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»Die Nächstenliebe beginnt bei sich selbst« Johann Nestroy, der Vater des österreichischen Humors
ОглавлениеWenn es so etwas wie einen Vater des österreichischen Humors gibt, dann ist es Johann Nestroy. Es mutet wie ein schlechter Witz der Geschichte an, dass gerade in den Tagen, als der bedeutendste österreichische Volksdichter seine zeitkritischen Werke verfasste, die Zensur besonders streng war. Nestroys bekannteste Possen und Lustspiele entstanden im Vormärz, in dem Staatskanzler Metternich ein ganzes Heer von Schnüfflern anstellte, die unbarmherzig jede Zeile strichen, die nicht ins Konzept passte. Nestroy musste sogar, weil er mit der Zensur in Konflikt geriet, mehrmals in den Arrest. Als er sich einmal auf der Bühne über die ewig zu klein geratenen Wiener Semmeln lustig machte, wurde er von der Bäckerinnung verklagt und vom Gericht zu einer 48-Stunden-Haft verurteilt. Bei seinem ersten – von den Wienern umjubelten – Auftritt nach verbüßter Strafe ließ er sich auf offener Bühne von einem Schauspielerkollegen befragen, wie die Verpflegung im Kerker gewesen sei. Nestroys Antwort lautete:
Das Hungern, Freunderl,
Braucht im Arrest net zu sein,
Man warf mir die Semmeln
Durchs Schlüsselloch rein!
Nestroy war am 7. Dezember 1801 als Sohn eines Notars in Wien zur Welt gekommen, brach das vom Vater verordnete Jusstudium ab, wurde Opernsänger, wandte sich dann aber dem Schauspiel zu. Da er keine geeigneten Stücke fand, begann er sich die Rollen auf den Leib zu schreiben.
Mit der Obrigkeit geriet Nestroy schon mit seinem ersten großen Erfolg, dem 1833 im Theater an der Wien uraufgeführten Zauberspiel Lumpazivagabundus, in Konflikt. Er selbst spielte den Schuster Knieriem, der Theaterdirektor Karl Carl den Tischler Leim und der Komiker Wenzel Scholz den Schneider Zwirn. Scholz baute in die Szene, in der das »liederliche Kleeblatt« auf Wanderschaft geht, einen kleinen Floh ein und sagte, als er das lästige braune Tier in seiner Hosentasche zu finden schien, zum Publikum gewandt: »Es is a Kapuziner!«
Da Verunglimpfungen staatlicher oder kirchlicher Stellen mit harten Strafen geahndet wurden, ging Wenzel Scholz wegen der Anspielung auf die braunen Kutten des Kapuzinerordens für acht Tage ins Gefängnis.
Wieder in Freiheit, strömten die Wiener ins Theater – schon, weil sie begierig waren, zu erfahren, wie sich der populäre Komödiant für die einwöchige Freiheitsberaubung revanchieren würde. Die Szene kam, das Spiel wiederholte sich, Wenzel Scholz suchte den Floh, fand ihn und sagte in den Zuschauerraum hinein: »Es is der nämliche!«
Jeder wusste, was gemeint war, aber die Behörde konnte nicht einschreiten.
Das berühmte Couplet Die Welt steht auf kan Fall mehr lang aus Lumpazivagabundus beruht auf der Tatsache, dass in dieser Zeit wirklich alle Welt glaubte, »der Komet« würde kommen und die Erde vernichten. Ein k. k. Hauptmann namens Wilhelm von Biela hatte einen Kometen entdeckt, der seit 1826 in der Monarchie für große Aufregung sorgte, weil er angeblich demnächst alles zerstören würde. Zur Musik von Adolph Müller sang Nestroy als trunksüchtiger Hobbyastronom Knieriem das Kometenlied – und damit das wohl populärste seiner Couplets.
Es is kein Ordnung mehr jetzt in die Stern,
D’ Kometen müssten sonst verboten wern;
Ein Komet reist ohne Unterlass
Um am Firmament und hat kein Pass;
Und jetzt richt a so a Vagabund
Uns die Welt bei Butz und Stingel z’grund;
Aber lass ma das, wie’s oben steht,
Auch unten sieht man, dass ’s auf ’n Ruin losgeht.
Abends traut man ins zehnte G’wölb sich net hinein
Vor Glanz, denn sie richten s’ wie d’ Feentempel ein;
Der Zauberer Luxus schaut blendend hervua,
Die böse Fee Krida sperrt nacher ’s G’wölb zua.
Da wird einem halt angst und bang,
Die Welt steht auf kein Fall mehr lang.
Nestroy schuf mehr als fünfzig Stücke, auf Lumpazivagabundus folgten Zu ebener Erde und erster Stock, Der Talisman und Das Mädl aus der Vorstadt, in denen er zum ungekrönten Meister pointierter Sprachkunst wurde, wie zahllose, oft bis heute gültig gebliebene Weisheiten belegen.
Der Mensch ist gut, die Leut’ sind ein Gesindel.
Spionieren ist eine schöne Sache: Man verschafft sich die Genüsse des Diebes und bleibt dabei ein ehrlicher Mensch.
Geld macht nicht glücklich, sagt ein Philosoph, der Gott gedankt hätt, wenn ihm wer eins g’liehen hätt.
Ich habe nie eine Frau geküsst, ohne zu erröten. Das glaube ich ihrem Manne schuldig zu sein.
Eine gute Bühne ist nämlich die, wo in jeder Loge ein Millionär und auf jedem Fauteuil ein Kapitalist sitzt.
Es ist kaum zu glauben, was jeder Mensch glaubt, was er für ein Mensch ist!
Über Armut braucht man nicht zu erröten. Weit mehr Leute haben Ursache, über ihren Reichtum zu erröten.
Kunst ist, wenn man’s nicht kann, denn wenn man’s kann, ist’s keine Kunst.
Abonnenten sind nicht so leicht zu vertreiben. Es ist zum Staunen, was ein guter Abonnent alles vertragt.
Ich habe nur einen Grundsatz, und das ist der, gar keinen Grundsatz zu haben.
Als die Zensur nach der Revolution des Jahres 1848 eingeschränkt wurde, hatte Nestroy gleich zwei Pointen auf Lager:
Es war halt eine schöne Sach’, wenn einem nichts eing’fallen is und man hat zu die Leut sagen können: »Ach Gott, es is schrecklich, sie verbieten einem ja alles!«
Die Zensur ist die jüngere von zwei schändlichen Schwestern, die ältere heißt Inquisition.
Es gibt aber auch sonst kaum ein Thema seiner Zeit, dem Nestroy nicht einen Aphorismus gewidmet hätte:
Ich hab einen Sesselträger kennt, der hat die dicksten Herren tragen können wie nix, und seine hagere Gattin war ihm unerträglich.
Es ist oft schwer, die Vaterschaft zu beweisen, wenn nicht Muttermäler vorhanden sind.
Über ein altes Weib geht nix als ein Mann, der ein altes Weib is.
Ich fühle mich nie weniger einsam, als wenn ich allein bin.
In den ersten Lebensjahren eines Kindes bringen ihm die Eltern Gehen und Sprechen bei, in den späteren verlangen sie dann, dass es stillsitzt und den Mund hält.
Die Schwierigen sind die Einfachen.
Man möchte manchmal Kannibale sein, nicht um den oder jenen aufzufressen, sondern um ihn auszukotzen.
Ein seichter Mensch find’t bald was tief.
Wenn die reichen Leut’ nicht wieder reiche Leut’ einladeten, sondern arme Leut’, dann hätten alle genug zu essen.
Die Nächstenliebe beginnt bei sich selbst.
I sag nicht aso und nicht aso, damit man nicht sagen kann, ich hab aso oder aso gsagt.
Zuviel plauschen tun die Weiber erst wenn sie alt sind. Wenn sie jung sind, verschweigen sie einem zu viel.
Mit dem letzten Satz hat sich Nestroy wohl eine Lebenserfahrung von der Seele geschrieben. Der Dichter war verheiratet, doch die Ehe – von ihm später als »gegenseitige Lebensverbitterungsanstalt« bezeichnet – hielt nicht lange, da seine Frau Wilhelmine 1827 mit einem ungarischen Grafen durchging. Von da an lebte Nestroy bis zu seinem Tod in einer Lebensgemeinschaft mit der Schauspielerin Marie Weiler, der er selbst wieder alles andere als treu war.
Ein Mädchen sitzen zu lassen, ist auf alle Fälle billiger als Heiraten.
Ich glaube von jedem Menschen das Schlechteste, selbst von mir, und ich hab’ mich noch selten getäuscht.
Die Kluft zwischen Livree und Haute-Volée ist unermesslich.
Man muss die Welt nehmen wie ’s is’ und nicht, wie’s sein könnt.
Armut ist ohne Zweifel das Schrecklichste. Mir dürft’ einer zehn Millionen herlegen und sagen, ich soll arm sein dafür, i nehmet’s net.
Die Perücke ist eine falsche Behauptung.
Wenn alle Stricke reißen – häng ich mich auf.
Hausherren haben noch selten hoffnungslos geliebt.
Nein, wenn die Gäste wüssten, wie z’wider sie einem oft sind, ließ sich gar kein Mensch mehr einladen auf der Welt.
Ich hör schon das Gras wachsen, in welches ich beißen werd.
Lang leben will alles, aber alt werden will kein Mensch.
Nestroy ist nicht alt geworden, er starb am 25. Mai 1862 mit sechzig Jahren in Graz an den Folgen eines Schlaganfalls. Davor hatte er noch philosophiert:
Die Würmer können nicht reden, sonst verrateten sie’s vielleicht, wie grässlich langweilig dem Toten das Totsein vorkommt.