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Mein Vater

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Meinen Vater sah ich nicht sehr oft. Und wenn, dann gab es vielfach Streit zwischen ihm und meiner Mutter. Er hatte in Sachen Erziehung keinen Einfluss. Er wusste nicht wie alt wir gerade waren, einzig meinen Geburtstag konnte er unmöglich vergessen. Wir waren nie alle zusammen in den Ferien, wandern, spazieren oder sonst so was in der Art. Einzig mit Vater waren wir Kinder ab und zu unterwegs. Ziele waren Restaurants, im speziellen Restaurants auf Hügeln und Bergen, weil er von dort aus guten Funkempfang hatte. Wir spielten auf deren Spielplätzen und hatten unseren Spass. Einmal zeltete er mit uns im Tessin. Das war super und ein regelrechtes Abenteuer! Wir zelteten in Melide, in der Nähe von Swiss Miniature. Während wir unser Zelt aufstellten erklärte er uns, worauf man schon beim Aussuchen des Platzes achten muss. Man sollte das Zelt am besten auf einer leichten Anhöhe errichten und dann machte er noch einen Graben ums Zelt, eine Regenrinne. Als es eindunkelte, sahen wir lauter Hasen, die auf dem Areal umher hüpften, auch um unser Zelt. Sascha hatte Angst und wir lachten ihn aus. In der Nacht begann es dann tatsächlich zu regnen und rundherum hörten wir, wie die Leute ihre Zelte neu spannten und dadurch war überall das Einschlagen von Haken zu hören. Vater hatte Recht behalten, wir hatten keinerlei Probleme mit unserer Lage. Ich erinnere mich an einen Abend, an dem wir eine richtige Familie waren. Mein Vater hatte verschiedene Spiele dabei, die er am nächsten Tag in einem Parcours aufstellen musste, irgendwo im Thurgauerland oder im Zürichgebiet. Auf jeden Fall stand dort ein Maisfeld und das imponierte mir sehr. Am Abend zuvor hatten wir es so richtig gut und schön zusammen, plauderten und spielten diese Spiele im Wohnzimmer. Ich wusste wo Vater arbeitete und was er dort tat. Mir gefiel es in diesem Büro, mit den riesigen Schreibtischen, den vielen Schreibern und den grossen Zeichnungen, auf denen ich viele saubere Striche, Formen und Zahlen sah, so ordentlich mit Schablone geschrieben. Ende der 70iger Jahre machte er eine Zusatzausbildung als Versicherungsagent. Die Idee, so denke ich heute, war nicht schlecht, doch war er einfach zu unzuverlässig und so hielt sich dies nicht lange aufrecht. Im Winter, als er zu einem Kunden unterwegs war, lag etwas Schnee. Die Strassen waren vereist, darum entschloss er sich nicht die steile Strasse zum Bauernhof hochzufahren, sondern ein Stück durch die Wiese zu gehen, eine Abkürzung. Er stieg aus und ging mit Halbschuhen im Knöchel hohen Schnee. Er muss sehr schnell kalte Füsse gekriegt haben, denn als er nach Hause kam, erzählte er sehr dramatisch, dass er nicht mehr daran glaubte anzukommen. Er habe nur noch das ferne Licht des Hofes gesehen und dachte er würde erfrieren. An manchen Abenden kam mein Vater auf allen Vieren die Treppe hoch gekrochen. Oben angekommen, schaffte er es irgendwie, torkelnd oder kriechend durch den dunklen Gang in sein Bett. Während ich dies schreibe, kommen eigenartige Gefühle hoch. Gefühle von Verachtung und vielleicht auch der Traurigkeit. Eines Morgens kam der Hausarzt und es hiess, dass mein Vater fast gestorben sei, an einem Herzinfarkt. In der Schule bemitleideten sie mich. Heute bin ich mir nicht sicher, ob dies echt war. Er machte sich oft den Spass, und rief von auswärts an um uns zu veräppeln. Er gab sich als Pfarrer „Nägeli“ aus oder sonst jemanden. In einer Nacht, als ich in Mutters Bett schlief und Vater nicht zu Hause war, klingelte mitten in der Nacht das Telefon. Ich nahm es ab und hörte eine Männerstimme, die seltsame Sachen erzählte. Ich glaubte die Stimme meines Vaters zu erkennen und sprach ihn darauf an. Doch er verunsicherte mich immer wieder und so ging das Gespräch noch lange, bis ich einfach auflegte. An einem anderen Tag, nahm meine Mutter das klingelnde Telefon ab und es meldete sich wie schon oft Herr Pfarrer „Nägeli“. Meine Mutter sagte: „Ja ja, schon gut, ich weiss wer du bist, du kannst aufhören!“, weil es auf der anderen Seite plötzlich so seltsam ruhig wurde, war Mutter auch nicht mehr sicher und entschuldigte sich bei Herrn Pfarrer Nägeli, den es diesmal wirklich gab! Eines Morgens, nach einem Streit in der Nacht, hatte meine Mutter ein blaues Auge und ihre dritten Zähne waren zerbrochen. Ich wusste was geschehen war und als ich meinen Vater darauf ansprach, erfand er eine Räubergeschichte. Wenn er zu viel Alkohol intus hatte, aber doch noch nicht genug, dann war er streitsüchtig, primitiv und manchmal auch fies. Er plagte unseren Hund, der mir so schon leid tat. Ab und zu zwickte er ihn, dass dieser jaulte, was sein Ziel war und dann tat er so, als ob er nichts getan hätte. In diesen Momenten hasste ich ihn. Mein Vater besuchte einer seiner Funkkollegen, Sascha und ich fuhren mit. Dort trank er wie üblich über das Mass hinaus. Als wir dann heimfuhren, hatte ich grosse Angst auf dem Rücksitz des „Valliants“. Das war eine hügelige Gegend dort und neben der Strasse ging es steil bergab. Ich duckte mich und betete innerlich, dass alles gut ginge. Als ich in der Pubertät war, kam er einige Male einfach ins Bad geplatzt, ich hasste das. Ich dachte, na gut, wenn du das nächste Mal kommst, dann trage ich lässig ein Badekleid, auch in der Badewanne! Als er mich so in der Wanne sah, lachte er sich halb tot, was mir so was von egal war. Hauptsache ich hatte mein Ziel erreicht. Später kamen die Nächte, in denen er mich wecken kam und mir mehr, als nur von Blumen und Bienen erzählen wollte. Angst bekam ich, als er an meinem Körper rumfummelte und dann mir noch etwas an ihm zeigen wollte. Ich kapierte was er vorhatte und stieg fluchtartig aus dem Bett und rannte nach unten. Ich rief nach meiner Mutter, doch die erwachte nicht. Ich lief von ihm weg, immer um die Esszimmer-Trennwand rundherum bis es ihm zu blöd wurde oder ich weiss auch nicht was. Ich hatte Angst vor ihm, er war mir unheimlich und stellte eine Bedrohung dar. Ich wusste instinktiv, dass das was er tat nicht richtig war. Ich habe niemandem was davon erzählt.

In der vierten Klasse meldete sich ein Verehrer, ein jahrelanger Verehrer sogar. Und hartnäckig war der, unglaublich. Der Name dieses Jünglings war Michael Frauchiger, ein Posthaltersohn. Seine Mutter war zwei Jahre lang meine Handarbeitslehrerin. Er stand auf dem Pausenplatz neben uns und schaute uns beim „Gummitwist“ spielen zu. Meine Freundinnen Cornelia und Susanne und auch meine Mitschülerinnen pöbelten ihn deswegen an, doch das hielt ihn nicht davon ab. Er begleitete mich oft nach Hause. Irgendwann fand ich ihn dann nett und ich lud ihn zu mir nach Hause ein. Auf dem Campingspielplatz machte er mir ein Kompliment, wie schön ich aussehen würde. Ich wurde regelrecht sauer und zischte ihn an, dass ich sehr wohl einen Spiegel zu Hause hätte und ich wüsste wie ich aussehe. Der arme Junge, dabei hatte er es doch nur lieb gemeint. Wir spielten mit Barbies und Puppen. Er war der einzige Junge, den ich kannte, der mit Puppen spielte, ausser meinem kleinen Bruder, doch das war ganz was anderes. Unsere Freundschaft hielt bis zur sechsten Klasse an. Er war ein Jahr älter und als ich. Als ich in der fünften Klasse war, teilten wir sogar das Schulzimmer. Mir war der Samstag immerzu ein Gräueltag, weil uns unser Lehrer immer mit Kettenrechnungen quälte und ich darin nicht sonderlich gut war. Michael hingegen war ein Rechengenie. Ich balancierte mich gerade mal so durch. Als er in die erste Sekundarschule ging und ich in die sechste Klasse, sahen wir uns nicht mehr so häufig. Real- und Sekundarschule gab es in Schönengrund nicht und wir mussten nach St.Peterzell zur Schule. Weil ich die Realschule besuchte, sahen wir uns noch weniger. Ich erfuhr das Irene, eine Klassenkameradin von mir, seine Freundin war. Dies ging schon längere Zeit, aber nun hatte sie gerade Schluss mit ihm gemacht. Ich fühlte mich von ihm hintergangen und ich war wütend. Ich schrieb diesem Strolch einen wirklich bösen Brief. Voller Mut warf ich ihn an jenem Abend, im Dunklen in seinen Briefkasten. Ich erfuhr von Irene, dass sie mit ihm Schluss machte, weil weil er so langweilig war und viel zu scheu. Ich hatte mit ihm dasselbe Problem. In der sechsten Klasse wollte ich mehr, als nur mit Puppen spielen. Ich wäre meinem Schatz mal gerne etwas näher gekommen. Dies war einzig möglich in Spielen wie: “..ich hab was, was du gerne hättest, hol es dir doch!“ Ich sah ihn dann lange Zeit, wenn überhaupt nur noch von weitem. Im Winter im Postauto oder an Sporttagen.

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