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IV.

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Som­mer­fe­ri­en auf dem Lan­de … Schwebt nicht ein Duft von Ro­sen und Erd­bee­ren vor­über? Schäu­men­de Milch, frisch aus dem Kuh­stall! – Kör­be voll schwar­zer und gelb-rot glän­zen­der Kir­schen! – Ku­chen, halb so groß wie der Tisch, mit ei­ner di­cken But­ter- und Zucker­krus­te – Ho­nig­schei­ben, die vor neu­gie­ri­gen Au­gen dem Bie­nen­stock ent­nom­men wer­den … Und Son­ne – Son­ne – Son­ne!!

Fahr­ten durch die Fel­der, de­nen der kräf­ti­ge Ge­ruch des rei­fen­den Kor­nes ent­strömt, durch Wäl­der, wo klei­ne brau­ne Rehe ei­lig und furcht­sam hin­ter fer­nen Baum­stäm­men her­vo­r­äu­gen. Auf of­fe­nem Pony­wä­gel­chen Vet­tern und Cou­si­nen zu­sam­men­ge­rüt­telt und ge­schüt­telt und über­strömt von des Him­mels un­ver­hofft nie­der­rau­schen­dem Ge­wit­ter­re­gen. Trie­fen­de Haar­schöp­fe und ver­dor­be­ne Som­mer­hü­te und se­li­ge, fröh­li­che, glü­hen­de, jun­ge Ge­sich­ter!

Und lie­bes, heim­li­ches Bei­ein­an­der­ho­cken auf klei­nen Eck­so­fas im Schat­ten al­ter­tüm­lich ge­schnitz­ter Schrän­ke, so brü­der­lich und schwes­ter­lich – und doch nicht ganz Bru­der und Schwes­ter …

Das fa­na­ti­sche Kro­kett­spie­len auf dem großen Platz vor dem Hau­se – oft noch eine Re­van­che-Par­tie im Stock­fins­tern, bei der man­gel­haf­ten Be­leuch­tung ei­ner Stall­la­ter­ne, die von den ga­lan­ten Vet­tern von Rei­fen zu Rei­fen ge­tra­gen wird.

Das Tan­zen zu der Beglei­tung ei­ner ge­pfif­fe­nen Pol­ka durch den wei­ten, lee­ren Fest­saal mit den Fa­mi­li­en­bil­dern aus der Em­pi­re- und Bie­der­manns­zeit. – On­kels und Tan­ten als wun­der­lich ge­putz­te Kin­der, wel­che Ka­nin­chen und wei­ße Tau­ben in den Hän­den hal­ten und von den Wän­den her­ab dem Tol­len ei­ner neu­en Ju­gend fei­er­lich lä­chelnd zu­schau­en.

Und vor al­lem die große Mit­tags­ta­fel, bei der zu­letzt von On­kel Au­gust ein Ge­setz er­las­sen wer­den muss­te: »Hier wird ge­ges­sen, nicht ge­lacht.«

Aber dann hät­te man den Vet­tern und Cou­si­nen auch ver­bie­ten müs­sen, zu spre­chen, zu bli­cken, sich zu be­we­gen. Was war denn nur fort­wäh­rend so un­säg­lich ko­misch?

Aga­thes und Mar­tins ge­mein­sa­mes Schwär­men? und die nüch­ter­nen Be­mer­kun­gen, wel­che Cou­si­ne Mimi da­zwi­schen warf? Die zier­li­chen Re­de­wen­dun­gen der Ka­det­ten, der Söh­ne von On­kel Au­gust Bär, oder die un­na­tür­lich tie­fe, pa­the­ti­sche Stim­me, in der Aga­thes Bru­der sich seit kur­z­em ge­fiel?

Man muss­te eben la­chen über al­les und über gar nichts – den gan­zen Tag la­chen, bis man fast vom Stuh­le fiel, bis die Mäd­chen mit trä­nen­über­ström­ten Wan­gen und den selt­sams­ten Lach­seuf­zern ge­gen­ein­an­der tau­mel­ten und die großen Jun­gen vor Ver­gnü­gen brüll­ten, sich auf die Schen­kel schlu­gen und wie vom Veits­tanz er­grif­fen in der Stu­be her­um­spran­gen.

Das zweck- und ziel­lo­se He­rumja­gen in dem schö­nen Park, das licht­trun­ke­ne Träu­men im Baum­schat­ten zur Zeit der hei­ßen Mit­tags­stun­den – die wei­sen Ge­sprä­che, das ernst­haf­te und eif­ri­ge Strei­ten über alle Welt­fra­gen, von de­nen man nichts ver­stand! Aber war das tö­richt! Ach, war das al­les ge­sund und gut und schön! Ju­gend, Le­ben, Kraft- und Froh­sinns-Üb­er­fül­le.

Aga­the schrieb ein­mal einen lan­gen Brief an Eu­ge­nie, in dem sie eine glü­hen­de Schil­de­rung von den köst­li­chen Fe­ri­en in Bor­nau bei On­kel Au­gust Bär ent­warf. Mar­tins Name kam fast in je­dem Sat­ze vor, aber doch nur in den harm­lo­ses­ten Be­zie­hun­gen.

Dass der un­aus­steh­li­che, ko­mi­sche Jun­ge Aga­the ein Strähn­chen grü­ner Wol­le, das sie not­wen­dig zu ih­rer Sti­cke­rei brauch­te, ge­stoh­len hat­te, schrieb sie nicht. Auch schwieg sie von der furcht­ba­ren Auf­re­gung, in die er Aga­th­chen ver­setz­te, wenn er in Ge­gen­wart der ehr­wür­digs­ten Tan­ten, der mo­quan­tes­ten On­kels, von Mama und Groß­ma­ma das Wol­len­strähn­chen mit fre­cher Ge­las­sen­heit aus der Brust­ta­sche sei­ner grau­en Som­mer­ja­cke her­vor­zog, es um sei­ne Fin­ger wi­ckel­te, es ver­rä­te­risch hin- und her­schlen­ker­te, und Aga­thes Ver­le­gen­heit und Zorn aufs Höchs­te stei­ger­te, in­dem er das An­den­ken – al­ler­dings mit ent­spre­chen­den Vor­sichts­maß­re­geln, er ging näm­lich dazu in die Fens­ter­ni­sche – an sein Herz und sei­ne Lip­pen drück­te. Und nie­mals hät­te sie sich ent­schlie­ßen kön­nen, Eu­ge­nie zu er­zäh­len, dass der küh­ne Bur­sche ein­mal, als sie bei­de al­lein im Zim­mer wa­ren, ne­ben dem Stuhl, auf dem sie saß, nie­der­knie­te und sag­te, er wol­le hier lie­gen blei­ben, bis sie ihm einen Kuss ge­ben wür­de, und es küm­me­re ihn gar nicht, wenn je­mand her­ein­käme und es sähe – wenn sie sich so lan­ge zie­ren woll­te, wäre es eben ihre Schuld!

Aga­the hat­te ihn dar­auf von sich ge­sto­ßen, war auf­ge­sprun­gen und fort­ge­lau­fen, die Trep­pe hin­un­ter. Sie hör­te Mar­tin hin­ter sich, drei Stu­fen auf ein­mal über­sprin­gend und floh durch das ei­ser­ne Git­ter­tor, das sie kräf­tig zu­warf. So jag­ten sie sich eine Vier­tel­stun­de lang um die Lin­de durch den Hof und um die Stäl­le her­um, bis die Mit­tags­glo­cke läu­te­te. Er hat­te sie nicht ge­fan­gen, nie­mals war sie so leicht­fü­ßig ge­we­sen. Vi­el­leicht hat­te Mar­tin auch ih­ren ehr­li­chen Schre­cken ge­se­hen und sie gar nicht ein­ho­len wol­len.

Wäh­rend Aga­the glü­hend und au­ßer Atem ihre auf­ge­lös­ten Zöp­fe wie­der flocht und fest­steck­te, fühl­te sie sich sehr tu­gend­haft und er­ha­ben. Sie war doch ei­gent­lich et­was ganz an­de­res als Eu­ge­nie, die sich in ei­ner dunklen Stu­be ei­nem Kom­mis aufs Knie setz­te. Sie woll­te auch im­mer streng und ab­wei­send blei­ben – bis – ja bis Er kom­men wür­de, der Herr­lichs­te von al­len! Vi­sio­nen wei­ßer Schlei­er­wol­ken und bren­nen­der Altar­ker­zen schweb­ten durch ihre Fan­ta­sie.

Oder tot – still – im schwar­zen Sar­ge mit der Myr­then­kro­ne über der rei­nen Stirn – ach wie trau­rig – o wie schön! Aga­the lie­fen bei dem Ge­dan­ken gleich die stets be­rei­ten Trä­nen aus den Au­gen.

Mit ei­nem herz­li­chen Mit­leid ge­gen den ar­men Vet­ter er­schi­en die jun­ge Sprö­de zu spät bei Tisch. Mar­tin füll­te sich eben den Tel­ler voll Mak­ka­ro­ni­pud­ding, aß tap­fer drauf los und sah sie gar nicht an. Aga­the war ein we­nig ent­täuscht. Die edle Stren­ge be­kam eine Bei­mi­schung von Pi­quiert­heit.

Mar­tin be­trug sich in den nächs­ten Ta­gen nicht wie ein un­glück­lich Lie­ben­der, auch nicht zu­dring­lich, son­dern fle­gel­haft, grob und un­ge­zo­gen. Dann brach­te er ihr zum Kirch­gang am nächs­ten Sonn­tag eine von den son­der­ba­ren brau­nen Ca­li­can­thus-Blü­ten, die es nur noch in dem alt­mo­di­schen Gar­ten von Bor­nau gab. Er wuss­te, dass Aga­the ih­ren star­ken, schwe­ren Würz­duft be­son­ders lieb­te. Die bei­den wa­ren nun wie­der gute Freun­de. Er mach­te aber kei­nen Ver­such mehr, Aga­the zu küs­sen. Das grü­ne Woll­strähn­chen kam seit der Zeit nicht wie­der zum Vor­schein.

Gabriele Reuter – Gesammelte Werke

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