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AKTIV NOCH MIT 91 JAHREN

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Josef Wenzel Graf Radetzky geht (nicht) in Pension, 6. März 1857

Josef Wenzel Graf Radetzky * 2. 11. 1766 Schloss Trebnic bei Prag, † 5. 1. 1858 Mailand. Feldherr, Teilnehmer am letzten Türkenkrieg. Besiegt Napoleon bei Leipzig.

Das erste Mal sucht der Feldmarschall im Alter von 86 Jahren um die Versetzung in den dauernden Ruhestand an. Aber nicht, weil er sich gebrechlich oder außerstande sieht, seine Truppen anzuführen. Sondern aus Protest dagegen, dass man seinen Sohn Theodor als Oberst der k. k. Armee, ohne den Vater vorher verständigt zu haben, in Pension geschickt hat. Doch Kaiser Franz Joseph lehnt das Gesuch des alten Radetzky ab und fügt hinzu, »dass ich mit Zuversicht erwarte, Sie noch ferner Meinem Dienste zu erhalten.«

Franz Josephs Wunsch ist Josef Wenzel Graf Radetzky Befehl, und so bittet er den Grafen Grünne, den Generaladjutanten des Kaisers, die Angelegenheit »als Mann und Freund« vergessen zu wollen. Mit 87 Jahren wohnt Radetzky, im April 1854, der Vermählung des Kaisers mit Elisabeth bei, im Alter von 88 Jahren unternimmt er noch ausgedehnte Inspektionsfahrten nach Bologna und in die Herzogtümer.

Nach den anstrengenden Reisen scheint der Feldmarschall einen neuerlichen Grund für die bevorstehende Pensionierung anführen zu können, also schreibt er dem Monarchen, »dass es mit dem Reiten nicht mehr ginge«. Worauf der Kaiser das Pensionsansuchen des greisen Feldmarschalls einmal mehr zurückweist und ihm stattdessen als besonderes Zeichen der Wertschätzung gestattet, »sich des Wagens zu bedienen«.

Im Juli 1856 bittet der mittlerweile fast Neunzigjährige den Grafen Grünne, »Seiner Majestät die Unmöglichkeit anzuzeigen, noch ferner dienen zu können«. Zwar stimmt der Kaiser der Enthebung aus dem Militärdienst pro forma zu, beauftragt Radetzky jedoch gleichzeitig »Ihr Mir so teures, ruhmvolles Leben noch für eine Reihe von Jahren erhalten zu sehen«. Auch als Radetzky mit Handschreiben vom 28. Februar 1857 seiner Funktionen als Generalgouverneur des Königreichs Lombardo-Venetien sowie als General der Zweiten k. k. Armee entbunden wird, stellt der Kaiser fest, dass ein Radetzky als solcher überhaupt nicht »pensioniert« werden könne, und fügt hinzu: »… muss ich Sie dringend bitten, Ihren Kaiser auch in der Zukunft mit Ihrem weisen Rate zu unterstützen, den in bedeutungsschweren Ereignissen in Anspruch zu nehmen Ich Mir vorbehalte.«

Also wieder nichts mit der Rente, die Radetzky in Wahrheit auch gar nicht ernsthaft anstrebt. Im Gegenteil, er genießt es, vom Kaiser als unentbehrlich angesehen zu werden. Als er sich am 1. März 1857 von seinen Truppen verabschiedet, schließt der in seinem 91. Lebensjahr stehende Graf eine Rückkehr in den aktiven Dienst nicht aus, »wenn die Stimme unseres geliebten Monarchen mich etwa nochmals rufen sollte, um zu zeigen, dass der Degen noch immer fest in meiner Hand ruht.«

Und die Stimme des geliebten Monarchen ruft! Radetzky wird am 6. März 1857 in Verona in Anwesenheit des Kaisers verabschiedet, doch gleichzeitig weist Franz Joseph dem Noch-immer-nicht-Pensionisten fünf ranghohe Offiziere plus Leibarzt als persönlichen Stab zu und stellt Radetzky sieben kaiserliche Schlösser inklusive Hofburg und Augartenpalais »zu beliebigem Aufenthalt zur Verfügung«. Der alte Haudegen nimmt jetzt die Funktion des »Ersten Ratgebers des Obersten Kriegsherrn« ein, trägt somit weiterhin des Kaisers Rock und gilt »bis an sein Lebensende im Aktivdienst stehend«.

Radetzky, der seit 1854 verwitwet ist, verbringt seinen Lebensabend teils in der Villa Reale in Mailand, teils im kaiserlichen Palast in Monza, wo er noch voller Elan von früh bis spät seiner Arbeit nachgeht. Man darf in diesem Zusammenhang nicht an einen neunzigjährigen Mann des 21. Jahrhunderts denken, sondern daran, dass die Lebenserwartung zu Radetzkys Zeiten bei vierzig Jahren lag und Nestroy sich, als er 1861 sechzig wurde, als »Greis« bezeichnete (und tatsächlich ein Jahr später starb).

Das Erstaunliche an der geistigen und körperlichen Frische des aus einer verarmten Adelsfamilie stammenden Radetzky ist, dass er in seiner Jugend nicht in die Theresianische Militärakademie aufgenommen wurde, weil er laut ärztlichem Attest »zu schwach ist, um die Beschwerden des Militärdienstes auch nur einige Jahre ertragen zu können«. Da haben sich die Herren Militärärzte aber gründlich geirrt!

Es ist nicht verwunderlich, dass sich der Kaiser um die mehrmalige Verlängerung von Radetzkys Dienstzeit bemüht, hat er doch seit den Tagen des Prinzen Eugen als der bei Weitem bedeutendste österreichische Feldherr Geschichte geschrieben. In jüngeren Jahren mehrmals erfolgreich gegen Napoleon im Einsatz, hat er mit über achtzig Jahren noch Österreichs Truppen siegreich in die Schlachten bei Santa Lucia, Vicenza, Custozza und Novara geführt.

Radetzky erfreut sich auch nach 72 Dienstjahren, in denen er in siebzehn Feldzügen fünf Kaisern gedient hat, immer noch guter Gesundheit, bis er am 21. Mai 1857 die Gattin des Grafen Karl von Wallmoden empfängt und sie bei der Verabschiedung ganz selbstverständlich zur Tür geleitet. Auf dem Weg dorthin rutscht er auf dem glatten Marmorboden der Villa Reale aus und zieht sich einen Schenkelbruch zu. Von da an lässt sich Radetzky von seinem Kammerdiener Ferschl im Rollstuhl zu seinen immer noch zahlreichen Verpflichtungen führen.

Am 29. Dezember 1857, drei Tage nach seiner letzten Ausfahrt, wird Radetzky von hohem Fieber befallen, am Silvestertag empfängt er die Sterbesakramente, und am 5. Jänner 1858 stirbt er in Mailand. Als aktiver Offizier, in seinem 92. Lebensjahr stehend. Das Kommando der Zweiten Armee meldet nach Wien: »Seine Exzellenz der Herr Feldmarschall Graf Radetzky ist nach längerem Lungenleiden heute Vormittag um 8 Uhr verschieden.« Am selben Tag noch erlässt der Kaiser einen Armeebefehl: »Dem Willen des Allmächtigen hat es gefallen, Meinen treuesten Diener, den Feldmarschall Graf Radetzky, aus diesem Leben abzuberufen … Um dem tiefen Schmerz Meines mit Mir trauernden Heeres Ausdruck zu verleihen, befehle Ich, dass in jeder Militärstation für den Verblichenen ein Trauergottesdienst gehalten und von Meiner ganzen Armee und Flotte die Trauer vierzehn Tage hindurch angelegt werde. Alle Fahnen und Standarten haben auf diese Zeit den Flor zu tragen.«


Nie wirklich in Pension gegangen: Feldmarschall Josef Wenzel Graf Radetzky im Alter von neunzig Jahren

Nicht genug damit, möchte der Kaiser seinem Feldherrn die höchste Ehre erweisen. Nur eine Nichtangehörige des Kaiserhauses wurde in der Kapuzinergruft beigesetzt: die Gräfin Karoline Fuchs-Mollard, einst Erzieherin Maria Theresias und von dieser ganz außergewöhnlich geschätzt. Nun soll Radetzky als zweiter Nicht-Habsburger in der Kaisergruft bestattet werden. Der Monarch muss jedoch zu seinem großen Befremden erfahren, dass Radetzky seinen Leichnam bereits zu seinen Lebzeiten »verkauft« hat: Joseph Pargfrieder*, Armeelieferant für Schuhe und andere Gebrauchsartikel, kam jahrzehntelang für die Schulden der zeitlebens auf großem Fuß lebenden Feldmarschälle Josef Wenzel Radetzky und Maximilian von Wimpffen auf. Die beiden höchsten Militärs der k. k. Armee gingen im Gegenzug die Verpflichtung ein, ihre sterblichen Überreste auf dem »Heldenberg« im niederösterreichischen Kleinwetzdorf bei Stockerau an Pargfrieders Seite begraben zu lassen. Nun bleibt dem Kaiser nichts anderes übrig, als sich dem Willen eines Herrn Pargfrieder zu beugen. Und Radetzky findet seine letzte Ruhe statt an der Seite der österreichischen Monarchen an der Seite eines Offizierskameraden und eines Schuhhändlers. Im Volksmund kursiert fortan der Reim:

Hier liegen drei Helden in ewiger Ruh,

Zwei lieferten Schlachten, der dritte die Schuh.

* Joseph Gottfried Pargfrieder (1782–1863), als Armeelieferant reich geworden, errichtete den »Heldenberg«, auf dem er neben den Feldherren Radetzky und Wimpffen – die er jahrzehntelang finanziell unterstützt hatte – seine letzte Ruhe fand.

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