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Wir beginnen
ОглавлениеWie in jedem Jahr verlassen wir den Zug in Lichtenfels und laufen zum Seubelsdorfer Kreuz, dem Treffpunkt aller Vereine. Hier stellen wir uns zur Wallfahrt auf.
Abb. 6 Wir stellen uns auf, am 1. Sonntag im Mai, viertel neun
Insgesamt nehmen etwa 200 Vereine mit je eigener Fahne teil; die Zahl der Personen beläuft sich auf etwa 3 000 bis 4 000. Das Wetter ist sehr schön, ein wunderbarer Maientag, sonnig, doch nicht zu warm. Begleitet werden wir von einigen Musikkapellen, vorwiegend Blechbläsern. Neben uns Kriegsveteranen aus dem Ersten und Zweiten Krieg sieht man auch junge Soldaten und Reservisten der Bundeswehr. Sie sind noch nie heimgekehrt wie wir, wissen also auch nicht, was Krieg ist. Der große Zug setzt sich in Bewegung. Die Musik setzt ein, wir singen ein Lied:
Freundlich grüßt ins Maintal nieder vom Berg dies herrlich Gotteshaus. Manchem wird hier Tröstung wieder, der Hilfe sucht vom Himmel aus. Ihr Vierzehn Heiligen, groß bei Gott, o helfet uns in Not und Tod! Ihr Vierzehn Heiligen, groß bei Gott, o helfet uns in Not und Tod!
Jesus stand in eurer Mitte als lieblich Kind an diesem Ort. Seitdem schallt der Pilger Bitte aus wunden Herzen immerfort: Ihr Vierzehn Heiligen, groß bei Gott, o helfet uns in Not und Tod! Ihr Vierzehn Heiligen, groß bei Gott, o helfet uns in Not und Tod!
Euren Glaubensmut verkünden die Siegespalmen in der Hand. Guter Kampf lässt uns auch finden die Himmelskron als ew'ges Pfand. Ihr Vierzehn Heiligen, groß bei Gott, o helfet uns in Not und Tod! Ihr Vierzehn Heiligen, groß bei Gott, o helfet uns in Not und Tod!
Ihr besonders seid verehret, Georgius, Sankt Blasius! – Alles Übel von uns wehret, o hört die Bitte, unsern Gruß. Ihr Vierzehn Heiligen, groß bei Gott, o helfet uns in Not und Tod! Ihr Vierzehn Heiligen, groß bei Gott, o helfet uns in Not und Tod!
Martertod die meisten zieret, nur Sankt Aegid geht Büßerbahn. Weltverachtung demnach führet zum Himmel glücklich uns hinan. Ihr Vierzehn Heiligen, groß bei Gott, o helfet uns in Not und Tod! Ihr Vierzehn Heiligen, groß bei Gott, o helfet uns in Not und Tod!
Schön zum Vorbild für die Jugend, inmitten der Nothelfer Schar, strahlt des Knaben Vitus Tugend im Kampf für Gott, so hell und klar. Ihr Vierzehn Heiligen, groß bei Gott, o helfet uns in Not und Tod! Ihr Vierzehn Heiligen, groß bei Gott, o helfet uns in Not und Tod!
Zarte Jungfraun auch nicht fehlen im tapfern Streit für Christi Lehr; Jesum sie sich auserwählen, ihr Name glänzt so licht und hehr. Ihr Vierzehn Heiligen, groß bei Gott, o helfet uns in Not und Tod! Ihr Vierzehn Heiligen, groß bei Gott, o helfet uns in Not und Tod!
Dich auch wollen wir noch grüßen, der Christen treue Helferin. Mög' durch dich uns Gnad' zufließen, Maria, Himmelskönigin. Ihr Vierzehn Heiligen, groß bei Gott, o helfet uns in Not und Tod! Ihr Vierzehn Heiligen, groß bei Gott, o helfet uns in Not und Tod!
So beginnen wir. Und Singen und Beten - sie haben eine beruhigende Wirkung auf mich, ja ich fühle mich nicht selten glücklich bei diesem Hersagen und Hersingen, glücklich aufgehoben im gleichmäßig-rhythmischen Fluss, versunken und geborgen im Umfassenden, Umgreifenden. Ein Gefühl der Dankbarkeit und des Dazugehörens umfängt mich. Ich bin ganz Empfindung, erregt und entspannt zugleich. Auch die erwachende und blühende Natur des Obermaintals gehört zur Kriegerwallfahrt nach Vierzehnheiligen. Dieses Gehen in der wieder zum Leben erwachenden Natur stimmt mein Herz ein auf den heiligen Ort, die Kirche. Mein Herz ist froh, hoffnungsfroh gestimmt. Doch dieses Frohsein kann mich nicht abhalten, an das Geschehen, an die Schrecken des Krieges zu denken. Unser Gott ist wohl ein Gott der Zuversicht, ein Gott, der Zuversicht gibt. Er gab uns diese Zuversicht ja auch, als wir in den Krieg zogen, sogar noch, als wir in die Erste Linie des Grabensystems vorrückten. Gott mit uns, Gott ist mit uns: Das lasen wir oft, lasen wir uns oft laut vor, das stand auf vielen Koppelschlössern, und es stand noch auf dem Koppelschloss meines Sohnes im Zweiten Krieg. Im Krieg, den ich geführt, wurde der Feldgottesdienst mit Militärpriestern regelmäßig abgehalten. Und auch im Krieg meines Sohnes gab es, wie er mir berichtete, noch den Divisionspfarrer, obgleich er den Scharfmachern aus der Partei ein Dorn im Auge war. Aber mir scheint, dass auch die Wehrmacht, der mein Sohn ab '42 angehörte, traditionell ausgerichtet und damit prinzipiell kirchenfreundlich war. Die Pfarrer, die ich im Ersten Krieg gehört habe, sagten zu uns, dass dieser Krieg gerecht sei, dass er im Namen Gottes geführt werde, dass er heilig sei. "Vorwärts mit Gott, der mit uns sein wird, wie er mit den Vätern war" - das proklamierte unser Kaiser in seinem Aufruf an das deutsche Volk vom 6. August 1914. Das Weihnachtsfest - welche Zuversicht! - wollten wir entweder in Paris oder zuhause feiern. Als daraus nichts wurde, gab es Weihnachtskarten, auf denen zu lesen war: "Mit Gott für Kaiser und Reich". Und doch dämmerte mir schon damals, dass es nicht so einfach ist mit diesem "Gott mit uns". Denn unser Gott war ja auch der Gott des Feindes. Auch der Feind hatte diese Zuversicht des Gott mit uns". Und warum sollten wir mehr Gottesbeistand haben als der Feind? Weil wir tiefer glaubten, inbrünstiger fühlten? Was hat uns der Franzos' getan, dass so viel müssen's Leben lan, ist's wahr, dass sie verraten han Herrn Jesum Christum? So müssen's mit dem Leben geben. Nein, sie haben ihn nicht verraten, das haben andere getan. Darauf komme ich noch zurück. Es ist nicht leicht, darauf nicht zurückzukommen. Wir werden ja gleichsam gezwungen, immer wieder darauf zurückzukommen. Gezwungen von wem?
Meine Gedanken schweifen ab, schweifen selbst auf dieser Wallfahrt ab. Aber was kann ich dafür? Sind wir doch nicht die Herren unserer Gedanken und Gefühle. Sie kommen und gehen, wie und wann sie wollen.
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