Читать книгу Karibikstrand - Gabriele Ried-Hertlein - Страница 6
Kalli und sein Marejeet: Freut Euch nit to fröh
ОглавлениеNach Langstrecke, krasser Klimaveränderung und verlorenem Zeitgefühl fällt der Sechzigplus-All-Inclusive-Stammgast MÖGLICHST UNERKANNT sofort in das Bett des Zimmers, das er nie und auf keinen Fall haben wollte und am nächsten Morgen sofort umtauschen wird. Oder er stellt sich, wenn er Isa und Leo heißt, eisern der Herausforderung des Ich-bin-gerade-angekommen-Begrüßungszeremoniells.
Pedro, Rafael, die beiden Oberkellner laufen geschäftig zwischen den Tischen vor dem Hauptrestaurant, stehen plötzlich hinter uns und tippen uns auf die Schulter.
"Quando llegado? La mesa como siempre?" Wann angekommen? Der Tisch wie immer?
"Tennis, Señor Stern?"
Leo macht eine Vorhandbewegung und erntet anerkennende Blicke von den ROY-Kellnern ringsum.
Die Liveband im Pavillon gibt von der Lautstärke her wieder ihr Bestes und ihr ‚Spanish Eyes’ klingt urlaubsleicht durch die warme Nachtluft.
Ich brauche nicht lange zu suchen, Kalli und sein Marejeet sitzen wie immer nach dem Essen noch lange an ihrem gleichen Abendessentisch und starren auf die Karten in ihren Händen. Als wären auch sie nie weggewesen. Nur Kay und Raspel-Ria, die merkwürdig früh ins Spielcasino abgerauscht sind, fehlen an ihrem Kartentisch.
"Hoffentlich sehe ich nicht zu mitgenommen aus",
zische ich zu Leo, als wir mit gespanntem Blick auf sie zulaufen.
"Freut Euch nit to fröh! Janz völle Wind un bewölschter Himmel schon die janze Zitt, seit dem 20. Januar!",
wirft uns Margret vom Kartenspieltisch ohne aufzusehen entgegen.
Und werde aus meiner Glückseuphorie auf den trüben Boden der verderblichen Upgrade-Community zurückgeholt, als ich in das eingefrorene, wie fremd wirkende Gesicht von Witze-Kalli blicke. Mit dem ich so heftig lachen konnte, dass meine Bauchmuskeln schmerzten. Und jetzt beide zugeknöpft, ohne eine winzige Fensterluke, die mir einen Blick auf ihre Gedanken gewähren würde. Seit dem verdammten Ereignis mit Paul Pikle im letzten Jahr. Der unsere eingeschworene Urlaubsleichtigkeit in latentes Misstrauen und lauerndes Schweigen verwandelte.
"Ich will Dich, Euch nicht unterbrechen mit Handgeben. Wir sehen uns ja auch morgen früh",
werfe ich ernst und gefasst in die zugeknöpfte Kartenrunde.
Leo schlägt zielstrebig den langen Weg über die große Gartenanlage zum Strand ein. Um vor der Weite des Meeres zu stehen, den Klang der Brandung in sich aufzunehmen. Langsam auf und ab zu blicken über den endlos langen Strand, der sich zu beiden Seiten in der Dunkelheit verliert.
Und mein Blut fließt zäh und schwer durch meine Adern, als wir uns endlich Stufe für Stufe die vier Stockwerke zu unserer Suite hochschleppen.
"Ich reiche Dir meine Hosen, du hängst sie auf die Bügel", übernimmt der Techniker am geöffneten Koffer sofort das Kommando.
"NEIN, ich bin doch immer auf der linken Seite, Isa, nicht nach rechts hängen!"
Am besten keinen Kommentar abgeben. Jetzt ist es Viertel vor Vier in der Früh, jedenfalls immer noch nach meiner Armbanduhr. Und ich kann definitiv nicht mehr!!!
Liege in einer astrein von Koffern und Taschen befreiten Super-Suite ausgestreckt und halbtot auf dem in diesem Moment wirklich viel zu riesigen Kingsizebett und Leo, im seidenen mintgrünen Schlafanzug auf der Bettkante sitzend, ist voll auf seine Fingerbewegungen konzentriert:
"Was machst Du denn jetzt noch?"
"Ich will eine SMS öffnen, die habe ich noch nicht gelesen."
Bling, Bling.
"L E O !!!!!! ICH BIN KURZ VOR EINEM HERZINFARKT!! Aber...... Du musst schnell noch die zwei Mantas aus dem Schrank oben holen. Und mir einfach übers Bett werfen.
"Bleib ruhig, Leo!!" dessen Finger erst einmal erstarren wollen. "Keine Manta-Rochen, Wolldecken auf Spanisch: Las mantas. Wir sollten uns heute Nacht vorsichtshalber mit ihnen zudecken", murmele ich und falle im selben Moment in den Schlafmodus.
Leo schleicht sich in der kurzen Nacht nochmal aus dem Kingsizebett und japst im Dunkeln die drei Marmorstufen alle auf einmal mit einem einzigen langen, erschrockenen Satz nach unten zum Bad. Weil er sein Handy im Bad liegen ließ und von dort ein Bling, Bling hörte.
Freitag, 3. Februar
"El presidente! de la Repuuuuublica Domimicaaaana!...Venezueeeela! busca otra... doscientos empleados!" 6:40 Uhr brüllt mich wie aus dem Nichts eine spanische Männerstimme an. Unmittelbar an meinem Bett.
Ich brauche Sekunden, um zu begreifen, wo ich bin und dass ich einfach irgendeinen Knopf auf dem Schreihalswecker drücken muss. LEO! Leo hat den Radiowecker auf meiner Bettseite in der Ankunftsnacht, bevor er dann noch die SMS öffnen wollte, gleich auf die unnormal frühe Uhrzeit 6:40 Uhr programmiert.
"Du hättest wenigstens die Lautstärke kontrollieren können gestern!"
"Und um 11:40 Uhr deutscher Zeit sollte man ausgeschlafen haben. Ich liege schon lange wach.", springt Leo aus dem Kingsizebett.
Als wäre die Zeit stehen geblieben, zur selben Uhrzeit wie wir eben vor dem Restaurant einlaufen, nämlich kurz nach 7:00 Uhr, sitzen die Fusionierten Kartenvier genau wie alle Jahre bereits an ihrem immer gleichen Tisch beim Frühstück.
"Hi!", grinse ich und schüttle der Reihe nach Marejeet, Raspel-Ria, Witze-Kalli und Kay die Hand.
"Wie lange seid Ihr schon da?"
"Ne gute Woche, sind zusammen angekommen."
Jetzt bloß nicht fragen, wo sie wohnen, hämmere ich mir ein. Und wie zum Schutz versinken sie augenblicklich wieder in sich selbst.
Pedro wiegt uns hin und her und bringt zwei Gläser Begrüßungssekt. Margarita hinter ihrer großen Safttheke gerät fast aus dem Häuschen, als ich ihr das kleine Päckchen Mousonseife hinhalte und verbietet mir, unsere zwei Gläser Bananensaft selbst an den Tisch draußen zu tragen. Rafael, seit letztem Jahr viel rundlicher geworden, steht wie aus dem Nichts plötzlich neben ihr, um ihr liebevoll über den Rücken zu streicheln.
"Novio?", ziehe ich die Augenbrauen hoch. Verlobte?
Obwohl Margarita mir schon lange erzählt hat, dass drei fast erwachsene Kinder bei ihr zu Hause im nahen Higüey wohnen und Rafael vier Kinder von drei Frauen hat und sie beide nur hier im Hotel ein Paar sind.