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Begriff im Wandel

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Herrn Lipkos Anzug sitzt wie maßgeschneidert. Die – wohl italienische – Seidenkrawatte gleicht einem Schmuckstück. Haare adrett, Schuhe tipptopp. Diese lässige Haltung, in der er mir gegenübersitzt. Er möchte jünger aussehen, als er ist. Seine erfolgreiche Karriere lässt er im Gespräch so nebenbei einfließen, ebenso die beeindruckenden Berufe seiner Kinder. Über seine Kontakte zu wichtigen Persönlichkeiten der Gesellschaft berichtet er anekdotenhaft. Mit einem Wort: Der Mann ist eitel. Ich gestehe, dass ich Frauen diese Eigenschaft großzügiger durchgehen lasse als Männern.

Eitelkeit: Da setzt ein Mensch alles daran, als schön und besonders wahrgenommen zu werden. Soll er doch! Ich empfinde statt Hochachtung eher so etwas wie Mitleid mit den Eitlen. Durch ihr Auftreten und Verhalten geben sie zu erkennen, dass sie mit dem, wie sie wirklich sind, keinen Frieden haben. Sie können sich mit ihrer eigenen Unvollkommenheit und Normalität nicht versöhnen. Ich kann das gut nachvollziehen, gibt es doch auch in mir Anflüge von Eitelkeit. Es ist keine angenehme, doch auch keine ganz außergewöhnliche Eigenschaft. Eigentlich zum Lachen!

Der Begriff hat jedoch im Laufe der Jahrhunderte seine Bedeutung gewandelt. Was heute eher wie eine puritanische Bewertung klingt, meinte früher Vergänglichkeit. Martin Luther übersetzt das hebräische „häwäl“ mit eitel. In diesem Sinne überschrieb der Barockdichter Andreas Gryphius sein berühmtes Sonett mit dem Titel „Es ist alles eitel“:

Du siehst, wohin du siehst, nur Eitelkeit auf Erden.

Was dieser heute baut, reißt jener morgen ein:

Wo jetzt noch Städte stehn, wird eine Wiese sein,

auf der ein Schäferskind wird spielen mit den Herden.

Was jetzt noch prächtig blüht, soll bald zertreten werden.

Was jetzt so pocht und trotzt, ist morgen Asch’ und Bein,

nichts ist, das ewig sei, kein Erz, kein Marmorstein.

Jetzt lacht das Glück uns an, bald donnern die Beschwerden.

Der hohen Taten Ruhm muss wie ein Traum vergehn.

Soll denn das Spiel der Zeit, der leichte Mensch, bestehn?

Ach! Was ist alles dies, was wir für köstlich achten,

als schlechte Nichtigkeit, als Schatten, Staub und Wind;

als eine Wiesenblum’, die man nicht wieder find’t.

Noch will, was ewig ist, kein einzig Mensch betrachten!

Gryphius verfasste diese Verse während des Dreißigjährigen Krieges. Darin sind sich alle Kriege gleich: Neben der Zerstörung von Leben, Natur und Kultur vernichten sie auch jene Stabilität, die zum Gedeihen notwendig ist. Doch auch ohne kriegerische Auseinandersetzungen verändern sich die Lebensgrundlagen immer wieder gravierend. Nichts bleibt, wie es ist.

Da wurde mir das Leben vollständig verleidet, denn es ist alles so sinnlos, als wolle man den Wind fangen. Ich hasste meine Anstrengungen, die ich unternommen hatte, um etwas zu erreichen – ich muss ja doch alles meinem Nachfolger hinterlassen! Und wer weiß, ob dieser weise oder töricht sein wird? Und dennoch wird ihm alles gehören, was ich durch Klugheit und harte Arbeit erworben habe. Das ist so sinnlos! Ich verzweifelte fast, als ich mir alle Mühe und Arbeit vor Augen hielt, die ich mir hier auf der Erde gemacht hatte. Denn es ist so: Ein Mensch müht sich ab, gibt Weisheit, Einsicht und sein ganzes Geschick daran, etwas zu erreichen. Dann aber muss er alles, was er erreicht hat, einem Menschen hinterlassen, der nichts dafür getan hat. Das ist völlig sinnlos und ungerecht. (Prediger 2,17–21)

„Was dieser heute baut, reißt jener morgen ein“, das ist für Gryphius traurige Realität, Kohelet sieht es übertragen in einem Menschenleben. Du baust etwas auf, aber nach dir wird es nicht fortgeführt. Das kennen viele, die sich in ihrer Arbeit, einem Ehrenamt oder für eine Idee mit Herzblut engagieren. Eines Tages scheint das alles nichts mehr wert zu sein. Technologien haben sich überholt, gesellschaftliche Trends gewandelt, der Geschmack ist ein anderer geworden, der Bedarf fällt weg, das Interesse erlischt.

Das kann einem das Leben verleiden, das kann man als sinnlos und ungerecht empfinden. Man muss es jedoch nicht. Wenn Kohelet auf meinem Sofa säße und mir sein Leid klagte, dann würde ich auch entgegnen: „Du hast ja so Recht! Doch den Anspruch zu erheben, alles müsste immer so weitergehen, wie du es gemacht hast, ist einfach unangemessen.“

Wir hinterlassen etwas, wenn wir von dieser Welt gehen. Übrigens mitunter nicht nur Gutes. Doch wir haben auch etwas vorgefunden, als wir auf die Welt kamen. Nicht nur Schlechtes. Nachfolgende Generationen müssen ihren Weg zu leben finden, den dürfen wir nicht vorherbestimmen. Auch wir wollten unsere Vorstellungen verwirklichen, als wir antraten die Gegenwart zu gestalten.

Aus dem Bereich Kirche kenne ich das zur Genüge. Mancher Pfarrer meint, ohne ihn würde die Kirche zusammenbrechen. Weit gefehlt, sie hat alle Geistlichen überlebt. Und dass die jungen Nachfolger überzeugt sind, sie wüssten endlich, wie man es richtig macht: So soll es sein!

Ein wenig von Herrn Lipko steckt in uns allen: Alles ist eitel! Und alles ist vergänglich. Das ist wahr und das ist gut so.

Windhauch und Wein

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