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KAPITEL 1
ОглавлениеEMILY
Der Wind strich scharf am Fenster vorbei und zog einige Haarsträhnen aus meiner Frisur, die meine Zofe Gerda mir gerade mühselig gemacht hatte.
„Emilianda! Bitte halte dich vom Fenster fern. Deine Frisur wird sonst ruiniert!“. Meine Mutter betrat den Raum und schimpfte mit ihrer strengen und doch lieben Art.
Als ich mich zu ihr wandte und vom Fenster wegging, legte sie ihre Hände vor den Mund und ihre Augen füllten sich mit Tränen.
Kein Wunder. Denn dieses wunderschöne weiße Kleid, das aus reinster Seide und mit dem teuersten Spitzenstoff überzogen worden war, welcher sich gülden über den seidenen Stoff legte, wurde extra für mich angefertigt. Das Kleid legte sich perfekt um meine Taille. Obwohl die Ärmel sich bis zum Handgelenk zogen und der Ausschnitt komplett bedeckt war, blieb der Rücken frei. Meine hochgesteckte Frisur würde jedem den Anblick darauf gewähren. Es war womöglich eines der schönsten Hochzeitskleider, welches eine Prinzessin jemals tragen würde.
Meine Mutter kam auf mich zu und nahm meine Hände in ihre, während Gerda, meine Zofe und gleichzeitig beste Freundin sich einige Schritte von mir entfernte, um meiner Mutter und mir etwas Privatsphäre zu geben.
„Liebling, meine Tochter, du bist wunderschön! Dein Aussehen in diesem Kleid gleicht dem eines Engels! Du wirst uns alle mit Stolz erfüllen!“ Ihre Augen waren immer noch mit Tränen gefüllt und sie lächelte mich an.
Ihr Lächeln sollte mir auf ihre Art etwas Trost spenden, doch die Besorgnis, die ich in ihrem Gesicht sah, verriet mir nur zu gut, dass es ihr nicht leichtfiel.
Sie wurde selbst damals mit meinem Vater, König Friedrich von Grafenburg, zwangsverheiratet. Doch sie hatte mit den Jahren gelernt, meinen Vater zu lieben und hatte ihm mich, sowie meinen kleineren Bruder Benjamin geboren.
Da unser Königreich schon seit vielen Jahren einen Streit um das Bauernland im Süden mit dem Königreich von Adelbrecht dem III aus Vastgoed führte und dieser entschlossen hatte, Krieg gegen unser Königreich zu veranlassen, wusste mein Vater, dass wir keine Chance hatten. Er wollte jedoch auch keinesfalls das Bauernland aufgeben, da dieses jedes Jahr die größte Ernte im ganzen Land erbrachte. Somit hatte er König Adelbrecht den III. um ein Abkommen gebeten, dass er uns doch mit einem Krieg verschone. Dessen einzige Anforderung, um den Krieg nicht zu führen und um das Bauernland im Süden nicht mehr zu streiten, war die Hochzeit mit der Tochter von Friedrich von Grafenburg. Also mit mir! Mein Vater hatte natürlich nicht lange überlegt und diesem zugestimmt.
Ich wurde zwar als Kind schon immer damit konfrontiert, dass ich wahrscheinlich später eine Zwangsheirat eingehen müsste. Doch dass es ausgerechnet mit König Adelbrecht III sein würde, davor hatte mich niemand gewarnt.
König Adelbrecht war 14 Jahre älter als ich. Sein Körper bestand zur Hälfte aus dem Speck, den er jeden Tag gierig zu sich nahm. Er war nicht größer als ich und sein Aussehen glich kaum dem eines Königs. Eher fand ich, dass er wie ein betrunkener Stammgast einer Kneipe aussah. Er war bisher nur zwei Mal an unseren Königshof zu einem Festmahle erschienen. Jedes Mal hatte ich ihn beobachtet, wie er sich auf das Schweinefleisch auf dem Tisch stürzte und sich danach die speckigen Finger ableckte, wobei einige Essensreste an seinem gebogenen Schnurrbart klebten. Manieren hatte er kaum welche und obwohl das letzte Festessen die Verlobungsfeier war und ich direkt neben ihm saß, machte er sich vor allen Gästen an die Magd heran und flirtete mit ihr. Des Weiteren hatte er sich darüber belustigt, dass ich noch so jung sei und ihm so viele Söhne gebären würde. Ich weiß noch genau, dass ich an dem Abend bitterlich mit den Tränen kämpfte und mein Vater mir jedoch immerzu strenge Blicke zuwarf, die andeuteten, dass ich mich zusammenreißen sollte.
Wie konnte mein Vater dieses nur zulassen? Es gab doch mit Sicherheit in irgendeinem Königreich einen liebevollen Prinzen, der mich genauso gern heiraten würde. Doch jetzt musste ich so einen Widerling heiraten, und dass nur wegen des Bauernlandes im Süden?
Ich versuchte, mir meiner Mutter gegenüber ebenfalls ein Lächeln aufzuzwingen.
Durch das Fenster hörte man bereits die Kutschen, die zum Kirchenpalast neben dem Schloss fuhren.
„Hast du deine Sachen gepackt, mein Schatz?“, fragte meine Mutter mit sanfter Stimme und erinnerte mich daran, dass ich nach der Hochzeit sofort unser Königreich zusammen mit König Adelbrecht III verlassen werde.
„Ich bin noch nicht ganz fertig. Aber es dauert bestimmt nicht mehr lange. Vater wartet doch sicher schon auf dich vor dem Kirchenpalast.“ Mit diesen Worten versuchte ich, sie zum Gehen zu bewegen, da ich die restlichen Sachen allein mit Gerda packen wollte.
„Ich habe dich so lieb, mein Kind. Bitte vergiss nie, dass auch dein Vater dich liebhat. Er muss Entscheidungen machen, die das ganze Volk betreffen.“
Ich nickte ihr nur stumm zu, als sie meine Hände noch einmal drückte und dann kehrt machte, um den Raum zu verlassen. Als die Tür zufiel, atmete ich tief ein. Es war womöglich das letzte Mal, dass ich meine Mutter sah. Dieser Gedanke rührte mich zutiefst und ich kämpfte gegen die Tränen an, als ich zur Kommode ging und einen schwarzen Beutel hervorholte. Gerda öffnete die Truhe, in der sich die edlen Kleider befanden, die ich mitnehmen sollte zum Königshof Vastgoed. Sie entnahm ein braunbeiges Kleid, das ganz unten in der Truhe lag. Es war mein Freizeitkleid, welches ich immer trug, wenn ich draußen auf der Wiese mit meinem kleinen Bruder Benjamin, der erst 13 Jahre alt war, gespielt hatte. Da es bereits Flecken und einige kleine Risse, die frisch genäht waren, aufwies, ähnelte es keinesfalls einem Kleid, das eine Prinzessin tragen würde.
Gerda steckte es in meinen schwarzen Beutel, zusammen mit einem grünen Kleid, das ebenfalls schlicht war und nicht zu viel Aufmerksamkeit auf sich lenkte.
Ich suchte in der Kommode, wo sich noch einige meiner Schmucksachen befanden. Als ich endlich das Lederbündel in der Hand spürte, welches ich suchte, entnahm ich es und eilte zu der Bank neben der Tür, wo sich meine Reitstiefel befanden. Ich entließ meine Füße aus den wunderschönen Hochzeitsschuhen, die einen Absatz trugen, welche ebenfalls, passend zu dem Kleid, extra für mich angefertigt worden waren. Schnell schlüpfte ich in meine Stiefel und steckte das Lederbündel, welches einen kleinen Dolch beinhaltete, den mein kleiner Bruder ein Jahr zuvor extra für mich in seiner Freizeit angefertigt hatte, hinter meiner Schürze. Mein Vater war überhaupt nicht begeistert darüber gewesen, denn eine Frau, geschweige denn eine Prinzessin, hatte in seinen Augen kein Recht, eine Waffe bei sich zu tragen.
Ungestüm sprang ich auf, während Gerda mir bereits einen braunen Umhang mit Kapuze hinhielt. Ich zog ihn mir über und sah Gerda in die Augen, als sie zu mir sprach.
„Emily, bist du dir ganz sicher, dass du dieses machen willst? Danach gibt es kein Zurück mehr! Nie wieder ein Leben als Prinzessin oder im Königspalast!“ Gerdas Stimme klang unsicher und doch ernst.
Ich nickte ihr zu und holte erst tief Luft, bevor ich ihr antwortete. „Ja das bin ich! Bist du dir denn sicher?“, fragte ich sie ebenfalls vorsichtig.
Ein Lächeln überzog ihre Lippen, als sie mit fester Stimme antwortete: „Ich war mir noch nie so sicher!“
Sie packte meinen schwarzen Beutel und griff nach meiner Hand. Behutsam und vorsichtig spähten wir aus der Tür in der Hoffnung, dass sich auf dem Flur keine Wache befand. Die meisten Bediensteten und Wachen befanden sich jedoch bereits auf der Hochzeit, dort, wo ich eigentlich auch in wenigen Minuten sein sollte. Doch sie würden zum Glück zu spät erfahren, dass ich nie vorhatte, im Kirchenpalast zu erscheinen. Der Gedanke allein, dort König Adelbrecht III am Altar zu heiraten, ließ mich erschaudern. Niemals! Seit Tagen hatten Gerda und ich behutsam einen Fluchtplan überlegt. Lieber wollte ich fliehen und auf der Flucht mein Leben hergeben, wenn es sein musste, als König Adelbrecht zu heiraten!
Ich konnte bereits die schockierende Nachricht hören und die Enttäuschung darüber, dass ich geflohen war, in den Augen meines Vaters sehen. Ich war mir auch darüber im Klaren, dass unserem Königreich dadurch ein Krieg bevorstehen würde. Ja, es war womöglich sehr egoistisch von mir, das ganze Volk und meine Familie im Stich zu lassen. Wenn es einen anderen Weg gegeben hätte, wäre es mir auch nicht in den Sinn gekommen. Doch hatte ich nicht selbst auch ein Recht auf mein Leben? Vielleicht war es dumm und naiv von mir zu glauben, dass ich vielleicht eines Tages die Liebe meines Lebens finden würde. Doch auch wenn es nicht so sein würde, so wollte ich lieber allein alt werden als an der Seite von König Adelbrecht III aus Vastgoed.
Wir befanden uns bereits im Tunnel, der von unserem Keller zum Stall führte. Normalerweise wurde er nur im Winter von Bediensteten genutzt, um nicht durch den Schnee stapfen zu müssen.
Im Stall stand bereits ein Junge mit zwei Pferden bereit, die gesattelt waren. Samuel war der Einzige, dem Gerda so weit vertraute, dass sie ihn darum gebeten hatte, die Pferde zu satteln. Als Belohnung für sein Schweigen hatte sie ihm einige rubinrote Edelsteine gegeben, die ich meinen Schmucksachen entnommen hatte.
Samuels Augen wurden immer grösser, als er mich sah. Er betrachtete das Hochzeitskleid, welches ein klein wenig aus dem Umhang hervorschaute, sodass ich ihn noch fester um mich zog.
Aus der Pferdebox neben mir kam mir ein Wiehern entgegen und ich wusste nur zu gut, dass es Stark war. Das Pferd bekam ich zu meinem zehnten Geburtstag, als es noch jung war. Mit den Jahren wuchs es zu einem prachtvollen Hengst heran. Liebevoll legte ich meine Hand an seinen Kopf und schmiegte meine Stirn an seine. „Stark, ich werde dich so sehr vermissen. Aber leider kann ich dich nicht mitnehmen, da sonst jedermann bereits von weitem erkennen würde, welches Prachtstück du bist und dass du aus dem Königspalast kommst. Das würde meine Tarnung verraten.“
„Emily, komm!“ zischte Gerda mir zu, während sie bereits auf ihrem Pferd saß.
Ich gab Stark einen sanften Kuss auf die Stirn und ließ ihn los. Als wüsste er, dass er mich nie wiedersehen würde, stampfte er unruhig mit den Hufen auf und schnaubte wild.
Samuel half mir auf das Pferd, und trotz meines Hochzeitskleides, das ich immer noch trug, saß ich in korrekter Reithaltung im Sattel. Nur zu gut, dass ich daran gedacht hatte, mir heimlich eine Hose unter das Kleid zu ziehen, denn in dieser Haltung konnten wir schneller reiten. Aus dem Kleid würde ich mich später befreien, wenn wir bereits außer Gefahr wären, jetzt hatten wir keine Zeit gehabt, dass ich mich noch umziehe.
Ich schlug laut mit den Zügeln, sodass ein Knall die Pferde in Bewegung setzte. Sie stürmten mit uns sofort über die Wiese hinter den Ställen und wir ritten in die Abenddämmerung hinein.
Ich hörte die Glocken am Kirchenpalast läuten, die eigentlich meinen Gang zum Altar begleiten sollten, doch unsere Pferde waren so schnell, dass die Glocken immer leiser wurden, bis irgendwann nur noch die Hufen und das Schnaufen unserer Pferde zu hören waren.