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Fischerhäfen werden zur Seemacht – die italienischen Seerepubliken
ОглавлениеDas Hauptinteresse der Kaufleute in Amalfi, Pisa, Genua und Venedig, den bedeutendsten Stadtrepubliken, die Seemacht im Hochmittelalter erlangten, galt dem Seehandel, der eine unermessliche Zahl an Handelsprodukten und eine Verbindung zu den in den reichen europäischen Häusern beliebten orientalischen Spezialitäten, wie kostbare Stoffe, Drogen, Spezereien und Arzneimittel, Gewürze, Duftstoffe, Juwelen, Feinkeramik und viele andere ermöglichte. Nicht nur über Byzanz und Alexandria, sondern nun auch über die palästinensischen Häfen der Kreuzfahrerstaaten wurde der Handel beträchtlich erweitert. Der rasante Aufstieg der italienischen Seehäfen, aber auch der inneritalienischen Städte, begann Anfang des 12. Jahrhunderts, lediglich die Zwistigkeiten der großen Hafenstädte untereinander hat diese stürmische Entwicklung immer wieder nachhaltig gebremst.
Über diese Häfen wurde auch die Versorgung der Kreuzfahrerstaaten abgewickelt und dies bedeutete ein gewaltiges Geschäft für die Handel treibenden italienischen und südfranzösischen Hafenstädte. Der gesamte militärische Nachschub aus Europa, wie Waffen und Baumaterial, wurde ebenso wie der mit Nahrungsmitteln und anderen für die Europäer gewohnten Waren kontinuierlich abgewickelt. Das erforderte einen regelmäßigen Schiffsverkehr mit festen Reisezeiten und sichere Reisewege, auf denen auch die Beförderung von Passagieren mit der Stabilisierung der Verhältnisse im Nahen Osten eine zunehmende Rolle spielte. Da die ständigen Kriege zu erheblichen Verlusten an Menschen und Material führten, war der Nachschub unerlässlich. So setzte auf den Schifffahrtswegen ein reger Strom von Passagieren ins Heilige Land ein – Pilger, Abenteurer, Auswanderer und Kriegsleute suchten ihr Glück, sesshaft Gewordene holten die Familien aus Europa nach.
Durch den ständig anwachsenden kontinuierlichen Handel entstanden gewaltige Flotten von Handelsschiffen, zu deren Schutz der Aufbau größerer Einheiten von Kriegsschiffen erforderlich wurde. Zunächst zum Kampf gegen Piraten aufgebaut, wurden diese Kriegsflotten zur gewaltsamen Ausdehnung der Handelsinteressen, im Kampf gegeneinander um die reichsten Märkte und nicht zuletzt zur Aufrechterhaltung der Seemacht in den verschiedenen Interessensgebieten immer mehr vergrößert. Sowohl die Handels- als auch die Kriegsflotten wurden zu einem wichtigen Machtfaktor im Verlauf der Kreuzzüge und trugen zur Bedeutung und zum wachsenden Reichtum der italienischen Seestädte entscheidend bei.
Da der Weg nach Indien durch die Mongolenexpansion versperrt war und das Monopol im Handel mit indischen Waren überwiegend in Ägypten, vor allem Alexandria, lag, erkannte die südeuropäische Kaufmannschaft bereits nach dem ersten Kreuzzug die zu erwartenden Vorteile, die ihnen durch die europäischen Eroberungen entstanden und kämpften untereinander hart um die Privilegien in dem aufblühenden Levantehandel. Es entstanden in den Kreuzfahrerstaaten in allen bedeutenden Städten sogenannte Quartiere (Fondacos): für Genua in Antiochia, Laodicea, Caesarea, Akkon, Jaffa, Jerusalem, Beirut; für Venedig in Sidon, Tyrus, Tripolis, Jerusalem; für Marseille in Akkon und anderen Städten. Die Quartiere stellten besonders günstig gelegene Areale dar, in denen die Kaufleute ihre Warenlager hatten und nach dem Recht ihrer Heimatstädte leben und Handel treiben konnten.56 Die großen Seerepubliken lieferten sich um die begehrten Märkte und die Seeherrschaft in den von ihnen favorisierten Einflusssphären erbitterte Kämpfe zur See, die einigen Macht, Geld und Einfluss, anderen den Absturz in die Bedeutungslosigkeit brachten. Betrachten wir die Entwicklung zur Seemacht in den führenden Stadtrepubliken Amalfi, Pisa, Genua und Venedig im Einzelnen, werden viele Gemeinsamkeiten, aber auch deutliche Unterschiede sichtbar.
Amalfi
Zunächst unter byzantinischer Herrschaft stehend, später aber zunehmend als Bündnispartner, löste sich die süditalienische Stadt Ende des 9. bis Anfang des 10. Jahrhunderts und gab sich eine republikanische Verfassung. Nachdem die Republik anfänglich von gewählten Rektoren regiert wurde, tat dies ab etwa 900 ein auf Lebenszeit tätiges Staatoberhaupt, das ab 957 als „Doge“ bezeichnet wurde, der allerdings bei ungerechter Amtsführung auch abgesetzt und dessen Vermögen konfisziert werden konnte.57
Wie in den anderen bedeutenden Seerepubliken war das Streben nach Niederlassungen und Stützpunkten an den wichtigsten Handelszentren rund um das Mittelmeer ein wichtiges Ziel der amalfitanischen Kaufleute, sie waren die ersten, die solche Politik in großem Stil betrieben. Diese Ansiedlungen hatten bei allen ähnliche Strukturen: Es waren eigene Stadtviertel mit eigener Kirche, Geschäften, Magazinen, Herbergen, Badehäusern und Spitälern, die einen extraterritorialen Status hatten und in denen die Rechtssprechung der Heimatstadt galt. In Übersee sollen teilweise mehr Amalfitaner gelebt haben als in der Heimatstadt:
„Das wahre Amalfi findet man nicht in Amalfi. Die aktivsten Elemente seiner Bevölkerung, und vielleicht auch die Mehrheit, haben sich in fernen Ländern niedergelassen…“58
Die Kontakte zu Byzanz blieben auch nach der politischen Abkehr sehr eng, da die Privilegien – freier Zugang zu allen Häfen der Romania und die Verbindungen zum Orienthandel – erhalten blieben, für Byzanz war Amalfi weiterhin das Tor zum westlichen Mittelmeer. Darüber hinaus bestanden, auch in Krisenzeiten und von der Kurie eher mit Misstrauen bedacht und häufig gerügt, enge Handelsbeziehungen zu den von den Arabern beherrschten Ländern.59 So waren Kaufleute aus Amalfi bereits 996 in Kairo bezeugt. Das ging bis zur Lieferung kriegswichtigen Materials an die Fatimiden: Bauholz, Eisenerz und Pech, besonders wichtig für die Erhaltung der fatimidischen Flotte, aber auch Sklaven im Austausch gegen Gold und Gewürze. Außer den strategischen Rohstoffen lieferte Amalfi Öl, Wein und Getreide aus Europa, daneben Fassdauben, Holzschuhe und Hanf. Die importierten Luxuswaren nahmen dagegen die wohlhabenden europäischen Kreise begierig auf: Samt, Seide, Teppiche, Edelsteine, Perlen und Elfenbein, Gewürze aller Art und Balsam und Weihrauch für die Liturgie.60 Im 10. und 11. Jahrhundert erreichte Amalfi den Höhepunkt seiner politischen und wirtschaftlichen Macht, die eindrucksvolle Bautätigkeit in der Stadt ist dafür der Beweis.
Der Anfang des Niedergangs fiel zusammen mit der Expansion der Normannen, die seit 1030 in Süditalien zunehmenden militärischen Druck ausübten. Als Robert Guiscard 1073 Amalfi eroberte, ließ er die Souveränität weitgehend unangetastet, um Nutzen von der starken Flotte und der Handelskraft zu ziehen, was wiederum die mit den Venezianern verbündeten Byzantiner auf den Plan rief. Im Gegenzug für Flottenhilfe gegen die Normannen erhielt Venedig von Byzanz umfangreiche Sonderrechte und Amalfi musste zahlreiche Niederlassungen auf byzantinischen Territorien und in der Levante den Venezianern überlassen.61 Auch die Kreuzzüge liefen an Amalfi weitgehend vorbei: Die Pilger und Kreuzfahrer bevorzugten für die Reise ins Heilige Land weitgehend die oberitalienischen Republiken Venedig und Genua. In Pisa erwuchs noch ein weiterer, zu diesem Zeitpunkt mächtiger Gegner, der neidvoll auf den noch immer vorhandenen wirtschaftlichen Einfluss blickte. Als Amalfi 1131 nunmehr endgültig in das normannische Machtgefüge eingegliedert wurde, war dies Anlass für zwei machtvolle pisanische Flottenangriffe 1135 und 1137, wobei der letzte mit 100 Schiffen und 30 000 Mann zur völligen Zerstörung der Stadt und ihres Umfelds führte, von denen sie sich nicht mehr erholen sollte.
Pisa
Seit dem 6. Jahrhundert v. Chr. war Pisa als Hafenstadt bekannt, Etrusker, Phönizier und Griechen frequentierten den Hafen und machten ihre Geschäfte. Für die Römer der wichtigste Hafen nach Ostia, war Pisa auch im 7. und 8. Jahrhundert eine wichtige Drehscheibe im Handel mit Frankreich, Sardinien, Korsika und Spanien und ab dem 9. Jahrhundert bedeutende Ausgangsposition für militärische Seehandlungen im westlichen Mittelmeer. Zwei große Schifffahrtsrouten nahmen in Pisa ihren Ausgangspunkt: die Inselroute führte über Korsika und Sardinien nach Nordafrika, die Küstenfahrt nach Süditalien und Sizilien ging entlang der Maremma, Latium und Kampanien.62 Anfang des 10. Jahrhunderts noch unter der Herrschaft der Markgrafen von Tuszien, löste sich Pisa, wahrscheinlich durch geschicktes Lavieren zwischen Kaiser und Papst, allmählich, wurde Republik und war um die Jahrtausendwende die stärkste wirtschaftliche und Handelsmacht der Region und des Tyrrhenischen Meers.63 Diese Vormachtstellung gewann Pisa durch einige erfolgreiche Flottenexpeditionen, die den Expansionsdrang der Sarazenen eindämmten:64
1005 Angriff auf Reggio Calabria und Messina, die pisanische Flotte siegte über die Araber.
1016 Nachdem 1015 eine Flotte der spanischen Mauren Sardinien eroberte, schmiedete Papst Benedikt VIII. ein Bündnis von Pisanern und Genuesen, die arabische Streitmacht wurde vor Sardinien vollkommen aufgerieben, Rückeroberung von Sardinien, das von da an unter Handelshoheit von Pisa steht. Genua ging verhältnismäßig leer aus, was später Anlass zu kriegerischen Auseinandersetzungen gab.
1034 Mit der Eroberung der nordafrikanischen Stadt Bono wurde ein Brückenkopf in Nordafrika geschaffen.
1063 Im August erfolgte gemeinsam mit den Normannen die Eroberung von Palermo. Eine Flotte aus Pisa sprengte die Sperrketten des Hafens und vernichtete einige Schiffe der Sarazenen.
1087 In einem gemeinsamen Flottenunternehmen von Pisa und Genua gegen al-Mahdijja und Zawila an der tunesischen Küste wurden die Städte geplündert und zerstört.
1092 Unterstützung der Expedition Alfons VI. von Kastilien gegen die Muslime. 1097 Teilnahme am ersten Kreuzzug (s. dort). Der Befehlshaber der Flotte, Bischof Daimbert, wurde 1099 zum ersten römisch-katholischen Patriarchen von Jerusalem gewählt.
Bei allen diesen Kampfhandlungen wurde reiche Beute gemacht, aber auch der Handelsverkehr ins östliche Mittelmeer ausgedehnt und an der Levanteküste sowie in Nordafrika pisanische Kolonien und Handelsstationen errichtet. So bestanden stabile Handelsbeziehungen zwischen dem islamischen Ägypten und Pisa, 1153 wurde vom ägyptischen Fatimiden-Wesir ein „Fondaco“ in Kairo in Aussicht gestellt, jene typische Niederlassung, die ein Charakteristikum des mittelalterlichen Mittelmeerhandels war. Der Fondaco war ein großer, oft burgähnlich verschanzter Gebäudekomplex, manchmal bis zu sieben Stockwerken hoch, der neben umfangreichen Lagerräumen Herbergen, Verkaufsräume, Verwaltungsgebäude, ja sogar Kirchen enthalten konnte.65
In den Machtkämpfen zwischen Kaiser und Papst war Pisa stets ein wichtiger Verbündeter des Kaisertums (Friedrich I. Barbarossa, Heinrich VI., Friedrich II., Manfred und Konrad), was häufig zu Unstimmigkeiten mit der Kurie führte. Das ging sogar so weit, dass der Papst 1241 wegen eines Vorfalls den Kirchenbann über die Stadt verhängte. Die Pisaner besiegten in der Seeschlacht bei Giglio, südlich von Elba, unter Admiral Ansald de Mari die genuesische Flotte, nahmen eine Gruppe Geistlicher fest, die auf dem Weg zu einem Konzil in Rom waren, und lieferten diese an Kaiser Friedrich II. aus. Den Ursprung hatte diese Kaisertreue wohl in erster Linie darin, dass die von Heinrich IV. 1081 verliehenen Rechte und Freiheiten große Bedeutung für den kometenhaften Aufstieg der Stadt hatten. Der Kaiser bestätigte darin das Seegewohnheitsrecht Pisas und sicherte den Bürgern ein Zustimmungsrecht bei der Wahl des toskanischen Markgrafen zu.66
Der Niedergang Pisas begann mit dem Ausbruch des Krieges mit Genua 1282, der wegen des Streits um die Besitzungen in Korsika und Sardinien ausbrach. Nach mehreren Niederlagen zur See Anfang des Jahres 1284 kam es im August des gleichen Jahres zur Seeschlacht vor der Insel Meloria vor der Arnomündung, in dem die Pisaner eine vernichtende Niederlage erlitten und 36 Galeeren verloren, 9000 Pisaner gingen in genuesische Gefangenschaft. Die Flotten Genuas schnitten den gesamten Handelsverkehr mit Palästina ab und erreichten damit einen raschen wirtschaftlichen Niedergang ihres Rivalen. Am 31. Mai 1287 besiegte ein Geschwader aus Genua die pisanische Levanteflotte und nur das Eingreifen venezianischer Schiffe verhinderte die Eroberung des pisanischen Flottenstützpunktes in Akkon.67 Im Friedensvertrag von 1288 musste Pisa auf seinen Anteil an Korsika verzichten, später verlor es noch Sardinien und Elba, was sich endgültig verheerend auf die Finanzen der Stadt auswirkte. Mit der Versandung des Hafens, dem Zerfall innerer Machtstrukturen und der endgültigen Eroberung der Stadt 1406 durch Florenz, verlor Pisa seine Selbstständigkeit und seine Bedeutung als Seehafen.
Genua
Seit dem Altertum spielte Genua eine wichtige Rolle als Hafen- und Handelsstadt, Römer, Karthager, Burgunder, Langobarden und Franken eroberten, zerstörten oder beherrschten die Stadt. Im 8. Jahrhundert gelang es, wiederum wie in den anderen Stadtrepubliken, durch geschicktes Lavieren zwischen Kaiser und Papst, zwischen Langobarden und Byzantinern, zwischenzeitlich mehrfach von den Sarazenen heimgesucht, sich als Republik zu konstituieren und zu einer Drehscheibe des Handels zu werden. Der Holzreichtum des Hinterlands ermöglichte den Aufbau einer schlagkräftigen Flotte und eröffnete die Möglichkeit, am meeresübergreifenden Warenaustausch teilzunehmen und machtpolitisch eine Rolle zu spielen.68
Zunächst gemeinsam mit Pisa erfolgreich gegen die Sarazenen zur See agierend, brach bald die Rivalität zwischen beiden auf und führte zur erbitterten Gegnerschaft und letztlich zur Vernichtung der pisanischen Flotte (s. o.) – Genua wurde die beherrschende Macht im westlichen Mittelmeer. Für die Expansion in das östliche Mittelmeer kamen die Kreuzzüge gerade recht: Die Seemacht der Republik war schon damals so bedeutend, dass sie 1097 den Kreuzfahrern ein starkes Geschwader nach Palästina zu Hilfe schicken konnten, ohne deren Wirken der Kreuzzug wahrscheinlich kaum erfolgreich verlaufen wäre. Eine weitere Flotte mit 70 Kriegsschiffen, die 1104 aus Genua nachrückte, war für die Erhaltung der gewonnenen Territorien und Eroberung der wichtigen levantinischen Hafenstädte von höchster militärischer Bedeutung und verschaffte den Genuesen dort vorzügliche Präsenz und den Erwerb besonderer Bezirke in Jaffa und Jerusalem, daneben entstanden auch in Akkon und Tyros feste Niederlassungen.
Nach dem Sieg über die Pisaner kam es, nahezu unvermeidlich, zu schärfsten Gegensätzen mit Venedig, welches Pisa begünstigt hatte und auch in den östlichen Meeren Genuas ärgste Nebenbuhlerin war. Da Genua den griechischen Kaiser Michael Palaiologos 1261 bei der Eroberung von Konstantinopel unterstützte, erhielt es, neben der ausschließlichen Handelsfreiheit im Schwarzen Meer, in Konstantinopel die Vorstädte Pera und Galata eingeräumt, worauf die Genuesen überall Handelsniederlassungen gründeten, Asow in Besitz nahmen, Kaffa (das heutige Feodosia am Asowschen Meer) anlegten, mit den Herrschern von Armenien Verträge schlossen, auf Zypern, Chios und Lesbos Fuß fassten und so den Venezianern überall in den Weg traten. Die Seekriege zwischen beiden Mächten dauerten mit einigen Unterbrechungen fast 100 Jahre, führten zu militärisch durchaus folgenschweren Versorgungslücken der Kreuzfahrerstaaten und endeten letztlich mit der Vernichtung der von Tizio Cibo befehligten genuesischen Flotte durch den venezianischen Dogen Andrea Contarini am 23. Dezember 1397.69
In mehreren Jahrhunderten, in denen genuesische Schiffe das Meer beherrschten und Genua als Handelsmacht ein gesuchter Partner war, herrschte im Inneren der Republik eine politische Dauerkrise. Ständige Verfassungsänderungen und Machtwechsel70 zwischen Alleinherrschern und kollektiven Herrschaftssystemen führten zu immer weiterem Einflussverlust des Staates auf den Handel und die Flotte. Dazu erhielten private Gesellschaften, die staatliche Expeditionen und Kriegshandlungen finanzierten, immer mehr Rechte, da die wichtigsten Einnahmequellen verpfändet werden mussten. Die Kommune konnte nur noch wenige Schiffseinheiten finanzieren, private Unternehmer dagegen stellten problemlos auch kurzfristig größere Flottenverbände samt Besatzung und Admiral zusammen, die dann vermietet wurden. Der Staat hatte im Verlauf des 13. Jahrhunderts fast völlig die Mitsprachen am Arsenal, an der Seidenproduktion, an Getreideimporten, Orienthandel und den Banken verloren.
Trotz dieser dauerhaften innenpolitischen Miseren florierten, unabhängig vom staatlichen Einfluss, die Wirtschaft und der Handel. Aus genuesischen Archiven sind durch Notariatsakten über Seedarlehen und Handelsbeziehungen Einzelheiten zu zahlreichen Handelsfahrten überliefert. In den zehn Jahren von 1155 bis 1164 wurden von Schiffen aus Genua folgende Handelsziele angefahren: Sizilien 93 mal, Nordafrika 73 mal, Alexandria 58 mal, Syrien 34 mal, Byzanz 20 mal, Südfrankreich 17 mal, Spanien 17 mal, Sardinien 14 mal, Mittelitalien 9 mal, die Handelsfahrten nach Westeuropa und ins Schwarze Meer waren dabei nicht enthalten. Von einer Handelstour nach Alexandria 1156 wurden die transportierten Waren beschrieben: Eine Kommenda mit viel Kapital kaufte dort Pfeffer, Brasilholz aus Indien, Muskatnüsse, Zimt, Gewürznelken, Narde (eine wohlriechende Pflanze zur Herstellung von Salben), Galangawurzel und Mastix. Aufschlussreich sind auch die Handelsverträge der damaligen Zeit, die unabhängig von politischen Gegensätzen respektiert wurden. So schloss Genua 1153 mit den Almohaden, den mächtigen muslimischen Herrschern von al-Andalus und Nordafrika, einen Handelsvertrag, der den Italienern volle Sicherheit für ihre Schifffahrt und eine Senkung der Zollgebühren zusagte, sowie die Möglichkeit eröffnete, in den Hafenstädten Fondacos anzulegen. Als der christliche König Ferdinand III. von Kastilien 1248 Sevilla eroberte, bestätigte er diesen Vertrag.71
Der weitere Aufstieg Genuas wurde noch von einer anderen Entwicklung geprägt, die sie von den anderen Seerepubliken unterschieden. Während jene – Amalfi, Pisa und Venedig – in erster Linie Handel und gewerbliche Produktion betrieben, verlagerten die Genuesen ihr Hauptinteresse zunehmend in den Geldverkehr. Ihr Bankwesen, systematisch aufgebaut und zur Perfektion gebracht, beherrschte bald die Geldmärkte und, vor allem die Casa di San Giorgio, fast alle „weltpolitisch zentrierten Finanzströme, Devisen- und Finanzgeschäfte europäischer Machtpotentaten“72, dies allerdings erst ab dem 15. Jahrhundert, also nach unseren Betrachtungen. Aber bereits in den Jahren 1155 bis 1162 erfolgten von einzelnen genuesischen Familien, vor allen den Familien Burone, Mallone, Vento und Volta, große Investitionen in den Seehandel: 16 800 Pfund in der Levante, 3 900 Pfund in Nordafrika und in Spanien und Frankreich zusammen 4 800 Pfund. Die Söhne der Familien waren dabei meistens in den Zielhäfen als Agenten oder Traktatoren tätig.73 Auch nach dem Verlust des Schwarzmeerhandels und der Insel Chios behielt Genua dank der Verlagerung seiner wirtschaftlichen Aktivitäten auf internationale Finanzgeschäfte seine ökonomische Bedeutung. Selbst fremde Staaten verschuldeten sich, wie zum Beispiel Spanien, wo genuesische Bankiers Hauptgläubiger des Staates wurden, und überließen den Geldgebern Steuerrechte, Landbesitz bis hin zur Gerichtsbarkeit. Dazu trug auch die Verlagerung der Handelsgeschäfte nach Westeuropa und dem westlichen Mittelmeer bei.
Venedig
Als unter dem Druck der Langobarden zahlreiche Städter und Grundbesitzer aus dem umliegenden Festland auf die von Fischern und Salzproduzenten besiedelten mehr als 60 Inseln und Inselchen in der Lagune flüchteten, entstand der Kern einer dynamischen Gesellschaft, die in den folgenden Jahrhunderten eine Weltmacht zu schaffen imstande war.74 Geradezu zwangsläufig erfolgte die Expansion zur See und als Identitätssiegel verbündete man sich gleich mit zwei Stadtheiligen: dem Heiligen Markus mit dem Löwen, der für den militärischen Erfolg steht, und dem Heiligen Nikolaus, dem Schutzpatron der Steuer- und Seeleute. Gestützt auf die Kapitalien aus der Agrarproduktion und vermehrt durch die Einnahmen aus dem Handel, eroberte sich Venedig, seit etwa 700 wurde als Führer ein Doge gewählt, die Führungsposition in der nördlichen Adria und löste sich, wie die anderen Stadtrepubliken, langsam aus der Vorherrschaft der Byzantiner, die es nach venezianischer Flottenunterstützung des Kampfes um Sizilien 827 in die Autonomie entließen.
Die lokale Entwicklung in der Lagune profitierte davon, dass sich die Infrastruktur, die Kanalführung und die Transportwege den Notwendigkeiten des Warentransports anpassten und so perfekte Voraussetzungen eines höchst effektiven Seehandels geschaffen wurden. Die Anbindung an das Binnenland erfolgte über den Flusstransport an die in Nord-Süd-Richtung verlaufenden Straßen über die Alpen und in die Po-Ebene. Mit Hilfe einer schlagkräftigen Flotte, aber auch mit geschickter Diplomatie gelang es der Signoria, die Adria unter ihre Kontrolle zu bringen, Konkurrenten aus dem Felde zu schlagen und weiter zu expandieren. Ein einzigartiger Coup gelang den Venezianern, als sie mit einem Schlag zwei politische Ziele erreichten: 1081 schlugen ihre Schiffe die Flotte der Normannen von Robert Guiscard bei Durazzo, die sich im Krieg mit Byzanz befanden und verdrängte damit einen gefährlichen Konkurrenten aus der Adria. Für diese Hilfe erhielten sie von Konstantinopel weitreichende Privilegien, wie sie nicht einmal die Griechen hatten: Die Kaufleute bekamen volle Bewegungsfreiheit in der Romania, wie das von Byzanz beherrschte Territorium damals genannt wurde, und neben der Genehmigung zur Errichtung von Stapelplätzen wurden Steuer- und Zollfreiheit gewährt. Damit wurde den venezianischen Kaufleuten der gesamte oströmische Markt mit Ausnahme des Schwarzen Meers eröffnet und, auf Kosten von Amalfi, ein Monopol des Orienthandels zwischen Byzanz und Europa aufgebaut.75 Es bestanden zu dieser Zeit zwischen Konstantinopel und Venedig regelmäßige Schiffsverbindungen, die meistens entlang der Küste führten. Darüber hinaus bestanden sehr intensive Handelsbeziehungen zur islamisch-arabischen Welt, insbesondere Ägypten, Syrien und seit dem 11. Jahrhundert auch mit Sizilien. Damit war allerdings ein deutliches Konfliktpotential zu den konkurrierenden Handelsmächten, vor allem Genua und Pisa gelegt, denn diese hatten eine weniger glückliche Ausgangsposition, sie mussten sich den Weg nach Byzanz erst erkämpfen. Trotzdem tauchten ihre Kaufleute ebenfalls in Nordafrika, Ägypten und Sizilien auf und trieben äußerst erfolgreich Handel. Gegen Bauholz, Waffen, Tuchwaren und andere Erzeugnisse aus dem Norden wurden kostbare byzantinische Gewebe, Duftstoffe, Gewürze, Spezereien und viele andere orientalische Waren eingetauscht.
Die Dogenrepublik hatte anfänglich wohl etwas gezögert, sich dann aber doch mit größeren Flottenverbänden am ersten Kreuzzug beteiligt. Nach der Seeschlacht von Jaffa 1123, mit dem glänzenden Sieg über die sarazenische Flotte, unterstützte das gleiche Geschwader die Kreuzritter 1124 bei der Eroberung von Tyros und sicherte sich als Niederlassung ein ganzes Stadtviertel. Damit errangen die Venezianer auch die Kontrolle über ein produktives Hinterland, übernahmen die arabischen Methoden der Plantagenwirtschaft und produzierten Baumwolle und Zucker. Mit dieser „Geschmeidigkeit, mit welcher die Venezianer sich den Umständen anzupassen wußten“,76 war Venedig im 13. Jahrhundert sogar in der Lage, die Stoßrichtung der europäischen Kreuzfahrer nach ihrem Belieben zu verändern und, wie im Verlauf des vierten Kreuzzuges, deren Kampfkraft für eigene Expansionen, so die Eroberung von Zara und Konstantinopel, zu nützen.
Diese Anpassungsfähigkeit an veränderte politische Situationen und Machtkonstellationen, über die übrigens auch die anderen italienischen Seerepubliken in gewisser Weise verfügten, war Venedig vor allem seiner großen innenpolitischen Stabilität geschuldet. Die Machtstrukturen waren in Form einer Pyramide angeordnet, an deren Spitze der Doge stand; zusammen mit seinen Räten und den Führern des Rats der Vierzig bildete er die Signoria, die eigentliche Regierung der Republik. Hier wurden die Befehlshaber der Flotten und Galeeren ernannt sowie die Mitglieder der Räte und Verwaltungsbehörden. Oberstes Gremium war der Große Rat, der im 13. Jahrhundert das Machtzentrum darstellte und 300 bis 400 Männer umfasste, er erließ die Gesetze, verordnete Bestrafungen und gewährte Begnadigungen, alle wichtigen und bedeutenden Männer gehörten ihm an.77
Zur Verteidigung ihrer Handelsprivilegien und für die Eroberung neuer Märkte war die Serenissima in der Wahl ihrer Methoden keineswegs ängstlich, nicht einmal gegenüber ihren Handelspartnern und Verbündeten. Eine wichtige Voraussetzung steigender Profite und Handelsexpansion war die schlagkräftige und staatlich organisierte Flotte, die gezielt zum Schutze eigener Handelsschiffe, Verteidigung oder Eroberung wichtiger Stützpunkte oder auch zur Piraterie eingesetzt wurde. Der Einsatz von Kampfschiffen zur Bekämpfung von Kontrahenten und die Durchsetzung von Monopolansprüchen erwies sich als typisch für die venezianische Politik und stellte in Verbindung mit einer geschickten und pragmatischen Diplomatie das Erfolgsrezept für eine seebeherrschende Machtposition dar.