Читать книгу Spreewaldkohle - Franziska Steinhauer - Страница 13

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Freddy ruckte aufgeregt mit dem Kopf, als der Riese gegen die Scheibe klopfte.

Totstellen war zwecklos.

Misstrauisch trat Eric an die gläserne Wand.

Der große Mann drückte einen Ausweis von außen dagegen, wartete geduldig, bis der andere alles entziffert hatte.

Zögernd schob Eric die Tür auf. »Was zum Henker will die Kriminalpolizei von uns?«

»Wir«, damit deutete Nachtigall auf die Kollegin, die urplötzlich hinter ihm aufgetaucht war, »möchten Ihnen ein paar Fragen zu Patrick Stein, Ihrem Nachbarn, stellen.«

Eric ließ die beiden eintreten.

»Aha. Ich denke, der ist verschwunden, oder?«

»Sie pflegen einen gutnachbarschaftlichen Kontakt?«, bohrte Nachtigall tiefer.

»Wie es halt mit Nachbarn so ist. Man kennt sich, und auch wieder nicht. Hinter die Stirn der anderen kann man nun mal nicht gucken – also muss man glauben, was man hört.«

»Er war Ihnen suspekt«, konstatierte Klapproth und versuchte, nonverbalen Kontakt zu Freddy aufzunehmen. Doch der war mindestens ebenso zurückhaltend wie sein Mitbewohner. »Brüder sind eben auch nur andere oder gar vollkommen fremde Menschen.«

Eric sah erstaunt auf. »Genau. Die meisten Leute verstehen das nicht. Nur, weil man zufällig verwandt ist, muss man sich doch nicht automatisch sympathisch sein! Wir haben uns unsere familiäre Beziehung schließlich nicht ausgesucht. Wurden nicht gefragt, hatten kein Mitspracherecht.« Er kniff die Augen zusammen, ein frettchenhafter Ausdruck flog über sein Gesicht. »Ha! Sie haben auch eine schwierige Geschwisterbeziehung!«

»Dennoch war das Verhältnis zu ihm und seiner Familie entspannt?« Nachtigall ließ nicht locker.

Eric wand sich sichtbar. Brachte eine Armlänge Abstand zwischen sich und die Arbeitsplatte, um genug Raum zu gewinnen.

»Nein, das so zu behaupten, wäre ein großer Fehler. Lyriker. Ein Mann, der sonderbare Texte schreibt. Doreen konnte mich vom ersten Blick an nicht leiden – die Kinder halten mich für einen harmlosen Spinner und bleiben auf Distanz, weil man bei Typen wie mir ja nie genau weiß …« Er lachte bitter. »Die halten mich für gaga.«

»War Patrick gestern Abend bei Ihnen?«

»Gestern nicht.«

»Wissen Sie das genau?« Klapproth behielt fasziniert Freddy im Blick.

»Ja. Selbstverständlich bin ich mir in diesem Punkt sicher, ich mag sonderbar sein, aber nicht dement. Ich dachte, wir könnten uns ein bisschen unterhalten. Politik, Alltag. Patrick war, äh ist kein Freund meiner Arbeit, nur ein genetischer Bruder. Schicksal eben. Freddy und ich haben eine ganze Weile auf ihn gewartet. Irgendwann war klar, dass er Laufen gegangen sein musste. Na, und viel später rief Doreen an, fragte nach, ob er bei mir sei, ich ihn gesprochen hätte. Knapp und unfreundlich. Wie immer eben.« Er hob die geöffneten Handflächen in Richtung Decke.

»Gern bekommen Sie nicht Besuch«, stellte Maja Klapproth trocken fest.

»Wir bleiben lieber unter uns, Freddy und ich. Wir sind uns selbst genug.«

»Gab es jemanden, mit dem Patrick enger befreundet war?«

»Das hoffe ich sehr für ihn! Jeder Mensch braucht einen Artgenossen, einen Seelenverwandten, mit dem er sich offen über alles austauschen kann. Doreen kam dafür nicht in Betracht, und ich bin für manche Themengebiete ein zu unerfahrener Gesprächspartner oder gar Ratgeber. Er muss eine Vertrauensperson gehabt haben.«

»Wie bei Ihnen und Freddy?«

»Ähnlich! Ja. Besonders dann, wenn man mit Doreen verheiratet ist.«

»Aber einen Namen haben Sie nicht für uns?«

Bedauernd hob Eric die Schulter.

»Haben Sie ihn noch nicht gefunden? Patrick ist keiner, der Unordnung in seinem Leben dulden kann. Es wäre absolut untypisch für ihn, einfach durchzubrennen.«

»Es entspräche nicht seinem Charakter? Soll ich das so verstehen, dass er Konflikten nicht ausweicht, sondern die Situation klärt?«, wollte Nachtigall wissen.

»Ja. So in der Art.«

Sprachlosigkeit zog ein.

Dehnte sich zu gefühlter Unendlichkeit.

»Okay«, seufzte Eric schließlich, als fürchte er, auf Dauer ohne Stimme zu bleiben. »Er hätte wenigstens mich eingeweiht, wenn er plante, die Familie zu verlassen. Um genau so eine Situation wie diese zu vermeiden!«, erklärte er unnötig laut, was ihm einen missmutigen Seitenblick von Freddy eintrug. »Er ist kein Freund von Unklarheiten. Seine Tage sind eng getaktet, perfekt durchstrukturiert. Er funktioniert wie ein Uhrwerk, nennt es Disziplin im Alltag. In Wahrheit verbirgt er dahinter nur seine Panik vor Überraschungen, Dingen, auf die man eine spontane, gute Antwort geben muss. So was war ihm von jeher verhasst.«

»Wussten Sie von den Morddrohungen?«, wechselte Klapproth ansatzlos das Thema.

»Ja. Drohmails und so ein krudes Zeug. Er hat mir davon erzählt.«

»Diese Drohungen – ob nun per Mail oder Post – haben ihn doch sicher verunsichert.« Nachtigall warf Maja einen warnenden Blick zu, der immerhin bewirkte, dass sie die Antwort des Bruders abwartete.

»Nun, wen würde so etwas nicht beschäftigen? Aber wirklich besorgt war Patrick nicht deswegen. Er meinte, er sei schließlich kein Einzelfall. Viele Politiker bekämen solche Mails. Er wollte sich nicht einmal an die Polizei wenden! Das verschaffe dem Absender nur eine Bühne, die er nicht verdiene.« Man konnte deutlich sehen, dass Eric diese Auffassung nicht teilte. Eine ungesunde Röte breitete sich über Hals und Wangen aus.

»Hat er Ihnen gegenüber mal geäußert, wen er als Absender vermutet?« Nachtigall zögerte einen Moment und schob schließlich eine »Kurzfassung« seiner Frage nach. »Hat der ›Feind‹ einen Namen?«

»Direkt nicht. Sie wissen ja, die Absender sind lauter Fakenames. Heute schreibt keiner mehr Heinz Schulz, Hopfenweg unter solch einen Text.«

»Ja, das ist sicher wahr. Aber er wird doch eine Vermutung gehabt haben.« Nachtigall zeigte sich hartleibig.

»Aktivisten einer selbst ernannten Umweltschutzorganisation, denen die Sache mit dem Kohleausstieg zu lange dauert, Autofahrer, die seiner Partei die CO2-Bepreisung übel nehmen, Menschen, die ohne Scham in Urlaub fliegen wollen, eine Kreuzfahrt genießen möchten – ohne ständig mit der Nase in den eigenen CO2-Abdruck gestoßen zu werden. Es gibt Menschen, die ihr Auto nicht gegen ein Fahrrad tauschen wollen. Einige können es auch gar nicht. Wir leben in einer politisch gewollten Mobilitätsgesellschaft. Daran haben wir uns gewöhnt. Nun soll sich an der Art der Mobilität vieles ändern. Das wird nicht von jetzt auf gleich gelingen, manche möchten ihren alten Trott gern beibehalten, andere freuen sich über invasive Maßnahmen zum Klimaschutz.« Eric räusperte sich, zuckte mit den Schultern. »Und wir haben noch immer keine Klarheit über die Maßnahmen, die im Rahmen des Ausstiegs getroffen werden sollen. Wer bekommt wie viel Geld und wofür? Das verunsichert die Menschen. Viele befürchten, die finanzielle Förderung des Ausstiegs würde nur in den Kassen der großen Konzerne verschwinden, die sich damit gesundstoßen. Die Angst grassiert, der kleine Mann sei am Ende mal wieder der Dumme. Unzufriedene gibt es auf allen Seiten.« Eric musterte den Cottbuser Hauptkommissar nachdenklich. »Mein Bruder wurde entführt?«

»Nein.« Der Cottbuser Hauptkommissar atmete tief durch. »Es tut uns sehr leid, aber wir haben vor wenigen Stunden seine Leiche aus dem Tagebau geborgen.« Nachtigall wartete still, bis diese Nachricht das Denken des jungen Mannes erreicht hatte. Setzte dann nach. »Wir müssen von einem Tötungsdelikt ausgehen.«

»Tot?« Eric schüttelte den Kopf. »Doch nicht Patrick. Sterben gehörte sicher nicht zu seiner aktuellen Planung der Woche!«

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