Читать книгу Spreewaldkohle - Franziska Steinhauer - Страница 14

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»Fahren wir zum Büro der Partei. Vielleicht kann uns dort jemand mehr über das Opfer erzählen als nur: Er war ordentlich, gewissenhaft und bestens organisiert.« Nachtigall konnte man den Ärger deutlich anhören. »Ist doch ziemlich traurig, wenn nach dem Tod eines Menschen nur solche Aussagen getroffen werden können. Unpersönlich, seltsam losgelöst von Persönlichkeit und gelebtem Alltag. Wenn ich sterbe, würde ich mir jedenfalls wünschen, dass man mehr über mich zu sagen weiß als: Er war ein guter Ermittler.«

Maja nickte. »Ich verstehe, was du meinst. Patrick Stein wird reduziert auf sein politisches Engagement und seine beruflichen Angelegenheiten. Vom privaten Patrick haben weder seine Frau noch sein Bruder ein Wort erwähnt. Bisher ist er ziemlich konturlos.«

»Nun, das werden wir jetzt ändern!«

»Ach, Mist!« Maja zuckte erschrocken zusammen, hieb sich mit der Faust auf den Oberschenkel. »Beinahe hätte ich den Termin bei den Kollegen versäumt. Wenn du mich bitte am Büro absetzen würdest … Mit ein bisschen Glück ist die Sache nach diesem Gespräch endlich vom Tisch.«

»Deine Zeugenaussage in dem Doppelmord am Gräbendorfer See? Gut. Dann setze ich dich ab und fahre zum Parteibüro.«

Maja rutschte auf dem Besucherstuhl hin und her.

Wenn du nicht die Kontrolle verlieren möchtest, wirst du dich am Riemen reißen müssen, meldete sich ihre innere Stimme mahnend. Dennoch wurden ihre Hände feucht.

Sie wischte die Innenflächen an ihrer Jeans ab.

Sinnlos.

Energische Schritte näherten sich über den Gang.

Majas Puls beschleunigte sich, ihre Atemfrequenz stieg.

Das ist lächerlich, wusste ihr Denken.

Abschalten ließ sich das Reaktionsmuster dennoch nicht.

Sie saß schlicht auf der falschen Seite des Tisches!

Ein hartes Klopfen an der Tür, die unmittelbar danach aufgerissen wurde.

»Hallo, Maja. Schön, dass du es geschafft hast zu kommen. Immerhin steckt ihr ja auch gerade in einer brenzligen Mordermittlung.«

Der junge Kollege nickte ihr zu.

Einen Handschlag wollte er nicht, würde also auch ihre schweißigen Hände nicht bemerken. Offensichtlich war der Kollege ihr gegenüber nicht misstrauisch oder verzichtete generell auf wichtige Informationen über seine geladenen Gesprächspartner. Feuchte Hände und schneller Puls … sollten einen Ermittler interessieren.

»Ich will dir nicht sinnlos deine Zeit rauben. Es geht um ein paar Fragen am Rande der Ermittlung, die wir als beantwortet abhaken möchten.«

Maja nickte zurückhaltend. »Mich beschäftigt die Sache auch«, räumte sie ein.

»Kann ich mir vorstellen. Passiert nicht alle Tage, dass man als Ermittler so unmittelbar in einen Fall verwickelt wird.«

Mitgefühl schwang unter den Worten Jannik Peters hörbar mit.

»Nun, wir wissen, dass der Täter die beiden Opfer als Paar auf dem Dach dieses schwimmenden Hauses arrangiert hatte. Floating House, heißen diese Hausboote korrekt. Die beiden Getöteten kannten sich nicht. Wir haben intensiv nach zufälligen oder anderen Verbindungen gesucht, aber keine gefunden. Beide waren alleinstehend, ohne jeden familiären Anhang mit überschaubarem Freundeskreis. Beider Aktionsradius war beschränkt. Er wohnte in Berlin, trieb Sport in einem Studio. Sie lebte in Senftenberg und besuchte gern die Bühne dort und häufig auch das Staatstheater in Cottbus. Die Tatsache, dass ein Foto von Blumen in einer Vase am Tatort gefunden wurde, verbindet allerdings den Täter mit dir! Denn die Vase war leer, die Blumen hatte jemand auf deinen Fußabtreter gelegt.«

»Ja. Mit einem Zettel dran, auf dem Maja stand. Das wissen wir doch alles schon! Ganz besondere Blumen, sehr spezielle Züchtungen, nehme ich an. Konntet ihr nicht herausfinden, wo er die gekauft hat? Solch besondere Blüten bekommt man sicher nicht in jedem Blumenladen.«

»Leider konnten wir das Geschäft bisher nicht ermitteln. Tatsache ist, dass der Täter sie ja gar nicht in Cottbus gekauft haben muss. Vielleicht in Berlin? Wir sind dran. Interessanter ist die Frage, woher der Täter deinen Vornamen kannte. Auf dem Klingelschild steht er nicht.«

»Tja, ich weiß es nicht! Im Haus habe ich bisher nur Kontakt zu meinem Bruder. Die unregelmäßigen Arbeitszeiten fördern nicht gerade Beziehungen zur Nachbarschaft.« Maja merkte ein Auflodern der Aggressivität, die sie eigentlich unterdrücken wollte, atmete tief durch. Unauffällig. Schließlich ging ihre tatsächliche emotionale Beteiligung an diesem Fall den Kollegen nichts an. »Der Täter hat mich durch das Ablegen der Blumen in seinen Doppelmord involviert. Das war absichtsvolles Handeln. Entweder kennt er mich tatsächlich oder hat zufällig meinen Namen gehört, weil er Zeuge eines Gesprächs zwischen mir und Fabian war. Darüber haben wir ebenfalls schon gesprochen.«

»Ja, das haben wir geklärt. Es gibt allerdings eine weitere interessante Möglichkeit: Es könnte sich um jemanden aus deiner Kölner Zeit handeln.«

Maja seufzte tief. Das war ja zu erwarten, dachte sie. Irgendein Idiot, der sich für ihre Ermittlungen rächen wollte. »Habt ihr jemanden feststellen können, der vielleicht so einen Plan haben würde?«

»Ja. Tatsächlich gibt es nach unseren Recherchen mindestens fünf Verurteilte, die dir gedroht haben, dich dein Leben lang zu verfolgen, sich grausam an dir zu rächen und so weiter.«

»Die habt ihr sicher überprüft. Alle konnten ein Alibi präsentieren. Und nun soll ich gründlich nachdenken?«

»So ungefähr – ja.«

Maja verzog das Gesicht. »Hausaufgaben für die Kollegin? Als ob ich nicht selbst ohnehin die ganze Zeit darüber nachdächte! Das ist doch die erste Frage, die man sich stellt: Hat das Ganze wirklich mit mir zu tun? Bin ich nur zufällig verwickelt worden, weil ich neu in der Stadt bin? Eine Zugezogene?« Sie stand so schwungvoll auf, dass sie den Stuhl umriss. »Wäre mir jemand eingefallen, wüsstest du davon. Und ja, mein Bruder fühlt sich beobachtet, seit wir umgezogen sind. Aber auch er hat keine Idee, wer es sein könnte – oder ob der Überwacher überhaupt existiert. Er hält es für möglich, dass er ein Hirngespinst ist, nur ein diffuses Gefühl. So. Und jetzt gehe ich zurück zu unserem eigenen Fall.«

Damit stakste sie steif davon.

Zurück blieben ein ratloser Kollege und ein umgestürzter Stuhl.

Peter Nachtigall parkte ein Stück entfernt vom Parteibüro auf dem Parkplatz vor der Kammerbühne.

Er brauchte frische Luft.

Bis zur Breitscheidstraße war es nicht weit. Und außerdem regte Laufen das Denken an.

Konnte auf keinen Fall schaden, dachte er zufrieden.

»Guten Morgen«, begrüßte ihn die junge Frau, hielt ihm die Tür auf, lud ihn mit einer Geste ein, hineinzukommen. »Ich bin Kati Brauner. Kann ich Ihnen behilflich sein?«

»Ja, mein Name ist Peter Nachtigall, Kriminalpolizei Cottbus. Ich hätte gern ein paar Informationen über die Drohmails, die Ihr Parteifreund Patrick Stein bekommen hat.« Der Ausweis wurde kurz in Augenschein genommen. Das strahlende Lächeln vertrocknete zusehends.

»Kommen Sie bitte mit.«

Nachtigall folgte dem wippenden Pferdeschwanz.

»Warum kommen Sie ausgerechnet jetzt? Es wäre besser gewesen, Sie hätten Ihren Besuch mit Patrick abgesprochen. Er ist nämlich heute nicht hier, es ist mir unangenehm, Sie an seinem Rechner stöbern zu lassen, ganz ohne seine Zustimmung. Und vielleicht auch ohne sein Wissen? Brauchen Sie für so etwas nicht einen Beschluss?«

Der Cottbuser Hauptkommissar seufzte innerlich. Er hatte eigentlich nicht mit dem Tod ins Haus fallen wollen, kämpfte selbst noch gegen das Bild an, das ihm lebhaft vor Augen stand. Die Hand des Familienvaters, die unheilvoll über den Rand der Schaufel … Als winke er weitere Katastrophen heran. Und Zeugen waren nach einer solchen Eröffnung häufig zu sehr aufgewühlt, um noch sachdienliche Hinweise geben zu können. Aber nun blieb ihm keine andere Wahl.

»Es tut mir leid, aber wir wurden eingeschaltet, weil Herr Stein wahrscheinlich einem Tötungsdelikt zum Opfer gefallen ist. Alle Hinweise sind von größter Bedeutung.«

»Patrick?«, fragte Kati schrill. »Tötungsdelikt? Sie sprechen von Mord?«

»Wir ermitteln in alle Richtungen. Ich kann mir vorstellen, dass das für Sie ein großer Schock ist. Vielleicht setzen Sie sich einen Moment«, murmelte Nachtigall und schob die junge Frau vorsichtig in Richtung Besucherecke, platzierte sie auf einer giftgrünen Couch.

»Tötungsdelikt. Mord?«, wiederholte die junge Frau leise. »Ausgerechnet Patrick? Das kann ich nicht glauben.«

»Wir wissen noch nicht, wie er gestorben ist, können zum jetzigen Zeitpunkt nichts ausschließen. Er ist gestern Nachmittag zum Laufen aufgebrochen. Wussten Sie, dass er das geplant hatte?« Der sanfte Ton schien Kati etwas zu beruhigen.

»Ja. Alle wussten das. Er legte die Termine fest – und jeder wusste, dass er die Sache mit dem sportlichen Engagement sehr ernst nahm. Noch.«

»Er hielt nicht lange durch? Das kenne ich aus eigener Erfahrung.«

»Die Ziele waren zu hochgesteckt. Sie wissen schon: nicht operationalisiert. Man kann niemals aus dem Nichts heraus ein toller Läufer werden. Das muss sich entwickeln. Es war der sechste Anlauf, seit ich ihn kenne. Und das sind nun immerhin schon vier Jahre.«

»Lief er immer zur selben Zeit, eine gewohnte Strecke?«

»Nein. Das funktioniert in dieser Kombination aus seinem Job und politischem Engagement nicht. Aber was hat das mit seiner Ermordung zu tun?«

»Nun, er brach zum Laufen auf, kehrte aber nicht zurück. Ist es denkbar, dass er nach dem Training noch ein Treffen hatte?«

Kati schwankte ein wenig beim Aufstehen, hielt sich tapfer aufrecht und ging langsam auf den Schreibtisch zu. »Es gibt einen Kalender. Moment … Nein, hier ist kein Eintrag für gestern. Ich checke den Computer.«

»Nein, bitte starten sie ihn nicht! Die Kollegen nehmen ihn später mit. Ich brauche nur das Kennwort, damit die Kollegen barrierefreien Zugang haben. Ein Team des Erkennungsdienstes ist auf dem Weg. Wir werden ebenfalls einige der Akten mitnehmen müssen.«

»Gut. Ich hoffe, Patrick hat alle wichtigen Dinge in der Cloud abgelegt. Sonst wird die Arbeit für uns schwierig.«

Kati setzte sich wieder. Weinte leise. Nestelte ein Taschentuch aus einer Packung, knisterte diese zurück in die Gesäßtasche der Jeans.

»Hatte Patrick eine besondere Beziehung zum Tagebau? Also abgesehen von der Diskussion über die Schließungen.«

»Patrick? Ich glaube nicht. Er hat mal eine Führung mitgemacht, wusste über alle Belange der Arbeit dort bestens Bescheid, kannte die aktuellen Diskussionen, die Ängste und Besorgnisse der Menschen, die dort arbeiten. Aber an der Frage der Abschaltung gibt es nichts zu rütteln. Die kommt. Wichtig war ihm das soziale Abfedern.« Sie schnäuzte kräftig in ihr Papiertuch, wischte ein paar Tränen von den Wangen.

»Die Drohmails bezogen sich auf dieses Thema, nicht wahr?«

»Ja. Manche. Es wird dauern, bis alle begreifen, dass gehandelt werden muss, wir keine Minute mehr zu verschenken haben. Selbst Frau Merkel hat den Klimaschutz als Aufgabe zur Lebensrettung der Menschen beschrieben.«

»War er wütend, wenn er solche Mails bekam? Manche enthielten nach Aussagen seiner Frau Morddrohungen.«

»Patrick hat das schon ernst genommen, glaube ich. Wütend oder etwa besorgt war er nicht, aber oft enttäuscht. Warum begreifen die Leute nicht, dass es Einschnitte geben muss? Es ist doch inzwischen gut zu erkennen, dass das Klima sich dramatisch ändert. Gerade in der Lausitz! Seit Jahren leiden wir unter anhaltender Dürre. Daraus resultieren Ernteausfälle und Waldsterben. Wie kann man da Schadstoffausstoß auf die Formel Freie Fahrt für freie Bürger reduzieren?«

»Was für ein Mensch war Patrick Stein?«

»Ordentlich, zielstrebig, aber auch hartnäckig und in manchen Fragen unbeugsam.«

»Hm.«

»Das wissen Sie schon?« Kati schniefte, putzte wieder die Nase. »Er war ein liebevoller Vater. Wenn eines der Mädchen anrief, ließ er alles andere los, widmete sich voll dem Problem des Kindes. Sei es ein verloren gegangenes Spielzeug, ein aufgeschlagenes Knie, ein kaputtes Fahrrad. Seine Frau ist ziemlich streng mit den beiden, aber er war freundlich, zugewandt. Ich denke, sie konnten mit ihm wirklich über alles reden.« Kati schluchzte leise auf. Setzte hinzu: »Natürlich war das Training nicht nur aus gesundheitlichen Gründen für ihn wichtig, er versuchte, seine verblassende Jugend zu erhalten. Sein Gewicht sollte reduziert werden, der Körper gestrafft. Die nahende Midlife-Crisis. Er war durchaus ein echter Kumpel, eine gewisse Arroganz musste man allerdings abkönnen.«

»Er war ein sympathischer Typ?«

»Ja. Einer, auf den hundertprozentig Verlass war. Kein dummer Draufgänger, kein Angeber. Und für #metoo wäre er überhaupt nicht in Betracht gekommen. Er liebte seine Familie. Eigentlich fehlte bloß der Bobtail zum perfekten Bild.« Es entstand eine kurze Pause, dann setzte Kati patzig hinzu: »Aber Doreen steht eher auf Katzen.«

Nachtigall spürte, wie sich eine gewisse Erleichterung in seinem Denken Platz machte. Stein war also doch nicht nur ein funktionierendes Rad gewesen, sondern ein netter Vater mit dezidierten politischen Ansichten und einem fixierten Lebensentwurf.

»Haben Sie bei seinem Arbeitgeber nachgefragt? Wissen die überhaupt schon Bescheid? Ich weiß, dass er sich gestern noch auf ein wichtiges Kundengespräch vorbereiten wollte.«

Das Türsignal bezeugte die Ankunft einer weiteren Person.

»Das ist sicher Fritz.« Nach kräftigem Schnäuzen rief sie laut: »Wir sind hier in Patricks Büro!«

Wenig später wand sich ein Kopf um den Türrahmen.

Kahl geschoren, die Nase gepierct, der Hals offensichtlich bis weit unter das T-Shirt-Bündchen tätowiert.

»Hey! Wer ist denn der Besucher?«

»Kriminalpolizei.«

»Oha.«

»Darf ich vorstellen: Friederike Schultheiß, genannt Fritz, neben Patrick unser zweites bekanntes Gesicht. – Herr Nachtigall, Kriminalpolizei Cottbus.« Kati sprang aus dem Polster auf. »Patrick ist tot!«

»Ach – hat sich nun doch einer getraut? Glückwunsch!«

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