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Kunstprozeß

Paul Cassirer, der in Berlin einen Kunstsalon hatte, hatte die französischen Impressionisten für Deutschland entdeckt. 1901 hatte er die erste Cézanne-Ausstellung gewagt, die Wilhelm II. so beurteilte: »Paul Cassirer, der die Dreckkunst aus Paris zu uns bringt.« Cassirer verkaufte ein einziges Bild, ein Blumenstilleben für 250 Mark. Er stellte auch als erster van Gogh aus. Jahrzehnte später fand wieder eine van Gogh-Ausstellung bei Cassirer statt. Heinz sah sie und sagte: »Ich weiß nicht. Es war gar nicht eindrucksvoll. Haben wir van Gogh überschätzt?« Die van Goghs bei Cassirer waren als Fälschungen entdeckt worden. Paul Cassirer lebte nicht mehr, und Grete Ring, die seine Nachfolgerin geworden war, sagte bei einem Prozeß, der nun stattfand: »Es hatte damit angefangen, daß wir aus Paris und New York hörten, daß man dort sagte: ›Sie können nicht in Berlin kaufen, da verkauft man Ihnen gefälschte van Goghs.‹« Und nun bekamen wir unvergeßlichen Kunstunterricht. Die van Goghs der Cassirer-Ausstellung hingen an den Wänden und waren, wie Heinz gesagt hatte, nicht eindrucksvoll, und dann ließ Geheimrat Justi die große Zypresse von van Gogh aus der Nationalgalerie bringen, deren Direktor er war. Sitzungssaal und Zuhörerraum waren voll von Kunstkritikern, Kunstinteressierten. Auch Heinz war in dem Zuhörerraum. Als das Bild in den Saal gebracht wurde, ging ein unwillkürliches »Ah« durch den Raum. Justi sagte: »Ich habe mich ja nicht mit Kunst beschäftigt, um ein Beamter Seiner Majestät zu werden, sondern weil ich Augen habe.« Es wäre sehr schwer, Fälschungen von alter Kunst zu entdecken, anders bei moderner Kunst, wo der Strich des Meisters so klar zu erkennen ist! Und dann wurde es noch aufregender. Die Bilder wurden geröntgt, und man sah den kraftvollen Strich des echten van Gogh und den vorsichtigen, immer wieder absetzenden der Fälschungen. Der Kunst auf eine so wissenschaftliche, ganz unkünstlerische Weise nah zu kommen rührte an die großen Geheimnisse. In der Pause, als wir alle aufgeregt diskutierten, sagte Heinz leise zu mir: »Ich habe auch die Fälscher entdeckt. Da sitzen sie, die rheinischen Gauner aus Düsseldorf.« Heinz lächelte ihnen zu. Sie lächelten zurück. Es war gar kein Zweifel, daß sie wußten, daß Heinz wußte. Ich stand auf Kohlen. »Wenn die verhaftet werden, wirst du als Komplize mitverhaftet.« Aber Vorsicht konnte man von einem Mann wie Heinz nicht verlangen. Und dann kam van Gogh selber. Niemand traute sich mehr zu atmen. Es war van Goghs Neffe, Sohn von Theo, dem Empfänger von Vincent van Goghs berühmten Briefen, ein scheuer Mensch aus Holland mit dem auf so vielen Bildern verewigten Gesicht. Grete Ring erzählte: »Auf dem Boden im van Goghschen Haus lag der ganze Nachlaß. Es gab keine Listen. Wenn einer kam und wollte die vielen Bilder sehen, ließen ihn die Van Goghs einfach auf den Boden und kramen.« Diese Menschen kannten kein Mißtrauen. Sie konnten sich nicht vorstellen, daß einer ihnen was stehlen würde. 1930 gab es noch etwas so Weltfremdes, Integeres.

Grete Ring war die Nichte des Malers Max Liebermann, dessen Tochter mit Kurt Riezler verheiratet war, Bethmann Hollwegs Gehilfen, aber auch Eberts. Aus seinen fünfzig Jahre zu spät erschienenen Tagebüchern geht hervor, daß Deutschlands Führer den ersten Weltkrieg nicht planmäßig herbeigeführt, aber bewußt riskiert hatten.

Als Cassirer 1926 Selbstmord beging, war das Berliner Tageblatt die einzige Zeitung Berlins, die diese Nachricht nicht hatte. Einer der Lokalredakteure sagte verbittert: »Ich habe ja kein Gehalt, daß ich mir einen Smoking leisten kann, um in solchen Kreisen zu verkehren.« An diesem Satz war nun alles falsch. Cassirer war zwanzig Jahre mit Tilla Durieux verheiratet, nicht nur eine der größten Schauspielerinnen, sondern auch eine hochintelligente Frau, bei der sich Kautsky und Hilferding mit Rathenau trafen, die von Corinth und Renoir, Gulbransson und Barlach abkonterfeit wurde, wo alle Theaterdirektoren und Gerhart Hauptmann und Georg Kaiser verkehrten. Richard Strauss hatte für sie die Josephs Legende geschrieben. Ich fand es bemitleidenswürdig, daß dieser Berliner Arbeiterjunge, der schließlich von seiner Feder lebte, das geistige Leben so falsch sah. Aber man konnte sich auch keinen größeren Gegensatz als die aus dem gleichen Milieu, weltzerstörend Klasse genannt, herkommenden Kiaulehn und diesen Lokalredakteur denken.

Der Kunstsalon Cassirer emigrierte nach London, eröffnete einen neuen »Cassirer« an einer der märchenhaftesten Ecken von London, an der Ostseite des Green Parks, wo noch 18.-Jahrhundert-Häuser standen. Ganz weniges von Cézanne war auf die Wände verteilt. Drei Striche für einen Baum von Cézanne, der nichts weggeworfen hat. Wir gingen verstimmt die Treppe hinab. »Ein Ende«, sagte Heinz und zündete sich eine Zigarette an. »Bißchen viel Enden, die wir miterleben«, sagte ich.

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