Читать книгу Der arme Jack - Фредерик Марриет - Страница 14

Zwölftes Kapitel.

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Ich wende mich an die alte Nanny und gewinne einen neuen Anzug. — Vorteil einer guten Kleidung — man kann darin mit Damen spazieren gehen.

Der Leser muss mir nicht zu viel zutrauen, wenn ich ihm sage, dass ich seit Peter Andersons Unterricht eine eigentliche Sehnsucht hatte, zur Kirche zu gehen; denn, obgleich seine Lehren mein Verlangen danach steigerten, so muss ich doch einräumen, dass der stärkste Beweggrund darin lag, dass meine Mutter mich nicht mitnehmen wollte, während sie sich doch von Virginia begleiten liess. Ferner wurde meine Neugierde durch meine völlige Unwissenheit hinsichtlich aller Dinge, die zum Gottesdienste gehörten, gesteigert, denn ich hatte bis jetzt bloss das Geläute der Glocken vernommen und vielleicht im Vorbeischlendern Halt gemacht, um eine kleine Weile auf die Orgel und den Gesang zu hören. Bisweilen wartete ich auch, um die Leute herauskommen zu sehen; dann aber konnte ich nicht umhin, meine Lumpen mit ihrem reinlichen, schmucken Anzuge zu vergleichen.

Dieser Wunsch quälte mich unaufhörlich, aber je mehr ich Erwägungen darüber anstellte, desto unmöglicher schien es mir, denselben befriedigen zu können. Wie hätte ich auch in meinen zerfetzten und schmutzigen Kleidern in die Kirche gehen können — und welche Aussicht stand mir bevor, andere zu erhalten? Allerdings brachte ich im Durchschnitt wöchentlich achtzehn Pence zusammen, aber davon blieb nichts übrig. Gab mir vielleicht meine Mutter Kleider? Nein, darauf durfte ich nicht rechnen, denn sie brummte sogar wegen des bischen Essens, um das ich sie ansprach. Wenn ich im Bette lag, erwog ich mir die Sache wieder und wieder. Ben hatte kein Geld, Anderson mochte ich nicht darum bitten, und so dachte ich endlich an Doktor Todpole, obschon ich mich scheute, über mein Bedürfnis mit ihm Rücksprache zu nehmen. Endlich fiel mir ein, mich erst zu erkundigen, wie viel Geld ich brauchen würde, ehe ich weitere Massregeln einschlüge. Ich begab mich daher am nächsten Morgen nach einer Kleiderhandlung und fragte den Jungen, welcher im Laden mithelfen musste, was ich für ein paar blaue Hosen, Weste und Jacke bezahlen müsse. Der Bursche entgegnete mir, ich könne für zweiundzwanzig Shillinge einen ganz netten Anzug erhalten. Zweiundzwanzig Shillinge! — Wie ungeheuer erschien mir damals die Summe. Und dann brauchte ich erst noch einen Strohhut, ein paar Schuhe und Strümpfe. Ich fragte nach dem Preise der letzteren Artikel, und fand, dass mein Anzug unter dreiunddreissig Shillinge nicht vollständig hergestellt werden konnte. Ich geriet recht in Verzweiflung, denn die Summe schien mir ein ganzes Vermögen zu sein. Ich setzte mich nieder, um zu berechnen, wie lange es anstehen dürfte, bis ich mit je sechs Pence wöchentlich (denn mehr konnte ich nicht erschwingen), so viel Geld erspart hätte; da ich aber damals noch nichts von Zahlen verstand, so zeigte sich als Resultat meines Nachdenkens, es sei eine so lange Zeit dazu erforderlich, dass sie ausser dem Bereiche meiner Rechenkunst liege.

An einem Sonnabende sass ich sehr melancholisch auf den Stufen am Landeplatz, dachte an den morgigen Sonntag und hatte meine Hoffnung, je zur Kirche gehen zu können, bereits ganz aufgegeben, als ein Themsefischer, namens Freeman, der zu Greenwich lebte und ein Bekannter von mir war — ich hatte ihm oft schon in seinen Geschäften geholfen — mir zurief, ich solle kommen und ihm Beistand leisten. Ich leistete seiner Aufforderung Folge, half ihm die Segel beschlagen, holte sein kleines Boot, in welchem er die Fische lebendig aufbewahrte, an Bord, hisste die Netze an den Mast auf und brachte alles in Sicherheit. Dabei machte ich mir meine Gedanken, dass er wahrscheinlich morgen zur Kirche gehen werde, während es mir nicht möglich sei, was ihn veranlasste, mich nach dem Grunde meiner Traurigkeit zu fragen. Ich sprach mich offen gegen ihn aus.

„Da kann ich Dir freilich nicht helfen, Jack“, sagte er, „denn es sind eben jetzt böse Zeiten; ja auch im andern Falle könnte ich nichts für Dich thun, denn ich habe selbst zu viele Kinder. Doch sieh her — da ist ein hübsches langes Stück fünfzölligen Taus, das ich aufgelesen habe, und das wohl einen Shilling wert ist. Nimm es (denn ich stehe doch ein wenig in Deiner Schuld) und bringe es der alten Nanny. Sie ist zwar eine wunderliche Person, aber wenn Du’s probierst, giebt sie Dir doch vielleicht das Geld. Wenn sie will, kann sie’s wohl thun, und da Du schon so lange mit ihr in Verkehr stehst, so willigt sie vielleicht ein, wenn Du ihr versprichst, jede Woche etwas beiseite zu legen und sie dann wieder zu bezahlen.“

Dieser Gedanke war mir nie eingefallen, denn ich wusste, dass die alte Nanny sehr genau und in ihrem Handel mit mir arg knauserig war. Ich dankte jedoch Freeman für sein Tau und seinen Rat, fest entschlossen, gleich nach dem Landen wenigstens einen Versuch zu machen.

Ich habe bereits früher die alte Nanny als eine Frau aufgeführt, welche mit Matrosenbedürfnissen handelte und mir das, was ich am Ufer auflas, abzukaufen pflegte. Sie war eine wunderliche Alte und schien alles zu wissen, was vorging, obschon ich nicht zu sagen vermag, wie sie zu ihren Nachrichten gelangte. Im allgemeinen war sie sehr geizig, obgleich man ihr nachsagte, sie habe sich ein- oder zweimal eine gute Handlung zu schulden kommen lassen. Niemand kannte ihre Geschichte, man wusste weiter nichts von ihr, als dass sie die alte Nanny sei. Sie sprach selten von ihrer Verwandtschaft, und einige Leute sagten, wenn man die Wahrheit wüsste, so würde sich’s herausstellen, dass sie sehr reich sei; aber wie sollte man überhaupt in dieser Welt zur Wahrheit kommen?

Ich befand mich bald in dem Laden der alten Nanny, das Stück Tau über meinen Arm gerollt.

„He, Jack, was bringst Du da — ein Stück guten Taus? Nein, gut kann man’s nicht nennen, denn es ist ganz vermürbt. Warum bringst Du mir denn solche Dinge? Was kann ich damit anfangen?“

„Ei, Mutter“, versetzte ich, „es ist ein nagelneues Seil — noch gar nicht viel gebraucht — das allerbeste Tau, das man nur sehen kann.“

„Junge, Junge, willst Du mich etwa gar belehren? Nun was verlangst Du dafür?“

„Einen Shilling“, entgegnete ich.

„Einen Shilling?“ rief sie. „Wo soll ich einen Shilling finden? Und wenn ich auch einen hätte, warum sollte ich ihn für ein Ding wegwerfen, das keine zwei Pence wert ist und bis zu meinem Tode als Gerümpel in meinem Laden liegen wird? Der Bursche ist verrückt!“

„Mutter“, erwiderte ich, „das Tau ist seinen Shilling wert und Ihr wisst das recht wohl. Gebt mir daher, was ich verlange, oder ich gehe anderswohin!“

„Und wohin willst Du gehen, Du junger Taugenichts? Wohin willst Du gehen?“

„Oh! die Fischer geben mir mehr dafür.“

„Die Fischer geben Dir ein paar alte Plattfische, die Du Deiner Mutter nach Hause bringen kannst.“

„Nun, ich will’s wenigstens probieren“, sagte ich, indem ich mich zum fortgehen anschickte.

„Nicht so hurtig, Jack, nicht so geschwind; schätze wohl, wenn ich den einen Tag einen Penny durch Dich gewinne, so darf ich’s ein andermal nicht so genau nehmen, wenn ich auch etwas verliere, nur um mir die Kundschaft zu erhalten. Gut, ich will Dir sechs Pence geben, obschon ich nicht weiss, wie ich das Geld wieder zurückerhalten soll.“

„Nein, Nanny“, versetzte ich; „ich muss einen vollen Shilling haben.“

„Ha, Du kleiner Spitzbube — einen ganzen Shilling? Nein, den kann ich Dir nicht geben. Aber brauchst Du vielleicht etwas? Bedarfst Du eines Schlüssels für Deine Kiste oder eines ähnlichen Gegenstandes?“

„Ich habe keine Kiste, Mutter, und brauche deshalb keinen Schlüssel.“

„Aber vielleicht steht Dir etwas von den hübschen Sachen in meinem Laden an; Jungens haben stets gewisse Liebhabereien.“

Ich lachte über die „hübschen Sachen“ in ihrem Laden, denn er enthielt nichts als altes Eisen, leere Flaschen, schmutzige Lumpen und Phiolen, und sagte ihr deshalb, dass ich nichts davon haben wolle.

„Nun“, sagte sie, „so setz’ Dich doch ein wenig und sieh’ Dich um; es hat ja keine Eile. — So hat also Mrs. East wieder einen Knaben gekriegt? Schlimm genug für das Kirchspiel, da sie bereits sechs Kinder hatte! — Sieh Dich um und lass Dir Zeit. — Hast Du davon gehört, dass Peter James gestern Abend seinem Weibe die Augen blau geschlagen hat, wie sie ihn aus dem Bierhause holen wollte? Ich möchte wissen, von wem jener Brief ist, den Susanna Davis von der Post erhalten hat. Freilich, ich kann’s erraten — das arme Mädchen! sie hat seit einigen Wochen gar so elend ausgesehen. — Musst nicht so pressieren, Jack; sieh Dich um, es giebt viele hübsche Sachen in meinem Laden. — Davis, der Schlächter, ist also wegen schlechten Fleisches geriemt worden? Ich dachte mir’s wohl, dass es so kommen müsse, und freue mich darüber. — Sieh, da ist ein prächtiges Schloss samt Schlüssel, Jack; Du kannst’s an Deine Truhe legen, wenn Du einmal eine hast. Ich denke, Du solltest dieses nehmen. — Was treibt denn der Doktor? Man spricht allenthalben davon, dass er stets bei der Witwe sitze. — Verdient Deine Mutter hübsch Geld durch ihr Wäschestärken? Ich weiss, Deine Schwester hatte am letzten Sonntag ein gedrucktes Mousselinkleid an, und das muss etwas gekostet haben. — Da ist ein Spaten, Jack — sehr nützlich, um das Ufer damit aufzugraben. — Du kannst etwas finden — Geld vielleicht! Nimm den Spaten und dann bist Du mir noch sechs Pence schuldig. — Bill Freeman hat letzten Sonnabend das letzte Kleid seines Weibes verpfändet. — Dacht’s mir wohl, es werde darauf hinauslaufen, obschon er sagt, es geschehe nur deshalb, weil er bei dem schlechten Wetter keine Fische gefangen habe. Aber ich weiss mehr, als die Leute glauben. — Da ist eine schöne Glasflasche, Jack; willst Du sie nicht Deiner Mutter bringen, dass sie etwas darin einmachen kann? Du siehst, sie ist von weissem Glase. Schau umher, Jack; es giebt allerhand hübsche Dinge hier. — Und des Gouverneurs Tochter heiratet auch; wenigstens glaube ich so, denn ich sah sie letzthin mit einem jungen Gentleman ausreiten, und heutzutage machen vornehme Leute stets zu Pferde den Hof. — Nun, Jack, hast Du noch immer nichts gefunden?“

„Nein, Mutter, und wenn Ihr mir nicht einen Shilling gebt, so gehe ich. Vielleicht wäret Ihr übrigens geneigt, mir zu dem zu verhelfen, was ich brauche, und dann gebe ich Euch das Tau umsonst.“

„Du giebst mir das Tau umsonst?“ versetzte die alte Nanny. „Gut, nimm Platz und lass mich hören, was Du für ein Anliegen hast.“

Ich dachte zwar, es werde mir nicht viel helfen, wenn ich mein Gesuch vorbringe, war aber einmal entschlossen, die Probe zu machen und setzte ihr deshalb meine Wünsche auseinander.

„Hum!“ sagte sie, nachdem sie sich eine Minute besonnen hatte, „Du willst also drei und dreissig Shillinge, um Kleider kaufen und in die Kirche gehen zu können? Deine Mutter kleidet Deine Schwester in gedruckten Mousselin und lässt Dich in Lumpen laufen — willst Du nicht lieber warten, bis Dein Vater wieder nach Hause kommt?“

„Das kann noch Jahre lang anstehen.“

„Nun, Jack, ich gehe nicht zur Kirche — ich bin zu alt — und obendrein zu arm, um mich für die Kirche ankleiden zu können, selbst wenn ich so weit zu gehen im stande wäre. Und warum willst nun Du gehen?“

„Ei, Mutter“, sagte ich, mich erhebend, „wenn Ihr meinen Wunsch nicht erfüllen wollt, so thut’s mir sehr leid, denn ich würde Euch ehrlich bezahlt und Euch noch zu manchem schönen Handel verholfen haben. Behüte Euch Gott!“

„Nicht so eilig, Jack — setz’ Dich, setz’ Dich, Knabe. — Schau Dich im Laden um, und sieh, ob Du nichts finden kannst, was Dir zusagt.“

Nun begann Nanny halblaut mit sich zu sprechen —

„Drei und dreissig Shillinge? Das ist viel Geld — will mich ehrlich bezahlen — und noch etwas zum besten geben! Seine Mutter hat mich letzthin eine alte Katze geheissen — ich glaube der Anzug wäre wohlfeiler zu kriegen, den Knaben betrügt man sehr. — Es würde sie ärgern, wenn sie ihn reinlich gekleidet in der Kirche sehen würde — und ich glaube, der Knabe ist ehrlich. Ein Junge, der in die Kirche gehen will, muss ein guter Junge sein. — Aber Du mein Himmel, es ist so viel Geld!“

„Ich will Tag und Nacht arbeiten, um Euch zu bezahlen, Nanny.“

„Und wohl gemerkt, Jack, ich muss etwas obendrein haben. — Dieses Stück Tau geht drauf. — Du zahlst jede Woche etwas ab.“

„Wenn ich etwas verdienen kann, Mutter, so dürft Ihr so sicher darauf rechnen, als ich hier sitze.“

„Gut, die alte Katze wird mehr für Dich thun, als Deine eigene Mutter thun mag; Du sollst das Geld haben; aber Jack, ich muss wegen der Kleidungsstücke den Handel abschliessen.“

„Ich danke Euch, Nanny, ich danke Euch!“ entgegnete ich, indem ich voll Wonne von meinem Sitze aufsprang.

„Aber heute Abend können wir nichts mehr thun, Jack. Komm daher am Montag wieder zu mir, und wenn ich bis dahin nicht meinen Sinn geändert habe — —“

„Den Sinn geändert?“ sagte ich bekümmert. „Ich glaubte, Ihr hättet mir’s eben für bestimmt versprochen.“

„Nun ja, ich hab’s gethan — und — will mein Versprechen halten, Jack. Komm am Montag, und da Du morgen doch nicht zur Kirche gehen kannst, so sieh zu, ob Dir’s nicht möglich wird, Dir einiges Geld zu verdienen.“

Ich vernachlässigte ihre Einschärfung nicht und war glücklich genug, ihr am Montag Morgen sechs Pence bringen zu können. Nanny ging mit mir in den Kleiderladen nnd dingte um die Kleider, bis sie dieselben auf acht und zwanzig Shilling herunter gemäkelt hatte; dann gab sie Auftrag, den Anzug für mich fertig zu machen, und verlangte, dass man ihn ihr ins Haus schicke. Ich verdiente in jener Woche nur wenig Geld; Nanny schien daher mehr als einmal sehr unglücklich zu sein und ihr freundliches Anerbieten zu bereuen. Als jedoch der Sonntag herbeikam, wurde sie ganz wohlgemut; sie wusch mich sehr sorgfältig und legte mir selbst die Kleider an. Ich kann die Wonne nicht ausdrücken, welche ich in dem Augenblicke empfand, als Nanny mir den Hut auf den Kopf drückte und sagte:

„Nun, Jack, ich würde es in meinem Leben nicht geglanbt haben, dass Du ein so hübscher Junge bist. Du kannst jetzt keck neben Deiner Schwester einhergehen, sie wird sich Deiner nicht zu schämen haben, so hübsch sie auch ist. So, jetzt geh und zeige Dich; vergiss aber nicht, Jack, dass Du mir versprochen hast, Du wolltest mich bald wieder bezahlen und mir noch obendrein im Handel etwas zum besten geben.“

Ich wiederholte mein Versprechen und eilte nach dem Hospital, um Peter Anderson aufzusuchen. Er kannte mich nicht, als ich mich ihm vorstellte. Ich teilte ihm mit, wie und auf welchem Wege ich zu den Kleidern gekommen sei, worauf er mich auf den Kopf pätschelte, mich einen guten Jungen nannte und mir versprach, er wolle mich nach der Hospitalkapelle mitnehmen, wo ich unter den Schulkindern Platz finden könne; er werde dies schon einleiten. Ich traf dann mit Ben und anderen zusammen, die alle nicht wenig erstaunt waren. In der Kapelle konnte ich freilich nicht alles hören, was der Pfarrer sagte, weil die Kanzel sehr entfernt war und die alten Pensionäre viel husteten; demungeachtet erbaute ich mich sehr, und ich hätte nur gewünscht, dass der Gottesdienst weniger lange gedauert hätte. Nach Beendigung desselben verfügte ich mich nach der Wohnung meiner Mutter und traf mit letzterer zusammen, als dieselbe eben mit der kleinen Virginia von der Stadtkirche zurückkehrte.

„Da ist ein hübscher kleiner Knabe, Virginia“, sagte meine Mutter. „Willst Du nicht mit ihm gehen?“

Meine Mutter kannte mich nicht, wohl aber Virginia, die sich augenblicklich losriss, mir in die Arme eilte, lachend sich an mich anklammerte und dann ausrief:

„Ja, Mutter, ich will mit ihm gehen!“

Und dann eilte sie mit mir fort, sehr zum Ärger der gestrengen Mama, die uns gerne nachgeeilt wäre, um sie zurückzuhalten, wenn sie nicht geglaubt hätte, durch schnelles Gehen ihrer Gentilität Abbruch zu thun. Wir gingen daher miteinander fort, sie in grösstem Zorne zurücklassend, und verfügten uns nach dem Hospitale, während Virginia mit vor Entzücken strahlenden Augen allen ihren Freundinnen zurief: „Sieh, das ist Bruder Jack!“ Ich führte sie zu Peter Anderson und dem alten Ben, ungemein stolz darauf, ihnen meine Schwester vorstellen zu können, und Peter Anderson sagte:

„So hätte es eigentlich schon längst sein sollen.“ Dann fügte er bei: „Jack, vielleicht verdienst Du die Woche über wieder kein Geld, und wenn dies der Fall ist, so komm zu mir, denn die alte Nanny darf nicht getäuscht werden. Vergiss es aber nicht, Du musst die Kleider von Deinem eigenen Verdienste bezahlen.“

Da es Zeit zum Mittagessen war, so gingen Virginia und ich mit einander nach Hause. Als wir in Fishers-Alley anlangten, sagte ich zu ihr:

„Die Mutter wird Dir zürnen.“

„Ich kann da nicht helfen, Jack“, versetzte sie. „Du bist mein Bruder und wir haben nichts Unrechtes gethan.“

Als wir zu Hause anlangten, warf mir meine Mutter einen strengen Blick zu, sagte aber nichts, was mich sehr wunderte. Sie war verdriesslich, obgleich ich nicht wissen konnte, wem ihr Ärger galt, Virginia, mir oder meinen neuen Kleidern. Möglich auch, dass ihr wegen der Vernachlässigung, die sie mir erwiesen, das Gewissen Vorwürfe machte. Sie setzte schweigend das Essen auf den Tisch und begab sich nach dem Diner die Treppe hinauf. Virginia und ich benutzten diese Gelegenheit. Letztere setzte ihr Hütchen auf, wir gingen dann ins Freie, um uns bis zur Zeit des Theetrinkens zu ergehen. Als wir zurückkehrten, ergriff die Mutter meine Schwester am Arme und führte sie zu Bette. Die kleine Virginia leistete keinen Widerstand, sondern wandte nur ihr Köpfchen um und lächelte mir zu, während sie sich fortbringen liess. In meinem ganzen Leben hatte ich mich nie so glücklich gefühlt, als an jenem Abend, und während ich in meinem Bette lag, vergegenwärtigte ich mir noch einmal die Ereignisse des Tages.

Der arme Jack

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