Читать книгу Die Entführung der MS Hansa Stavanger - Frederik Euskirchen - Страница 16

2.2 Der 04. April 2009

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In der Nacht des 04. April stehe ich ab Mitternacht auf der Brücke. Ich habe selten so eine klare und ruhige Nacht gesehen. Der Sternenhimmel ist so deutlich, als wäre er zum Greifen nah, das spiegelglatte Meer reflektiert ihn und es wird schwer, sich durch diese Schönheit nicht ablenken zu lassen.

Wie mitten im Indischen Ozean üblich, ist kein Verkehr und nachts ist die Wahrscheinlichkeit eines Angriffes gering, aber das ändert nichts daran, dass wir aufmerksam sein müssen. Trotzdem, den Schein einer so herrlichen Nacht sollte man teilen und so rufe ich unseren technischen Offiziersassistenten Christian an.

Wir sind uns einig, das sind die Eindrücke und Momente, welche die Seefahrt trotz ihrer Entbehrungen schön machen können.

Auch wenn ich mich von meinen Pflichten auf der Brücke nicht ablenken lasse, kann ich doch für einen Moment das Gefühl vergessen, dass es hier im Indischen Ozean, irgendwo etwas Böses gibt, das auf uns lauert.

Zu Hause scheint man sich der Gefahren im Indischen Ozean wohl auch bewusst zu sein, kaum ist Christian wieder unten, bekomme ich ein Fax auf die Brücke, von einem anderen Christian, meinem Vater. Er schreibt, wie so oft, ich solle mich vor Piraten in acht nehmen und schreibt über ein paar Ideen zur Abwehr von Kaperversuchen.

Zum Ende meiner Wache antworte ich, mit ziemlicher Überzeugung, dass wir hier schon heil durchkommen. Zu früh gefreut …


Kurz nach vier ist meine Wache an den ersten Offizier übergeben und ich gehe auf Kammer. Gegen fünf Uhr schlafe ich ein. Keine vier Stunden später werde ich durch einen Alarm geweckt - ein langer Ton und die Durchsage vom dritten Offizier

"Vessel under Pirates Attack".

'Scheiße, das kann doch nicht sein ...', denke ich mir. Während ich mich rasch anziehe, kommt mir für den Bruchteil einer Sekunde der Gedanke, dass es sich um eine Übung handeln könnte.


Aber nein, die hätte ich ja dann selber vorbereitet und angesetzt - und das habe ich nicht. Eine kurze Zeit später bin ich oben auf der Brücke.


Zum Zeitpunkt des Angriffs, welcher sich ungefähr gegen 09:00 Uhr einleitete, ist die Brücke mit dem 3. Offizier besetzt. Der Wachmann wurde leider durch die Schiffsführung mit einer anderen Aufgabe betraut.

Die Vorgänge auf der Brücke bevor ich hochkomme sind mir nicht genau bekannt.

Aus der Erzählung scheint es sich jedoch so zugetragen zu haben, dass der 3. Offizier das Skiff an Backbord voraus in angeblich bereits 6 nm wahrnahm. Zunächst visuell, dann zur Bestimmung von Peilung und Distanz mit Hilfe des Radars.

Da das Skiff auf die HS Kurs nahm, änderte er den Kurs ca. 15° nach Steuerbord, das Skiff folgte und nahm Geschwindigkeit auf.

Kurz darauf wurde sofort Alarm ausgelöst.

Angeblich wurde noch eine volle Wende nach Steuerbord durchgeführt, was natürlich die Reduzierung der Schiffsgeschwindigkeit zu Folge hatte.

Man erkennt also, wie wichtig eine frühzeitige Erkennung ist, damit man noch in Ruhe das Schiff wenden kann, ohne Geschwindigkeit zu verlieren.


Als ich auf die Brücke komme, schaue ich zunächst auf das Radar, wo ich das Skiff nicht entdecken kann und vor allem auch keine Hinweise auf ein Mutterschiff.

Die Angreifer kann ich wenig später achteraus, leicht an Steuerbord versetzt sehen, ungefähr 1,5 sm entfernt.


Auf der Brücke befindet sich bereits der 1. Offizier, welchen ich bitte, das AIS einzuschalten, während ich das SSAS aktiviere. Der Kapitän ist ebenfalls schon auf der Brücke und hat die Maschine schon auf voll voraus gelegt. Die Feuerlöschpumpen laufen ebenfalls schon.

Der 3. Offizier wird runtergeschickt, um die Mannschaft zu mustern, welche sich bereits in der Zitadelle befindet. Allgemein verläuft unsere Reaktion auf den Notfall wie geplant.

Meine Aufgabe ist hauptsächlich die Kommunikation mit den zuständigen Behörden.

Ich schicke einen Notruf über Funk und ein vorbereitetes Telex an UKMTO und rufe diese auch mittels Satellitentelefon an. Mit UKMTO telefoniere ich die meiste Zeit über. Neben reichlich Fragen wie Anzahl der Skiffs und Piraten, Beschaffenheit des Skiffs, sichtliche Bewaffnung und Ausrüstung, welche aus empirischen Gründen gestellt werden, gibt man uns stets hilfreiche Anweisungen. Regelmäßig wird nach der Lage des Skiffs, Geschwindigkeit des Schiffes und der Möglichkeit, evtl. in See und Schwell zu drehen, gefragt. Entsprechend unseren Antworten werden dann Anweisungen und Ratschläge gegeben.

Je nach Situation, immerhin sind wir zwischenzeitlich unter Beschuss, kann ich dies an den Kapitän weitergeben oder selbst durchführen.

Hauptsächlich beinhalten die Anweisungen die Standardmanöver wie Zickzack-Kurs und versuchtes Abdrängen des Skiffs. Besonders hilfreich ist UKMTO, da es einen auch über den richtigen Zeitpunkt der Einleitung des Manövers berät. Eine ruhige und detaillierte Beschreibung der Situation an Bord ist daher sehr wichtig.

Nur eine Sache kann man UKMTO ankreiden. Keine neunzig Seemeilen von der HS befindet sich ein deutsches Marineschiff der Atalanta-Mission, das bereits in der Nacht bei uns ist.

Auf meine Nachfrage bezüglich Marinekräfte sagt mir UKMTO, das nächste Fahrzeug sei mehr als 600 sm entfernt. Das Wissen um unsere Fregatte hätte unser Verhalten nach der Kaperung um einiges verändert.


Zurück auf die Brücke:

Die Kommunikation durchgehend zu besetzen und neben dem Rudergänger auch einen weiteren Offizier dem Kapitän zur Seite zu stellen halte ich für das Sinnvollste.

In der Zeit während des Angriffs bis hin zur Kaperung hat sich dieses System als durchaus effektiv gezeigt. Jeder kann sich auf seine Aufgabe konzentrieren, sei es Rudergehen, Beobachten des Skiffs, Manövrieren oder die Kommunikation.


Insgesamt wurde das Skiff zweimal erfolgreich abgedrängt, beim dritten Mal gelingt dies nicht. Hier eine detaillierte Beschreibung.


Die erste Attacke kommt von Steuerbord aus. Unsere Geschwindigkeit zu diesem Zeitpunkt ist um die 18 bis 19 kn. Während das Skiff immer näher kommt und wir genaue Anweisungen von UKMTO bekommen, die ich weitergebe, hopst der Kapitän wie aufgedreht um mich herum und versucht aus dem Fenster Fotos zu machen. Die Anweisungen rufe ich an ihm vorbei, Jack, der Rudergänger bekommt sie auch so mit. Wir fangen an, je näher sie kommen, Zickzack-Manöver durchzuführen. Als der Kapitän das mitbekommt, unterstützt er unser Vorhaben lautstark: “Ja sehr gut, machst Du weiter so!” während er weiter Fotos macht. Es reicht langsam, ein oder zwei Fotos sind doch genug, wenn wir uns nicht konzentrieren, sind die Fotos sowieso nutzlos – so ist es auch, die Kamera haben jetzt die Piraten.

Bald wird unser Hobbyfotograf unschön zur Raison gebracht.

Während ich aus dem Fenster nach dem Skiff schaue, das sich fast schon querab befindet, sehe ich noch, dass einer der Piraten uns mit einer Handbewegung zum Stoppen auffordert. Kurz, nachdem ich mich abwende, höre ich den 1. Offizier meine Befürchtungen bestätigen – sie feuern mit einer RPG. Einen knappen Moment später kann man den Einschlag hören, es war an der Steuerbordseite zwei Decks unter der Brücke, der Feueralarm ertönt umgehend.


Dem Raketenbeschuss folgen noch Schnellfeuersalven. Während ich noch das Telefon in der Hand habe und mich, soweit das Kabel es zulässt, möglichst weit in Richtung Brückenmitte auf den Boden lege, hat sich auch der Rest der Brückenmannschaft auf den Boden geworfen. Immerhin wird mit den AKs auch in Richtung Brücke gefeuert. Schon während der Warnung des 1. Offiziers suchen wir Deckung, wobei das Ruder nicht besetzt ist. Das Schiff nun einfach weiterfahren zu lassen, würde es den Piraten zu einfach machen, mit ihrem bevorstehenden Boardingversuch.

Daher melde ich mich kurz von UKMTO ab und verlasse die Kommunikationsecke, um das Ruder zunächst auf Knien nach Steuerbord zu legen und das nötige Manöver selber durchzuführen.

Dabei ist es allerdings nötig, das Skiff zu sehen. Ich stehe auf. Da ich von meinem Standpunkt das Skiff nicht mehr sehen konnte, wusste ich, dass sie weit genug vorne sind, um das empfohlene Hart-Steuerbord-Manöver durchzuführen. Sinn ist es, das Skiff abzudrängen. Hätten sie also weiter hinten am Heck angegriffen, hätte ich das Ruder in die andere Richtung legen müssen.

Die Position des Skiffs ungefähr im Auge zu behalten ist daher sehr wichtig.

Dieser Angriff wird letztendlich abgebrochen, wir lassen das Schiff ausdrehen und fahren weiter, in der Hoffnung, dass sie aufgeben. Auch der Offizier von UKMTO gratuliert schon: ”Yeah, well done! Great! Taff man!”


Doch kurze Zeit später folgt schon die zweite Attacke, welche von Backbord kommt, ungefähr innerhalb von fünf Minuten nach dem ersten Angriff. In der kurzen Zeit hat sich durch den Raketeneinschlag in der Kapitänskammer schon ein Feuer entwickelt.

Deshalb werden zwischen beiden Attacken unser Rudergänger Jack und Vlad zum Feuer runtergeschickt, um ggf. zu löschen (unwahrscheinlich bei den hohen Temperaturen), zumindest den Verschlusszustand herzustellen und um unsere Pässe, Zertifikate zu holen.


Zum Glück war keiner mehr unten, als die Piraten sich zu ihrem zweiten Versuch an Backbordseite querab näherten, denn auch hier wurden wir wieder mit dem RPG beschossen. Diesmal schlug es ebenfalls nur zwei Decks unter der Brücke ein. Die Nachbarkammer vom Kapitän, ein Brand entsteht jedoch nicht.

Diesen Angriff können wir mit einer Wende nach backbord auf das Skiff hinzu abwehren. Wieder fielen die Piraten ab und blieben längere Zeit achteraus.

Die Anweisungen und Hilfestellungen des UKMTO sind zum Glück sehr klar und doch detailliert genug, sodass sie uns tatsächlich in der Situation weiterhelfen. Sie sind ein guter Gegenpol zu unserem Kapitän, der leider keine großen Anweisungen gibt. Die Anweisungen, die ich von dem UKMTO erhalte, sagt er einfach weiter. Das sorgt nicht nur einmal für Verwirrung, es sind Hilfestellungen, die er von mir weitergesagt bekommt und auf unsere Situation zuschneiden soll. Aber nein, wenn ich sage “sobald sie querab sind, sollen wir hart rüber“ kommt von ihm die Anweisung an Jack “Hard a port”. Viel zu früh. “No. Continue the Zick Zack” kommt von mir. “Wenn sie querab sind, Herr Kapitän, dann können wir rüber” “Ja musst Du sagen!”….

Vlad und ich hätten uns ein wenig mehr Koordination von unserem Vorgesetzten erwartet. Mehrmals schauen wir uns mit hochgezogenen Augenbrauen kurz an. Anstatt klarer Anweisungen kommt nur das plumpe Wiederholen von bereits Gesagtem oder unwahre Hiobsbotschaften wie: “Oh nein, sind die schon an Bord, ach du Scheiße. Nein, nein doch nicht, ist ok, fahren wir weiter.”

Jeder im Team kennt seine Aufgabe und führt diese auch mit Bedacht aus. Wieso kann er nicht irgendwo stehen, die Informationen empfangen, die Situation beurteilen und seine Entscheidung treffen.

Mit dem Rumgelaufe und immer was anderes Getue stört er uns fast schon.

Ich bin froh, dass Vlad und Jack mit oben sind. Sie begreifen die Situation und vor allem die Prozedur, die uns UKMTO versucht zu vermitteln.


Nach der zweiten missglückten Attacke fällt das Skiff weit zurück.

Zunächst denke ich, sie hätten keinen Sprit mehr, allerdings stecken sie lediglich die Tanks um. Wir rufen schon vor Freude, dass wir es geschafft haben, genau wie UKMTO auch wieder mitjubelt und sich ebenfalls wieder zu früh freut. Rasch nehmen sie wieder Fahrt auf.

Auch wenn es nur eine kleine Distanz zwischen uns geschaffen hat, ich sage UKMTO, dass ich im Moment erst mal genug weiß und ich auch noch die Reederei anrufen muss.

Es wird nicht lange dauern und ich sage, dass ich zurückrufe.

Auf unserer 24 h-Hotline in der Reederei meldet sich sofort jemand, den Namen verstehe ich nicht ganz, aber ich meine es ist einer unserer Inspektoren. Ich sage, wer ich bin, auf welchem Schiff ich bin und dass wir unter Piratenattacke sind. “Ok, verstanden, wir melden uns wenn wir noch was brauchen.” Ein bisschen verwirrt bin ich schon von der knappen Antwort, aber man geht anscheinend davon aus, dass wir schon gefangen sind und ein Unterhändler oder Pirat neben uns steht, denn sicherlich ist schon der Alarm unseres SSAS in Hamburg eingegangen. Man hat sich wohl schon auf die Verhandlungen eingestellt, was das bedeutet, kann ich zu der Zeit noch nicht verstehen, ich war erst mal verwundert über die knappe Antwort.

Egal, wir müssen uns jetzt konzentrieren, denn schon unmittelbar nach meinem Anruf beginnen die Piraten ihre dritte Attacke.


Diese erfolgte wieder von steuerbord, ungefähr zehn Minuten nach dem letzten Angriff.

Ich komme wieder mit UKMTO in Kontakt.

Während ich die Situation erläutere, kommt es erneut zu einem Beschuss mit RPG, allerdings ohne Treffer. Das Geschoss verfehlte die Brücke nur knapp und flog über die Aufbauten hinweg. Ob sie tatsächlich in die Brücke schießen wollten, weiß ich nicht, immerhin explodieren die Geschosse nach ca. vier Sekunden, vielleicht wollen sie uns mit einer Explosion über unseren Köpfen nur einschüchtern.

Das Skiff versucht, wieder an der gleichen Stelle steuerbords längsseits zu gehen.

Jack ist kurz noch mal unten beim Feuer und durch den erneuten Beschuss ist er im Moment nicht am Ruder.

Da es der Zeitpunkt zum Beidrehen ist, melde ich mich vom Telefon ab und gehe ans Ruder.

Wie zuvor auch versuche ich, mit einem Steuerbord-Manöver das Skiff abzudrängen.

Der Kapitän steht derweilen näher am Brückenfenster und gibt plötzlich die Anweisung, das Ruder nach Backbord zu legen. Zunächst ging ich davon aus, die Piraten versuchen erneut die Seite zu wechseln, allerdings wäre dies in so kurzer Zeit nicht möglich gewesen.

Da hat der Kapitän schon ins Ruder gegriffen, nach backbord gedrückt und sich sogar draufgestützt.

Wie er mir später erklärt, habe er versuchen wollen, damit die Bordwand zu erhöhen.

Doch erstens dauert dieser Vorgang etwas und zweitens verliert das Schiff damit seine Momente zu dem Skiff hin, dessen Besatzung es nun erleichtert wird zu boarden.

Was nun auch passiert ist.

Ich überlasse das Ruder und gehe zurück auf meine Station. Kurze Zeit später kann Vlad das Ruder wieder übernehmen und der Kapitän steht am Fenster … “Sie sind an Bord!”

“Wirklich? Sehen Sie es? Steht jemand an Deck?”, frage ich.

“Ja, ja, sind an Bord, sind an Bord!”

Ich gebe es niedergeschlagen an den UKMTO-Offizier wieder.

Er ist sichtlich enttäuscht und zum ersten Mal wird mir klar, dass auch er wirklich mitgefiebert und -gehofft hat. “FUCK! Oh no, I am sorry! You did well, man. I am sorry for you. All the best, good luck!”

Das gleiche denke ich mir auch, auf Deutsch. Ich bedanke und verabschiede mich. Jetzt sind wir wirklich alleine.

“Kommen Sie Kapitän!” sage ich.

“Legt Euch hin, Piraten kommen!”, sagt er darauf … in etwa.

Er geht in Richtung Tür. Vlad und ich legen uns hin, Hände hinter den Kopf, so haben wir das auch im Training besprochen.

Vier Piraten kommen zügig auf die Brücke.

Das Skiff wird von einem anderen in Nähe des Schiffes gehalten.

Die Brückentür achtern an Steuerbord ist verschlossen und abgedunkelt. Gerade als der Kapitän versucht zu öffnen, wird auch schon durch das Fenster geschossen. Vlad hat noch versucht, ihn abzuhalten und gemeint, er solle sich einfach auf den Boden legen. Das Geschoss verpasste knapp den Kopf des Kapitäns.

“Okay, is okay!” ruft er - warum will er die Tür aufmachen, das machen die doch sowieso.

Nachdem die Tür schließlich geöffnet wird, kommen die Piraten mit den Waffen im Anschlag auf die Brücke gestürmt. Der Wortführer, welcher sich später als 1. Offizier des Somali Captain, dem Anführer des Boarding-Teams, rausstellte, ruft: „Somali Pirates. No Problem!“ Dann wird mit: “Stopp“ und “All crew“ die Mannschaft auf die Brücke beordert.

Weiteres Englisch können die Piraten nicht.

Der Kapitän nimmt die Fahrt raus und informiert die Mannschaft, aus der Zitadelle zu kommen.

Man darf nicht vergessen, dass das Schiff zu diesem Zeitpunkt schon beträchtlich am Brennen ist. Hätten wir von dem Marineschiff in der Nähe gewusst oder dieses etwas früher von uns, hätten wir vermutlich den Versuch gestartet, das Feuer sowie die Piraten so lange auszusitzen, bis Hilfe da gewesen wäre. Das Iridium (Satellitentelefon) habe ich dafür schon bereitgehabt.

Der Chief hat während es Angriffes die Zitadelle kurzfristig von unserem leicht zugänglichen “Hobbyraum” direkt in seinen Maschinenkontrollraum verlegt. Eine gute Verbesserung unserer Zitadelle, die uns jetzt weitaus mehr Schutz vor den bereits an Bord befindlichen Piraten liefern würde. Die Entscheidung fällt anders aus, wie man sieht. Zum einen von dem vermeintlichen Wissen, dass keine Hilfe in der Nähe ist, und zum anderen wegen des Brandes an Bord.

Die Besatzung, die sich sehr ruhig verhält, kommt hoch und legt sich sofort auf den Boden, ebenfalls die Hände hinter dem Kopf.

Neben mich legt sich Christian, auch er ist ruhig: “Scheiße, ja und wat jetzt?”, flüstert er.

“Nichts, jetzt warten wir. Uns passiert nichts, die wollen nur Geld!”, flüstere ich zurück. “Ja, hoffen wir es. Warten wir mal!”, entgegnet er.


Als ich meine Mannschaft sehe, wie sie sich hilflos den Piraten stellen muss, merke ich das erste Mal seit dem Angriff das Adrenalin in mir. Ich kenne das Gefühl, wenn kurz der Blick verschwimmt, man diesen Schub im Körper merkt, für einen Moment anspannt und schwer atmet, um danach noch ruhiger zu werden. Ich versuche wieder runter zu fahren, denn alles andere würde uns in Gefahr bringen. Ich merke, dass das Adrenalin nun eher eine euphorisierende Wirkung hat. Ich weiß nicht mehr, wer es ist, ich lächele und knipe ihm aufmunternd mit den Augen zu, ein angespannter Blick begegnet mir.

Ich weiß, dass viele jetzt gerne das Gleiche machen würden wie ich und hoffe, dass alle die Nerven behalten - und das tun sie zum Glück.

Schließlich dürfen wir wieder aufstehen.

Der Kapitän wird von den Piraten aufgefordert, eine Mannschaftsliste auszuhändigen, anhand dieser zählten die Piraten uns ab. Da es der Kapitän, nach fünf Tagen auf See, leider immer noch nicht geschafft hat, die Crewlist zu aktualisieren, waren wir, da einer in Dubai abgemustert ist, eine Person zu wenig. Dies führte zu Verwirrung bei den Piraten und dem Verdacht, es würde sich jemand an Bord verstecken. Noch bevor die Situation eskalierte, konnten wir den Somali Captain und seinen Stellvertreter überzeugen, dass dies eine alte Liste ist. Sie können nicht lesen, wollen wissen, welcher Nationalität wir sind. Europäer bringen mehr Geld, das wissen sie, weswegen sie die Anwesenheit von fünf Deutschen zwar freut, aber auch eine Sorge weckt. “French? French?”, fragt er. “No, German!”

Auch im späteren Verlauf der Haft fragt man uns dies noch mal. Man scheint die Aktion der Franzosen auf der “Le Pondat” nicht vergessen zu haben.


Kurz nach dem Angriff sind die Piraten natürlich sehr aufgeregt, nervös und äußerst misstrauisch. Keinen Moment lassen sie uns aus den Augen und wir sind sehr vorsichtig bei unseren Bewegungen.


Das größte Problem zu diesem Zeitpunkt ist das sich von der an Steuerbord getroffenen Kammer ausbreitende Feuer. Wir versuchen, die Piraten darauf aufmerksam zu machen. Diese lassen, als sie dann endlich verstehen, immer nur einen Teil der Mannschaft herunter.

Im Vergleich zu der schnellen Musterung während unserer Drills dauert es lange, bis wir endlich gemeinsam das Feuer bekämpfen können. Dabei werden wir ständig von den Piraten beobachtet.

Letztendlich können wir das sich auf zwei Decks ausgebreitete Feuer nach sechs Stunden erfolgreich löschen.

Im Grunde war es kein Kampf gegen das Feuer, es war wirklich eine Schlacht, und gerade als Sicherheitsoffizier bin ich besonders stolz, dass wir es dank unserer Mittel, unseres Trainings und unseres unermüdlichen Einsatzes gemeinsam geschafft haben, es zu löschen.

Eine besondere Hürde war neben der enormen Hitze durch die Sprengsätze und das damit verbundene rasche Ausbreiten des Feuers die besondere Enge dieses Schiffes.


Während sich unter uns das Feuer ausbreitet, scheinen die Piraten nicht ganz zu begreifen, was sie getan haben. Sie glauben anscheinend, wir könnten diesen Großbrand mit einem Eimer Wasser löschen, denn als die ersten Leute wieder hochkommen, weil sie alleine nicht weiter kommen, fragen sie “Okay, okay?”

Nichts ist ok. Sie lassen immer wieder die Falschen runter. Leichtmatrosen, Leute aus dem falschen Trupp etc.

Ich beiße auf die Zähne, meine Anmerkungen, mich runtergehen zu lassen, ignorieren sie immer wieder. Mir kribbelt es überall. Ich bin der Truppführer des Angriffstrupps, der Einheit die ins Feuer geht. Ich habe zum Glück richtig erfahrene Männer, die das notfalls auch alleine machen, aber als Offizier gehöre ich mit nach vorne.

Die Piraten trauen mir nicht, das war die ersten zwei bis drei Wochen so, dann ändert es sich zum Glück.

Aber ich hätte ihr Vertrauen jetzt schon gebraucht. Ich wirke vielleicht zu aggressiv. Im April 2009 bin ich weitaus schwerer als heute (nicht fetter!, aber jedenfalls habe ich gute 20 kg mehr drauf als nach der Freilassung), wegen des warmen Fahrtgebietes habe ich eine Glatze und wenn ich mit den Piraten spreche, dann nicht ruhig und leise, ich raune sie an und tue so, als wenn ich mit einem geistig massiv Herausgeforderten spreche.

Dass dies absolut der falsche Weg ist, wird mir schnell klar. Ich bleibe einen Moment ruhig, verberge meine Ungeduld und versuche dann, mit einem Lächeln und mehr Respekt in der Stimme eine erneute Kontaktaufnahme.

Nach dem dies dann doch nicht erfolgreich ist, kann schließlich der Kapitän mehr erreichen. Nachdem sie sich vergewissert haben, dass ich nirgendwo eine Waffe trage, darf ich runter.

Als ich nach unten gehe, sind die Jungs schon dabei, sich aufzuteilen. Der Unterstützungstrupp beginnt mit der Umgebungskühlung unter Leitung des dritten Ingenieurs. Mein Trupp hat sein Material schon hoch zur Rauchgrenze gebracht und ist gleich bereit. Vlad, der als erster Offizier die Leitung vor Ort hat, kommt mir entgegen. Mein Trupp ist zwar bereit, aber die Außentüren zu den Decks sind noch verschlossen. Wir brauchen den Zugang von außen. Es ist mittlerweile ein großer Brand, mehrere Kammern sind betroffen. Mit dem einen Schlauch auf demselben Deck kommen wir nicht weiter, wenn wir aber von außen ran können, haben wir mindestens zwei Schläuche, wenn nicht drei. Da wir auch genügend Atemschutzgeräte (ASG) haben, können wir auch mit mehr Leuten angreifen. Ich hole meinen Stellvertreter hinzu. Wir beschließen, dass ich mit ASG von unten reingehe und die Tür öffne. Vor der Tür soll genügend Platz, die Leute in Deckung und eine Mannschutzbrause auf mich gerichtet sein, wer weiß, wie heiß es dort ist, nicht dass die Leute von einer Feuerwalze getroffen werden.

Wie stark das Feuer und die Rauchentwicklung sind, merke ich, als ich kurze Zeit später mit dem Feuerschutzanzug und ASG auf das Deck gehe. Selbst wenn ich meine Lampe direkt vor mich halte und hineinschaue - es ist kaum was zu sehen. Die Rauchentwicklung ist so stark, dass die Lampe nutzlos geworden ist. Dafür spüre ich das Feuer umso mehr. Die Türen zu den brennenden Kammern sind noch zu, aber die Luft ist schon so aufgeheizt, dass ich es nicht wage, auch nur gebückt zu gehen.

Ich krieche den Flur entlang. ‘Flashover’, denk ich nur.

‘Keinen Flashover jetzt … Kann ich überhaupt die Tür die öffnen?’ denke ich.

Bevor ich rein bin, hatten wir die Türe, welche vom Niedergang in den Aufbauten zu diesem Deck führt, geöffnet, Wasser wurde reingesprüht. Ich kann den Schlauch zwar nicht mitnehmen, dafür ist er zu schwer, aber ich kann die Luft kurzzeitig abkühlen und hoffen, dass ich den Strahl vernünftig und vor allem weit genug reinkriege. Als ich meine, es könnte zumindest etwas gebracht haben, krieche ich auf die andere Seite.

Ich komme schließlich an die Tür, ziehe an der Türklinke nach innen, als wollte ich die Türe schließen - nicht dass die Tür aufspringt, wenn ich das Drehschloss öffne. Ich rolle mich auf dem Boden in Embryonalstellung und öffne das Schloss, lege meine Hand an die Türklinke, ich versuche, sie langsam zu öffnen. Der Rauchschleier vor meiner Maske zieht immer schneller an mir vorbei, ich sehe Tageslicht. Als mir die Türklinke langsam aus der Hand rutscht und die Tür etwas zügiger aufgeht, merke ich schon das Prasseln der Mannschutzbrause auf mir, kein Boom, keine Flashover. Ich komme raus und schon gehen zwei meiner Leute rein mit einem Feuerschlauch.

Draußen auf der Musterstation machen sich die Nächsten bereit. Wir haben insgesamt fünf ASG im Einsatz. Wir sind genug Leute, um uns abzuwechseln. Anfangs gehen wir immer zu zweit rein, später auch mal zu dritt, damit wir die Möglichkeit haben, mehr Feuerschläuche durch die engen Gänge zu bewegen.

Ein weiteres Problem ergibt sich - zu einigen Kammern, in denen es brennt, können wir nicht vordringen. Sie sind abgeschlossen.

Das Büro des Kapitäns ist zwar offen, aber der Schlafbereich nicht, dies ist jedoch der getroffene Bereich, die Quelle des Feuers.

Wir versuchen es mit Vorschlaghammer, Axt und Brecheisen, aber ich selber muss die Erfahrung machen, dass die Gänge einfach zu eng sind, um vernünftig auszuholen. Auch wenn ein paar von den Jungs mehr Kraft haben als ich, auch für sie ist es einfach zu wenig Platz. Ich hole mir den Generalschlüssel von Vlad.

Vielleicht klappt ja die simpelste Methode. Jack und ich gehen rein. Ich bin vorne und halte den Schlauch vor mir, Jack ist hinter mir und schiebt nach.


Plötzlich werde ich fast zurückgezogen, Jack ist vom Schlauch los, er zieht mich mit raus. Ich schiebe ihn weg, er scheint raus zu müssen. Egal, draußen sind genug, die sich um ihn kümmern, denke ich mir.

Ich kann den Schlauch alleine kaum mitziehen, außerdem wird es immer heißer. Ich lege mich auf den Boden und robbe auf der Seite liegend nach vorne, dabei versuche ich mir vorzustellen, in welcher Höhe ungefähr das Türschloss wäre. In diesem Winkel lege ich mich auf die Seite und taste nach jedem Robben, den Schlüssel fest im Handschuh, nach dem Türschloss. Ich sehe zwar nichts, aber ich spüre die enormen Temperaturen und halte meinen Sprühstrahl genau vor mich, sodass er die Hitze von mir fernhält. Wenn es jetzt heißer vor mir wird, habe ich mich zu weit weggerollt, was zwar in der Enge auch keine große Distanz ausmachen würde, aber die Umstände sind schon zu widrig, als dass ich riskieren will, immer wieder den falschen Bereich abzutasten.

Nach relativ kurzer Zeit bin ich dann auch bei der Tür, finde seltsamerweise sehr schnell das Schloss. Es ist wohl die Überraschung über das Funktionieren dieser Verzweiflungstat, die mich nicht die Türklinke fassen, sondern runterrutschen und damit die Tür aufmachen lässt. Es donnert über mir, es wird hell und heiß. Mein Nacken tut weh, meine Hände und Handgelenke auch, überall wo der Schutzanzug seine Ränder hat. Ich halte den Schlauch vor mir, ziehe mich zusammen und halte immer weiter rein. Die Tür wird von irgendwas blockiert, aber die Öffnung reicht, um reinzuhalten. Irgendwann kommt jemand und zerrt an mir. Ich taste nach seiner Hand, drück zu und schüttle sie - alles ok - und führe ihn weiter an den Schlauch. Begriffen! - wer immer das auch ist, er und sein Begleiter machen weiter. Draußen kommt Jack zu mir, schlägt mir auf die Schulter: “Sorry man!” Er sagt mir, dass seine Maske in der Enge irgendwo hängen geblieben sei und er habe raus müssen. Er hatte sich in seine Maske übergeben, aber wollte mich nicht alleine lassen. Scheiße, denke ich mir. Aber ihm ist weder schlecht, noch hat er Kopfschmerzen oder Schwindel. Ok, dann weiter.

Außerdem haben wir noch eine andere Situation zu lösen, denn ein Deck über dem brennenden sind auch ein paar Türen zu.

Da müssen wir dringend kühlen, sonst brennt es da auch. Ich geb den Schlüssel Vlad, er oder jemand anderes geht hoch. Aber er kriegt die Türen nicht auf, die enorme Hitze des brennenden Decks scheint alles verzogen zu haben. Zu diesem Zeitpunkt scheint es hier auch noch nicht zu brennen. Die Hitze ist zwar zu spüren, aber noch kein Feuer zu erkennen. Wir kühlen alles, was möglich ist, und konzentrieren uns auf das Feuer unten. Wir haben nicht genug Mann mit ASG, um unten permanent zu löschen, was absolut nötig ist, und gleichzeitig oben die Türen aufzubrechen.

Letztendlich ist es sowieso egal, denn kurze Zeit später haben wir auch oben ein Feuer. Jetzt verändern wir unseren Zyklus, wir sind quasi immer im Einsatz. Eine kurze Pause, wieder auf ein Deck. Jetzt muss fast jeder ran, der jemals ein ASG anhatte.

Wir kämpfen immer weiter. Die Jungs sind unheimlich stark und ausdauernd. Aber das Feuer wird immer stärker. Teilweise haben wir Erfolge. Eine Tür kann mit dem Brecheisen geöffnet werden, Jack rennt sogar eine Tür ein und landet natürlich direkt im Feuer, aber er kommt wie durch ein Wunder wieder raus. Wenn nicht Jack, wer dann, er ist sowieso ein besonderer Typ für sich.

Während wir immer wieder reingehen, holen andere immer mehr Flaschen für das ASG, mehr und mehr Äxte und Hämmer. Der Unterstützungstrupp versucht zu kühlen, wo es nur geht, aber ich bekomme immer mehr das Gefühl, dass wir gegen eine Wand laufen.

Wir machen vielleicht Fortschritte, doch in dem Tempo gehen uns die Kraft und die Pressluftflaschen schneller aus als das Feuer - die Flaschen können wir nicht so schnell füllen, wie wir sie verbrauchen, und wenn nur einer vor Erschöpfung umkippt, haben alle anderen mehr Belastung und sind noch schneller am Ende.

Zwischendurch gehe ich mit dem ASG mal kurz rein, um Trinkwasser zu holen.


Zum Glück haben wir davon genug und selbst die Piraten, die immer mal wieder gucken kommen, bringen uns welches. Manchmal fragen sie auch, ob wir okay sind, dann aber, wenn sich einer zu sehr ausruht, kommt ein “Jalla Jalla” - schneller, schneller.

Das hilft uns auch nicht weiter.

Der drohende Stillstand in der ganzen Aktion scheint sich auch auf die Mannschaft auszuwirken. Die Leute verlieren nicht nur an Kraft, auch an Motivation. Wir brauchen was anderes. Ich rede mit Vlad. Er fängt erstmal an und will, dass wir uns alle zusammenstellen und überlegen, was wir tun. Ich habe sehr viel Respekt vor Vlad, habe von ihm sehr viel aus den Aufgabenbereichen eines ersten Offiziers gelernt und schätze ihn sehr als Offizier, Mensch und nach den vier Monaten vor Somalia auch als Freund. Aber jetzt geht er mir auf den Zeiger. Wir beide müssen überlegen, was zu tun ist! Wieso sollten wir der Mannschaft noch deutlich machen, dass es langsam aussichtslos wird.

‘Was macht er denn jetzt für einen Aufstand, lass die Jungs doch weiterkämpfen, während wir hier jetzt ganz schnell mal was finden, das uns nach vorne bringt!’ denke ich mir.

Einige, die gerade nicht im Feuer sind, stehen rum, schütteln den Kopf. Irgendwie fällt das Wort Schaum. Ja, Schaum, das könnte es sein. Ich grüble noch, da fragt mich Vlad: “Was hältst Du davon? Schaum?”

Bevor wir hier stehen bleiben und jegliche Fahrt verlieren, stimme ich zu. Ok, Hauptsache in Bewegung bleiben und etwas tun, auch wenn es nichts bringt, nur kein Stillstand, keine Verzweiflung.

Die Leute sind schon unterwegs, die Kanister und den Zumischer zu holen, da fällt es mir ein. Wir müssen von außen ran, über die Stellagen vor der Brücke, die Fenster einschlagen und dann volle Breitseite reinhalten. Ich rede mit Vlad, er sagt nichts, stützt die Arme auf und schaut nachdenklich.


Ich sehe Christian, das ist genau der, den ich jetzt brauche. Er kommt gerade aus dem Feuer, nimmt sich die Maske ab und schüttelt den Kopf.

“Das kriegen wir so nicht hin”, sagt er zu Vlad und mir, “wir müssen anders rangehen, von außen”

Selbstverständlich, aber ich warte, dass Vlad als Einsatzleiter endlich mal was Verbindliches sagt. Er windet sich, ist sich nicht sicher und sagt schließlich, ich soll den Kapitän fragen.


Ganz bestimmt nicht, der steht oben bei den Piraten, nachher darf ich nicht mehr runter und Funkverbindung habe ich seltsamerweise nicht zu ihm und überhaupt – ich brauche eine Entscheidung.

Entweder ich bekomme eine klare Auskunft von meinem Einsatzleiter oder ich übernehme die Verantwortung. Ich kann mir schon denken, was seine Bedenken sind, er möchte vermeiden, noch mehr Luft ans Feuer zu lassen. Aber das Feuer wird seine Luft aus dem Einschussloch bekommen, aus bereits geborstenen Fenstern, aus den offenen Türen - ersticken wird es zumindest sicher nicht.

“Okay, dann machen wir das jetzt“, sag ich zu Vlad.

Er zuckte mit den Schultern, auf einmal ist er fast schon apathisch.

Egal jetzt, ich nehme Christian, dazu hole ich noch den Bootsmann. Der Plan sieht so aus, dass beide auf die Lashingbrücken der Containerbuchten vor den Aufbauten steigen und mit Axt oder Vorschlaghammer die Fenster einschlagen, aus geduckter Haltung, sofort danach sollen sie ihren Wasserschlauch reinhalten, wir fluten jetzt alles. Während der ganzen Aktion bekommen sie jeweils von einem Mitglied des Unterstützungstrupps Rückendeckung mit einem Sprühstrahl. Wir besprechen kurz die Details, dann lass ich sie sich vorbereiten und gehe zum 3. Ing., dem Führer des Unterstützungstrupps, kläre ihn auf.

Als die Feuerkämpfer fertig sind, steht auch der Unterstützungstrupp zur Rückendeckung bereit. Christian ist der Erste, er nimmt eine Leiter mit.

Als er losgeht, stehe ich auf den Containern vor den Aufbauten und schaue, dass die Leute richtig positioniert sind. Ich möchte Vlad Bescheid sagen, dass jetzt keiner irgendwie von der anderen Seite versucht reinzukommen, aber ich habe Probleme mit der Funkverbindung.

Plötzlich steht der Kapitän oben auf der Nock und fuchtelt rum, auch auf Funk habe ich ihn jetzt auf einmal, irgendwas von “kühlen” ruft er. Was soll das? Was glaubt er eigentlich, was wir hier machen? Es nervt mich dermaßen, dass ich mein Funkgerät zur Seite werfe und mich auf die Situation konzentriere.

Ich bin angespannt, aber ich kann Christian vertrauen.


Er kann es - unterhalb des Fensters verharrt er, macht sich klein und dann kommt der Schlag mit dem Hammer. Fenster auf - er lässt den Hammer fallen und sofort kommt der Zuständige vom Unterstützungstrupp und gibt ihm den Schlauch. Er hält rein, was geht. Irgendwann scheint das Feuer unter Kontrolle, er dreht sich herum und zeigt mir lässig den Daumen hoch.

“Ja, klasse, Krischi! Ja, super gemacht! Haha, und jetzt weiter!”

Danach kommt der Bootsmann, er geht mit einer Leiter auf das oberste Deck unter Feuer hinunter, positioniert sich schräg unter dem Fenster und hat ebenfalls Erfolg.

Ich stehe auf den Containern, koordiniere, dass die Schläuche rechtzeitig kommen, die Feuerkämpfer genug Rückendeckung haben.

Aber nach den ersten drei Fenstern merke ich, dass sie das alleine hinbekommen. Christian übernimmt und so kann ich wieder auf die andere Seite.

Dort sind die anderen wieder dabei zu versuchen, in die restlichen Kammern zu kommen, die geringere Hitze macht es ihnen deutlich leichter. Das Feuer scheint unter Kontrolle zu sein, es ist noch nicht aus, aber wir kriegen es hin und das wissen die Männer, sie mobilisieren ihre letzten Kräfte und gehen immer weiter rein.

Aber vorerst ohne mich, eine kurze Kontrolle, wie viele Pressluftflaschen wir noch haben, lässt mich Böses ahnen. Ich schicke Steven, er kann mit dem Kompressor umgehen.

Währenddessen bin ich bei Vlad auf der Musterstation, er ist wieder voll dabei. Es scheint so als hätten wir das untere Deck gelöscht, da kommt Slava aus dem oberen, seine Luft ist leer.

Er meint, auch oben sieht es gut aus, aber er ist sich nicht sicher, da er zurück musste. Vlad und ich gehen rein, es ist unheimlich heiß und verraucht, aber wir können keine besondere Hitzestrahlung fühlen oder Feuer sehen.

Wir scheinen es geschafft zu haben - jetzt nur noch weiter kühlen.

Steven kommt hoch, er hat drei Flaschen aufgefüllt, dann hat der Kompressor zu qualmen angefangen. Naja, der Kompressor wird einfach so heiß.


Da ich davon ausgehe, dass das Feuer gelöscht ist und wir nur noch nachkühlen, entscheide ich mich, selber zum Kompressor zu gehen, nicht, dass mit ihm noch was anderes nicht stimmt.

Ich bin gerade unten zu Gange, da höre ich, dass wir uns zu früh gefreut haben. Das Feuer ist auf dem oberen Deck wohl doch noch nicht gelöscht.

Flaschen füllen oder oben mithelfen? Ohne Flaschen keine Brandbekämpfung. Ich renne dennoch hoch, aber dort geht es Schlag auf Schlag, die einen kommen raus, die anderen gehen rein.

Ok, ich fülle die Flaschen auf, wenn einer den Kompressor jetzt überhitzt, dann war ich es zumindest selber.

Nach einer halben bis dreiviertel Stunde bekommen sie es hin, es ist aus - diesmal wirklich. Vlad und ich machen eine letzte Runde. Ja, es ist aus, der Rauch verzieht sich, hier und da benutzen wir noch einen Pulverlöscher, aber der große Brand ist gelöscht.

Jetzt wird noch etwas nachgekühlt und vor allem Brandwache gehalten.

Es ist in letzter Minute, selbst auf der Brücke hat der Boden schon angefangen zu qualmen und sie mussten ihn mit Wasser kühlen.

Was wäre dann gewesen?

Drei Decks, das hätten wir nicht mehr geschafft. Alleine die ASG-Flaschen wären uns ausgegangen. Obwohl ich nachgefüllt habe, hatten wir am Ende nur noch sechs volle Flaschen.

Was wäre passiert, hätten wir unsere Brücke verloren oder gleich das ganze Schiff? Wie hätten die Piraten reagiert? Ich möchte nicht drüber nachdenken.


Als wir uns auf dem oberen Deck treffen, um noch etwas nachzukühlen und die Brandwache einzuteilen, kommt der Kapitän mit seinen Lederschuhen aus Pakistan. Er drängt sich zwischen die Leute und versteckt die Schuhe in einer Feuerbox.

Er bedauert den Verlust seiner Kammer und dass wir keine Möglichkeit haben, Fotos zu machen. Ich sage nichts, ich bin zu erschöpft.

Wir gucken uns an und er fragt mich: ”Was passiert jetzt mit uns?”

“Wir fahren jetzt nach Somalia, dann warten wir auf Geld.”

So jedenfalls stelle ich mir das vor - dass es Verhandlungen geben wird, auf die Idee komme ich nicht. In den vielen Berichten, z. B. über die “Faina”, hieß es immer, die Piraten wollten diese und jene Summe, aber man weigere sich zu zahlen. Dass unsere Reederei uns nicht im Stich lässt, ist mir klar, und so gehe ich von einer kurzen Zeit aus. Wie das Spiel wirklich läuft, und dass dies alles mal gar nicht so einfach ist, lerne ich erst später.

Nun überwog zunächst die Erleichterung, diesen großen Brand gelöscht zu haben. Die Mannschaft hat wirklich Großartiges geleistet, jeder.

Die Entführung der MS Hansa Stavanger

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