Читать книгу Der arme Jack - Фредерик Марриет - Страница 11

Neuntes Kapitel.

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In welchem ich gegen die angenommene Regel der Seefahrerkunde einen Kreuzzug mache. Bei meiner Rückkehr von einer kalten Expedition treffe ich auf einen kalten Empfang.

Kaum hatte ich mir den unbestrittenen Besitz eines Amtes verschafft, als ich auch hinreichend Geld gewann, um mich ganz unabhängig von meiner Mutter zu machen. Gelegentlich verschaffte ich mir aus dem Laden eines alten Weibes, die mit allem nur Erdenklichen handelte, eine alte Jacke, Beinkleider und ein paar Schuhe, und wenn ich Kalfaterwerk oder triftig gewordene Holzstücke auflas, pflegte ich meine Beute an die alte Nanny (denn dies war der einzige Name, unter dem die Hökerin bekannt war) zu verkaufen. Meine Mutter hatte durch ihre schlimme Gemütsart und ihr ewiges Gezänk mit den Nachbarinnen alle ihre Hausleute vertrieben, so dass sie sich jetzt auf das Waschen feiner Leinwand verlegen musste, eine Beschäftigung, auf die sie sich gut verstand und die ihr viel Geld einbrachte. Ich muss ihr die Gerechtigkeit widerfahren lassen, dass sie eine sehr fleissige Frau und in manchen Dingen sehr geschickt war. Sie machte auch Kleider und Hauben für die niedrigere Volksklasse, die sehr mit ihren Leistungen zufrieden war, und arbeitete eifrig für sich und meine Schwester, deren Anzug und Äusseres sie sich mehr als je angelegen sein liess, denn sie erzeigte Virginia eben so viel Liebe, als sie mir Hass bewies. Wer mich in meinen alten, bis an die Kniee aufgeschlagenen Hosen, in meiner zerrissenen Jacke und in meiner vom Wasser gesteiften Kappe neben der reinlich und sogar luxuriös gekleideten Virginia stehen sah, würde nie geglaubt haben, dass wir Geschwister wären. Die Mutter suchte zwar stets Virginia davon abzuhalten, dass sie mir Aufmerksamkeit erwies, wenn wir uns je auf der Strasse begegneten; aber die Schwester liebte mich mit jedem Tage mehr und pflegte, ungeachtet der mütterlichen Vorstellungen, sobald sie mich sah, auf mich zuzueilen und mit ihrem hübschen Händchen meine schmutzige Jacke zu pätscheln, so dass ich eigentlich stolz auf Virginia war. Sie wurde täglich schöner und hatte einen so guten Charakter, dass selbst die Mutter ihn nicht zu verderben vermochte.

Ich hatte mir den unbestrittenen Posten des armen Jack im Herbste erkämpft, im Winter darauf stiess mir ein Abenteuer zu, das, wie der Leser zugeben wird, durchaus nicht angenehm war und beinahe eine Amtserledigung zum Besten eines andern herbeigeführt hätte.

Es war im Monat Januar — der Strom schwamm voll Treibeis, denn wir hatten mehrere sehr kalte Tage gehabt; das hatte zur Folge, dass sich nur wenige Leute den Fähren anvertrauen mochten, weshalb ich nur wenig Beschäftigung und noch weniger Verdienst fand. Eines Morgens stand ich auf den Lauertreppen, rieb mir, während der Atem wie der Dampf eines Theekessels aus meinem Munde kam, die von der scharfen Kälte gerötete Nase und blickte nach der Sonne, die eben über einen Wolkenrand auftauchte, als mir ein Fährmann zurief und mich fragte, ob ich mit ihm den Strom hinuntergehen wolle, da er einen Maten nach seinem Schiffe bringen müsse, das mehrere Meilen unterhalb Greenwich läge; wenn ich Lust habe, so wolle er mir sechs Pence und ein Frühstück geben. Ich hatte seit vielen Tagen nur wenig verdient und willigte deshalb ein, da ich meiner Mutter für nichts verbindlich sein mochte.

Nach einer Stunde brachen wir auf. Wir hatten keinen Wind, das Wasser war glatt und die Sonnenstrahlen blitzten in den schwimmenden Eisschollen, welche sich an den Seiten unserer Fähre rieben, als wir sie mit unserem scharfen Schnabel durchschnitten. Obgleich wir die Ebbe für uns hatten, stand es doch drei Stunden an, bis wir das Schiff erreichten. Der Mate zahlte das Fährgeld und gab uns etwas zu trinken. Wir wärmten uns etwa eine Stunde in der Schiffsküche und plauderten mit den Matrosen. Endlich sprang eine Brise auf, und der Kapitän befahl den Matrosen, die Anker aufzuziehen. Wir ruderten ab und hofften, da die Flut eingetreten war, noch vor Einbruch der Nacht Greenwich wieder zu erreichen.

Der Himmel umwölkte sich; es trat ein schweres Schneegestöber ein, so dass wir nicht sehen konnten, in welcher Richtung wir ruderten. Der Wind blies sehr steif und schneidend kalt; dennoch arbeiteten wir uns nach Kräften ab, nicht nur, um wieder zurückzukommen, sondern auch, um uns zu erwärmen. Unglücklicherweise hatten wir zu viel Zeit an Bord des Schiffes verloren, und da uns ausserdem das Schneegestöber hinderte, geradeaus zu fahren, so trat die Ebbe wieder ein, ehe wir zwei Dritteile unseres Weges zurückgelegt hatten. Erschöpft von Kälte und Anstrengung arbeiteten wir noch immer nach Kräften und hielten uns so nahe als möglich ans Ufer. An dem Ende einer Krümmung sahen wir uns genötigt, nach der andern Seite des Flusses zu fahren, und während wir dies thaten, wurden wir durch die Strömung gegen eine grosse Boje getrieben, so dass sich unsere Fähre füllte und im Nu umschlug. Wir klammerten uns an und wurden zwischen den schwimmenden Eisschollen abwärts gefegt, während es noch immer schwer auf unsere Köpfe niederstöberte. Ich war fast erfroren, als es mir gelang, den Boden der Fähre zu erklimmen, während der Schiffer sich nur festhalten konnte. So wurden wir nun beide – in dem Winde, der unsere nassen Kleider durchschnitt, schaudernd, und während der Schnee noch immer auf uns niederschlug und unsere Füsse zwischen dem Treibeis fast erfroren — von der Ebbe der Mündung des Flusses zugetragen und waren nicht im stande, auch nur zwei Ellen weit um uns zu sehen, folglich auch nicht in der Lage, von jemand bemerkt zu werden, der uns möglicherweise hätte Beistand leisten können. Wir fühlten uns zu sehr durchkältet, um sprechen zu können, und blieben daher stumm, warfen aber einander Blicke zu, in denen nicht die lieblichsten Vorahnungen für unsere Zukunft zu lesen waren. Das Eis bildete sich immer mehr zu grösseren Massen, an unseren Kleidern hingen dicke Zapfen, und aus unsern Extremitäten war alle Empfindung verschwunden. Es war jetzt pechfinster; wir fühlten uns so schwach, dass wir nur mit Mühe unsere Stellungen behaupten konnten. Endlich legte sich das Schneegestöber, der Himmel heiterte sich auf, der klare, volle Mond trat hinter den Wolken hervor; aber unser Fall schien hoffnungslos zu sein — wir fühlten, dass wir noch vor Morgen zu Grunde gehen mussten. Ich versuchte alle Gebete herzusagen, die ich meine Schwester hatte sprechen hören; aber meine Zähne klapperten, ich konnte keinen Laut hervorbringen. Endlich bemerkte ich ein vor Anker liegendes Schiff, — die Strömung musste uns daran vorbeiführen. Wir kamen dicht in seine Nähe, und es gelang mir, einen Ruf auszustossen — aber es erfolgte keine Antwort. Ich schrie abermals — vergeblich. Sie lagen alle in ihren warmen Betten, während wir vorbeischwammen und uns zu Tode froren. Die neu erwachten Hoffnungen, welche mein erstarrtes Herz wieder in Gang gebracht hatten, machten jetzt der tiefsten Trostlosigkeit Platz, ich gab mich verzweifelnd für verloren. Ich brach in Thränen aus, aber ehe sie noch halb meine Wangen niedergerollt waren, blieben sie als Eisperlen stehen.

„Jetzt bin ich in der That der arme Jack“, dachte ich, „und werde nie wieder meinen Vater oder Virginia sehen.“

Da sah ich mit einemmale ein anderes Schiff vor uns. Ich bot alle meine Kräfte auf und schrie schon lange zuvor, ehe wir an seiner Seite anlangten. Der leichte Wind trug meine Stimme abwärts und sie wurde von einem Manne, der auf dem Decke stand, vernommen. Er ging nach dem Vorderschiff, und ich bemerkte, dass er über die Buge schaute. Ich rief abermals, um seine Aufmerksamkeit in unsere Richtung zu lenken, denn unsere Fähre war nun mit einer so starken Eisrinde bedeckt, dass man sie wohl für einen grösseren Eisklumpen halten konnte. Ich bemerkte, wie er sich abwandte, und hörte, dass er mit einer Handspake auf das Deck schlug. Wie pochte mein Herz! Ich fühlte fast keinen Frost mehr. Als wir an dem Schiffe vorbeikamen, rief ich wieder und wieder, worauf der Mann antwortete:

„Ja, ja, nur noch einige Minuten Geduld, und ich will nach Euch schicken.“

„Wir sind gerettet“, rief ich dem Fährmann zu.

Aber er war ganz besinnungslos und augenscheinlich steif an die Stelle gefroren, wo er sich anklammerte. Nach wenigen Minuten hörte ich den Schall von Rudern, und dann machten sie Halt. Das Boot legte ruhig neben uns an, damit wir durch die Erschütterung nicht ins Wasser geworfen werden möchten, und die Leute, welche uns einnahmen, brachten uns bald an Bord zurück. Dort goss man uns zuerst ein Glas Branntwein ein, streifte uns die gefrorenen Kleider ab, rieb unsere Glieder und legte uns in warme Decken. Sobald ich im Bette war, hiess mich der Mate ein Glas heissen Grogs trinken und verliess mich. Ich versank bald in tiefen Schlaf, während man noch immer fortfuhr, mit meinem Gefährten Wiederbelebungsversuche anzustellen. Als ich am andern Morgen erwachte, war ich ganz wohl, auch der Fährmann war auf dem Wege der Erholung, obgleich er die Hängematte noch nicht verlassen konnte. Der Mate, welcher die Wache gehabt und uns gerettet hatte, teilte uns mit, die Fähre sei wohlbehalten an Bord; das Schiff gehe übrigens stromaufwärts, wir thäten daher besser, wenn wir blieben, wo wir wären. Ich erzählte ihm unsern Unfall, kroch in meine Kleider, die man in der Schiffsküche getrocknet hatte, und ging auf das Deck. Mein Gefährte, der Schiffer, kam nicht so gut davon: seine Füsse waren erfroren, und er verlor vier Zehen, ehe er wieder hergestellt wurde. Auffallend ist bei der Sache, dass er, ein erwachsener Mann, viel mehr Schaden nahm als ich; ich kann es mir nur dadurch erklären, dass mich meine Gewohnheit, mich stets im Wasser umherzutummeln, mehr gegen die Kälte abgehärtet hatte. Wir blieben zwei Tage an Bord, während welcher Zeit wir mit grosser Freundlichkeit behandelt wurden.

Es war ein schöner, heller Morgen, als das Schiff an dem Hospitale vorbeikam. Wir ruderten mit unserer Fähre ab, landeten an den Treppen und sprangen ans Ufer, wo wir von allen Umstehenden mit Freuden begrüsst wurden, da man uns natürlich für verloren gehalten hatte. Man glaubte, wir seien in dem Schneegestöber zu Grunde gegangen. Der alte Ben war unter den Anwesenden und begleitete mich nach dem Hause meiner Mutter.

„Ich bin zu der Alten gegangen, um ihr die Sache in einer anständigen Weise beizubringen“, bemerkte Ben; „aber ’s ist wahr, ich kann nicht sagen, dass sie sich’s sehr zu Herzen zu nehmen schien. Wär’s die kleine Jenny gewesen, so würde sie sich die Augen ausgeweint haben.“

Ich langte in Fishers Alley an, die Nachbarn schauten zum Fenster heraus. Als ich ihnen zunickte, riefen sie: „Ei da kommt ja der Jack wieder. Wo bist Du gewesen, Jack?“ So ging’s von Mund zu Mund, bis diese Rufe endlich auch das Ohr meiner Mutter erreichten. Sie schaute heraus und sah mich mit dem alten Ben vor der Thüre stehen.

„Da ist Euer Sohn, Mistress!“ sagte Ben. „Ihr dürft Gott für die Gnade danken.“

Aber meine Mutter schien nicht sehr dankbar dafür zu sein. Sie wandte sich um und ging hinein. Ich folgte ihr, während Ben an der Thüre stehen blieb und nicht wenig verwundert war, dass sie nicht auf mich zuflog und mich küsste. Im Gegenteil, sie musste sehr unmutig über meine Rückreise gewesen sein, denn sie begann zu singen:

„Jack und Görg

Gingen hinauf den Berg,

Um den Wassereimer zu füllen;

Jack fiel herab,

Zerstiess sich die Kapp,

Und Görg holt sich auch seine Schwielen.“

Dann brach sie los:

„Und wo bist Du diese ganze Zeit über gewesen, Du junger Taugenichts? Muss mich der Schlingel in nutzlose Unkosten versetzen, dass all mein Geld für nichts und wieder nichts weggeworfen ist.“

Ich blickte auf den Tisch und bemerkte, dass sie an einem schwarzen Kleidchen und Hütchen gearbeitet hatte, um die kleine Virginia in Trauer zu hüllen, denn sie versäumte nie eine Gelegenheit, um meine Schwester aufzuputzen.

„Fünfzehn gute Schillinge sind zum Fenster hinausgeworfen — nur durch Dein dummes Zurückkommen. Deine Schwester hätte so schön und interessant darin ausgesehen. Das arme Kind! und jetzt werden ihre Hoffnungen zu Wasser. Doch lass Dir’s nicht zu Herzen gehen, mein Liebling; Du wirst Dein Kleid doch bald tragen, wenn er in dieser Weise fortmacht.“

Virginia schien sich’s durchaus nicht zu Herzen gehen zu lassen, denn sie küsste und pätschelte mich, wie sie denn überhaupt hoch erfreut war mich wiederzusehen. Aber meine Mutter ergriff sie bei der Hand, nahm den halbgefertigten Anzug und das Hütchen unter den Arm, und ging mit ihr die Treppe hinauf nach ihrem Zimmer, unterwegs vor sich hinsingend:

„Es war einmal ein alter Mann,

Der lebt’ in einem Loch,

Und wenn er nicht gestorben ist,

So lebt er immer noch.“

„Das ist mir eine saubere mütterliche Liebe! hole sie der Henker, aus was mag doch ihr Herz bestehen,“ liess sich eine Stimme vernehmen.

Ich wandte mich um: es war der alte Ben, der unbemerkt die Scene mit angesehen hatte.

Der arme Jack

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