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Die Geschichte von Käpt'n Santos und seinem Holzbein

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Ihr erinnert euch sicherlich auch noch alle an den alten Kapitän Santos, dem die Haie das eine Bein abgerissen hatten, als sein Schiff an der Western-Bank scheiterte.

Ich jedenfalls sehe ihn noch wie heute vor mir. Er kam zurück, und sie gaben ihm ein Holzbein, das mit Lederschlaufen an den Stumpf festgeschnallt wurde. Er war sehr stolz auf sein neues Bein. Und ich sage euch: Das war ein Anblick, wenn er mit dem Holzbein die Charmarita tanzte und die Sohle dabei den Boden nicht berührte. Er trug dann auch immer ein Fläschchen Möbelpolitur bei sich, um das Bein damit zu streichen und zu verhindern, dass der Holzwurm hineinkäme.

Nun müsst ihr wissen, dass ein Mann, den die Haie einmal gebissen haben, für den Rest seines Lebens sich besonders in acht nehmen muss, wenn er weiter zur See fährt, denn die Raubfische sind nun, da sie einmal sein Blut geleckt haben, ganz scharf auf ihn. Und Kapitän Santos fuhr weiter zur See!

Des Käpt'ns Schiff, der Trawler Hetty Kay, lag zehn Meilen vor Race, als der Portlandsturm einsetzte. Das war am 27. November. Am 28. lief der Kahn dann endlich wieder in den Hafen ein und machte, wenn auch stark beschädigt, an der Mole fest. Die Mannschaft wusste nur zu berichten, dass der Kapitän und zwei andere Männer über Bord gespült worden seien.

Die Leichen der beiden Matrosen wurden später an Land gespült. Der Kapitän aber blieb verschwunden. Hingegen fand Joe Barcia einige Tage später das Holzbein des Kapitäns am Strand und gab es der Witwe, Mary Santos. Die beiden waren dreißig Jahre verheiratet gewesen und als Joe Barcia der Frau das Bein gab, streichelte sie es und sprach zu ihm wie zu einem Menschen. Nichts geschah, bis zu jener Nacht vom 26. November, ein Jahr später. Um Mitternacht wird Mary plötzlich wach. Und wer steht da vor ihr in voller Lebensgröße? Niemand anders als ihr Mann, der Kapitän. Er setzt sich auf die Bettkante, beugt sich vor und flüstert ihr etwas ins Ohr.

»Das Barometer fällt, Mary«, sagt er, »der Wind dreht auf Nordost. Wir sind reingekommen, weil es Nebel gegeben hat. Ich komme mir nur eben mein Holzbein holen. Werd's brauchen können bei der rauen See heute Nacht, wenn wir wieder auslaufen.«

Als sie wieder hinschaut, ist der Kapitän verschwunden. Am nächsten Morgen, so erzählt Mary, hatte sie einen Fleck auf der Wange.

Eine Täuschung war es also nicht gewesen.

Ehe sie sich an diesem Abend schlafen legte, nahm sie das Holzbein ihres Mannes, das sie im Gewürzschrank verwahrte, und stellte es in eine Ecke des Wohnzimmers nahe dem Kamin.

In der Nacht kam, wie vorhergesagt, eine Brise auf, und nach einigen Stunden blies da schon der schönste Sturm aus Nordost. Die Weidenbäume vor dem Fenster heulten, als säßen dort die Seelen der armen Matrosen, die in der Hölle unten durch das große Feuer müssen. Ganz plötzlich hörte Mary ein Tappen unten im Wohnzimmer, und eine Tür fiel zu.

Sie blieb im Bett.

Erst am nächsten Morgen ging sie nachsehen, ob das Holzbein des Kapitäns noch an seinem Platz sei. Es war da. Aber als sie es aufnahm, spürte sie, dass es feucht war. Nun hatte es freilich in dieser Nacht so stark geregnet, dass Wasser durch den Kamin hereingekommen sein mochte. Aber ihre Beobachtung beschäftigte sie dennoch so sehr, dass sie krank wurde und den Arzt kommen ließ. Der Doktor untersuchte sie und meinte, sie sei gesund. Ob sie sich vielleicht erschreckt habe? Da erzählte sie ihm die ganze Geschichte. Der Arzt holte das Holzbein herbei und meinte: »Meine liebe Mrs. Santos, hören Sie auf einen guten Rat, und geben Sie dieses verdammte Holzbein einem Matrosen mit. Er soll es mit auf See nehmen, mit Blei beschweren und dann draußen irgendwo versenken.«

»Ja«, sagte Mary, »das will ich gern tun. Aber Sie müssen nicht meinen, dass ich Ihnen hier Märchen erzählt habe. Ich habe nämlich am Holz geleckt, heute früh. Es schmeckt salzig. Und schließlich regnet es doch kein Salzwasser!«

Wo der Wind weht

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