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Achtes Kapitel.

Fortsetzung der Briefe. — Schlittenfahrten. — Deutsche Baroninnen. — Die Stiftsdame. — Der Eisgang des Rheins.

Dreiundzwanzigster Brief.

Köln, 18. Nivose Jahr VII (Januar 1799).

Der General ließ mich durch Caulaincourt zum Mittagsessen einladen; ich mußte von Jean Jacques Rousseau und meinen Erlebnissen mit Papa erzählen und der General hörte so aufmerksam zu, daß ich darüber den Kopf verloren hätte, wenn ich ein Pinsel wäre. Aber ich hütete mich wohl schwatzhaft zu werden und sagte nur das, wozu ich aufgefordert war. Nach Tisch stiegen der General und Herr Durosnel in einen prächtigen Schlitten, der einen grün-goldnen Drachen vorstellte und von zwei allerliebsten Pferden gezogen wurde; ich stieg mit Caulaincourt in einen andern Schlitten, und als mein Kamerad, der rothe Husar, mich mit dem General von Tisch kommen und wegfahren sah, machte er faustgroße Augen und glaubte wahrscheinlich zu träumen. Der General fuhr durch die ganze Stadt, um zu einer großen Schlittenfahrt einzuladen, die am folgenden Tage stattfinden sollte; ich mußte ihn bei allen Besuchen begleiten, endlich auch zu Frau von Herstadt, die er bat, ihre Tochter an der Fahrt theilnehmen zu lassen. Im Scherze warf er sich der Dame zu Füßen und sagte: Gnädige Frau, wollen Sie mich lange in dieser Stellung lassen, in Gegenwart meiner Adjutanten und meiner Ordonnanz, eines Enkels des Marschalls von Sachsen? Die Damen machten große Augen und begriffen wahrscheinlich nicht, warum ich nicht emigrirt bin.

„Wir haben auch schöne Abonnements-Bälle, die von allen höhern Offizieren und der guten Gesellschaft des Landes besucht werden. Glaubst Du wohl, daß so eine Gans von deutscher Baronin, die ihre Töchter dorthin führt, meine Gegenwart übel vermerkt und ihren Töchtern verboten hat, mit mir zu tanzen? Ein Rittmeister, der bei ihr einquartirt ist, hat mir das erzählt und er war so wüthend darüber, daß er sogleich ausziehen wollte. Sein Zorn war komisch und ich mußte ihn zufrieden sprechen; habe ihn aber nicht verhindern können, gestern Abend allen französischen Offizieren einen Wink zu geben. Als ich nun mit meinem Quartiermeister und meinem Escadronchef, die mit mir gespeist hatten, auf dem Balle erschien, näherten sich uns einige Offiziere und sagten: „„Das Wort ist gegeben, der Eid ist geleistet!““

„„Kein Franzose wird mit den Töchtern der Baronin ... tanzen und wir hoffen, daß auch Sie, meine Herren, sich dazu verpflichten werden.““ Ich frage warum — man antwortet mir, daß die Baronin ihren Töchtern verboten hat, mit Soldaten zu tanzen, und so erfahre ich, daß ich an der Verschwörung schuld bin.

„Aber ich fühle mich versucht, der edlen Baronin zu danken, welche verlangt, daß die Ordonnanzen im Hofe warten, während die Offiziere auf dem Balle sind, denn dies hat mir von Fräulein … die liebenswürdigsten Worte, die zärtlichsten Blicke eingetragen, und wir stehen in einem Wechselverhältniß von Theilnahme und Dankbarkeit, das mich zu großen Hoffnungen berechtigt. Das Fräulein ist Stiftsdame, und so ziemlich Herrin ihres Thuns; sie ist reizend — und meiner Treu, wenn sich eine Stiftsdame des kurfürstlichen Kapitels nicht vor meinem Dolman scheut, kann ich der alten Baronin und ihren Eulen von Töchtern wohl Trotz bieten.“

Vierundzwanzigster Brief.

7. Pluviose Jahr VII.

„Du weißt sicherlich schon, daß der Ehrenbreitstein übergeben ist. Der Rhein richtet hier verteufelte Verheerungen an und der Kölner Hafen ist gerade voll holländischer Kauffahrteischiffe. Anfänglich waren die Eisschollen dicht zusammengedrängt, dann trat eine Überschwemmung ein, welche dieselben bis an die erste Etage der Häuser am Hafen emportrug; darauf hat es abermals gefroren und endlich ist der Rhein in sein Bett zurückgekehrt. Da nun kein Wasser mehr unter der Eisdecke war, ist sie geborsten, und die Schiffe, die sich an die Häuser lehnten, sind aus einer Höhe von dreißig Fuß in den Hafen hinuntergefallen und zum größten Theil zerschmettert. Dies Ereigniß ist einzig in seiner Art und vielleicht noch nie da gewesen. Gestern war ich den ganzen Nachmittag auf einer Bastion am Rheine, um seine Bewegungen zu beobachten; ein Artillerie-Offizier, den ich sehr lieb habe und der dies erwiedert, war auch dabei; wir hatten einen Vierpfünder und bei jedem Stoß der Eismasse benachrichtigten wir die Mannschaft im Hafen durch einen Kanonenschuß. Dabei habe ich mich meiner Spiele in der rue du Roi de Sicile erinnert und habe jedesmal, wenn ich die Kanone abfeuerte, dasselbe Vergnügen empfunden. Du magst sagen, was Du willst, liebe Mutter, es giebt nichts Hübscheres als Getöse und ich wollte, ich könnte Dich wieder so wie sonst damit quälen! ... Aber ich werde jetzt zu Tische gerufen. Dabei wird gelacht, geschrien, das ist ein Lärm, daß man sein eigen Wort nicht mehr hört — doch, obwohl ich das Geräuschvolle liebe, wollte ich es gern entbehren, um mit Dir zu plaudern. Jetzt muß ich Dich eilig verlassen, zuvor aber umarme ich Dich so zärtlich, wie ich Dich liebe.

Du wünschest den Frieden, meine gute Mutter, und ich zittre bei dem Gedanken, daß er geschlossen werden könnte. Der Krieg allein gewährt mir die Möglichkeit zu avanciren, und sobald er wieder ausbricht, kann ich leicht und auf ehrenvolle Weise Offizier werden. Wer sich in einem Treffen gut benimmt, kann sogar schon auf dem Schlachtfelde dazu ernannt werden. Welche Freude! welcher Ruhm! mein Herz schlägt schon bei dem Gedanken daran! und dann giebt es auch Urlaub und man kann glückliche Augenblicke in Nohant verleben, wo man für das Wenige, das man geleistet hat, herrlich belohnt wird.

„... Man nennt sich hier nicht mehr „Bürger“ und „Bürgerin“ — unter den Kriegern wird das „Herr“ von Tag zu Tag gebräuchlicher und die Frauen sind immer „Damen“. Sag' zu Deschartres, daß er ein ... ist, so lange zu schlafen.

„Leb wohl, meine gute Mutter, ich umarme Dich aus voller Seele.“

Neunundzwanzigster Brief.

Köln, den 20. Pluviose Jahr VII.

„Glücklich Jeder, dem die Mutter erhalten bleibt und der sich ihrer Zärtlichkeit erfreuen kann! er ist zum Guten vorherbestimmt, denn ihm wird das Glück zu Theil, um seiner selbst willen geliebt zu werden.

„Dein Brief, meine liebe Mutter, hat mein Tagewerk auf das Angenehmste beschlossen; ich erhielt denselben, als ich mit Lecomte — so heißt der Jäger, dessen Sekundant ich war — von einem Spaziergange am andern Ufer des Rheines zurückkam. Er hat mir das Schiff eines ihm befreundeten Kaufmanns gezeigt, das bei dem Eisgang nicht gelitten hat. Es ist sehr hübsch und die Gemächer sind von außerordentlicher Reinlichkeit. Wir haben es nach allen Richtungen besehen; es war ganz mit Waaren angefüllt; der Kaufmann und alle seine Leute waren beschäftigt, es für Holland auszurüsten. Aufseher und Arbeiter bewegten sich auf dem Verdeck. Nur wir, der Jäger und ich, waren unthätig inmitten dieser beschäftigten Menge. Ich hatte mich auf meinen Säbel gestützt, die Pfeife im ... und meine Augen starrten mit dummer Verwunderung in dies Treiben; dabei sagte ich zu mir selbst: „Ich bin in reichern und vornehmem Verhältnissen geboren, als diese großen Kaufleute, die Häuser in der Stadt, Schiffe im Hafen und Koffer voll Gold ihr Eigenthum nennen. Und ich, der Soldat der Republik, besitze nichts als meinen Säbel und meine Pfeife ... Aber Eis und Feuer, Diebe und Grenzwächter stören meinen Schlummer nicht ... wie viele Sorgen bleiben mir erspart! mag die Stadt zusammenstürzen, der Hafen und Alles, was darin ist, versinken — was mach' ich mir daraus! Arbeitet ihr nur für euch selbst, ihr Lumpenhunde, erwerbt euch Geld! wir, wir arbeiten für unser Vaterland und wir werden Ruhm erwerben — mein Beruf wiegt den eurigen auf.“

„Und darauf ließ ich meinen Jäger am Bord, um mit seinem Freunde, dem Kaufmann, einige Flaschen zu leeren; ich bin dann zu meiner Stiftsdame gegangen — sie hatte mir versprochen, heftige Kopfschmerzen vorzuschützen, um sich vom Besuch des Theaters frei zu machen und um den ganzen Abend allein zu Hause bleiben zu können.“

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