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Untergang im Palmengarten

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Samstag, 4. Februar

Nach dem neuen, supercoolen ROY-Kasten Quadrato gestern brauche ich heute Morgen ein bisschen Romantik. Wir trinken ein Gläschen Sekt zum Frühstück und laufen in kaum zehn Minuten über den Wirtschaftweg hinüber zum romantischen Paradiso.

Zum Geheimtipp für Betreutes Wohnen inmitten eines Palmengartens.

Nur 150 Zimmer mit charmanter, altmodischer Möblierung. Nicht mehr blessurenfrei, genau wie die Rentnerveteranen der ersten Stunde: Herr Direktor Zierock/Betreuteswohnen und Gattin Irmintraude Spitzmund, Kalli und sein Liebchen Marejeet, der kettenrauchende Herr Schlatt/Reihe 7, die superreiche Hypochonderin Frau Kordel, der Hüne Kay/Kongo-Otto und seine Frau Raspel-Ria, Kasino-Gunnar, der schmächtige Harry Klappspaten und seine Frau Räucherhaken, Hardy/Coco, Flor und wir, die wir allesamt im Winter in Upgrade-Suiten mit zwei großzügigen halbrunden Balkonen und weißer Holzbrüstung wohnten. Ohne Probleme, weil Direktor Carlos die Deutschen liebte. Auch Elsässer wie Jean-Luc und Lydie. Und sogar Norddeutsche, wie Agneta und Paul Pikle und seine Schwägerin Erna.

Ein einziges Hauptrestaurant mit leicht abgewetzten Stuhlbezügen, vor dem sich elegant gekleidete Gäste gleich welcher Nation jeden Abend mit Handy und Kamera versammelten, um den sonoren Welcome-Ruf in neununddreißig Sprachen vom zweimeterzehn großen dominikanischen Garde-Bellboy, German, in seiner weißen Galauniform nicht zu versäumen. Die komplette Küchen-crew mit Kochmütze und weiß-blau-karierter Küchenkluft stand hinter ihm im Halbkreis parat, samt der mobilen Dreimann-Kombo, um nach dem Applaus der Gäste unverzüglich zum Fastliebsten eines Dominikaners, zum Bachata- und Merengue-Tanzen, überzugehen.

Und German holte sich die dickste Köchin, hob sie fast einen Meter von sich weg, um etwas gebückt und mit Blick in die Ferne die Füße zu stampfen und die Hüften zu schwingen.

Direktor Carlos stand leicht schwitzend mit dem ganzen Direktorium und allen Kellnern für die eintretenden Gäste Spalier und begrüßte jeden einzelnen mit Handschlag.

Jeder Meter im Hotel atmete den Charme karibischer Freude und Großzügigkeit.

Ein kleiner Swimmingpool mit plätschernden Fontänen aus grünen Steinnixen, eine Poolbar zum 15 Uhr Rentnertreff mit dezenter Karibikmusik, Coco-Loco-Cocktails, Kaffee mit Rum und frischgebackenem Kuchen und ein bisschen Eins-Zwei-Drei-Blobb - Bachata-Tanzkurs und Stretching-Übungen am Pool für vier, höchstens fünf Teilnehmerinnen. Alles easy und Null Lärm.

Altmodische Liegen und ein relaxter Poolboy Carlos II, der seit was weiß ich wie lange schon auf der Hotelbeschreibungsseite im TUI-Katalog im weiß-blauen ROY-Polohemd herunter grinst, suchte für jeden Gast aus seinem Mattenstapel morgens die perfekte Liegenunterlage heraus.

So weit das Auge reichte, unzählige hoch gewachsene karibische Senior-Palmen, an denen Kokosboys am frühen Morgen, bevor die Sonnengäste anmarschierten, mit dicken Seilen und bloßen Füßen hochkletterten und verdorrte Palmblätter und reife Kokosnüsse abhieben und die vollbeladene Schubkarre später zu den Touristen zogen und Kokosnüsse mit gezieltem Schlag ihrer Machete öffneten.

Und unseren Freund Hardy taufte ich für alle Zeiten in 'Coco' um, seit er weit nach Mitternacht vor der Rezeption mit schleppenden Schritten die Luft-Schubkarre vor sich herschob und müde, mit halbgeschlossenen Augen kläglich "Coco! Coco!" rief, bevor wir Vier, den Bauch haltend und mit einem Heer neuer Lachfalten im Gesicht, bei Ramon unsere klobigen, altmodischen Zimmerschlüssel abholten. Ganz wie von selbst entstand unsere tiefe Urlaubsfreundschaft mit Coco und Flor, für alle Ewigkeit.

Das kleine Amphitheater unter freiem Himmel vorn am Meer, aus dem wir wie oft mit großem Trara vor dem heftigen nächtlichen Regenguss, der mitten in der Vorstellung plötzlich einsetzte, flüchten mussten. Und ließen uns mit desolaten Frisuren und durchnässter Kleidung auf die Barhocker fallen in der Lobby oder drückten den schweren Vorhang zur Seite zum stark muffigen Clubraum und schoben die dunkelblauen schmalen Samtsessel zusammen für eine Runde Sekt.

Kurz nur, nicht lange, weil das grell beleuchtete Casino nebenan magisch in eine andere Welt führte, in die wir fast jede Nacht eintauchen wollten. In den Klang der tanzenden Roulette-Kugeln, der monotonen Stimmen der Croupiers, des leisen Kartenmischens. Der dünne Schweißgeruch an den Pokertischen, die glitzernden Lichtkugeln an der Decke und das permanente Kirmes-Gedudel der zwanzig Spielautomaten an den Wänden, das alles war das Casino im ROY Paradiso.

Geschichten, Legenden, fünfzehn Jahre lang. Dann wollten wir etwas Neues, das nicht den modrigen Geruch in den Zimmern hatte, der sich über die Jahrzehnte hinweg vom salzig-feuchten Meeresklima in die Hotelmauern gesetzt hatte. Wir wollten frischbezogene Sessel und Stühle, unverbrauchtes Mobiliar, neue Strandliegen, und wenn schon Horror-Ventilatoren, dann solche, die wenigstens nicht in einem unbeobachteten Moment ein paar abgerostete Rotorblätter abwerfen würden. Und wechselten ohne zu zögern vor zwei Jahren in das neu gebaute prächtige ROY Palacio nebenan.

"Ich habe mich in den falschen Film verirrt grad, Leo!"

Ich stütze die Arme in die Hüfte und starre ungläubig auf die Poollandschaft des Paradiso-Hotels. Nüchternes Schwimmerbecken in Hallenbadformat. Keine geschwungenen Treppen, keine Wasserfontänen aus grünen Steinwassernixen. Drei Weightwatcher-Figuren stehen unbeweglich im Bassin und umklammern Ihr Cocktailglas auf dem Beckenrand. Eine Handvoll Highschool-Teenies und zwei kanadische Senior-Bermudahosen besetzen komplett die Swim-up-Bar am Kopfende des Pools.

Eckig wie ein Schuhkarton neben dem Pool die nüchtern sachliche Café-Bar.

Kastige, hart weiße Beduinenbetten mit dicker Matratze in blendend weißem Plastikbezug exakt in gleichem Abstand um den Pool aufgestellt. Und dahinter in zwei Reihen dicht aufgestellte Liegen unter dem meterlangen Gemeinschafts- sonnensegel.

Der lässig-melancholische Palmengarten von früher hat sich in einen reduzierten Fremdkörper verwandelt. Mager ausgedünnt für schattenlose Boule-Plätze, Bogenschieß- und Hufeisenwerf-Wettbewerbe zwischen niedrigen jungen Büschen und großer Leere. Angepasst an die Quadratur des neuen Hardliner-Pools.

"Puristisch, wie der neue Kasten nebenan!", stellt Leo nüchtern fest.

"GIGA-ARMSELIG! Romantischer Karibikzauber wurde in seelenlose Beliebigkeit getauscht!"

Und ich drehe mich suchend im Kreis, möchte die verloren gegangene Romantik irgendwo finden. Irgendwo, in irgendeinem vergessenen Eckchen.

Trotzig liegen Herr Betreuteswohnen und Frau Irmintraude Spitzmund abseits des Sonnensegels. Unter dem einzigen, von irgend woher organisierten Sonnenschirm. Und 'Reihe 7' steht mit Profiplayer Gunnar in der Reihe der Hufeisenwerfer, so wie früher schon jeden Morgen Punkt 10:00 Uhr. Unter freiem Himmel. Auf der neuen leeren, weiten Sandfläche. Ohne die alten, sich hin und her wiegenden karibischen Schatten-Palmen.

"Wir sollten endlich die Strandsaison bei uns drüben beginnen", legt Leo den Arm um meine Schultern.

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