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Die Oldens

Rudolf Olden, der Dritte unserer Berlin-Seite, kam aus Wien, und ich lernte an ihm das Wienerische kennen. »Wir spielen alle, wer es weiß, ist klug«, sagte Schnitzler.

Nur nichts ernst nehmen, nur nichts Ernstes sagen. Ich nahm alles ernst, mein Schreiben, mein Judentum, meine Ehe, mein Kind, meinen Haushalt. Von Spielen konnte da wohl keine Rede sein. Ich bin Olden wohl zuerst einfältig vorgekommen, so wie Olden mir zuerst ausgesprochen albern in einem schwarzen Schoßmantel von 1840, einem schwarzen Kalabreser, groß, schlank, sein Gesicht entstellt von den Schmissen der Mensuren seiner Corpsstudentenzeit. In unserem Zimmer legte er diese Verkleidung eines Wiener Dandys ab, steckte sein Monokel in die Tasche, zog eine graue Jacke an und setzte eine Brille auf. Er hielt die Hand an die Hüfte, sagte: »Ich habe wieder solchen Ischias, bestellen Sie uns einen Kaffee.« Und begab sich an unsre Manuskripte. Er strich, stellte zusammen, hob einen Gedanken aus der Wirrnis des dunkel Gefühlten in die Klarheit einer lichtvollen Prosa, und so wurde aus unsern Artikeln erst ein guter Kiaulehn, ein guter Tergit. Um drei Uhr, wenn die Schnellpresse das Wort hatte, verkleidete sich Olden wieder. Die freundliche Brille des selbstlosen Redakteurs verschwand, der tolle Mantel wurde angezogen, das extravagante Monokel eingeklemmt, und so gepanzert, konnte er sich der Welt stellen oder den Mädchen, aus denen Olden sich viel machte. Es war alles schrecklich kompliziert. Ich mußte am Telefon sagen, ich wüßte nicht, ob er da ist, ihn leise fragen: »Sind Sie da?« Einmal sagte ich: »Ihre Frau.« »Welche, die Erste, die Richtige?« fragte er. Sie war die Tochter des Wiener Historikers Fournier und der Tochter des Wiener Burgtheaterschauspielers Gabillon, eigentlich Gabrilowitsch aus Pommern. Felix Hollaender, Reinhardts rechte Hand, hat einen Roman Unser Haus geschrieben, mit dem Türschild »Unpraktischer Arzt und Geburtshelfer«, höchst amüsant. In diesem Haus in der Oranienburgerstraße wohnten Oppenheims mit einem bildschönen Sohn, dem Schriftsteller Hans Olden, der mehrfach heiratete. Zur Geburt eines Sohnes kam Pauline Metternich, Witwe des richtigen Metternich, eine witzige Frau, die, als man ihr ein Baby zeigte, sagte: »Ein Bub, wenn ich mich recht entsinne.« Eine der Frauen von Hans Olden war die Schwester der Fürstin Liechtenstein. Ihre Kinder waren unser Rudolf Olden, der kommunistische Schriftsteller Balder Olden und Ilse, die Frau des österreichischen Grafen Carlo von Seilern. Auch Rudolf heiratete dreimal, jedesmal eine Zwanzigjährige. Nach der Fournier die Tochter eines österreichischen Generals, die im Gegensatz zu dem entsprechenden preußischen Frauentum einmal in einem aus Dutzenden verschiedener Pelzstückchen zusammengesetzten Mantel in die Redaktion kam und später eine der großen Modeschöpferinnen Frankreichs wurde.

Zuletzt, kurz vor der Machtergreifung Hitlers wieder eine bildschöne Zwanzigjährige aus einer ähnlichen Mischung wie er selber. Ihr Vater, Georg Halpern aus Pinsk, Vetter von Martin Buber heiratete die Tochter eines anglikanischen, also englischen Bischofs, war Handelsredakteur der Frankfurter Zeitung, dann Direktor eines Hamburger Versicherungskonzerns und schließlich Gründer des Versicherungswesens von Israel. Auch wie Oldens Vater hatte Halpern drei Kinder. Das Töchterchen einer geschiedenen Tochter ertrank im Meer. Der Sohn wurde in der Battle of Britain, der Luftschlacht um England, abgeschossen. Rudolf, der glühende Antinazi, wurde im Sommer 1940 in der allgemeinen Fremdeninternierung mitinterniert. Er hatte seit 1933 in Oxford Vorlesungen gehalten und es so geliebt, daß er seine Briefe an mich immer endete mit: »Ceterum censeo, Gott erhalte dieses wahrhaft humanistische England!« Und nun interniert! Er war so enttäuscht, daß er nach New York weggehen wollte, wo ein Lektorenposten für ihn bereit war. Er erwartete den sofortigen Friedensschluß mit Hitler. »Ausgeschlossen«, sagte ich. Ich erzählte ihm, daß im Augenblick der höchsten Gefahr zwei Tage lang im Parlament über die falsche Internierung der Antinazis debattiert wurde, daß H.G. Wells in Anlehnung an den berühmten Zola-Artikel gegen den Dreyfus-Prozeß ein neues »J’accuse« veröffentlichte, ich erzählte ihm, wie in Bordeaux das letzte Schiff von Bordeaux nach England alle Wartenden aufgenommen hatte, ohne jede Kontrolle, da konnten ja Dutzende von deutschen Spionen darunter sein. Ich würde ihm alles bringen. Er verlangte danach wie nach einem Rettungsseil. Er lag im Bett, es hatte sich herausgestellt, daß er Leukämie hatte. Ich begriff nicht, daß sie ihr winziges Töchterchen vor den Londoner Bomben mit einem Kindertransport zu einer Professorenfamilie in Kanada geschickt hatten. Bei diesem letzten Besuch erzählte er mir eine Geschichte mit Brüning.

Brüning hatte als Emigrant Rudolf Olden in Oxford besucht. Olden hatte Gilbert Murray, den Kenner des antiken Griechenlands, dem das Häuschen, in dem Oldens wohnten, gehörte, und Wickham Steed, den Chefredakteur der Times dazu eingeladen. Nach kurzer Unterhaltung rief Brüning begeistert: »Aber da haben wir uns ja mit unseren Maschinengewehren gegenübergelegen!« Die Engländer sahen sich an und begannen das Tick-Tack und die Bewegung eines Maschinengewehrs nachzuahmen. Olden war fassungslos, denn er erkannte sofort, daß sich die beiden Engländer über Brüning lustig machten, was Brüning nicht merkte. Im Gegenteil, er ging begeistert auf das Spiel ein und schoß mit einem erträumten Maschinengewehr auf seine Gegenüber. Jahrzehnte später schrieb Professor Deuerlein in München: »Brünings Tätigkeit als Führer einer Maschinengewehrscharfschützenkompagnie hatte für ihn zeitlebens autosuggestive Faszination.« Deutscher Reichskanzler in entscheidender Zeit!


Bild 4: Olden 1914 als Soldat


Bild 5: Das letzte Bild von Rudolf Olden


Bild 6: Stolperstein für Rudolf Olden in der Genthiner Str. 8, Berlin

Aber die Begeisterung für Maschinengewehrscharfschützenkompagnie war noch nicht alles. Als er sofort nach der englischen Kriegserklärung, die dem Einmarsch in Polen gefolgt war, England mit dem ersten Schiff verließ, erwiderte er den Reportern, er könne doch nicht in einem Land leben, das mit seinem Vaterland im Krieg sei. Das erhebt große moralische Fragen. Chamberlain hatte Hitler geglaubt, als er in München versprach, dies sei seine letzte endgültige Besetzung gewesen. Dumm oder nicht dumm, falsch oder nicht falsch, hielt Brüning es für möglich, daß Menschen, Völker, Staaten mit Lügen als Verkehrsform leben können? Und er war noch nicht einmal konsequent. Er ging nach USA und blieb.

Die Oldens wurden in der »City of Benares« torpediert. Die junge Ika, Anfang Zwanzig, hätte sich retten können. Aber obwohl die Ehe schon nicht mehr sehr gut war, ein Altersunterschied von über dreißig Jahren, wollte sie ihn im Tod nicht verlassen, sehr heldenhaft, sehr imponierend. Ihr Vater Halpern war in Jerusalem, ein Hiob, Kinder und Enkel tot. Da beschlossen seine Freunde zu seinem achtzigsten Geburtstag das nun zwanzig Jahre alte Töchterchen von Rudolf und Ika, das bei der christlichen Professorenfamilie in Kanada aufgewachsen war, zu dem Großvater als Geburtstagsgeschenk zu holen. Sie kam, verliebte sich in einen Israeli, heiratete und blieb in Jerusalem. Durch eine Kette von Zufällen traf ich sie in London. Sie besuchte mich. Im Gegensatz zu den vier Generationen atemberaubender Schönheiten, auch ihre Mutter gehörte dazu, war sie durchschnittlich, aber ungemein sympathisch. Sie konnte kein Deutsch, hatte also kein Wort von ihrem Vater gelesen. Überall haben Enkel Bibliotheken, Bücher, gesammelt oder geschrieben, von ihren Vorfahren, zu denen sie keinen Zugang haben. Ich erzählte ihr von Rudolf Olden. Er gehörte zu den Männern, die sich in jede Frau verlieben und jede gern, wenn es sich ergibt, besitzen, aber dieser sehr schöne Mann, der nur von den Schmissen der Mensuren seiner Corpsstudentenzeit, dem Abzeichen der Oberklasse, entstellt war, war kein Pfau, kein Gockel, sondern immer ein bißchen verlegen über das, was sich ihm da bot, entzückt von Frauenschönheit, dankbar und verwirrt über das Durcheinander, das er ungewollt verursachte.

Sie sagte mir, niemand habe ihr ihren Vater so klargemacht wie ich. Das war ein Glücksmoment, ein kleiner Orden. Ich besuchte sie in London, bevor sie nach Jerusalem zurückkehrte. Zurückgefunden, dachte ich, in eine tausendjährige Tradition des Familienglücks, »Du sollst nicht ehebrechen«. Da ging die Tür auf und hereintrat ein blonder Aristokrat, der sechzehnjährige Sohn der beiden Israelis. Was hatte herausgemendelt? Der Schriftsteller Oppenheim/Olden? Die Schwester der Fürstin Liechtenstein? Ein Minnesänger vor Jahrhunderten, der die Ritterfräulein anschwärmte und die einfachen Mädchen ein bißchen auf der Landstraße vergewaltigte? Und dann endlich Rudolf Oldens Schwester Ilse. Sie hatte mir 1940 nach seinem Tod aus Südamerika geschrieben, ob ich nicht seine Biographie schreiben wolle, sie habe alles Material. 1940? Wo ich die Erfahrung mit den Effingers-Manuskripten gemacht hatte, die ich vor den Londoner Bomben retten wollte und die nie in New York angekommen waren. Ich antwortete. Auch dieser Brief erreichte sie nie. Keiner von uns war da, wo er hingehörte. Dreißig Jahre später besuchte ich sie in Basel, Heinz hatte immer gesagt, 2 cm breiter oder höher machen den ganzen Unterschied bei einem Bau. Für Bauherren, die an diesen zwei Zentimetern sparen wollen, kann man nicht bauen. Als ich vor diesem gläsernen Mietshaus stand, wünschte ich, ich könnte es mit Heinz bewundern. Im riesigen gläsernen Treppenhaus der Fahrstuhl, blau und Nickel und oben ein Empfangszimmer nicht von 1750 wie in London, sondern von heute, und daneben das Schlafzimmer mit einem Bett der Pompadour. Ich war über achtzig, sie neunzig, eine große elegante Frau in einem hellblauen Kleid mit dem berühmt schönen Gesicht. Sie wußte von mir. »Rudi« hatte geschrieben und es wurde gedruckt: »Etwas Seltenes ist die Tergit überhaupt …« Sie hatte alle Artikel von ihm gesammelt und in rotes Leder binden lassen und nach Marbach in den Bücherfriedhof, auch Bibliothek genannt, gegeben. »Ach wenn wir doch alles so bekämen«, hatte der Bibliothekar bewundernd gesagt. Wir waren dieselbe Generation. Alles war uns gemeinsam. 1914/15 Schickeles Hans im Schnakenloch. In ganz Deutschland waren alle Theater ausverkauft.

»Seine Frau war netter und klüger als er.«

»Sicher. Was für eine zufällige Sache ist der Ruhm. Dieser überschätzte Sternheim. Ich hatte ihn gebunden und dann noch jede Kurzgeschichte einzeln.«

»Er war damals eine Offenbarung, ein neuer Ton. Der Polizist, der von einer Liebesnacht so entzückt ist, daß er sich ans Klavier setzt und ›Heil dir im Siegeskranz‹ spielt«.

»Busekow«, sagte ich, »ich glaube, es war an Heinrich Manns 60. Geburtstag, daß Tilly Wedekind mir begeistert erzählte, daß Sternheim ihr Schwiegersohn geworden war.«

»Sie wissen natürlich den Ausbruch?«

»Natürlich«, lachte ich, »wie er plötzlich laut gerufen hat: ›Sieht er nicht aus wie ein Adler? Er ist ein Adler!‹«

»Das alles auf Seeckt, der am Nebentisch saß«, sagte sie. Seeckt war der Chef der Reichswehr.

»Wurde er nicht gleich in ein Sanatorium gebracht?«

»Irre.«

»Eigentlich traurig, aber wir haben doch alle gelacht.«

»Seeckt als Adler.«

»Und diese albernen Memoiren«, sagte ich.

»Mütterchen Olden!« sagte Ilse.

»Genau das habe ich gemeint«, sagte ich.

»Unsere Mutter ›Mütterchen Olden‹«, sagte Ilse richtig ärgerlich. »Das ist ganz selten, daß man sich so sofort versteht«, und meinte uns beide.

Und dann sprachen wir von Tilly Wedekind. Ich sagte: »Sie war mittelgroß mit glatten schwarzen Haaren, ein süßes Gesicht. Sie war ganz unbewußt, ganz einfach, als sie mir von ihrem Schwiegersohn Sternheim vorschwärmte. Aber ich konnte kein Wort sprechen. Ich sah das Wunder. Ich sah sie mit Wedekinds Augen, Lulu, die Naturgewalt, die die Männer zu Schöpfern macht. Daß Wedekind das Wunder an dieser Frau sah und sie zur Weltfigur machte, zum Symbol der ewigen Erneuerung, das allein macht ihn zum Genie. Zart möchte ich sagen, das war das Wesentliche an ihr, das Gegenteil der Hollywood-Sex-Bombe oder der klassischen Schönheiten unserer Väter vor dem ersten Weltkrieg, keine Aphrodite, bescheiden und ein bißchen dümmlich, meinen Sie nicht?«

»Ach, ich muß Ihnen noch etwas erzählen. Kurz nach dem Krieg gab Pamela Wedekind auf einer winzigen Londoner Bühne einen Abend. Es war natürlich ein ältliches Publikum der früheren deutschen Theaterwelt. In der Pause kam der Regisseur einer berühmten Aufführung des Strindbergschen Traumspiels bei Bernauer auf uns zu.«

»Traumspiel?« sagte Ilse.

»Ich weiß nur noch, daß darin einer etwas Grünes wiederzufinden sucht, aber was er findet, ist nicht das Grün. Seitdem sagten Heinz und ich bei jeder Enttäuschung: ›Es ist wieder mal nicht das Grün.‹ Er kam aufgeregt auf Heinz zu: ›Das ist ja Wedekind selber. Sie kann ja ihren Vater nicht mehr selber gehört haben, also vererbt, jeder Ausdruck, jede Gebärde genau wie Frank Wedekind, gespenstisch und wunderbar zugleich, das noch einmal zu erleben.‹ Für uns war es neu, aber in dieser im wesentlichen Alten Herrengesellschaft, aufgeregt von einem Jahrzehnte zurückliegenden Kunsterlebnis. ›Reifenberg‹, sagte der Regisseur, ›passen Sie auf die Hand auf, genau so hat Frank die Hand gehalten.‹«

»Ich begleite Sie nach unten«, sagte Ilse, als ich mir meinen Mantel vom Pompadourbett nahm.

»Ich kann doch allein im Fahrstuhl runterfahren«.

Aber sie kam mit. Wir wußten, es war das erste und letzte Mal. Sie stand am Fahrstuhl. Ich ging zum Taxi. Wäre es in London oder Paris gewesen, hätten wir uns einen Kuss gegeben, aber deutsche Länder haben kein Klima der Zärtlichkeit. Kein Kuss für Haushilfen oder von Lieferanten.

In den siebziger Jahren nahm ich mir Oldens PEN-Korrespondenz vor, bevor ich sie in ein Archiv gab. 1934 wurde nach dem Anschluss des deutschen Nazi-PEN ein PEN-Zentrum deutschprachiger Autoren im Ausland gegründet. Heinrich Mann wurde Präsident, Olden Sekretär. Ein allererster kleiner Verdacht, daß er die Dinge nicht richtig sah, kam mir, als ich ihm schrieb, als altes Mitglied würde ich gern wieder eintreten, und er antwortete: »Wozu denn? Der PEN ist doch nur dazu da, Geld auszugeben, nicht um was zu verdienen.« Als Hitler 1938 begann, Europa zu besetzen, kamen die Hilferufe der gefährdeten Schriftsteller, Olden, ein Einzelner ohne Büro, ohne Sekretärin, ohne jeden Betrieb der Wohltätigkeit, widmete den Kollegen, weit über seine Kräfte, Geld und Zeit. Er beantwortete Hunderte von Briefen, keiner war zu dumm, kein Kollege zu unsympathisch. Zwei große Engländerinnen, Mrs. Chance und Miss Storm-Jameson verhandelten mit den Behörden und den Garantoren, und der Sekretär des Internationalen PEN, der schon der Sekretär des Gründungspräsidenten John Galsworthy gewesen war, zuerst zögernd, weil er nicht recht wußte, in welche Todesstrudel sein freundlicher Dichterklub da gerissen wurde, rettete Hunderte, organisierte den Exodus. Aber nur den Exodus der Antinazischriftsteller. Noch kam keiner auf die Idee, daß ein ganzes Volk vernichtet werden sollte, die Erwachsenen in Gaskammern, die Kinder in riesigen Feuern lebendig verbrannt.

Und die Briefe handelten nicht nur von Rettung. War es ergreifend oder ahnungslos, daß Heinrich Mann und Olden es wirklich für wichtig hielten, ob Klaus Mann oder Feuchtwanger auf den PEN-Kongressen 1935 in Barcelona, 1936 in Buenos Aires, 1937 in Paris eine Rede hielten, um über Hitler aufzuklären?

»Wer wird für unsere Gruppe sprechen?« wird in vielen Briefen diskutiert. Glaubten sie wirklich, von einem Schriftstellerkongreß aus die Welt alarmieren zu können? Vielleicht war es auch früher anders. Vielleicht genügte es früher wirklich, die winzige mächtige Oberschicht, zu der auch große Gelehrte und große Künstler gehörten, zu warnen? Heute bedarf es eines Fernsehens für Millionen, um beileibe nicht das Gleiche, aber wenigstens annähernd das Gleiche zu erreichen. Auch ein paar andre Briefe sind erschütternd. Am groteskesten erscheint, was Hermon Ould im August 1939 mitteilt, Hermon Ould, ein Lyriker, aber eben doch ein Engländer, Erbe eines mit der Welt vertrauten Empires, schreibt an Olden: »Emil Ludwig fand, daß im Kriegsfall die PEN Zentren zusammengerufen werden sollten, um sofort etwas zu tun. Diese Idee erschien mir nicht nur unpraktisch, sondern offenbarte einen rührenden Glauben an die Macht von uns Schriftstellern, mit einer wirklichen politischen Krise fertigzuwerden. An solche Kleinigkeiten wie Visas und Transport, wenn ein Krieg ausbricht, scheint er nicht gedacht zu haben.«

Ludwig war damals ein Millionenbestseller mit Biographien geschichtlicher Figuren.

Heinz lebte nicht mehr. Ich saß vor Oldens Briefen und konnte nicht zu Heinz ins Zimmer gehen und ihm von meinen Entdeckungen berichten, der einzige Mensch, der das alles bis in die kleinsten Fältchen verstanden hätte. Die letzten zehn Jahre unseres Lebens hatte er jeden Morgen beim Frühstück halb ironisch, halb »frozzelnd«, hätte meine Münchener Mama gesagt, und halb liebevoll gefragt: »Na, was ist heute wieder wahnsinnig interessant in der Zeitung?« Das hätte er auch gesagt, wenn ich mit diesen Briefen zu ihm gekommen wäre.

Etwas Seltenes überhaupt

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