Читать книгу Wo der Wind weht - Frederik Hetmann - Страница 10

Eine Reise nach Virginia im Jahre 1649

Оглавление

Viele jener Menschen, die in die Neue Welt fuhren, flohen vor der Verfolgung aus politischen oder religiösen Gründen. Insofern ist die Ausgangssituation bei Henry Norwood, dem Autor der folgenden Aufzeichnung, eigentlich beispielhaft für viele andere mehr, die Europa verließen und nach Amerika gingen. Norwood war überzeugter Royalist und unterstützte während des Bürgerkrieges in England zwischen dem König und der Parlamentspartei Charles I. Als der König besiegt wurde, ging Norwood in die Neue Welt. Später kehrte er nach England zurück und beteiligte sich dort an einer Verschwörung, die das Ziel hatte, den Sohn Charles I. auf den englischen Thron zu bringen. Das Unternehmen schlug fehl, und Norwood verbrachte die Jahre zwischen 1655 und 1659 als Staatsgefangener im Tower zu London. Mit der Wiederaufrichtung des Königtums durch Charles II. wendete sich für Norwood das Blatt. Für den Rest seines Lebens hatte er ausgesorgt.

Im August Anno 1649 traf ich mich mit zwei Kameraden, Major Francis Morrison und Major Richard Fox, in London, und wir überlegten uns, ob wir nicht nach Virginia reisen und dort unser Glück versuchen sollten.

In unseren Plänen wurden wir durch die Veränderungen, die im Staate vor sich gingen, nur noch bestärkt. Es wurde immer schlimmer. Waren wir schon über das ganz verzweifelt gewesen, was man der Person unseres Königs auf der Isle of Wight angetan hatte, so überkam uns nach der Nachricht von seiner Hinrichtung im Palast von Whitehall Angst und Schrecken …

Die traurigen Umstände entmutigten die Anhänger der Royalisten, die entschlossen gewesen waren, den Prinzipien, für die sie gekämpft hatten, treu zu bleiben, so sehr, dass eine beträchtliche Anzahl von Adligen, Geistlichen und Landadligen beschlossen, ihr Heimatland zu verlassen.

Es wollte ihnen vorkommen, als werde es ihnen überall sonst besser gehen als in England.

Doch nun zu meiner Geschichte:

Am 1. September Anno 1649 machten wir in der Königlichen Börse die Bekanntschaft von Kapitän John Locker, dessen Plakat an einem der Pfosten uns aufgefallen war. Er war Herr über ein gutes Schiff – dass es zu Unrecht so genannt wurde, stellte sich erst später heraus – die Virginia Merchant, die 300 Tonnen Fracht laden konnte und mit mehr als 30 Kanonen bestückt war. Es dauerte nicht lange, da waren wir uns mit dem Kapitän darüber handelseinig, dass er gegen die Zahlung von 6 Pfund pro Kopf uns und unsere Diener zur Mündung des James-River (in Virginia) bringen werde. Für unser Gepäck zahlten wir die übliche Rate.

Am 15. September sollten wir uns in Garvesend an Bord einfinden, wo der Kapitän mit den Kaufleuten abrechnete und wir auch unsere Passage bezahlen sollten. Nachdem das geschehen war, blieben wir aber nicht auf dem Schiff, sondern nahmen die Post bis Downs, wo wir mit einiger Ungeduld auf sein Kommen warteten. Endlich, am 16. dieses Monats, sahen wir die ganze Flotte unter Segel bei Südwestwind kommen. Aber dann ankerten die Schiffe wieder. Wir kamen und kamen nicht fort. Wir hatten schon fast all unser Geld ausgegeben.

Am 23. September schlug der Wind um und blies nun aus Osten. Durch Signale und Schüsse gab man uns zu verstehen, wir sollten an Bord kommen.

Die frische Brise hielt für drei Tage an, und wir fuhren durch den Kanal.

Nach diesem günstigen Anfang segelten wir für ungefähr zwanzig Tage mit dem Ziel, die Inseln im Westen (Madeira) zu erreichen. Um diese Zeit begann der Küfer zu klagen, die Wasservorräte gingen zur Neige. Wir hatten gerade noch so viel, um unsere große Familie – es waren an die 330 Seelen an Bord – für einen Monat zu versorgen.

dass das Wasser so rasch knapp wurde, machte unserem Kapitän Kummer, und er beriet sich mit den Offizieren, was dagegen zu unternehmen sei.

Wir befanden uns nun – nach Aussagen aller, die etwas davon verstanden, – sehr nahe der westlichen Inseln. Funchal würde wahrscheinlich als erstes in Sicht kommen, und der Kapitän beschloss, dort anzulegen, um unsere Wasservorräte zu ergänzen, zumal es dort einen für diesen Zweck gut geeigneten Hafen gab. Dies war eine gute Nachricht für die Passagiere, die sich immer freuen, wenn Land in Sicht kommt.

Bei Tagesanbruch des 14. Oktober zeigte sich uns die Bergspitze dieser Insel, der höchste ins Auge fallende Punkt unter den Landmarken, die ich je Matrosen habe erwähnen hören, vielleicht mit Ausnahme von Teneriffa.

Wir hielten direkt auf den Hafen zu und orientierten uns an dem Berg, der sich ungefähr eine Meile östlich der Stadt erhebt.

Wir grüßten zum schloss, und man antwortete uns, und Kapitän John Tatam, unser Landsmann, tat desgleichen an Bord seines guten Schiffes John. Er war eben aus Brasilien zurückgekehrt, stand im Dienst des Königs von Portugal und fuhr mit reicher Fracht nach Portugal zurück. Auf seinem Schiff befand sich als Passagier auch eine vornehme Dame.

Die englischen Kaufleute aus der Stadt kamen bald an Bord unseres Schiffes und hießen uns freundlich willkommen. Sie schenkten uns Früchte und Fleisch. Der Kapitän unseres Schiffes nahm an dem Essen teil, außerdem Kapitän Tatam, der dann so freundlich war, uns für den folgenden Tag auf sein Schiff zum Dinner zu bitten. Nach diesem Essen gingen wir in einen Obstgarten und pflückten uns Pfirsiche. Ich nahm doppelt soviel wie die anderen und kam im Verlauf der Nacht noch einmal dorthin zurück, so groß war mein Appetit auf diese Früchte.

Am nächsten Morgen besichtigten wir die Insel und fanden das schloss wohl befestigt, besonders auf der dem Meer zugewandten Seite. Der Gouverneur war äußerst entgegenkommend und erklärte, er habe kürzlich von Ihrer Majestät, dem König von Portugal, Befehl erhalten, alle Schiffe, die dem König von England gehörten, und Schiffsbesatzungen, die seiner Sache ergeben seien, mit besonderer Zuvorkommenheit zu behandeln. Wahrlich, wir konnten uns über den Empfang nicht beklagen …

Am 22. Oktober verabschiedeten wir uns von unseren Gastgebern und Funchal. Wir hatten einen Vorrat an schwarzen Schweinen für Frischfleisch und viele Pfirsiche mitgenommen. Wir fuhren aus bei östlichem Wind, der uns bald in eine Passatströmung brachte, in der wir fünfzig bis sechzig Meilen in 24 Stunden zurücklegten, bis wir auf der Höhe der Bermudas waren. Es ist eine allgemeine Feststellung unter Seeleuten, dass die See in diesen Breiten rau geht und stürmisches Wetter herrscht.

Es war mein Glück, dass ich mich immer neugierig umschaue. Der wachhabende Offizier zeigte mir, dass an einer bestimmten Stelle so etwas wie eine Fontäne höher als gewöhnlich aus den Gedärmen der See hervorzubrechen schien, und zwar mit einer Kraft und einer Gewalt, die unser Schiff ohne weiteres aus dem ihm angemessenen Element in die Luft schleudern und es Purzelbäume hätte machen lassen können. Durch Gottes Vorsehung entgingen wir dieser Gefahr.

Der Anblick der Insel war uns allen willkommen. Die Seeleute berechneten daraus unsere Entfernung von Kap Hatteras, und die Passagiere waren erleichtert, dass sie nun bald an Land kommen würden.

Der Wind hielt an bis zum 8. November. Dann merkten wir, wie sich das Wasser veränderte, und als wir das Blei auswarfen, zeigte das Lot 35 Faden. Eine frohe Nachricht, denn an allen Dingen, deren es zum täglichen Leben bedarf, herrschte schon Mangel.

In der Nacht hielt ich es nicht mehr in meiner Behausung aus. Also besuchte ich Maat Putts auf Wache. Ich wollte ihm Brandy einschenken, aber er weigerte sich, etwas zu trinken, sofern ich nicht auch Tabak für ihn hätte, was nicht der Fall war. Er sagte, es gehe gegen Tagesanbruch und er wolle nachsehen, welche Veränderung im Wasser zu bemerken sei.


Kaum war er auf dem Deck, als er unter Stampfen und Lärmen seinen Kameraden zurief:

»Alle Mann nach oben. Brecher! Brecher von beiden Seiten!«

Die Matrosen waren nach diesem nach Unglück klingenden Ruf bald alle an Deck, aber statt sich daran zu machen, das Schiff zu sichern, fielen sie auf die Knie und taten so, als habe unweigerlich ihr letztes Stündlein geschlagen. Der Kapitän kam auf den Lärm hin auch, um zu sehen, was da los sei, aber als er sich davon überzeugt hatte, wie es stand, verließ auch ihn der Mut. Maat Putts aber, ein kräftiger Seemann, fasste sich wieder ein Herz.

»Ist denn da niemand, der sich ums Ruder kümmert und ein Segel losschlägt?« rief er.

Aber unter der gesamten Besatzung gab es nur zwei Vormastmänner, Thomas Reasin und John Smith, die – ob ihres Mutes bei verschiedener Gelegenheit – mir mit ihren Namen in Erinnerung bleiben sollten und auch jetzt diesem Befehl gehorchten.

Einer von ihnen kletterte hinauf und löste das Vortoppsegel, der andere stellte sich ans Ruder und korrigierte den Kurs, denn das Schiff stand im Begriff, in einen Brecher hineinzulaufen.

Und obwohl sonst immer während der Reise Klagen zu hören gewesen waren, das Schiff laufe aus dem Ruder, geschah in diesem entscheidenden Augenblick ein Wunder. Die Ruderbewegung machte sich sofort bemerkbar, und wir entkamen dieser Gefahr. Aber das bedeutete nicht, dass wir auch nur einen Augenblick hätten aufatmen können. Denn kaum waren wir den Brechern von Steuerbord entgangen, da kamen sie von Backbord her über das Schiff. Die Mannschaft, angespornt durch den Mut, den Reasin und Smith bewiesen hatten, war unterdessen an der Arbeit, und auf die Ruderbewegungen hin hielt das Schiff wieder aus den Brechern heraus.

Es wurde nun hell und wir sahen, dass unsere Situation kaum hätte gefährlicher sein können. Wir waren von Brechern umgeben, und nirgends zeigte sich so etwas wie eine Durchfahrt, um ihnen aus dem Weg zu gehen.

In dieser traurigen Situation schlug das Schiff auch noch auf Grund.

Kaskaden von Wasser und Sand brachen auf den Hauptanker nieder, so dass jede Hoffnung auf Rettung vergebens schien. Aber die Matrosen, die jetzt alle Beherrschung wiedergefunden hatten, taten alles, um das Fahrzeug wieder flottzumachen.

Tom Reasin steuerte dorthin, wo es am wahrscheinlichsten schien, dass wir wieder freies Wasser erreichen würden. Und nachdem wir auf diesem Kurs noch etwas vorangekommen waren, gab es unter uns, entgegen aller Erwartung, mehr Wasser, als das Schiff brauchte. Als das Lot wieder ausgeworfen wurde, zeigte es uns, dass wir 18 bis 20 Fuß Wassertiefe hatten. Wir hielten uns auf diesem Kurs, und es gelang den Steuermannsmaaten, im Licht des Morgens das Schiff wieder so weit unter Kontrolle zu bekommen, dass wir dank der wunderbaren Gnade Gottes aus der Brandung bei Kap Hatteras freikamen und das offene Meer erreichten.

Kaum war das geschehen, als die Seeleute einander anschauten und sich wie Fremde die Hände schüttelten oder wie Männer, die, einer anderen Welt entstiegen, nun kaum glauben können, dass sie Wesen von Fleisch und Blut sind. Nachdem sie sich etwas erholt hatten, setzten sie alle verfügbaren Segel, um aufs Meer hinaus- und voranzukommen.

Der Wind kam frisch aus Nordwest, und bald entwickelte sich ein tosender Sturm und trennte uns vom Land mit einer Geschwindigkeit von acht Meilen pro Wache.

Der Kapitän meinte, wir müssten etwas dagegen unternehmen. Er befahl den Offizieren, das Schiff herumzunehmen, alle Segel zu bergen und nur das Besansegel stehenzulassen.

Die sich gebirgsartig auftürmenden Wellen, die der Nordweststurm aufwarf, machten es den Seeleuten unmöglich, das Schiff zu wenden. Wir waren jetzt schon eine beträchtliche Strecke vom Land entfernt und irgend etwas musste geschehen, um zu verhindern, dass wir zu weit hinaus gerieten. Zunächst wurde versucht, das Großsegel zu bergen und den Mast zu entlasten, indem man die Segelbahnen auf dem Schiffsdeck ablegte.

Unsere große Schwierigkeiten bestand darin, mit dem Vorsegel zurechtzukommen, damit das Schiff sicher oder wenigstens mit sowenig Risiko wie möglich Fahrt machte. Alle Hände reichten nicht hin, um das Tuch beizuholen und das Schiff zu wenden.

Von den großen Brechern traf einer zufällig mit solcher Gewalt das Heck, dass wenigstens eine Tonne Wasser sich unter die Persenning entleerte und uns allen, die wir in der Hütte waren, das Schwimmen lehrte. Dabei machte das einbrechende Wasser einen solchen Lärm, als sei eben ein großes Geschütz abgeschossen worden, und jagte uns allen einen solchen Schrecken ein, dass wir uns eine ganze Weile nicht davon erholten. Kaum war dieser Schock überstanden und das Vorsegel unter Kontrolle, da versuchten wir es mit dem Besan.

Ich kann die Unzahl von Tümmlern nicht vergessen, die an diesem Abend um das Schiff herum auftauchten. Selbst alte Seebären zeigten Erstaunen darüber. Die Tiere schienen die gesamte Oberfläche des Meeres, so weit das Auge reichte, zu bedecken. Hätte man wahllos einen Büchsenschuss abgegeben, so hätte man sicher mit jedem Schuss eines der Tiere getroffen. Die Matrosen nahmen das als schlechtes Omen und als Hinweis auf schlechtes Wetter. Da wir uns aber schon in einem Sturm befanden, war wohl das Ereignis dem Omen vorausgeeilt.

Bei tosender See und all der Gischt und weiter zunehmendem Wind kamen die Wachoffiziere häufig ins Rundhaus, um den Kapitän auf das Unglück vorzubereiten, das dieser mächtige Sturm mit sich bringen musste.

Und ihre Befürchtungen erwiesen sich als nur zu begründet, denn in der Stunde zwischen zehn und elf kündigten sich neue Schrecken durch ein fürchterliches Krachen auf Deck an. Alle Männer wurden aufgerufen. Der Vortoppmast war kurz unter der Kappe gebrochen. Das war eine traurige Sache und es bedurfte aller Geschicklichkeit, um da Abhilfe zu schaffen. Man konnte eigentlich nur weiterem Unheil vorbeugen. Die ganze Takelung eines Schiffes hängt zum größten Teil von den Befestigungen an diesem Mast ab.

Maat Putts hatte Wache und er wollte sich gar nicht ausmalen, was geschehen konnte und dann gewiss zu unserer völligen Vernichtung führen würde. Zwischen zwölf und eins bei Nacht hörten und spürten wir, wie ein mächtiger Brecher das Vorschiff traf. Das verursachte eine solche Überschwemmung auf dem Deck, wo der Maat ging, dass er sich mit aller Vorsicht eiligst zurückzog. Bis zu den Knien stand er im Wasser, murmelte Gebete, meinte, das Schiff sinke und sein letztes Stündlein habe geschlagen.

Allen Seeleuten kam das vor wie der Todesstreich. Das Schiff stand stockstill, den Bug unter Wasser. Es schien sich in die See bohren zu wollen. Meine zwei Kameraden und ich lagen auf unserer Plattform, bestürzt wie alle. Wir nahmen rasch Abschied voneinander. Ein Schreckensschrei lief durch das ganze Schiff, während Maat Putts, als er sah, dass das Wasser von Deck abfloss, alle Mann an die Pumpen rief. Dies schien uns wie ein Blitzschlag vor dem Sterben, aber es gab mir Gelegenheit, da ich mich noch am besten von uns allen auf den Beinen halten konnte, zu ergründen, was eigentlich vor sich gegangen war. Wir hatten unser Vorderdeck verloren, mit sechs Kanonen, unseren Ankern (allen außer einem, der an einer

Trosse festgemacht war), und auch unsere beiden Köche, von denen einer durch einen seltsamen Zufall wieder auftauchte.

Das große Loch, das so entstanden war, ließ einen Weg in den Laderaum frei, durch den Wasser eindringen musste, sobald der nächste Brecher kam. Es war ein günstiger Zufall, dass unter den Passagieren Zimmerleute waren, die sich bei diesem Unglück als sehr hilfreich erwiesen.

Sofort hatten sie eine leichte Plattform aus Bohlen angebracht, an der bei unserem augenblicklichen Kurs die Wellen abprallten. Jeden Moment aber konnte der zunehmende Sturm neue Arbeiten nötig werden lassen. Das Bugspriet war topplastig; da es keine Haltung und keine Takelage mehr hatte, die es gerade hielten, schwankte es hin und her und schlug so heftig gegen den Bug, dass gar nichts anderes übrigblieb, als es abzuhauen.

Alles war in fürchterlicher Unordnung und es war nur zu deutlich, dass die Gefahr noch zunahm. Die Verankerungen von allen Masten waren fort. Die Haltetaue, die noch geblieben waren, hingen locker und waren nutzlos. Es war leicht vorherzusehen, dass auch der Hauptmast bald herunterstürzen würde. Tom Reasin, immer bereit, sich der Gefahr auszusetzen, rannte mit einer Axt in der Hand hin, um den Hauptmast zu entlasten. Aber die Gefahr, in die er dabei geraten musste, war offensichtlich. Also rief man ihn wieder herunter. Kaum hatte er seinen Fuß wieder aufs Deck gesetzt, als das Unglück eintrat, Haupt- und Toppmast kamen zusammen herunter. Glücklicherweise fielen sie auf die dem Wind zugewandte Seite glatt in die See, ohne jemanden zu verletzen.

Unser Hauptmast, der breitseits gefallen war, bereitete uns im Wasser mehr Kummer als in seiner eigentlichen Lage. Die Verankerungen und die Takelage hatten sich nicht gelockert. Sie hielten, und so wurde der Mast zu einem Rammbock, der gegen die Schiffswand hämmerte und dort bestimmt ein Leck geschlagen hätte, wenn es nicht gelungen wäre, mit Äxten die Verbindung zu kappen.

Der wütenden See ausgesetzt, hin- und hergeworfen, da nun keine Takelage mehr das Schiff gerade hielt, fielen häufig Matrosen über Bord, ohne dass sich einer darum kümmern konnte, wenn er sah, wie der andere fortgerissen wurde … Nur der Besanmast stand noch, und damit hofften wir unser Schiff wieder auf den gewünschten Kurs zu bringen. Vorerst aber jagte es uns nach Osten. So verbrachten wir den 10. und 11. Dezember. Am Morgen des 12. begegneten wir einem englischen Kauffahrer, der seine Insignien zeigte und nicht mit uns sprechen wollte, obwohl der Sturm nachgelassen hatte und das Wetter für eine Verständigung längst nicht mehr so schwierig war. Wir sagten uns, der Grund liege wohl darin, dass er sich nicht zwingen lassen wollte. Er hielt unseren Zustand wohl für hoffnungslos, aber wir hatten mehr Kanonen, als ihm lieb sein konnte, und er fürchtete wohl, wir könnten uns einfach nehmen, was er nicht verkaufen oder geben wolle. Er schoss eine Kanone leeseits ab, blieb auf seinem Kurs, und bald verschwand sein Heck.

Der Sturm weht immer noch so schwer, die Seeleute sind immer noch so erschöpft, dass vorerst nicht daran zu denken ist, das Schiff wieder nach Westen zu wenden. Die Lebensmittel an Bord werden so knapp, dass die Passagiere und die Besatzung damit beginnen, die Ratten zu verspeisen, die mit an Bord sind. Mit der Zeit wird auf dem Schiff eine ausgewachsene Ratte mit 16 Schilling gehandelt. Eine hochschwangere Frau bietet für ein Tier sogar 20 Schilling, aber der glückliche Besitzer gibt sie nicht her, und die Frau stirbt.

Zurück konnten wir nicht. Vorwärts, wie wir es gewünscht hätten, ging es auch nicht. Infolgedessen mussten wir einen Mittelweg einschlagen. Wir mussten versuchen, Segel zu setzen und irgendwo die Küste von Neu-England zu erreichen. Die Fahrt mit dem schwer beschädigten Schiff dauerte bis zum 3. Januar. Am 4. kam Land in Sicht. Die genaue geographische Lage konnten wir nicht bestimmen, weil der Offizier, dem diese Aufgabe übertragen worden war, sich in den letzten Tagen dieser Mühe nicht mehr unterzogen hatte.

Der Abend war klar und ruhig, das Wasser unbewegt. Das Land mochte dort, wo es uns am nächsten war, sechs oder sieben Meilen entfernt sein. Das Lot zeigte 25 Faden. Ein guter Platz, um Anker zu werfen. Alles schien dazu einzuladen, an Land zu gehen. Aber ein alter Offizier, der die Proviantbestände verwaltete, sofern da überhaupt noch etwas zu verwalten war, wollte sich auf keinen Fall auf den einzigen Anker verlassen, von dem wir seiner Meinung nach für unsere Rettung abhängig waren. Sein Argument klang einleuchtend.

Kam ein Sturm auf und musste man die Ankerleinen kappen, dann war dieses wichtige Gerät verloren. Andererseits war das Kabel, das wir als einziges noch besaßen, zu kurz, um im Ozean zu ankern. Und schließlich war da auch an die erschöpfte Schiffsmannschaft zu denken, von der viele umgekommen oder über Bord gefallen waren, und an die Passagiere, die – durch Hunger geschwächt und dem Tod nahe – über Tage hin an Deck oder an den Pumpen ausgeharrt hatten. Sie waren zu schwerer Arbeit am Ankerspill kaum noch fähig.

Gegen die Argumente des alten Mannes sprach der zusammengeschmolzene Vorrat an Zwieback, der kaum noch eine Woche reichen würde, und die Gewissheit, dass wir vor Hunger umkommen würden, sollte uns ein Nordweststurm noch einmal auf den Ozean hinaustragen.

Außerdem war es sehr unwahrscheinlich, dass wir einen ordentlichen Hafen finden würden und dort mit unserem Schiff einlaufen konnten.

Diese Gründe gaben schließlich den Ausschlag. Und als der Anker ausgeworfen war, erhielt Maat Putts den Befehl zu einer ersten Erkundungsreise an Land. Er nahm zwölf kranke Passagiere mit, die hofften, mit festem Boden unter den Füßen werde sich ihr Zustand bessern. Auch Major Morris fuhr mit. Je nachdem, wie es an Land sein würde, wollten wir entweder in unserem traurigen Zustand die Seereise fortsetzen oder landen, unser Schiff entladen und unser Glück unter den Indianern versuchen.


Nach vier oder fünf Stunden sahen wir, dass das Boot zurückkam, und zwar mit Maat Putts allein. Wir nahmen das als ein Zeichen dafür, dass er gute Nachricht bringen werde.

Als er an Bord kam, hatte er tatsächlich nur Gutes zu berichten, nämlich dass er eine Flussmündung entdeckt hatte, in der wir mit unserem Schiff würden ankern können, und dass das Wasser an der Barre tief genug sei, um mit dem Schiff durchzukommen, sobald man es etwas geleichtert habe.

Auch gab es ausgezeichnetes Trinkwasser, wovon mir Major Morris eine Flasche mitschickte. Und dann sollte es an der Küste nur so von Vögeln wimmeln. Morris war schon an Land geblieben und erwartete, dass die gesamte Schiffsbesatzung ihm folgen werde. Ich hatte meine Ohren weit aufgesperrt und setzte mich nun für den Plan, zu landen, mit aller Rednergabe ein, die mir zu Gebote stand.

Der Kapitän war auch dafür, hoffte er doch, so das Leben jener Passagiere, die bis dahin alles gut überstanden hatten, zu retten.

Da er sich aber in einer so wichtigen Sache nicht ganz allein auf Maat Putts' Urteil verlassen wollte, bestieg er zusammen mit einem Verwandten und mir und mit einigen anderen nun selbst die Jolle.

Die Seeleute waren froh, dass ich ihnen half, das Boot an die Küste zu rudern. Meine Hände hatten dicke Schwielen bekommen von der Arbeit an den Pumpen, wo ich jeden Tag drei Stunden mitgeholfen hatte.

Mein leidenschaftlicher Wunsch, an Land zu kommen und aus der Quelle trinken zu können, trieben mich an. Über die sieben Meilen hin zu rudern bereitete mir weiter gar keine Schwierigkeit. Es wurde mir leichter, als mir daheim manche Fahrt von einem Themseufer zum anderen geworden war.

Während unserer Überfahrt zur Küste waren wir froh, in der fallenden Dunkelheit die Feuer unserer Freunde an Land zu sehen. Sie dienten uns nicht nur als Leuchtturm, sondern gaben uns auch die Gewissheit, dass wir uns dort würden aufwärmen können, denn es war sehr kalt.

Sobald ich meinen Fuß an Land gesetzt hatte, dankte ich dem Allmächtigen, dass er uns diese Tür zur Rettung aufgetan hatte. Major Morrison führte mich sogleich zu dem fließenden Wasser, wo ich erst einmal nach Herzenslust trank. Ich warf mich einfach auf den Bauch, legte meinen Mund auf die Wasseroberfläche und ließ das köstliche Nass in meinen durstigen Leib rinnen. Es schien mir die größte Wohltat auf Erden. Nach dieser Erfrischung überquerten der Kapitän, sein Verwandter und ich in der Jolle den Fluss, angelockt von dem Geräusch wilder Hühner. Der Kapitän hatte eine Flinte bei sich, und da der Mond schien, gelang es uns, eine Ente zu erlegen, die wir an einem Stecken brieten, den einer der Matrosen über den Flammen drehte, während wir uns weiter am Flussufer umsahen.

Als wir an einer kleinen Wasserrinne vorbeikamen, entdeckten wir eine Austernbank und versahen uns mit einer guten Ergänzung zu unserem Wildhuhnbraten. Als die Köche ihre Arbeit getan hatten, warteten wir nicht erst, bis der Rest der Gruppe zu uns gestoßen war, sondern begannen zu essen. Für alle hätte der Braten ohnehin nicht ausgereicht. Also erinnerten wir uns des Sprichwortes: »Je weniger es sind, desto besser schmeckt es.«

Die Knochen, den Kopf und die Beine sowie die Innereien gaben wir dem Mann, der den Spieß gedreht hatte, und dann dankten wir Gott und kehrten zu unseren Freunden zurück, ohne uns vor ihnen unseres Glückes zu rühmen.

So gestärkt, überprüften wir die Wassertiefe an der Barre, mit der der Kapitän zufrieden zu sein schien. Er versicherte immer wieder, er wolle das Schiff um unserer Sicherheit willen aufgeben.

Gegen Tagesanbruch flüsterte er mir ins Ohr, ob ich mit ihm aufs Schiff zurückkommen wolle. Ich antwortete: »Nein.« Es schien mir unnötig mühsam, sofern er sich nur an seinen Entschluss hielt. Also fuhr er mit seinem Verwandten zurück, dem ich, zum Schutz vor der Kälte, einen großen, groben Mantel borgte. Der neue Tag ließ mich erkennen, welchen Fehler ich begangen hatte, indem ich seiner Aufforderung nicht gefolgt war. Das erste, was ich sah, war auf See das Schiff unter Segeln. Es lief mit allem Tuch, das noch brauchbar war, auf die Kaps zu.

Für uns, die wir zurückgelassen worden waren, war das ein furchtbarer Anblick. Man hatte uns aufgegeben, irgendwo an der Küste, entgegen den getroffenen Abmachungen.

In einer Verwirrung, die sich mit Worten nicht beschreiben lässt, klagten wir einander unser Leid. Wir stellten traurige Überlegungen darüber an, was wir nun machen sollten. Zunächst beteten wir. Dann bestimmte mich die Gruppe zum Vater der leidgeprüften Familie.

Einer, so kamen wir überein, musste die Befehlsgewalt haben, um Streitigkeiten zu vermeiden und bei widerstreitenden Ansichten unsere Rettung nicht noch mehr zu erschweren.

Sie hielten es für vernünftig, mir das Kommando zu übergeben, da ich noch gesund und stark war und deshalb unter meinen Gefährten für diese Aufgabe am besten geeignet schien.

Als ich vom Schiff ging, hatte mir mein Diener Thomas Harman, ein Holländer, zugeflüstert, er habe mir 30 Zwiebäcke in mein Bündel gesteckt, die er sich selbst vom Mund abgespart hatte.

Der Gedanke an diese Zwiebäcke kam mir ein, als man mir dieses Amt antrug. Ich sagte mir, es sei meine Christenpflicht, jeden an dem teilhaben zu lassen, was ich besaß, und also teilte ich den Zwieback in neunzehn Teile. Dies war die Zahl derer, die an Land zurückgeblieben waren.

Es war am fünften Tag des Januar, dass wir so zu leben oder besser, den Weg zu unseren Gräbern begannen, denn wir waren ziemlich sicher, dass wir alle umkommen würden.

Zunächst überlegte ich, wer in der Lage wäre, zu arbeiten und eine Waffe zu bedienen. Dann drückte ich einem jeden von diesen eine Vogelflinte in die Hand. Unter der Gruppe gab es einen jungen Gentleman, Mr. Francis Cary mit Namen, der mir sehr tatkräftig dabei half, unser Überleben zu organisieren. Er war mir von Sir Edward Thurian empfohlen worden und sich mir mit Worten vorgestellt, dass er besser damit fahren werde, als Kolonist in der Fremde zu leben, als in England zu bleiben. Nun bekam er das Kolonistenleben gleich von seiner dunkelsten Seite zu spüren.

Bis zum Abendessen waren tatsächlich ein paar wilde Gänse erlegt worden und wir beschlossen, eine weitere Nacht in diesem Lager zu verbringen.

Meinen Freund Cary schickte ich zur Mündung des Flusses und befahl ihm, nach Indianern Ausschau zu halten, die uns entweder helfen oder unserem Leben eine Ende setzen würden.

Für letzteren Fall hatten wir uns vorgenommen, tapfer kämpfend zu sterben. Sollten uns aber die Indianer freundlich entgegenkommen, so hatte ich meine Genossen angewiesen, sie mit größter Höflichkeit zu behandeln und zu versuchenm, ihnen durch kleine Geschenke zu schmeicheln.

Cary kam nach einer Stunde mit trauriger Miene zurück. Er hatte herausgefunden, dass wir uns auf einer unbewohnten Insel befanden, die an allen Seiten, soweit er dies hatte feststellen können, von Wasser umgeben war, das zu tief war, um es zu durchwaten. Menschen war er nicht begegnet. Nur Vögel hatte er gesehen und versucht, sie zu erlegen, was ihm aber nicht gelungen war.

Diese Nachrichten stürzten uns erst recht in Verzweiflung. Wir kamen uns vor wie zum Tode Verurteilte, deren Leben nur so lange währen kann, wie sie es ertragen zu fasten.

Cary war abermals fortgegangen, ohne uns etwas zu sagen, und wir hatten guten Grund, anzunehmen, ein Engel habe ihn geleitet. Wir sahen ihn zurückkehren. Er lachte. Er trug etwas in den Händen, von dem wir über die Entfernung hin nicht ausmachen konnten, was es sei. Als er jedoch näher kam, sahen wir, dass es eine Menge Austern waren.

Als er über die Insel schlenderte und einen schmalen Wasserlauf durchquerte, war er auf die Austern getreten und hatte sich an ihren Schalen verletzt. Er hatte dann ins Wasser gegriffen und erst mit den Händen erfühlt, dass es Austern waren, die sich an dieser Stelle in großer Menge fanden.

Vorerst hatten wir also etwas zu essen. Während der kalten Jahreszeit besuchten auch große Schwärme von wilden Vögeln, Gänse, Enten und Brachvögel, die Insel. Einige von jeder Art erlegten wir, rösteten sie an Stecken und aßen sie mitsamt den Federn auf. Als der Wind von Süden kam, wurde es nun zwar wärmer, aber es gab weniger Vögel. Sie waren in kältere Gegenden abgewandert. Wir hielten uns nun an die Austernbänke und an eine Art von Unkraut, so dick wie unser Hauslauch, das außer den Kiefern das einzige Grün auf der Insel darstellte. Wir kochten es mit etwas Pfeffer – wovon wir ein Pfund mit auf die Insel gebracht hatten – und aßen es mit sechs, sieben Austern für einen jeden von uns.

In den nächsten Tagen sterben zunächst zwei der Frauen, dann zwei der Männer. Die Überlebenden essen das Fleisch der Toten. Dann kommt von Nordwesten her ein Sturm auf, der Schnee und Hagel bringt. Norwood baut aus Ästen und Kleidungsstücken eine Art Windschutz, schleppt seine geschwächten Gefährten dorthin und zündet ein Feuer an. Er fasst den Entschluss, über den Fluss zum Festland zu schwimmen und sich entlang der Küste durch die Wälder von Virginia zu den Indianern durchzuschlagen. Zuerst sind seine Gefährten über diesen Plan entsetzt. Dann wird ihnen klar, dass dies die einzige Chance ist, vielleicht doch noch gerettet zu werden. Als Proviant für Norwood werden gekochte Austern in Flaschen gefüllt.

Am neunten Tag unseres Aufenthalts auf der Insel war ich eifrig mit meiner Austernkocherei beschäftigt, als Cary angerannt kam und mir berichtete, er habe auf dem Festland drüben Indianer gesehen. Ich hörte sofort mit meiner Arbeit auf und rannte zu der Stelle, an der er seine Beobachtung gemacht haben wollte, konnte aber nichts entdecken und nahm an, er müsse sich getäuscht haben, denn er war ein sehr phantasievoller Mensch, der oft schon solchen Einbildungen und Täuschungen zum Opfer gefallen war.

Niedergeschlagen kehrte ich zu meiner Arbeit zurück und machte weiter, bis eine Flasche gefüllt war.

Ich sagte mir, jetzt hast du ein bisschen Zeitvertreib verdient; und da ich das Geschrei von Gänsen hörte, nahm ich mein Gewehr, schlich mich an und erlegte einen der Vögel.

Diese Gans wollte ich allein verzehren. Ich würde danach, so redete ich mir ein, kräftiger sein und besser durch den Fluss schwimmen können. Ich hängte also die Gans an einen Zweig und ging, um den Koch zu rufen und Glut für ein Feuer zu holen. Als ich zu der Stelle zurückkam, war meine Gans verschwunden, gestohlen von Wölfen wohl, die, wie uns die Indianer später erzählten, häufig auf die Insel kamen.

Der Verlust dieser Gans, auf die ich mich mit meinem leeren Magen schon so gefreut hatte, machte mich wütend, und ich sann darüber nach, wie ich mich an dem Räuber rächen könne. Was mich aber noch mehr beschäftigte, war die Tatsache, dass ich das Verschwinden der Gans als eine Art Strafe dafür ansah, dass ich meine Beute den anderen hatte vorenthalten wollen. Aber dann sagte ich mir, dass ich nur so gehandelt hätte, um mich zu stärken und für sie Hilfe zu holen.Wie enttäuscht ich auch sein mochte, der Koch war um die ihm zugedachte Belohnung nicht gekommen, denn Kopf und Hals der Gans hingen noch an dem Baum. Ich kehrte also zum Austernkochen zurück und gab wenig darauf, als man mir sagte, am anderen Ufer hätten sich mehr und mehr Indianer gezeigt; denn mit eigenen Augen konnte ich nie welche entdecken. Der nächste Morgen war der neunte oder zehnte Tag nach unserer Landung. Ich machte mich wieder an die Arbeit und hoffte, ich würde meine Reise an diesem Tag beginnen können.

Wie ich nun eifrig beschäftigt war, kam die Nachricht, im Süden der Insel sei ein Kanu gesichtet worden. Ach, dachte ich, wieder einmal sieht jemand etwas, das er zu sehen wünscht. Als mir dann aber gesagt wurde, dass die Indianer in der Hütte unserer unglücklichen Frauen gewesen seien und diesen Schellfisch zu essen gegeben hätten, war mir klar, dass es hier nicht um eine Fata Morgana ging. Ich lief sofort hin, um mir das von den Frauen selbst erzählen zu lassen. Die Frauen versicherten, das sei die Wahrheit, und wiesen Muschelschalen vor, wie ich sie in dieser Art noch nie gesehen hatte.

Weiter berichteten sie, die Indianer hätten nach Südosten gedeutet, woraus sie schlossen, dass sie morgen wiederkommen wollten. Vielleicht wollten sie mit der Himmelsrichtung die Zeit beschreiben, zu der sie sich wieder sehen lassen würden. Dann wäre das etwa gegen neun Uhr, denn zu dieser Stunde steht die Sonne etwa in dieser Himmelsrichtung.

Die Nachricht gab uns allen neue Hoffnung. Sie wirkte unter uns fast wie ein Wunder. Jene, die sich in der Erwartung des sicheren Todes willenlos hingelegt hatten, kamen wieder auf die Beine.

Der Besuch der Indianer und ihr anteilnehmendes Verhalten gegenüber den hungernden Frauen machte auch meinen Aufbruch unnötig. Statt dessen verbrachte ich nun meine Zeit damit, mir zu überlegen, welche Haltung wir einnehmen sollten, sobald sich diese Engel des Lichts wieder zeigten. Wir kamen überein, jeder Mann solle neben sich ein geladenes Gewehr liegen haben, aber keiner solle zur Waffe greifen, es sei denn, die Indianer kämen als Feinde, was nach dem, was vorgefallen war, sehr unwahrscheinlich war. Dann allerdings würden wir unser Leben so teuer wie möglich verkaufen. Gaben sie sich aber freundlich, wie zu erwarten stand, so wollten wir ihnen unbewaffnet und freundlich begegnen, denn das haben die Indianer gern. Sie hassen melancholische Gesichter.


In freudiger Hoffnung auf eine Errettung durch diese Indianer vergingen die Stunden bis zum nächsten Tag. Dann hielt jedes Auge Ausschau, wann die Sonne endlich im Südwesten stehen werde.

Als sie dann schon im Süden stand, meinten wir schon, die Indianer hätten es sich anders überlegt. Vielleicht war ihnen etwas dazwischengekommen. Oder war gar ein Unglück geschehen?

Späher wurden nach rechts und links hin ausgesandt, ohne dass sie den ganzen Vormittag über etwas hätten entdecken können. Und dann, da ich mir überlegte, dass wir nun nicht länger warten konnten, entschloss ich mich doch, hinüberzuschwimmen.

So vernünftig dieser Entschluss schien, bei dem schlechten Wetter, das herrschte, ließ er sich schwer ausführen. Der Nordwind, der in dieser Gegend sehr kalt bläst, ist noch im Sommer unangenehm, im Winter aber geradezu schneidend. Bei solchem Wind sich längere Zeit im Wasser aufhalten zu müssen, war eine recht abschreckende Vorstellung.

Ich ließ mich also nur zu gern überreden, es sei zu gefährlich, hinüberzuschwimmen, und dies um so mehr, da ich mir sagte, die Indianer würden schon kommen, wenn wir nur geduldig zuwarteten.

Um zwei oder drei Uhr gefiel es Gott, die Wende zum Besseren herbeizuführen. Während ich damit beschäftigt war, mich um das Feuer zu kümmern, zeigten sich die Indianer. Sie traten hinter einem großen Baum hervor. Sie lächelten und trugen keinerlei Waffen, ließen auch keine Anzeichen böser Absicht erkennen. Die ganze Gruppe, zwanzig bis dreißig Männer, Frauen und Kinder, kam lachend auf uns zu, und sie schüttelten einem jeden von uns die Hand.

Die Worte »Ny Top« wurden oft von ihnen wiederholt, und wir begriffen bald, dass sie etwas Freundliches bedeuteten. Später wurden sie uns übersetzt, und wir erfuhren, dass sie »Ny« einen Freund nennen.

Nach vielen Begrüßungen und »Ny Tops« hin und her brach die Nacht herein und wir begannen, uns mit Zeichen zu verständigen.

Die Indianer erwiesen mir die Ehre, bei Bitten sich immer an mich zu wenden, vielleicht, weil ich einen Mantel mit Gold und Silberborten trug.

Die Maiskolben, die uns die Indianer als Geschenke mitgebracht hatten, wurden von uns gern angenommen, und es bedurfte angesichts der Toten und der lebendigen Leichname keines Dolmetschers, um zu erklären, wie willkommen diese Gaben waren. Von unserer Not zeigten sich besonders die Frauen der Indianer sehr beeindruckt. Sie haben oft ein sehr empfindsames und mitfühlendes Gemüt.

Eine von ihnen schenkte mir den Schenkel eines Schwanes, den ich allein aufaß, so, wie er mir in die Hand gedrückt worden war, mit um so größerem Vergnügen, da es entschieden der größte Schenkel eines Geflügels war, den ich je zu Gesicht bekommen habe.

Die Indianer blieben zwei Stunden bei uns und gaben uns zu verstehen, sie würden am nächsten Tag wiederkommen. Die Stunde des Rendezvous teilten sie uns mit, indem sie auf den Fleck am Himmel deuteten, an dem die Sonne gegen zwei Uhr steht.

Ich schenkte dem Häuptling ein Band und noch ein paar Kleinigkeiten, die ihm offensichtlich gefallen hatten, und gab ihm zu verstehen, wie dankbar wir für die freundliche Behandlung seien. »Ha-na Haw« sagten sie zum Abschied, was wohl so viel heißt wie »Auf Wiedersehen«, und dann deuteten sie auf die Stelle, an der die Sonne stehen würde, wenn sie uns wieder besuchten.

Wo der Wind weht

Подняться наверх