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Der Anfang der Welt Eine Geschichte der Huronen und Irokesen

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Diese Schöpfungsgeschichte der Indianer wurde 1874 nördlich des Erie-Sees von einem Unterhäuptling der Huronen, der zu dieser Zeit etwa fünfundsiebzig Jahre alt war, erzählt. Sie stellt wahrscheinlich die Niederschrift des ältesten Schöpfungsberichts von nordamerikanischen Indianern überhaupt dar.

Da der Erzähler die Geschichte selbst schon von den Alten seines Stammes in seiner Jugend gehört hatte, wird sie in dieser oder ähnlicher Form schon in der Mitte des 18. Jahrhunderts, vielleicht sogar noch früher bei den Indianern erzählt worden sein.

Auf jeden Fall waren dies Zeiten, als die Zivilisation der Weißen die Sitten und Gebräuche und die Vorstellungen der Wendat noch nicht beeinflusst hatte. Wendat ist der indianische Name dieses Stammes, Huronen der Spitzname, den diese Indianer von den Franzosen erhielten. Im Englischen wurde aus dem indianischen Stammesnamen die Bezeichnung »Wyandot«.

Im Anfang war nichts als Wasser, nichts als eine weite, weite See. Die einzigen Wesen, die es damals schon auf der Welt gab, waren die Tiere. Sie lebten in oder auf dem Wasser.

Dann fiel eine Frau vom Himmel, eine heilige Person. Zwei Tauchervögel flogen über das Wasser hin, sahen sich um und bemerkten, wie sie herabfiel. Rasch schoben sie sich unter sie und bildeten mit ihren Leibern ein Kissen, auf dem sie ruhte. So retteten sie sie vor dem Ertrinken. Während sie sie so in der Schwebe hielten, riefen sie mit lauter Stimme die anderen Tiere um Hilfe. Nun kann man den Ruf der Taucher auf dem Wasser weithin hören, und so kamen die anderen Geschöpfe rasch herbei.

Als die Große Schildkröte hörte, was geschehen war, trat sie in der Ratsversammlung vor und sagte:

»Überlasst die Frau nur mir. Legt sie auf meinen Rücken. Mein Rücken ist breit.«

So wurden die Taucher ihre Last los.

Dann berieten die Tiere, was geschehen solle, um das Leben der Frau zu retten. Um zu leben, brauche sie eine Erde, meinten sie.

Die Große Schildkröte hieß die anderen Tiere eines nach dem anderen auf den Meeresboden hinabtauchen und etwas Erde heraufholen. Der Biber, die Bisamratte, die Wasservögel – sie alle halfen mit. Einige von ihnen blieben so lange unten, dass die anderen schon fürchteten, sie seien ertrunken.

Die Große Schildkröte sah allen ins Maul und konnte bei keinem auch nur eine Spur Erde finden. Zum Schluss tauchte die Kröte.

Nach langer Zeit und erschöpft vom langen Tauchen kam sie schließlich wieder herauf. In ihrem Maul nun fand die Große Schildkröte etwas Erde, und sie gab diese Erde der Frau.

Die Frau nahm sie und streute sie vorsichtig rings um den Panzer der Großen Schildkröte. So entstand das trockene Land. Nach allen Seiten hin wurde das Land größer und größer, und schließlich begannen auf dem Land auch Bäume und Pflanzen zu wachsen. All dies trug die Große Schildkröte auf ihrem Rücken, und so ist es auch noch heute.

Nach einiger Zeit brachte die Frau Zwillinge zur Welt. Die beiden Kinder waren sehr verschieden. Noch ehe sie geboren wurden, schlugen und stritten sie sich im Leib der Mutter. Die Mutter hörte den einen sagen, ihm sei es recht, wenn er auf die normale Art und Weise zur Welt komme, und so geschah es. Der andere aber brach aus der Seite der Frau hervor und tötete seine Mutter dabei.

Die Frau wurde in der Erde begraben, und aus ihrem Körper wuchsen Pflanzen, jene Pflanzen, die die Menschen auf der neu erschaffenen Erde zu ihrem Lebensunterhalt brauchen würden.

Aus dem Kopf der Frau wuchs eine Kürbisranke, aus ihren Brüsten der Mais und aus ihren Armen und Beinen die Bohne.

Die Zwillinge waren nicht etwa Menschen. Sie waren übernatürliche Wesen. Ihnen war aufgetragen, die Erde als Heimat der Menschen vorzubereiten.

Als sie aufwuchsen, stellte sich heraus, dass sie in allem sehr verschieden waren. Als sie nun merkten, dass sie zusammen nicht leben konnten, gingen sie ihrer Wege, und jeder von ihnen nahm einen Teil des Landes. Zuerst schufen sie die verschiedenen Arten von Tieren.

Der Böse Bruder, dessen Name soviel wie »Feuerstein« bedeutet, schuf die wilden Tiere, die die Menschen in Schrecken versetzen und sie verschlingen. Er schuf die Schlangen, die Panther, die Wölfe, die Bären und Moskitos, die so groß waren wie heutzutage die Truthühner. Und er schuf auch eine riesige Kröte, die alles Wasser auf der Erde aufleckte.

Der Gute Bruder schuf die nützlichen Tiere – den Hund, das Reh, den Elch, den Büffel und viele Vögel, darunter auch das Rebhuhn. Sehr zum Erstaunen des Guten Bruders flatterte das Rebhuhn auf und flog in das Land des Bösen. »Wo willst du denn hin?« fragte der Gute Bruder.

»Ich schaue mich nach Wasser um«, antwortete das Rebhuhn. »Im Land des Feuersteins soll es welches geben.«

Der Gute Bruder folgte dem Rebhuhn und erreichte bald das Land des Bösen. Hier stieß er auf die riesigen Schlangen, die wilden Tiere und die gewaltigen Insekten, die sein Bruder geschaffen hatte. Der Gute überwand sie. Er vermochte sie nicht zu vernichten, aber er machte sie kleiner, weniger wild, so dass die Menschen ihrer Herr werden konnten.

Dann kam er zu der riesigen Kröte. Er schnitt ihr den Bauch auf und ließ das Wasser auf das Land laufen. So bildeten sich die Flüsse.

Der Gute schlug vor, jeder Fluss solle zwei Strömungen haben, die eine flussauf, die andere flussab, damit die Menschen auch stromaufwärts fahren könnten. »Das ist nicht so gut für die Menschen«, sagte der Böse Bruder, »es wird ihnen nichts schaden, wenn sie sich etwas anstrengen müssen.«

Also machte er, dass die Flüsse nur in einer Richtung fließen. Und um das Paddeln in einem Kanu noch gefährlicher zu machen, schuf er die Wasserfälle und die Strudel.

In einem Traum erschien dem Guten der Geist seiner Mutter und warnte ihn vor dem Bösen.

Als die Zwillinge feststellten, dass sie sich wieder einmal nicht einigen konnten, beschlossen sie, ein Duell auszutragen. Der Sieger sollte der Herr der Welt sein. Sie kamen auch überein, dass jeder die Waffe bestimmen solle, die ihm selbst den Tod bringe.

»Ich kann nur vernichtet werden«, sagte der Gute Bruder, »wenn man mich mit einem Sack Bohnen oder Mais schlägt.«

»Ich kann nur vernichtet werden«, sagte der Böse, »wenn man mich mit dem Geweih eines Rehbocks oder dem Horn eines anderen Tieres tötet.«

Dann bestimmten sie einen Kampfplatz, und der Böse begann den Kampf. Er schlug auf den Bruder mit einem Sack Bohnen ein, jagte ihn umher, bis er endlich leblos zu Boden sank. Aber der Geist der Mutter hauchte ihm wieder Leben ein, und er gewann seine alte Stärke wieder.

Dann griff der Gute nach dem Rehbockgeweih, verfolgte seinen Bruder und tötete ihn.

Nach seinem Tod erschien der Böse seinem Bruder und sprach:

»Ich gehe jetzt weit in den Westen. Hernach werden alle Menschen nach ihrem Tod in den Westen gehen.« Und bis die christlichen Missionare kamen, flogen die Geister der toten Indianer in den fernen Westen und lebten dort.

Die Tuscaroras, einer der sechs Stämme aus der irokesischen Liga der Nationen, kennen eine interessante Erweiterung zu dieser Schöpfungsgeschichte, die unter den Indianern der Irokesenfamilie verbreitet ist. Die Tuscaroras lebten an den Ufern des Roanoke-River in North Carolina im Südosten der heutigen Vereinigten Staaten, als die ersten Kolonisten in diese Gegend kamen.

Nach dem Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg (1783) schickte man diesen und andere irokesische Stämme, die zu den Engländern gehalten hatten, in eine Reservation am Grand-River in Ontario. Nach ihrer eigenen Überlieferung aber haben die Tuscaroras Jahrhunderte zuvor am St.-Lorenz-Strom gelebt, der in ihrer Sprache »Kanawage« heißt.

Nach der Erschaffung der Welt, der Pflanzen und der Tiere beschloss der Himmelshalter, Menschen zu schaffen, damit sie auf Erden leben und sich der Dinge erfreuen sollten, die er geschaffen hatte. Die Menschen sollten stärker, tapferer und schöner sein als alles, was er zuvor gemacht hatte.

Also brachte der Himmelshalter von der Großen Insel, wo sie sich von Maulwürfen ernährt hatten, sechs Paare mit. Und sie waren die Vorfahren aller Menschen. Das erste Paar blieb an einem großen Fluss. Seine Kinder und Kindeskinder wurden bekannt unter dem Namen Mohawks.

Das zweite Paar sollte neben einem großen Stein wohnen. Ihre Nachkommen waren die Oneidas. Das Wort Oneida bedeutet »aufrechter Stein«.

Das dritte Paar nahm seine Wohnung im Gebirge und hieß Onondaga, von ihm stammen die Onondagas ab.

Das vierte Paar wurde angewiesen, neben jenem See zu wohnen, aus dessen Wasser ein Gebirge aufsteigt. Ihr Familienname lautete »eine große Pfeife«. Später wurden sie als die Cayugas bekannt.

Das nächste Paar zog in die Nähe eines Hügels an einem anderen See. Sein indianischer Name besagte so viel wie: Jene, die die Tür besitzen. Das waren die Senecas.

Das sechste Paar schließlich waren die Vorfahren der Tuscaroras. Sie wurden vom Himmelshalter weiter nach Süden geführt, gegen den Mittagsstand der Sonne hin, bis sie an das Ufer eines großen Wassers kamen, an eine Flussmündung. Dort hieß sie der Himmelshalter sich niederlassen. Er blieb eine Weile bei ihnen. Er zeigte ihnen, wie man mit Pfeil und Bogen umgeht. Er lehrte sie nützliche Fertigkeiten und Künste. Und darum sind die Tuscaroras die Auserwählten des Himmelshalters.

Die Onondagas meinten, sie seien das auserwählte Volk, weil ihnen das Ratsfeuer anvertraut worden war.

Jeder der vier anderen Nationen aber hatte auch einen Grund, sich für den Stamm zu halten, den der Himmelshalter besonders liebte.

Als die sechs Paare noch auf der Großen Insel lebten, redeten alle eine Sprache. Später, als sie sich trennten und diese oder jene Gegend ihre Heimat wurde, änderte jede Nation die irokesische Sprache ein wenig ab. Aber die Veränderungen waren nicht allzu groß, immer noch konnten Menschen aus den verschiedenen Nationen einander verstehen.

Jahre später, als die Nachfahren der sechs Paare verstreut wurden, gab es in der Gegend, in der einige von ihnen lebten, viele Bären. Also nannten diese sich »Bärenklan«. In der Heimat anderer gab es viele Biber, und diese Menschen nannten sich Angehörige des Biberklans. Nur die Geschichte des Schildkrötenklans ist nicht ganz so einfach.

Während eines besonders heißen Sommers trocknete der Teich, in dem die Schildkröten lebten, aus. Also mussten sich die Tiere nach einer neuen Heimat umsehen. Eine der Schildkröten, ein fettes Tier, war einen so weiten Weg nicht gewohnt. Um sich Erleichterung zu verschaffen, warf sie den Panzer ab. Mit der Zeit änderte sich ihr Aussehen, mehr und noch mehr, bis endlich aus der fetten, faulen Schildkröte ein Mensch geworden war, der Vorfahr des Schildkrötenklans.

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