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Kongo-Otto, Raspel-Ria und Monsieur Clement

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Leo, mit drei Handtüchern unterm Arm und mit prall gefüllter Badetasche über der Schulter, trotzt wie immer dem heftigen Wind und will endlich an SEINEN Strand.

Ganz nach vorn in seine erste Reihe. Fünf, sechs Meter neben Kay und Raspel-Ria, die bestimmt schon, wie alle Jahre, vor 9:00 Uhr ihr üppiges Liegenlager aufgebaut haben: Zwei Ersatzliegen und zwei Matten gegen Sandsturm, sechs Handtücher und zwei Tische für Schmöker, Kopfhörer, Ascher und Zigaretten. Und eine Maxi-Tube penatenweiße Sonnencreme für Kays dickes Lippenpaar.

Es war Dodo, Sebastians junge Frau, die gleich in ihrem allerersten ROY-Urlaub im Paradiso turboschnell wie bei allem, was sie machte, für Kay einen unschlagbar besseren Namen hintackerte. Ein Name, der wie eine Gravur sofort untrennbar zu ihm gehörte: "Ich weiß nicht, wie der Koffer heißt, vorn am Strand immer neben Leo mit seiner viel kleineren aschblonden Frau, die eine Frisur hat wie ein frisch gemähtes Weizenfeld. Euer 'KONGO-OTTO' jedenfalls... Ist er vielleicht Rausschmeißer bei einer Disco?", und holte wie immer erst mal tief Luft. "Euer Kongo-Otto drüben: Als eine zehnköpfige argentinische Highschool-Bande sich frech ganz dicht an seine Liegenburg anschließen wollte, in einer Linie, Kopf an Kopf, keine fünf Zentimeter dazwischen", und Dodo riss die Augen auf, "legte Kongo Otto langsam seinen dicken Schmöker aus der Hand, nahm in Zeitlupe mit Blick zur Meute seine Kopfhörer ab, blätterte seinen Hünenkörper von der Liege hoch und stemmte die braunen Muskelarme in die Taille. VERPISST EUCH!!, flog aus dem fleischigen Hölleneingang in seinem Gesicht hinüber zu der jungen Meute." Dodo zog die Schultern hoch und prustete los: "VERPISST EUCH"!, zischte ein weiß eingecremtes dickes Lippenpaar. Und die argentinische Meute, kein Wort verstanden, rückte tatsächlich erschrocken ein paar Zentimeterchen von Kongo-Otto weg. Nicht genug für Kongo-Otto, der sich wie ein Roboter auf sie zubewegte." Dodos Luftvorrat war gerade verbraucht, als sie noch hinhauchte: "Und der Schlachter! Vom Schlachter Pikle hab ich gehört, dass er hämisch gegrinst haben soll bei der Szene, als er gerade in der Nähe seinen Mittagsschlaf unter einer Palme antreten wollte."


Ich hätte gern neben Leo vorn am Strand auf das Meer geschaut, auf die unruhigen Wellen, auf die Brandung, die im weißen Sand immer wieder versickert und gleich wieder von neuem ankriecht und manchmal kleine Krebse anschwemmt, die sich blitzschnell in den Sand vergraben. Aber Windstärke 5 ist für Isa Gift. Ich lege Sudoku-Heft und den neuesten Tommy-Jaud-Roman auf meinen kleinen Tisch am Pool und schließe die Augen, versuche nicht an das verlorene Paradies im Paradiso und den neuen karibikfreien Hotelkasten Quadrato zu denken. José höre ich mit seinem gläsergefüllten Blechtablett vorbeikommen und strecke blinzelnd meinen Arm hoch.

"Tienes agua, José, sin hielo?" José, hast Du Mineralwasser ohne Eis für mich?

"Quando llegada? Su marido? Donde está?" Wann angekommen, wo ist Ihr Mann?

"Playa, a la playa."

"Gracias, José. Solbete?"

"Bo n j o u r , I s a b e l l e !",

als ich mit nur einem geöffneten Auge das Papier am Trinkhalm abziehe. Ruhe vorbei. Clement und Diane aus dem kanadischen Quebec. Blass und noch in Reisekleidung stehen sie vor meiner Liege.

"We just arrived", beginnt Monsieur Clement. Gerade angekommen.

Der Wind wird noch kälter als zuvor, ich schlüpfe vorsichtshalber in mein schwarzes Jerseyjäckchen und schließe die oberen Knöpfe.

"Jolie, tres jolie!,,, ruft Madame Diane. Sehr hübsch.

"Y muy practico",, und sehr praktisch, werfe ich ein, was wiederum nur Monsieur Clement und nicht Diane übersetzen kann.

Wie in der Pubertät fühlt man sich im ersten Jahr nach der Pensionierung, in betont langsam gesprochenem Kanadisch-Französisch, und ich nicke begeistert den Kopf, denn ich fühle mich von ihr sehr verstanden.

Clement zückt derweil sein Handy und flüstert halb französisch, halb englisch, dass er einen günstigen Einheimischen-Tarif für die Insel hat, wenn wir das auch wollen??

"Nous avons une iPad ici", setzt er mit gespanntem Gesichtsausdruck fort. "Et nous l‘utilisons jaque soir. Devant dinner." Wir haben ein iPad hier und verwenden es jeden Abend vor dem Essen.

"Clement, we too, but despues de comer". Wir auch, aber immer erst nach dem Abendessen. Seine Miene wird wieder entspannt.

Unsere sprachgepuzzelte, nie ins Stocken geratene Konversation dient reihum fast jeder Nation als geschätzte Unterbrechung des Nichtstuns auf den Liegen. Worte in der eigenen Sprache, aber kein kompletter Satz zwingen zum Lückenschließen im Geist, um der Rede folgen zu können. Und spornen zum Abschätzen an, wie jung man in anderen Ländern schon Rentner werden kann, so wie die zierliche Isabella, die ja noch keine sechzig sein kann.

Der heftige Morgenwind war kaum mehr zu spüren, Windstille herrscht, als wir mittags im Strand-Restaurant nur ein paar Oliven, Muscheln, Maracujas und Ananasstücke vom Buffet holen.

Clement schlendert zielsicher zu unserem Tisch und wiederholt, dass er das Tablet abends nur pour UP LOAD verwendet!

"Mais, aviez vous un cable?" Aber, hätten Sie ein Ladekabel dabei?

"Pour la Pad?"

"No, pour mon mobil."

"Naturelement, Clement", nicke ich, "no problem avec votre up-load. Ce coir, au diner nous avons le cable pour vouz! Et bon apetit!" Selbstverständlich, Clement, haben wir heute zum Abendessen das Ladekabel für Ihr Handy dabei. Und guten Appetit!

"M e r c i !!!" Und eine tiefe Verbeugung von Monsieur Clement.

Die Fusionierten Kartenvier, Kongo-Otto, Raspel-Ria, Kalli und Margret, die pünktlich wie wir an der Schmalseite des Restaurants in unserer deutschen Reihe an nebeneinander stehenden runden Tischen Platz genommen hatten, hängen konzentriert und beunruhigt an Clements Lippen. "Hat er nicht eben UP-GRADE zu Isabelle gesagt und ein dankbares Merci?"

No, chers amis, ich verhelfe Clement NICHT zu einem Zimmer-Up grade und verschlechtere NICHT Eure eigenen Chancen in der heimlichen Warteliste auf einen Aufstieg zur Suite-Community!


Zum Abendessen streife ich meine windgerechte hoch geschlossene langärmelige Jaquardjacke über. Gott sei Dank, denn nur ein Tisch, direkt unter einem fleißig rotierenden Venti, wird gerade frei.

Clement holt bei seinem Gang zum Buffet 'le cable' an unserem Tisch ab und wir gehen zielsicher die breite Treppe hoch zur eleganten Hotelbar.

Alle Ventilatoren in der großen, palastartig ausgestatteten Lobby stehen an diesem Abend still. Ich kann den Blick auf die zahllosen unbeweglichen Monster-windschleudern an der Decke fast nicht abwenden. Ein technischer Defekt sicher. Hoffentlich hält er noch ein paar Tage an oder länger.

"Wir lassen uns am besten auf einem der blauen Sofas an der Seite nieder, Isa und checken unsere E-Mails.

„Liebe Frau Stern,vielen Dank nochmals für das telefonische Interview, das ich mit Ihnen führen durfte. Aktuell liegt der vollständige Text bei dem Chefredakteur und ich melde mich bei Ihnen wieder, sobald die endgültige Fassung zurück ist. Die nächsten drei Tage bin ich in Urlaub. Seien Sie versichert, dass der Text nicht im Wirtschaftsmorgen erscheint, bevor Sie ihn nochmal gelesen haben.Schönen Urlaub weiterhinIhreCorinna Meckel

Na hoffentlich ist darauf Verlass! Sonst ist das saublöd gelaufen. Und ich hätte besser nicht telefonisch, sondern schriftlich mit mehr Überlegung auf die harmlosen Interviewfragen geantwortet. Und von wegen harmlos.

"Wie kann eine Super-Assistentin die Schwächen eines Chefs abfangen?", fragte diese Corinna Meckel.

"Eine enge Mitarbeiterin, gerade in einem hektischen Parteibüro, kann immer Defizite unauffällig und rasch aus der Welt schaffen."

Gleich ihr listiges Nachhaken: "Ja welche Defizite meinen Sie denn so bei Ihrem Chef?"

"Ach", hoffte ich meine schnelle, unbekümmerte und fatal unterschätzte Antwort abzuschwächen, "sagt Ihr Chefredak-teur nicht manchmal auch, ohne Sie wäre ich nicht perfekt? Bei Ihnen in der Redaktion sind das doch sicher korrekte Rechtschreibung, elegante Satzformulierungen, oder?"

Schweigen in der Leitung bei Corinna anschließend.

Und wenn die Super-Corinna jetzt ein Politiker-Defizit daraus macht, liest mein hoch geschätzter Ex-Chef, der in seinem öffentlichen Amt grundsätzlich nicht die geringste, nicht die allerkleinste, so gut wie gar keine Schwächen hat, den Artikel im 'Wirtschaftsmorgen' nie, zu keiner Zeit! Schon gar nicht seine Parteifreunde oder treuen Wähler und um Himmels Willen nie die Opposition, die sich die Hände reiben würde.

Eine großartige, routinierte, vorausdenkende Super-Assi lädt vor dem Urlaub zu Hause die Wettervorhersage-App von Zoover herunter und dropt sie in die Favoritenliste des Tablets. Diese Insiderinformation in einem Zeitungs-interview zum Beispiel wäre in Fachkreisen mit Beifall aufgenommen worden.

"Wolkensymbole auf Zoover, an unserem Arena Gorda-Strand, mit kleinen schrägen Balken darunter!" Ich schaue mit leicht gesenktem Kopf über meine Lesebrille zu Leo:

"Morgen und noch am Montag und noch am Dienstag!"

"Seh doch nicht alles so schwarz, Isa."

Wenn Leo gerade wüsste, welche schwarzen Wolken in diesem Moment an meinem Horizont hochziehen und mich in den nächsten Tagen in Spannung halten werden.



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