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Erster Brief.

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(Wahrscheinlich in den letzten Tagen des Jahres VI, October 1798, geschrieben.)

An die Bürgerin Dupin in Nohant.

Paris. „Endlich habe ich einen Brief von Dir erhalten, meine liebe Mutter! er ist acht Tage unterwegs gewesen, was man gerade nicht als schnelle Ankunft bezeichnen kann. Wie gut Du bist, Dich nach mir zu sehnen! und Du fürchtest also eben so sehr, daß ich an's Ziel gelange, als daß ich es nicht erreiche — das ist nun freilich wunderbar. Was mich betrifft, so bin ich über die Familienangelegenheiten, die uns belasten, vollständig beruhigt. Ich betreibe diese Sache mit Beaumont; quäle Dich also nicht, wir werden sie schon zu Ende bringen.“

„Aber Deine Unruhe in Betreff der Zeitverhältnisse thut mir weh, und ich bitte Dich, mein armes Mütterchen, fasse Muth! Es ist rein unmöglich, sich unter irgend welchem Vorwande der letzten Verordnung zu entziehen, die auch mich ganz speziell betrifft. Die Generäle dürfen sich ihre Adjutanten nur aus der Reihe der Offiziere wählen; die öffentlichen Unterrichtsanstalten wie die polytechnische Schule, das Conservatorium u.s.w. haben den Befehl erhalten, keinen Zögling aufzunehmen, der zur ersten Klasse der Wehrpflichtigen gehört. Du siehst also, daß Jeder dienen muß, und daß es gar kein Mittel giebt, nicht Soldat zu werden. Beaumont hat an alle Thüren geklopft und überall denselben Bescheid bekommen. Man fängt nicht mehr damit an, Offizier zu sein, aber man gelangt dahin, wenn man kann. Beaumont kennt ganz Paris, er ist besonders befreundet mit Barras und hat mich dem tapfern Herrn von Latour d'Auvergne vorgestellt, der werth ist, seiner Unerschrockenheit, seiner Bescheidenheit und seiner Talente wegen, der Türeune dieser Zeit genannt zu werden. Nachdem derselbe mich mit großer Aufmerksamkeit betrachtet hatte, sagte er mir: Der Enkel des Marschall von Sachsen wird sich doch nicht fürchten, einen Feldzug mitzumachen? Diese Worte ließen mich weder erröthen noch erbleichen; ich gab ihm zur Antwort: sicher nicht! und dann fügte ich hinzu: aber ich habe mancherlei gelernt, ich wünsche meine Talente auszubilden und ich glaube, daß ich als Offizier oder im Generalstabe meinem Vaterlande mehr nützen könnte, als in den willenlosen Reihen der Gemeinen. — „„Nun wohl!““ erwiederte er, „„das ist freilich wahr, Sie müssen sich eine ehrenhafte Stellung erringen. Indessen müssen Sie immer damit anfangen, von unten auf zu dienen, aber hören Sie, was mir einfällt, um diese Zeit so viel als möglich für Sie abzukürzen.““

„„Ich habe einen vertrauten Freund, der Oberst im 10. Regiment der reitenden Jäger ist. Sie müssen in sein Regiment eintreten und er wird sich freuen, Sie zu haben. Er wäre früher seiner Geburt nach vornehm gewesen und er wird Sie mit Freundschaft überhäufen. Sie mögen dann gemeiner Jäger bleiben, bis Sie sich in der Reitkunst vervollkommt haben. Der Oberst ist auf der Avancements-Liste, wenn er General wird, nimmt er Sie auf meine Empfehlung in seine Umgebung. Avancirt er nicht, so lasse ich Sie im Geniecorps eintreten. Unter keiner Bedingung dürfen Sie jedoch auf Beförderung hoffen, ehe Sie die vorgeschriebenen Bedingungen erfüllt haben. Und so muß es auch sein! wir werden den Ruhm und die Pflicht, die Freude, unserm Vaterlande mit Glanz zu dienen und die Gesetze der Gerechtigkeit und Vernunft mit einander zu verbinden wissen.““ Dies ist der fast wörtliche Inhalt seiner Rede. Und nun, mein Mütterchen, was sagst Du dazu? Ist darauf irgend etwas zu erwiedern? ist es nicht schön, ein Mann, ein tapferer Mann zu sein wie Latour d'Auvergne, und kann man diese Ehre nicht durch einige Opfer erkaufen? oder möchtest Du, daß man von Deinem Sohne, dem Enkel Deines Vaters, Moritz von Sachsen, sagte: daß er sich scheute, einen Feldzug mitzumachen? Die Laufbahn ist mir geöffnet und ich sollte eine ewige, schimpfliche Ruhe dem rauhen Pfade der Pflichten vorziehen? Und überdies, bedenke, liebe Mutter, daß ich zwanzig Jahr alt bin, daß wir zu Grunde gerichtet sind, daß ich ein langes Leben vor mir habe, und auch Du, Gott sei Dank! und daß ich, wenn ich es zu etwas bringe, Dir etwas von dem Wohlleben wiedergeben kann, das Du verloren hast; meine Pflicht und mein Ehrgeiz verlangen dies von mir. Beaumont ist zufrieden mit meinen Ansichten; er sagt, daß man sich fügen muß. Nun ist es einleuchtend, daß ein Mann, der nicht darauf wartet, daß man ihn wie eine zu liefernde Waare in ein Register einträgt, sondern sich freiwillig stellt, um zur Verteidigung seines Vaterlandes zu eilen, größere Rechte an Wohlwollen und Beförderung hat, als derjenige, der sich mit Gewalt herbeiziehen läßt. Ader diese Handlungsweise wurde von unsern Standesgenossen mißbilligt werden. — Sie würden Unrecht haben und ich würde ihre Mißbilligung mißbilligen. Wir müssen sie also reden lassen und sie würden am Besten thun, wenn sie meinem Beispiele folgten. Andere kenne ich wieder, die viel mehr als ich Patrioten sein wollen, und sich doch gar nicht dazu getrieben fühlen, zu den Fahnen zu eilen.“ „Man glaubt hier nur wenig an den Frieden und Beaumont giebt mir den Rath, gar nicht darauf zu rechnen. Herr von Latour d'Auvergne hat Zuneigung zu mir gefaßt; er hat zu Beaumont gesagt, daß ihm mein ruhiges Aussehen gefällt, und daß er durch die Art und Weise, wie ich ihm geantwortet habe, einen Mann in mir erkannt hat. Wahrscheinlich sagst Du, liebe Mutter, daß er mich in einem minder guten Augenblicke gesehen hat, aber kann man nicht oft solche Augenblicke haben? die Gelegenheit muß nur erst da sein! Unser Vermögen ist vernichtet; sollen wir uns deswegen zu Boden werfen lassen? Ist es nicht schöner, sich über sein Unglück zu erheben, als durch eigne Schuld von der Höhe herabzustürzen, auf die uns der Zufall gestellt hatte? Der Anfang meiner Laufbahn kann auch nur einem gewöhnlichen Geiste widerwärtig scheinen; Du aber, Du wirst Dich nicht schämen, die Mutter eines tapfern Soldaten zu sein. Die Heere sind jetzt sämmtlich wohl disciplinirt. Die Offiziere sind Alle Männer von Verdienst — also ängstige Dich nicht. Es handelt sich auch nicht darum, gleich in den Kampf zu ziehen, sondern einige Zeit mit Reitübungen hinzubringen, was mir um so weniger schwer fallen wird, dich auf Deinen Antrieb vielleicht schon mehr von dieser Kunst gelernt habe, als mir noch davon zu lernen bleibt.“

„Ich brauche mich dessen freilich nicht zu rühmen und will damit auch nur sagen, daß ich keine Lehrzeit vor mir habe, die meinen Knochen Gefahr bringt, oder dem Zuschauer Stoff zum Lachen bietet. Auch in dieser Hinsicht kannst Du also ganz ruhig sein. Leb' wohl, Mama; sage mir Deine Meinung über alle meine Ansichten und bedenke, daß aus dem Schmerz der Trennung für uns Beide ein großes Glück hervorgehen kann. Leb' nochmals wohl; ich umarme Dich von ganzem Herzen.“

„Ich umarme Deschartres und ersuche ihn, etwas mehr an seinem Bogen zu streichen, um das Schnarren und Quiken zu vermeiden. Nun, so lache doch ein bischen, mein Mütterchen.“

Das Leben großer Männer ist doch zum großen Theile unbekannt, und viele der bewunderungswürdigsten Regungen haben keinen Zeugen, als Gott und das Gewissen. In dem vorstehenden Briefe finde ich eine solche Regung, die mich tief gerührt hat. Wir sehen hier Latour d'Auvergne, diesen ersten Grenadier von Frankreich, diesen tapfern, einfachen Helden, der kurze Zeit nachher als gemeiner Soldat ins Feld zog, obwohl das neue Gesetz auf seine weißen Haare nicht Anwendung fand ... Aber dies ist eine Geschichte, an die Alle, die sie vergessen haben könnten, wieder erinnert werden müssen. Latour d'Auvergne hatte einen neunzigjährigen Freund, der nur von der Arbeit seines Enkels lebte. Das Conscriptions-Gesetz trifft den jungen Mann, und es giebt kein Mittel sich davon loszumachen. Aber Latour d'Auvergne erhält — als besondere Belohnung für ein ruhmvolles Leben — die Erlaubniß, als gemeiner Soldat in das Heer zu treten, um den Enkel seines Freundes zu ersetzen. Er zieht von dannen, bedeckt sich mit neuem Ruhm, und stirbt auf dem Schlachtfelde, nachdem er jede Auszeichnung, jede Beförderung zurückgewiesen hat! ... Und nun steht dieser Mann, der vielleicht schon den Plan gefaßt hat, mit 55 Jahren an die Stelle eines armen jungen Mannes als Rekrut einzutreten, einem andern jungen Manne gegenüber, der sich zögernd in die Nothwendigkeit des Militärdienstes fügt. Er beobachtet dies verzogene Kind, das eine zärtliche Mutter der Strenge der Disciplin und den Gefahren des Krieges entziehen möchte; er befragt seinen Blick, seine Haltung. Wir begreifen, daß er sich seiner nicht annehmen würde, wenn er ein zaghaftes Herz in ihm entdeckte und daß er ihn durch die Erinnerung an den Krieger-Ruhm seines Großvaters zum Erröthen zwingen würde. Aber ein Wort, ein Blick des Jünglings genügen, um ihm in demselben den künftigen Mann zu zeigen. Und sofort wendet er sich dem Jünglinge freundlich zu, sagt ihm gütige Worte und geht durch großmüthige Versprechungen in die Besorgnisse seiner Mutter ein. Er weiß, daß nicht alle Mütter Heldinnen sind und er fühlt, daß diese Mutter die Republik nicht lieben kann, daß dieser junge Mann mit außerordentlicher Sorgfalt erzogen ist, daß man ehrgeizige Wünsche für ihn hegt, und daß man die antike Aufopferung eines Latour d'Auvergne nicht zu seinem Vorbilde wählen möchte. Aber dieser Latour d'Auvergne scheint die Größe seiner Handlungsweise gar nicht zu kennen, und er ist so wenig eitel darauf, daß er Andere nicht darauf hinweist. Er verlangt von Niemanden gleiche Tugend und er kann diejenigen lieben und achten, die nach dem Wohlstande und der äußern Ehre trachten, die er verschmäht. Er geht auf ihre Pläne ein; er schmeichelt ihren Hoffnungen; er wird an ihrer Verwirklichung arbeiten, wie ein gewöhnlicher Mensch, der die Freuden des Lebens und das Lächeln des Glückes zu schätzen weiß. Und als wollte er seine Verdienste vor sich selber schmälern und sich vor Hochmuth bewahren, faßt er seine Ansicht in die Worte zusammen: „Man kann den Ruhm und die Pflicht, die Freude unserm Vaterlande mit Glanz zu dienen, und die Gesetze der Gerechtigkeit und Vernunft miteinander verbinden.“

Mir erscheint diese wohlwollende, einfache Sprache dreifach groß, dreifach heilig im Munde eines Helden. Was wir von einem glänzenden Leben wissen und sehen, kann immer einer heimlichen Berechnung des Stolzes zugeschrieben werden. Aber in den Einzelnheiten, in den scheinbar unbedeutenden Thatsachen, erfassen wir das Wesen des Menschen. Wenn ich jemals an der Unbefangenheit im Heldenthum gezweifelt hätte, würde mir diese Freundlichkeit des ersten Grenadiers von Frankreich Beweis dafür gewesen sein.

Mein Vater ging auf dies rührende Benehmen nicht weiter ein, wenigstens that er es nicht, als er seiner Mutter darüber schrieb; aber es ist gewiß, daß die Unterredung mit dem Manne, der einst die „höllische Schaar“ angeführt hatte, dessen Herz so zart und dessen Sprache so sanft war, einen tiefen Eindruck auf ihn hervorbrachte. Von diesem Tage an stand sein Entschluß fest und er fand in sich selbst eine gewisse Kunstfertigkeit, seine Mutter über die Gefahren zu täuschen, die seinen neuen Lebensweg umringten. Wir sehen, daß er ihre Gedanken von der nahen Möglichkeit der Schlachten abzulenken sucht, indem er ihr von Reitübungen erzählt; später werden wir ihn noch erfinderischer sehen, um ihr die Qualen der Besorgnisse zu ersparen, bis er selbst durch Gewohnheit gegen die Aufregung der Gefahren abgehärtet ist und anzunehmen scheint, daß auch sie an die Wechselfälle des Krieges gewöhnt wäre. Aber sie konnte sich nie darein ergeben und lange Zeit nachher schrieb sie an ihren Bruder, den Abbé von Beaumont:

„Ich verabscheue den Ruhm und ich möchte alle die Lorbeeren, auf denen ich beständig das Blut meines Sohnes zu sehen erwarte, in Asche verwandeln. Er liebt freilich, was mir Qual macht und ich weiß, daß er, anstatt sich zu schonen, zu jeder Zeit und sogar unnützer Weise an dem Orte ist, wo die meiste Gefahr herrscht. Aus dieser bezaubernden Schale hat er getrunken, seitdem er Herrn von Latour d'Auvergne zum ersten Male sah; dieser verwünschte Held ist es, der ihm den Kopf verdreht!“

Ich kehre nun zur Mittheilung der Briefe meines Vaters zurück und ich kann mir nicht denken, daß meine Leser dieselben zu lang oder zu zahlreich finden sollten. Ich habe wenigstens das Gefühl, daß ich durch ihre Veröffentlichung einzelne Züge der Vergessenheit entreiße, die eine Ehre für die Menschheit sind. Und dieses Gefühl versöhnt mich mit meiner Aufgabe und verursacht mir eine Freude, die ich nie im Dichten eines Romanes empfunden habe.

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