Читать книгу An der Grenze zur Realität - Funny van Dannen - Страница 16

Gänse

Оглавление

Ein deutscher Gewichtheber, der seine Karriere wegen Magersucht hatte beenden müssen, wachte eines Morgens mit zwei Gänsen an den Füßen auf.

Ach du Scheiße!, rief er aus. Wo kommt ihr denn her?

Die Gänse verstanden ihn nicht, aber sie fragten auf polnisch: Kannst du uns bitte losbinden, wir verpassen sonst den Zug nach Rio de Janeiro.

Ah, Rio de Janeiro!, rief der Gewichtheber. Ihr wollt mich wohl veräppeln.

Er wollte den Gänsen die Hälse verknoten, aber die Tiere waren stärker als er. Er konnte es nicht schaffen. Da rief er seine Freundin an. Sie kam und band die Tiere los. Sie sprangen vom Bett und tanzten Samba.

Sind doch ganz nett, die beiden, sagte seine Freundin. Warum hast du sie nicht einfach losgebunden?

Ich kam nicht drauf, sagte der Mann. Das musst du mir glauben.

Ja, gut, sagte die Freundin gelangweilt und tanzte mit den Gänsen. Sie wurden immer ausgelassener.

Los, tanz mit uns!, rief die Freundin.

Ich kann keinen Samba!, rief der ehemalige Gewichtheber und ging in die Küche. Er schnitt Blutwurst in die Pfanne, briet sie schön knusprig, hatte dann aber doch keine Lust auf sie. Er tat die Blutwurst auf einen Teller und ging zurück ins Schlafzimmer.

Hey!, rief er. Will von euch jemand Blutwurst?

Seine Freundin winkte ab: Samba tanzen und Blutwurst essen? Bist du verrückt?

Die Gänse aber sahen interessiert zu ihm hinüber. Er warf den Gänsen die Scheiben einzeln zu. Sie fingen sie mit dem Schnabel aus der Luft und als sie alle waren, steckten sie die Köpfe zusammen und schnatterten sich was zu. Übersetzt hieß es in etwa: Komm, wir bleiben hier. Es gibt Samba und Blutwurst, was will man mehr?

Sie fragten die Frau: Can we stay? We like your way of life.

Bruno!, rief die Freundin. Die Gänse würden gerne bleiben, geht das?

Haben sie denn kein Zuhause?, fragte Bruno.

Die Freundin übersetzte.

No, sagten die Gänse. No home. We are homeless geese from Eastern Europe.

Die Freundin übersetzte.

Na gut, sagte Bruno.

Also blieben sie und es dauerte keine Woche, da hatte er was mit ihnen. Die Freundin kriegte es heraus und stellte ihn vor die Wahl: Die Gänse oder ich. Also inserierte Bruno: Gänse günstig abzugeben.

Ein junger Mann erschien und fragte: Sind die auch belastbar?

Wie, meinte Bruno.

Nervlich, sagte der Mann. Bei mir läuft ständig Musik und dazu singe ich laut mit.

Das macht denen nichts!, sagte Bruno.

Er bekam 30 Euro für die beiden Gänse, weg waren sie. Bei ihrem neuen Besitzer durften die Gänse den ganzen Tag fernsehen und Sudokus lösen, bis eines Tages ein falscher Zeuge Jehovas auftauchte. Die Gänse waren allein zu Hause. Sie öffneten die Tür und der fette Zeuge stopfte sie in seinen Trolley. Er ging in den nächstbesten Park und drohte den lärmenden Gänsen mit dem Schlimmsten:

Wenn ihr nicht still seid, schmeiß ich mich auf euch!

Die Gänse lärmten weiter und der falsche Zeuge warf sich zwei Mal auf den Trolley. Zwei Tage später, am Weihnachtstag 2004, verputzte er mit seiner Schwester die beiden Gänse und am Abend säuberten sie die Knochen mit einem Spezial-Gänsefleischentferner. Dann bastel­ten sie aus den Knochen eine Art Pullover. Die Schwes­ter zog ihn an.

Steht dir gut, sagte der falsche Zeuge, aber du musst was drunterziehn. Vor deiner hellen Haut heben sich die hellen Knochen so gut wie gar nicht ab.

Erst wollte die Schwester es nicht einsehen. Sie stellte sich vor einen Spiegel.

Du hast Recht, Mäuschen!, rief sie. Ich seh ja aus wie nackt!

Sie zog ein schwarzes T-Shirt ihres Bruders unter den Knochenpulli.

Total avantgardistisch!, sagte der Bruder. Stell dich mal vor den Weihnachtsbaum.

Er machte ein Foto von ihr.

Du schaffst es immer wieder, deine Individualität zu betonen, sagte er anerkennend. Da hast du echt Talent.

Die Schwester holte einen Kopfsalat aus dem Kühlschrank und warf die Blätter auf den Tannenbaum.

Was machst du denn jetzt?, rief der falsche Zeuge.

Mischwald, sagte die Schwester.

An der Grenze zur Realität

Подняться наверх