wand verwandeln. Wie ein Blinder taperte ich noch ein paar Meter Richtung Stadt, bis ich stolperte – über was, wusste ich nicht – und mit dem Po im Sand landete. Okay, jetzt reichte es mir.
„Cuinn?“, rief ich in den Nebel hinein. Keine Antwort. „Cuinn!“ Mühsam rappelte ich mich wieder hoch und klopfte mir den Sand von der Hose. Die nasse Kälte kroch mir in den Nacken und von dort den Rücken hinunter. Ich schüttelte mich. „Chloe…“ Meine Zähne begannen zu klappern. „D-d-das ist n-n-nicht lustig“, stotterte ich und schlang die Arme um meinen Leib. Ich beschloss, einfach so lange wie angewurzelt auf diesem Fleck stehen zu bleiben, bis der Nebel sich wieder auflöste – wenn er das denn tun würde – und bis dahin nicht zu erfrieren. Letzteres würde in Anbetracht meines von oben bis unten zitternden Körpers eine Herausforderung werden. Undurchschaubarer Nebel war ja eine Sache, aber musste Chloe es dazu auch noch unbedingt eiskalt werden lassen?
Meine Finger und Zehen wurden taub. „Verdammt, Cuinn!“, schrie ich noch einmal. War er überhaupt noch da? Oder hatte die Nebelfrau ihn schon in ihrem Zaubernebel wegteleportiert? Funktionierte das überhaupt so?
„Katja? Du bist noch da?“, vernahm ich Cuinns Stimme. Na endlich!
„O-o-ob ich noch da bin? Offensichtlich schon! D-d-d-dasselbe k-könnte ich dich fragen!“ Ich beobachtete, wie der Nebel endlich wieder etwas schwächer wurde. Erleichtert stellte ich fest, dass ich meine Hände wieder sehen konnte, wenn ich sie mir vor die Augen hielt. Und wurde es tatsächlich wärmer? Meine Muskeln entkrampften sich allmählich. Ich nahm das Glitzern des Wassers vor mir wahr. Funkelte das Meer im Sonnenlicht? Wie lange war ich in diesem Nebel gefangen gewesen? Es war mir nur wie Minuten vorgekommen. Zugegeben, es waren viel zu lange Minuten gewesen, aber war es wirklich schon Morgen?
Die letzten Schleier verzogen sich und plötzlich wurde mir ganz flau im Magen. Das vor mir war nicht das Meer. Es war ein gigantischer See, umrandet von grünen Wiesen und nichts als grünen Wiesen.