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Nichts Neues?

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Unsere Tochter ist eine junge Frau, die, wie das für ihr Alter üblich ist, Freude hat an neuer Bekleidung. Weil es so mühsam ist, in der Stadt von Laden zu Laden zu laufen, wird im Internet bestellt. Unsere Tochter wohnt schon lange nicht mehr zu Hause, aber die Pakete kommen ins Elternhaus; wir sind ja immer da … Die Tochter packt aus, probiert an, zu klein, zu groß, die Farbe anders als auf der Bestellseite, der Stoff fühlt sich nicht gut an. Egal, zurück in den Karton. Und ich darf dann die Rücksendungen zur Post bringen.

Natürlich passt das eine oder andere neue Teil doch und bereitet Freude. Aber wie lange ist ein neues Kleid neu? Wann ist der Reiz des Neuen verflogen? Die neue Tapete ist irgendwann auch alt. Wir suchen das Neue, weil wir die Abwechslung lieben: neue Speisen, neue Reiseziele, neue Filme. Wir wollen neue Leute kennenlernen.

Zeitungen und Nachrichtensendungen leben von Neuigkeiten. Der amerikanische Literaturnobelpreisträger William Faulkner behauptet hingegen: „Es ereignet sich nichts Neues. Es sind immer dieselben alten Geschichten, die von immer neuen Menschen erlebt werden.“ Vielleicht ist er von sich aus auf diese Erkenntnis gekommen, doch neu ist sie nicht, denn schon Kohelet sagt das Gleiche:

Was einmal gewesen ist, kommt immer wieder, und was einmal getan wurde, wird immer wieder getan. Es gibt nichts Neues unter der Sonne. Gibt es eigentlich irgendetwas, von dem man sagen könnte: „So etwas gab es noch nie!“? Nein, alles gab es schon irgendwann einmal – in längst vergangenen Zeiten. Wir haben nur vergessen, was damals geschehen ist. Und in einigen Jahren wird man sich nicht mehr an das erinnern, was wir jetzt tun. (Prediger 1,9–11)

Natürlich wiederholen sich Biografien. Von der Geburt bis zum Tod ist die Variationsbreite der Lebensläufe auf der Erde zwar unendlich groß, aber Parallelen gibt es dann doch. Kindheit, Schule, Beruf, Partnerschaft, Familie, Alter – das alles ist nicht neu. Nur für den Einzelnen ist es jeweils eine neue Erfahrung.

Gibt es in der Menschheitsgeschichte etwas Neues? Läuft da nicht ein ewig gleicher Prozess von Werden und Vergehen ab? Kulturen entstehen und verschwinden wieder. Kriege und Katastrophen vernichten alles, aus den Trümmern wächst Neues. Das Neue aber bleibt nicht neu. Die Erkenntnis, dass sich alles verändert, ist es auch nicht.

Und doch! Der christliche Glaube tritt mit diesem ungeheuren Anspruch auf: Da ist etwas wirklich Neues passiert. Das Christentum selbst wird in der Apostelgeschichte als „der neue Weg“ bezeichnet: „Saulus verfolgte immer noch die Jünger des Herrn und drohte ihnen mit Gefängnis und Hinrichtung. Er ging zum Obersten Priester und bat um eine schriftliche Vollmacht für die Synagogen in Damaskus. Dort wollte er die Anhänger des neuen Weges aufspüren. Er wollte sie, Männer wie Frauen, festnehmen und nach Jerusalem bringen“ (Apostelgeschichte 9,1–2).

Ironie der Geschichte oder, wie ich besser sagen sollte, Wirken des Heiligen Geistes: Aus Saulus wird Paulus, aus dem Verfolger der größte Missionar. Paulus ist den neuen Weg gegangen und hilft bis heute Menschen, auf diesem Weg voranzukommen. Paulus erfuhr eine dramatische Lebenswende durch seine Begegnung mit Jesus Christus, sein Leben wurde absolut neu!

Was Kohelet dazu gesagt hätte? Vielleicht: „Das kann ich mir nicht vorstellen.“ Das meint meine Tochter auch schon mal. Ich reagiere dann ziemlich belehrend: „Es gibt Dinge, die können wir uns nicht vorstellen – und sie geschehen doch.“

Windhauch und Wein

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