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XII.

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Eu­ge­nies und Wal­ters Hoch­zeit wur­de ein großes Fest, mit Pol­ter­abend­auf­füh­run­gen und all der sin­ni­gen Un­ru­he, die der Deut­sche bei ei­nem sol­chen Er­eig­nis ger­ne er­regt. Man schwelg­te in Fa­mi­li­en­ge­fühl – die ent­fern­tes­ten On­kels, die be­jahr­tes­ten Tan­ten wur­den ein­ge­la­den, wa­ren sehr ge­rührt bei der Trau­ung und wärm­ten nach­her in den Ecken mit spit­zen Be­mer­kun­gen alte Fa­mi­li­en­zwi­s­tig­kei­ten wie­der auf.

Aga­the muss­te un­ter ih­rem ro­sa­sei­de­nen Klei­de die gan­ze stum­me, hoff­nungs­lo­se Qual ver­ber­gen, die ihr Herz seit Mo­na­ten fol­ter­te. Wie leicht wäre es Eu­ge­nie ge­we­sen, die Be­kannt­schaft von Herrn von Lutz zu ma­chen und ihm eine Ein­la­dung zum Pol­ter­abend zu ver­schaf­fen. Das wäre dann ein Fest für sie ge­wor­den … Es war so un­recht von Eu­ge­nie – frei­lich – die dach­te im­mer nur an sich.

Sie würg­te fort­wäh­rend an ih­ren Trä­nen, aber bei ei­ner Hoch­zeit fiel das nicht wei­ter auf. Mar­tin Gref­fin­ger war ihr Braut­füh­rer. Er hat­te sich sehr ver­än­dert, seit sie ihn zu­letzt ge­se­hen. Nach­dem er das ju­ris­ti­sche Stu­di­um auf­ge­ge­ben hat­te, war er ein hal­b­es Jahr in Eng­land ge­we­sen. Was er dort ge­trie­ben, wuss­te nie­mand. Um Lord By­rons Wil­len war er ge­wiss nicht hin­ge­reist. Die höh­ni­sche Fal­te um sei­nen Mund hat­te sich noch ver­tieft. Schweif­te sein Blick feind­lich über die Hoch­zeits­ge­sell­schaft, so rich­te­te er ihn gleich wie­der vor sich nie­der – in eine Welt, die nur er selbst zu se­hen schi­en.

Trotz Aga­thes Auf­for­de­rung er­zähl­te er nichts von sei­ner Rei­se; was er drü­ben ge­tan und er­lebt habe, in­ter­es­sie­re sie ja doch nicht, sag­te er. Auch ver­such­te er kei­ne je­ner Ne­cke­rei­en, mit de­nen er sie sonst oft grau­sam zu quä­len pfleg­te – be­müh­te sich so­gar, freund­lich ge­gen sie zu sein. Aber die Ver­su­che ver­san­ken im­mer wie­der in ei­ner großen Gleich­gül­tig­keit, die sei­ne Hal­tung, jede sei­ner Be­we­gun­gen und vor al­lem sei­ne Stim­me be­herrsch­te. So schlepp­te sich das Ge­spräch trü­be und ge­zwun­gen, durch Pau­sen völ­li­gen Schwei­gens un­ter­bro­chen, wäh­rend des lan­gen Di­ners hin. Wie fremd sie sich ge­wor­den wa­ren, die sich doch einst so lieb ge­habt!

Al­les ging wäh­rend des gan­zen Fest­ta­ges glatt und gut von stat­ten. Nur ein­mal hör­te die Tisch­ge­sell­schaft Frau Wu­trow von der Kü­che her mit dem Lohn­die­ner we­gen des großen Wein­ver­brauchs zan­ken. Ihr Ge­sicht trug, als sie wie­der her­ein­kam, vor Är­ger fast die Far­be ih­res rot und blau chan­gie­ren­den Sei­den­klei­des. Aber, wie ge­sagt, mit Aus­nah­me die­ses klei­nen Zwi­schen­falls war es eine idea­le Hoch­zeit.

Die grü­ne Myr­ten­kro­ne saß Eu­ge­nie ta­del­los auf dem blon­den Kopf, der Braut­schlei­er fiel wohl zwei und einen hal­b­en Me­ter lang über die kö­nig­li­che Schlep­pe; Bei der Trau­ung hat­te er auch ihr Ant­litz ver­hüllt – das fand man so poe­tisch!

Sie war fast die Mun­ters­te un­ter ih­ren Gäs­ten. Wal­ter da­ge­gen schi­en be­wegt und still.

Nach dem Di­ner nahm Eu­ge­nie ih­ren Kranz vom Haupt und setz­te ihn On­kel Gu­stav auf. Die meis­ten fan­den die­sen Scherz sehr an­stö­ßig. Mit ei­nem Myr­ten­kran­ze spaßt man nicht. Der di­cke ro­sen­ro­te On­kel sah au­ßer­or­dent­lich ko­misch in dem un­er­war­te­ten Schmu­cke aus. Es war das ein­zi­ge Mal, dass Gref­fin­ger in ein lau­tes La­chen ver­fiel. Eu­ge­nie blick­te aus ih­ren Schlei­er­fal­ten wie aus leich­tem Ge­wölk zu ihm hin­über. Mit der rau­schen­den milch­wei­ßen Schlep­pe, das Cham­pa­gner­glas in der Hand, ging sie um den Tisch und stieß mit ihm an. Ihre Li­der wa­ren ge­senkt, und die gol­di­gen Wim­pern zit­ter­ten ein we­nig, wie die ei­nes Kin­des, das um Ver­zei­hung bit­ten möch­te. Sie hob sie zö­gernd, in ih­ren Au­gen lag eine sanf­te Bit­te. Aga­the hör­te, wie sie lei­se zu ihm sprach: »Auf gute Freund­schaft!« Er mach­te ihr eine tie­fe stei­fe Ver­beu­gung.

Aga­the be­glei­te­te sie hin­aus, ihr beim Um­klei­den zu hel­fen, sie war auf­ge­reg­ter als die küh­le Braut, wel­che um­sich­tig die letz­ten An­ord­nun­gen für die Rei­se traf.

Nach­dem das jun­ge Paar ab­ge­fah­ren war, zog sich Aga­the in Eu­ge­nies Schlaf­zim­mer zu­rück und blieb dort mit dem aus­ge­dien­ten Hoch­zeits­staat, der auf den Stüh­len um­her­lag, al­lein. Sie schluchz­te recht von Her­zen. End­lich trock­ne­te sie ihre Au­gen, wusch sich das Ge­sicht und ging wie­der in die un­te­re Eta­ge hin­ab.

Die Ge­sell­schaft hat­te sich zer­streut, die Frem­de­ren wa­ren ver­schwun­den. Im Sa­lon fand Aga­the ihre El­tern und den al­ten Wu­trow müde und ein­sil­big zwi­schen ei­nem großen Krei­se von Ver­wand­ten sit­zen. Frau Wu­trow teil­te un­ter ihre Leu­te Ku­chen aus und be­gann das Sil­ber fort­zu­schlie­ßen. In dem Er­ker des Ess­saa­l­es hat­ten sich Cou­si­ne Mimi von Bär mit ih­rem Bru­der, Lis­beth Wend­ha­gen, die drit­te Braut­jung­fer, On­kel Gu­stav und der Pro­ku­rist des Ge­schäf­tes um einen Rest Bow­le ver­sam­melt. Jen­seits des lan­gen Kor­ri­dors, nach dem Gar­ten hin­aus lag Eu­ge­nies Bou­doir. Sie hat­te, als sie in den Wa­gen stieg, Aga­the ge­be­ten, dort ih­ren Schreib­tisch zu­zu­schlie­ßen und den Schlüs­sel in Ver­wah­rung zu neh­men. »Mama kramt sonst in al­len Schub­la­den her­um – Du bist dis­kre­ter, das weiß ich.«

Mü­den, lei­sen Schrit­tes ging Aga­the, ihr Ver­spre­chen zu er­fül­len. Sie hob den Vor­hang. Da stand Gref­fin­ger, dem Ein­gang den Rücken wen­dend, ne­ben dem klei­nen Sofa, wo er oft mit den bei­den Mäd­chen ge­ses­sen und ver­gnüg­ten Un­sinn ge­schwatzt – er hat­te den Kopf in die wol­le­ne Fens­ter­gar­di­ne ge­wühlt – sei­ne brei­ten Schul­tern zuck­ten, Aga­the hör­te sein stoß­wei­ses rö­cheln­des Wei­nen. Be­stürzt stand sie vor die­sem Schmerz – zum ers­ten Mal sah sie die Lei­den­schaft, die ihre ei­ge­ne Ge­sund­heit still und rast­los un­ter­grub, bei ei­nem kräf­ti­gen Man­ne aus­bre­chen. Sie mach­te eine Be­we­gung – sie hät­te ihn gern in den Arm ge­nom­men und mit ihm ge­weint, ihn ge­strei­chelt und ge­trös­tet. In ih­rer Schwä­che fühl­te sie sich jetzt stär­ker als er – ein sol­ches Elend pass­te bes­ser zu ihr, als zu dem der­ben Gref­fin­ger.

Aber sie wag­te nicht, ih­rem Wun­sche nach­zu­ge­ben und schlich vor­sich­tig zu­rück. Er hat­te sie nicht be­merkt.

*

Nach der Hoch­zeits­rei­se zo­gen die jun­gen Heid­lings in die obe­re Eta­ge des Wu­trow’­schen Hau­ses, die für sie mit mo­der­nen Ta­pe­ten, alt­deut­schen Öfen und Par­quet­fuß­bö­den neu her­ge­rich­tet wor­den war.

Eu­ge­nie spiel­te nun ein rei­zen­des Haus­müt­ter­chen. Wal­ters Ka­me­ra­den fei­er­ten sie als das Mus­ter der deut­schen Of­fi­ziers­frau. Es bil­de­te sich ein Sport bei den jun­gen Her­ren aus: Heid­ling zum Dienst ab­zu­ho­len, nur um in der frü­hen Mor­gen­stun­de Eu­ge­nie in den neu­en Neg­ligés und dem ko­ket­ten Spit­zen­häub­chen an der Kaf­fee­ma­schi­ne zu se­hen und eine von ih­ren ge­schick­ten Hän­den schnell be­rei­te­te Tas­se Mok­ka im Ste­hen her­un­ter­zu­stür­zen.

Abends konn­te man re­gel­mä­ßig ein bis zwei Lieu­ten­ants, auch wohl einen un­ver­hei­ra­te­ten Haupt­mann bei Heid­lings fin­den.

Der fröh­li­che Ju­gend­ver­kehr zog nach Wal­ters Hei­rat ganz na­tür­lich zu den jun­gen Leu­ten hin­über. Man be­kam hier ein eben so gu­tes Abendes­sen und durf­te sich doch un­ge­nier­ter ge­hen las­sen, als un­ter den Au­gen des Re­gie­rungs­ra­tes.

Aga­the war zwar von Eu­ge­nie ein für al­le­mal ein­ge­la­den, aber sie moch­te die El­tern nicht viel al­lein las­sen. Papa hat­te es gern, wenn sie vor­las. Manch­mal frei­lich war er auch zum Hö­ren zu an­ge­grif­fen und saß schweig­sam, ver­stimmt mit sei­ner Zi­gar­re in der So­fae­cke. Oder er muss­te auch noch ar­bei­ten und lieb­te es dann, von sei­nen Ak­ten auf­bli­ckend, durch die ge­öff­ne­te Tür ih­ren brau­nen lo­cki­gen Kopf un­ter dem Lam­pen­licht zu se­hen, wie sie der Mama half Wä­sche stop­fen. Das wa­ren ein­tö­ni­ge Aben­de. Aga­the konn­te die Ein­sam­keit, in der sie frü­her end­lo­sen, glück­li­chen Träu­me­rei­en nach­hing, nicht mehr gut er­tra­gen.

Die El­tern hat­ten mit Wu­trows und den jun­gen Leu­ten zu­sam­men im Thea­ter abon­niert. Das Bil­let kam nur sel­ten an Aga­the – es war je­des Mal ein auf­re­gen­des Er­eig­nis. Frü­her hat­te sie nur Sinn und Be­geis­te­rung für Tra­gö­di­en ge­zeigt – das hat­te sich nun ge­än­dert. In den großen Dra­men gab es sel­ten Rol­len für die Nai­ve. Und nur wenn die Da­niel auf­trat, war Aga­the si­cher, Lutz im Thea­ter zu fin­den.

Eu­ge­nie wuss­te das frei­lich ganz ge­nau, aber sie und ihr Mann zo­gen auch Lust­spie­le und Pos­sen vor, und bit­ten konn­te Aga­the nicht um ein Bil­let – nein – es war furcht­bar, wie sie sich schäm­te und fürch­te­te, um die­ser un­glück­se­li­gen Lie­be wil­len.

Lutz stand meist im Hin­ter­grun­de der Pro­sze­ni­ums­lo­ge. Aga­the konn­te sei­nen Kopf nur se­hen, so­bald er sich vor­beug­te. Auf die­se flüch­ti­gen Se­kun­den war­te­te sie mit ei­ner be­ben­den Ge­spannt­heit.

Un­be­greif­lich blieb es ihr, wo Fräu­lein Da­niel bei ih­rer frag­wür­di­gen Er­zie­hung die­se leich­te und an­mu­ti­ge Vor­nehm­heit des We­sens hat­te er­wer­ben kön­nen. Die an­de­ren Büh­nen­da­men er­schie­nen ne­ben ihr plump und roh. Selbst eine ge­wis­se Af­fek­ta­ti­on ver­zieh man ihr, sie klei­de­te sich gut. War ihr Näs­chen, ihr aus­drucks­vol­ler Mund ganz geist­rei­che Schel­me­rei – die Au­gen blie­ben im­mer ernst, sie konn­ten ge­müt­voll und trau­rig bli­cken. Aga­the be­griff es nicht, warum Lutz oft nur zu ei­ner Sze­ne kam und bald wie­der ver­schwand. Nein – er lieb­te die Da­niel nicht … Ap­plau­dier­te er auf eine nach­läs­si­ge, dis­kre­te Wei­se, so tauch­ten sei­ne schma­len, wei­ßen, un­ru­hi­gen Hän­de gleich­sam kör­per­los aus dem Dun­kel der Loge her­vor.

Dann hör­te Aga­the Be­mer­kun­gen un­ter ih­ren Nach­barn über sei­ne Be­zie­hun­gen zur Da­niel.

»… Er soll ihr schon seit Jah­ren den Hof ma­chen, aber sie weist ihn kon­se­quent ab.«

»– So – so – da wer­den doch auch an­de­re Din­ge ge­re­det. Eine Zeit lang war sie ganz auf­fäl­lig von der Büh­ne ver­schwun­den – es ist üb­ri­gens schon lan­ge her.«

»Ja – da­mals hat­te sie ein Hals­lei­den.«

»Ach – die Hals­lei­den der Schau­spie­le­rin­nen …«

»Im üb­ri­gen hat er im letz­ten Som­mer der Pro­fes­sor Wal­lis in Nor­der­ney ra­send die Cour ge­macht …«

»Lie­ber Gott, was will denn das be­sa­gen?«

Sol­che Re­dens­ar­ten be­rei­te­ten Aga­the ein un­er­träg­li­ches Weh. Wie konn­ten die Leu­te nur über ihn re­den wie über einen be­lie­bi­gen jun­gen Mann?

*

In­zwi­schen wur­de die Be­geg­nung mit ihm, die das Mäd­chen sich zu je­der Stun­de fie­ber­haft wünsch­te, Eu­ge­nie zu teil. Sie er­zähl­te ih­rer Schwä­ge­rin da­von, ein spöt­ti­sches Lä­cheln husch­te um ih­ren Mund.

»Ich habe heu­te Dei­nen Lutz ge­spro­chen.«

»Du –? Wo?« frag­te Aga­the atem­los.

»Höchst ko­misch war’s. Ich hole mir bei dem Mu­sik­schmidt neue No­ten … Au­ßer­dem habe ich noch zwei Pa­ke­te, Muff – Schirm. Dazu mein Kleid auf­zu­neh­men. Ich ver­such­te, das al­les mit mei­nen zwei ein­zi­gen Hän­den fest­zu­hal­ten. Wer kommt, als ich die Stu­fen run­ter­stei­ge? Lutz! – be­merkt mei­ne Be­mü­hun­gen – lä­chelt. Er hat üb­ri­gens ein ent­zücken­des Lä­cheln. Und den­ke Dir – ich Gans! Las­se mei­ne No­ten­blät­ter un­ter dem Arm her­vor­rut­schen – ihm ge­ra­de zu Fü­ßen – alle aus­ein­an­der ge­flat­tert. Er bück­te sich na­tür­lich und wir ha­ben sie dann ganz ar­tig vom Schnee wie­der auf­ge­sucht. – Ich dank­te ihm für sei­ne Mühe und er ant­wor­te­te: ›O – bit­te sehr!‹ – Wenn er die­ses bit­te sehr zu Dir ge­sagt hät­te – was Aga­the?«

Sie brach in Trä­nen aus.

»Mein Gott – geht’s Dir denn so tief?« rief Eu­ge­nie er­schro­cken.

»– Ich habe ihn mir um Dei­net­wil­len ziem­lich ge­nau an­ge­se­hen«, be­gann sie ver­stän­dig. »Es ist ei­ner von den Ge­fähr­li­chen – das ist kei­ne Fra­ge. Aber Kind – glaubst Du denn, dass Du auch nur einen Ge­dan­ken mit dem Man­ne ge­mein hast?«

»Ich hab’ ihn lieb«, mur­mel­te Aga­the lei­se. Eu­ge­nie seufz­te. Sie schnipp­te zier­lich mit den Fin­gern ein Bro­säm­lein von ih­rer neu­en Tisch­de­cke und ihre Be­we­gung deu­te­te an, sie lege nicht viel mehr Wert auf das Ge­fühl, von dem Aga­the be­wegt wur­de, als auf die­sen spär­li­chen Über­rest ei­nes ge­nos­se­nen und ab­ge­tra­ge­nen Mah­les.

Gabriele Reuter – Gesammelte Werke

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