Читать книгу Die Entführung der MS Hansa Stavanger - Frederik Euskirchen - Страница 18
2.4 Der erste Kontakt mit zu Hause
ОглавлениеSchon bald, knappe drei Tage nach der Kaperung, sollten alle zu Hause anrufen und sagen, dass sie gesund sind, sich in der Hand somalischer Piraten befinden und die Familie die Reederei um schnelle Lösegeldzahlung bitten soll.
Ein jeder der nun am Telefon steht, spricht mit gedämpfter Stimme, es ist eine Mischung aus dem Versuch, die Familie zu beruhigen, und der Hoffnung selber etwas zum Festhalten zu bekommen.
Es gibt aber auch ein paar Ausnahmen. Longo, der alte Haudegen, er scheint sich nicht sicher zu sein, wen er anrufen soll. Letztes Mal in Mombasa hat er geheiratet, aber die will er jetzt auch nicht anrufen und so überlegt er fieberhaft weiter. Wer es schließlich ist, weiß ich nicht. Jack, er spricht mit voller Überzeugung, zwar versteh ich ihn nicht, aber er gibt 100 %, um seine Frau mit seiner jungen Tochter zu beruhigen. Wayne, ein Riese mit wahnsinnigen Kräften und einem der ruhigsten und freundlichsten Gemüter, die ich je kennengelernt habe, spricht ganz ruhig und erklärt mit einer Engelsgeduld, dann legt er ebenso sanft auf, wie er gesprochen hat.
Das Gefühl, als ich zum ersten Mal mit zu Hause, mit meinen Eltern spreche, ist schwer zu beschreiben. Zum einen ist der bekannte Klang der Stimme in dieser Lage schon eine Beruhigung, zum anderen jedoch ist da die Gewissheit, dass die Sicherheit, aus die diese Stimme zu mir kommt, tausende Meilen von mir entfernt ist.
Nicht nur das. Selbst wenn sie im Nachbarort gewesen wäre, dann wären da immer noch diese Männer mit ihren Waffen gewesen.
Ich spreche nicht mit einem Arbeitskollegen, mit dem es absehbar ist, dass wir irgendwann einen Sturm abwettern müssen oder eben mit Piraten zu tun haben. Ich rede mit meinen Eltern. Wenn ich mit ihnen von Bord aus spreche, dann geht es darum, wann ich wieder zu Hause bin, was es dort Neues gibt usw. Aber nicht darum, dass mich jemand mit einer Waffe bedroht und Geld für mein Leben haben will.
Jede Familie hat ihre Höhen und Tiefen, aber so etwas liegt weit außer unserem Bereich. Es ist, als würde etwas Böses, Dreckiges unsere Familienidylle beschmutzen. Ich möchte nicht, dass meine Eltern so etwas mitmachen müssen und von so etwas belastet werden. Nicht, wenn es um den eigenen Sohn geht, den sie als Kleinkind im Arm hatten, den sie spielen, lachen und aufwachsen gesehen haben.
Ich selber habe keine Kinder, aber ich kann mir vorstellen, was meine Eltern jetzt durchmachen müssen.
Während ich rede, merke ich die ohnmächtige Wut in mir.
Als mir ein Pirat bedeutet Schluss zu machen, ändert sich das selbstverständlich erst recht nicht.
Aber ich weiß, dass das nichts bringt. Soweit bin ich auch schon, aber einfach nur ruhig bleiben, das geht nicht und das bin ich auch nicht.
Während der ganzen Gefangenschaft habe ich regelmäßig, fast täglich, mit zu Hause telefoniert.
Hauptsächlich ging es darum, Informationen auszutauschen. Ich spreche über die Lage an Bord, meine Einschätzung über die Piraten, ihren Forderungen etc., die sollten dann über meine Eltern und ihre polizeilichen Betreuer, die jede betroffene Familie hat, weitergeleitet und genutzt werden. Ich habe dafür Informationen über den Stand der Dinge in Deutschland erfahren, die ich selbstverständlich nicht mit den anderen teilen konnte, aber anhand derer ich z. B. nach den Infos suchen konnte, die wichtig sind oder die mir an Bord in irgendeiner Weise den Piraten gegenüber einen Vorsprung geben.
Ein weiterer Effekt dieser Anrufe, den ich sehr zu schätzen weiß, ist, dass ich immer etwas Motivation und Aufmunterung bekommen habe, welche über mich indirekt auch bei der Mannschaft ankommen konnte. Ein kleines Privileg, durchaus. Aber es ist nicht zu vergessen, dass, wer jeden Tag zu Hause anruft, der erste am Galgen sein wird, wenn etwas “schief läuft”, im Sinne einer Militäraktion, oder, wenn die Verhandlungen anders verlaufen, als erhofft. Dann ist den Piraten klar, wer es war.
Zu dem Thema “Kontakt mit zu Hause” schreibe ich so viel, weil es für mich prägend für diese vier Monate ist.
Mit einer Entführung wird nicht nur die eigene Person entführt.
Die Herzen ihrer Familie, Freunde und Bekannten gehen mit.
Träume und Pläne für die Zukunft gehen mit und auch die Illusion, seine Familie und Freunde vor dem Unheil in dieser Welt zu schützen.
Was ich damit sagen will, die Piraten gefährden vielleicht mein Leben, aber sie tun noch viel Schlimmeres, sie bedrängen meine Eltern - in dem sie ihren Sohn verschleppen, mich. Meine Mutter empfindet Trauer, mein Vater ist in höchster Sorge, beide sind in absolutem Stress und was kann ich tun?
Ich kann mich nicht wehren, jedenfalls nicht so, dass wir morgen schon nach Hause könnten, das muss ich auf der Stavanger einsehen. Wenn ich irgendwas “Dummes” versuchen würde, dann käme ich vielleicht gar nicht mehr nach Hause, das absolute Gegenteil des Zieles.
Außerdem bin ich nicht alleine hier und das ist ein Punkt, der mir, vor allem in meiner Funktion an Bord, genau so wichtig zu sein hat wie meine Familie. Das Wohl der Mannschaft, denn auch die haben Familie und machen gerade das Gleiche durch wie meine Familie und ich.
In dieser Zeit wird mir klar, auch in so einer Situation muss man sein Ziel genau definieren: “Wir gehen alle zusammen gesund nach Hause“.
Was dafür notwendig ist, wird getan.
Wenn wir die Piraten nicht so schlagen können, dann mit unserem Willen durchzukommen, mit unserer Beobachtungsgabe und unserem Intellekt, denke ich mir.
Es muss immer einen Weg geben.