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Kapitel 3 LAS VEGAS: SILBERSTREIFEN AM STRAHLENDEN HORIZONT
ОглавлениеDie Nevada National Security Site ist Nordamerikas Atomlandschaft schlechthin: ein umzäuntes und weitgehend verlassenes Gebiet aus nichts als Sand, Kakteen und Joshua Trees, größer als der Bundesstaat Rhode Island. Damals, als auf dem Gelände noch die US-amerikanischen Kernwaffentests stattfanden, ließ man hier die Korken knallen. Alles, was in Amerika neu und aufregend war, trug die Bezeichnung »atomic«, und in Nevada konnte man das neue Zeitalter an vorderster Front miterleben.
Zu sehen war das Leuchten noch im 560 Kilometer entfernten San Francisco. In dem jungen, aufstrebenden Wüstenressort Las Vegas jedoch, weniger als 120 Kilometer vom Testgelände entfernt, waren die Bombenexplosionen eine regelrechte Attraktion für Wochenendtouristen. Die Handelskammer vermarktete Las Vegas als »Atomic City, USA« und gab Gratiskalender mit den Zeiten der geplanten Atomtests heraus. Es war der letzte Schrei, mit Atom-Cocktails die Nächte durchzufeiern und dann den Highway 95 hinunterzufahren, um in der Morgendämmerung die Detonation aus der Nähe zu beobachten. Oder man erlebte den Atompilz und das Beben der Erde vom Hotelzimmer aus. Für Suiten, die Fenster in Richtung des Testgeländes besaßen, wurde ein Aufpreis verlangt.1
Auch die Stars erlagen der nuklearen Versuchung. Als der junge Elvis Presley in Las Vegas auftrat, wurde er als »Amerikas einziger Sänger mit der Power des Atoms« angepriesen. Um den Glamour noch zu steigern, kürte man eine Zeit lang alljährlich eine »Miss Atomic Bomb«. Atombomben, Elvis und Showgirls – mehr Las Vegas ging nicht! Was hätte ein mächtigeres Sinnbild für das moderne Amerika sein können?
Zur Blütezeit der Atomtests in der Wüste von Nevada wurde vier Mal, von 1952 bis 1957, eine junge Frau zur Miss Atombombe gekrönt. Die erste war Candyce King, eine Tänzerin im Last Frontier Hotel von Las Vegas – die »vor Liebreiz anstelle tödlicher Atomteilchen strahlt«, wie es ein Journalist formulierte. Ihr offizieller Titel war »Miss Atomic Blast«, und einen Schönheitswettbewerb hatte es gar nicht gegeben, lediglich ein Werbefoto, auf dem sie eine atompilzförmige Kappe trägt.
Die nächste war Paula Harris, die bei einem Festumzug auf einem der Wagen neben einer Atompilzwolke saß, eine Anspielung auf den Oscar-nominierten Film Die Stadt der tausend Gefahren (The Atomic City). In dem Film von 1952 wird der Sohn eines Wissenschaftlers der geheimen Atombombenstadt Los Alamos Opfer einer Entführung. Auf Harris folgte Anfang 1955 Linda Lawson, die als Sängerin im Sands Hotel arbeitete. Sie soll »Miss Cue« genannt worden sein, eine ironische Anspielung auf die mehrfach verschobene Testreihe »Operation Cue«, bei der die Auswirkungen einer atomaren Explosion auf Häuser, Brücken und die städtische Infrastruktur getestet werden sollten.
Die berühmteste Miss schließlich war ein weiteres Showgirl aus dem Sands Hotel; sie trat 1957 unter dem Namen Lee Merlin auf. Auf einem Foto trägt sie einen Badeanzug, der weitgehend aus einem großen Baumwoll-Atompilz besteht. Mit diesem Bild war alles klar. Blonde Locken im Wind, die Arme hochgereckt, rote Lippen – und ein weißer Atompilz. Seltsamerweise weiß niemand, was aus ihr geworden ist und ob sie tatsächlich so hieß. Fast genauso schnell wie die Pilzwolken war sie wieder verschwunden.
Die Bombe war so sexy, dass nicht nur Frauen nach Bomben benannt wurden, sondern auch umgekehrt. Ein Atomtest im Juni 1957 – bei dem siebenhundert Schweine hoch radioaktiver Strahlung und umherfliegenden Glaspartikeln ausgesetzt wurden, um herauszufinden, wie es ihnen danach ging – trug den Namen »Priscilla«. Gerüchten zufolge war das der Name einer beliebten Prostituierten aus Pahrump, einer Kleinstadt nahe dem Testgelände, in der zahlreiche dort beschäftigte Arbeiter untergebracht waren.2
Auch Kinder ließ man die Bombe feiern. In St. George, Utah, einer Mormonenstadt, die in Hauptwindrichtung vom Testgelände lag und in der später vermehrt Krebserkrankungen auftraten, wurde 1954 ein kleines Mädchen mit Atompilz auf dem Kleid zu »Unserer kleinen A-Bombe« gekürt. Die erste Miss Atombombe aber wurde skurrilerweise gar nicht in Nevada ernannt, wie der damalige Strahlenschutztechniker Robert Friedrichs zu erzählen weiß, der später für das Zeitzeugenprojekt der Testanlage recherchierte. Ja, nicht einmal in Amerika. Gekürt wurde sie bei einem 1946 von den amerikanischen Besatzungstruppen organisierten Schönheitswettbewerb in Nagasaki, nur wenige Monate nachdem die amerikanische Bombe diese Stadt zerstört hatte.3 Auf Fotos, die damals in einem Frauenmagazin erschienen, sieht man die vier Finalistinnen in Kimonos statt Badeanzügen und hinter ihnen einen Haufen grinsender GIs.4
Nevada war ein Nachzügler in Sachen Nuklearwaffentests. Die allererste, zunächst geheim gehaltene Atombombendetonation fand in den frühen Morgenstunden des 16. Juli 1945 statt. (Atomtests wurden in der Regel in der Morgendämmerung angesetzt, weil meist Windstille herrschte, was die Ausbreitung des Fallouts minimierte und die Wolke besonders pilzförmig erscheinen ließ.) Schauplatz des Trinity-Tests war die Wüste Jornada del Muerto, wörtlich »Marsch des Toten«, südlich von Albuquerque in New Mexico. Durch die Detonation der tennisballgroßen Plutoniumkugel verdampfte der gut dreißig Meter hohe Stahlturm, an dem die Bombe aufgehängt war, und zurück blieb ein dreihundert Meter breiter Krater im Sand. Die Pilzwolke über der Wüste erhob sich bis in eine Höhe von mehr als zwölf Kilometern. Nach vierzig Sekunden erreichte eine dröhnende Druckwelle die knapp zehn Kilometer entfernten nächsten Beobachter und riss viele von ihnen um. Der Sand rings um den Krater schmolz zu grünem Glas, dem Geologen später den Namen Trinitit gaben.5
1952 füllten Pioniere der US-Armee den Krater auf und errichteten einen Obelisken mit Gedenktafel. Der Ort der Detonation gehört heute zum Raketentestgelände White Sands Missile Range und ist zweimal im Jahr für die Öffentlichkeit zugänglich. Wer versucht ist, einen der Trinititsplitter aufzuheben, die man immer noch rund um den Obelisken finden kann, wird ermahnt, dies sei verboten – das Glas ist mit radioaktiven Plutoniumspuren bedeckt, deren Zerfall noch Zehntausende Jahre andauern wird.
Nach dem Krieg hatten die Bombenmacher zunächst beschlossen, amerikanischen Boden nicht durch Atomtests zu beschmutzen. Für weitere Versuche mit noch mächtigeren Bomben fiel ihre Wahl auf die Marshallinseln im Pazifik, die man jüngst von den Japanern befreit hatte, genauer auf eines ihrer entlegensten Atolle, das Bikini-Atoll. Das bescherte der Welt den Bikini. Das erste zweiteilige Badeanzugmodell bekam den Namen atome und wurde 1946 von dem französischen Modeschöpfer Jacques Heim begeistert als »der kleinste Badeanzug der Welt« angepriesen. Nach dem ersten US-Kernwaffentest in jenem Sommer jedoch brachte ein französischer Kfz-Ingenieur namens Louis Réard, der kurz zuvor das Dessous-Unternehmen seiner Mutter übernommen hatte, einen noch winzigeren Zweiteiler auf den Markt, den er Bikini nannte. Der Vatikan nannte ihn »sündig« – den Badeanzug wohlgemerkt, nicht den Atomtest.
Als auch die Sowjetunion 1949 zur Atommacht aufgestiegen war, nahm die Häufigkeit der Tests zu, und weil die Wüste von Nevada so gut dafür geeignet war, testeten die Atombombardiere nun wieder auf heimischem Grund und Boden. Nachdem sie am 27. Januar 1951 den »Apparat« ABLE über dem ausgetrockneten See Frenchman Flat auf dem neuen Testgelände von Nevada zur Detonation gebracht hatten, wurde der frühmorgendliche Himmel nun häufiger von Atomtests erhellt, die oft sogar im Fernsehen übertragen wurden.
Schon bald verfolgte das ganze Land begeistert das nukleare Spektakel. Alles Mögliche, von Uhren über Lampen bis hin zu Firmenlogos, wurde plötzlich im »Atomstil« gestaltet, etwa mit Pilzwolken oder einem Atomkern, umkreist von Elektronen. Highschool-Football-Teams bekamen neue Namen wie »The Atoms«. (Eine Schulmannschaft aus der Umgebung des Nuklearkomplexes von Hanford verwendet bis heute das Atompilzsymbol.6) Doch unter die Begeisterung mischte sich Angst. Es war die Amtszeit von Senator Joe McCarthy, und die von ihm geleiteten öffentlichen Verhöre zur Aufdeckung einer befürchteten Unterwanderung der Regierung durch Kommunisten führten in der Politik zu einem Klima der Paranoia. Dabei gab es durchaus echte Spione, wie den jüngst inhaftierten Klaus Fuchs. Und aufgrund der Furcht vor einem totalen Atomkrieg zwischen den USA und den Sowjets wurden erschreckend systematische Vorkehrungen getroffen.
Unheimlicher noch als die Atomtest-Gaffer in den Luxussuiten von Las Vegas waren die sogenannten Survival Towns. Auf dem Testgelände errichteten Soldaten Abbilder amerikanischer Vorstädte mit vollständig eingerichteten Häusern, bewohnt von Schaufensterpuppen. Ihre Zerstörung wurde detailgenau auf Film festgehalten, denn man wollte wissen, was passierte, wenn das Land apfelkuchenseliger Heimeligkeit in Grund und Boden gebombt würde.7
Nicht weit davon entfernt, ebenfalls auf dem Testgelände, lag eine beinahe genauso surreal anmutende Stadt. Mit Mercury, einem alten, etwa acht Kilometer vom Highway 95 entfernten Bergbauort, bekam nun auch Amerika eine geschlossene Atomstadt. Sie bildete den Zugang zum Testgelände, war aber zugleich durch militärische Bewachung von der Außenwelt abgeschnitten. Zeitweise hatte Mercury eine Bevölkerung von über zehntausend Angestellten und kam damit fast an die ständige Bevölkerung von Las Vegas heran. Es gab eine Bowlingbahn, ein Kino, ein Schwimmbad, eine Kirche, ein Krankenhaus, eine Bibliothek und das Atomic Motel – ganz zu schweigen von der Desert-Rock-Landebahn, eigens errichtet für den Besuch von Präsident John F. Kennedy im Jahr 1963. Auch Mercury war ein perfektes Imitat einer amerikanischen Vorstadt – und endete als einziges nicht in Trümmern. Wenngleich auf nur noch fünfhundert Seelen geschrumpft, besteht diese Zeitkapsel der 1950er-Jahre bis heute.
Zwischen 1951 und 1962 wurden in Nevada rund einhundert oberirdische Tests durchgeführt. Broschüren der Atomenergiekommission sollten jegliche Ängste beschwichtigen, dass es gefährlich sei, die Tests zu beobachten. Anwohnern und Touristen wurde versichert: »Obwohl manche von Ihnen einem potenziellen Risiko durch Lichtblitz, Detonation oder Fallout ausgesetzt gewesen sind«, sei die von den Tests ausgehende Strahlung »nur geringfügig höher als die normale Strahlung […] unabhängig von Ihrem Wohnort« und »stellt für alles Leben außerhalb des Testgeländes keine ernsthafte Gefahr dar«.8
Auf jeden Fall sei es patriotisch, Zeuge zu sein. »Sie nehmen damit ganz konkret aktiv am Atomtestprogramm unserer Nation teil«, hieß es in der Broschüre. Ja, natürlich, aber zugleich waren die Zeugen unfreiwillige Versuchskaninchen in einem staatlichen Experiment. Als die Pilzwolken vom Wind auseinandergetrieben wurden, verteilten sie radioaktive Partikel über das ganze Land. In späteren Jahren sollten Forscher Gesundheitsstatistiken studieren, um herauszufinden, wie gefährlich dieser Fallout womöglich gewesen war. Viele US-Bürger klagten vor Gericht auf Ausgleichszahlungen für körperliche Schäden, die sie angaben, erlitten zu haben.
Anwohner hakten bereits früh nach, ob die Tests wirklich so unbedenklich für sie waren, wie die Atomenergiekommission es stets erklärte. Anfang 1953 starben rund viertausend Schafe, darunter neugeborene Lämmer, auf einer achtzig Kilometer entfernten Weide in Hauptwindrichtung vom Testgelände. Damals wurde der Vorfall vertuscht. Tote Lämmchen waren schlechte PR, doch zwanzig Jahre später stellten Forscher – obwohl die Kommission einen Zusammenhang immer zurückgewiesen hatte – fest, dass die Tiere durch den Fallout radioaktiv belastetes Gras gefressen hatten und daran gestorben waren. Als einige Wochen nach dem Vorfall mit den Schafen kurz nach der Detonation des Tests »Simon« der Fallout niederging, waren die Behörden so alarmiert, dass Straßen jenseits der Grenze zu Kalifornien gesperrt und Dutzende Fahrzeuge dekontaminiert wurden. 1958 mischte sich eine Fallout-Wolke mit dem Smog über Los Angeles.9
Die Wissenschaft hinkte den Ängsten der Bevölkerung stets hinterher. Als Erstes widmete man sich den Armeeangehörigen. Wie eine Studie aus den späten 70er-Jahren befand, waren unter den dreitausend Soldaten, die man im August 1957 hatte antreten lassen, um dem Test »Smokey« beizuwohnen, später doppelt so viele Leukämiefälle zu verzeichnen als statistisch erwartbar. War das nun Zufall, das Ergebnis einer besonders genauen Erhebung oder eine tatsächliche Auswirkung? Möglich sind alle drei Erklärungen. Die Amerikanische Krebsgesellschaft gab später bekannt, dass die Zahl der Leukämiefälle unter Militärangehörigen, die den Tests im Rahmen ihrer Dienstpflicht beigewohnt hatten, im Durchschnitt dreimal höher gewesen sei; andere Studien hingegen erkannten keinen vergleichbaren Zusammenhang.10 Da weitreichende Entschädigungen bereits flossen, ehe wissenschaftliche Belege vorlagen, ist die Motivation, die Wahrheit herauszufinden, gesunken. Die Zusammenhänge sind bis heute unbewiesen.
Als Nächstes befassten sich Forscher mit der Zivilbevölkerung, die in Windrichtung vom Testgelände lebte. In den 1980er-Jahren stellte der Epidemiologe Carl Johnson aus Colorado eine um 60 Prozent erhöhte Krebsrate bei den viertausend Mormonen der Kleinstädte in Südwest-Utah fest; darunter auch die Stadt St. George, in der 1954 »Unsere kleine A-Bombe« gekrönt worden war und die weniger als 250 Kilometer vom Detonationsort in Nevada entfernt liegt.11 In St. George war man in die Bombe vernarrt, und die Behörden setzten die eigenen Bürger einigen Gefahren aus. Schulen veranstalteten Ausflüge zu Aussichtspunkten, von denen man die Atompilze im Süden gut sehen konnte.
Im Mai 1953 wurde die Stadt direkt getroffen, denn der Wind drehte und bescherte ihr den Fallout einer Bombe namens »Harry« – die ihren Spitznamen »Dirty Harry« der Tatsache verdankt, dass sie mehr Fallout generierte als jeder andere oberirdische Test auf dem Festland der Vereinigten Staaten.12 Die Strahlendosis, der ein Mensch dort an diesem Tag ausgesetzt war, wurde auf 60 Millisievert geschätzt, das ist mehr als das Dreifache des damaligen Grenzwerts für die Öffentlichkeit. Der Strahlenbiologe, der die Messungen durchführte, gab später vor Gericht an, er sei angewiesen worden, die gemessenen Werte zu verschweigen. Außerdem sei sein offizieller Bericht von Dritten manipuliert worden.13 Eine Dosis von 60 Millisievert liegt noch unter dem Wert, bei dem eine Zunahme von Krebserkrankungen und anderen Schädigungen sicher nachgewiesen wurde; er wird im Allgemeinen bei rund 100 Millisievert angesetzt. Allerdings waren die Menschen in Südwest-Utah dem Fallout vieler Tests ausgesetzt. Wie der Strahlenexperte John Gofman von der Atomenergiekommission 1984 vor einem Bezirksgericht aussagte, schätzte er die kumulierte Belastung der Einwohner während der 1950er-Jahre auf rund 360 Millisievert, also deutlich in dem Bereich, der Schädigungen wahrscheinlich macht.14
Unter anderem aufgrund von Gofmans Aussage entschied der Richter, dass zehn Menschen aus dem Bundesstaat aufgrund des Fallouts an Krebs gestorben seien, darunter auch Sheldon Nisson aus St. George und Sybil Johnson aus dem benachbarten Cedar City, beide dreizehn Jahre alt. Außerdem befand er die Regierung der Fahrlässigkeit bei der Durchführung der Tests für schuldig und bemängelte, dass sie die in Hauptwindrichtung lebende Bevölkerung (»downwinders«) nicht über die Gefahren informiert habe. Der Richterspruch wurde von einem Berufungsgericht und danach vom Obersten Bundesgericht aufgehoben, doch in beiden Verfahren lediglich unter der Begründung, dass das Gesetz nicht bei Fällen greife, die die nationale Sicherheit beträfen.15
Viele vermuten, dass auch der Schauspieler John Wayne zu den Opfern der Kernwaffentests in Nevada zählt. In der Nähe von St. George drehte er 1974 Der Eroberer, einen Film über Dschingis Khan, den die Kritik verriss. Zwar fanden die Dreharbeiten lange nach dem Ende der Tests statt, doch wahrscheinlich wirbelte Wayne dabei jede Menge durch den Fallout kontaminierten Sand auf. Fünf Jahre später starb er an Magenkrebs. Auch drei weitere beteiligte Filmgrößen – Dick Powell, Susan Hayward und Agnes Moorehead – fielen Krebserkrankungen zum Opfer. Insgesamt erkrankten einundneunzig der zweihundertzwanzig Schauspieler und Crewmitglieder an Krebs, sechsundvierzig starben daran.16 Da allerdings damals etwa die Hälfte aller Amerikaner irgendwann im Leben an Krebs erkrankte und ein Viertel durch Krebserkrankungen sein Leben verlor, bleibt der Zusammenhang, bestenfalls, unbewiesen.
Nachdem die USA und andere Atommächte 1963 das Moskauer Atomteststoppabkommen unterzeichnet hatten, wurden in Nevada keine weiteren oberirdischen Tests mehr durchgeführt. Unterirdische Tests in Bohrlöchern und Tunneln fanden aber weiterhin statt. Dabei verdampfte oder schmolz zwar Gestein, doch in der Regel gelangte kein radioaktives Material in die Erdatmosphäre. Allerdings gab es Ausnahmen. Der in geringer Tiefe durchgeführte »Sedan«-Test ließ mit bis zu 390 Metern Durchmesser und bis zu 98 Metern Tiefe einen der größten Krater menschlichen Ursprungs entstehen und verteilte mehr radioaktives Material über das Land als jeder andere oberirdische Test der Vereinigten Staaten. Mehr sogar als »Dirty Harry«.17 Niemand riet den Downwinders, in Deckung zu gehen.
Solange Sie nicht selbst fürchten, an einer durch Strahlung verursachten Erkrankung zu leiden, kommt es Ihnen wahrscheinlich so vor, als läge all das lange zurück. Mehr als ein halbes Jahrhundert ist vergangen, seit der letzte Atompilz über der Wüste von Nevada aufgestiegen ist. Aber wenn man von Las Vegas aus den Highway 95 hinunterfährt, kann man Anzeichen einer moderneren Kriegsführung erkennen. Kurz vor der Abfahrt zu der »Zeitkapsel« namens Mercury kommt man an der Air-Force-Basis »Creech« vorbei. Den ganzen Tag über sitzen hier »Piloten« der Luftwaffe in Containern und steuern die wachsende Kampfdrohnenflotte der USA bei ihren tödlichen Missionen in den Tausende Kilometer entfernten Kampfgebieten von Syrien, Afghanistan und Somalia.18
Las Vegas boomt natürlich weiterhin, aber die Faszination für die Bombe, die anfangs zu seiner Blüte beigetragen hat, ist geschwunden. 2016 hatte ein schlauer Produzent die Idee, im Londoner West End eine Musical-Komödie mit dem Titel Miss Atomic Bomb auf die Beine zu stellen, die in Las Vegas spielt: »wo stets am Horizont ein Silberstreif erstrahlt und der Fallout dein Freund ist«. Er muss es für ein todsicheres Erfolgsrezept gehalten haben: Nostalgie, aber mit einer schrägen Note. Das Stück hielt sich jedoch nur wenige Wochen. Sogar die Bikini-Martinis an der Bar des St. James Theatre waren ein Reinfall.